23.12.2020 - PDF
Die Impfbereitschaft der österreichischen Bevölkerung im Dezember 2020
- Etwa ein Drittel der österreichischen Bevölkerung ist grundsätzlich bereit, sich impfen zu lassen, ein weiteres Sechstel ist ambivalent. Eine knappe Mehrheit hingegen äußert sich zurückhaltend bis dezidiert ablehnend.
- Positiv auf die Impfbereitschaft wirken die Motive des Selbstschutzes und des Schutzes anderer. Ersteres wirkt etwa doppelt so stark wie zweiteres.
- Eine positive Auswirkung auf die Impfbereitschaft haben zudem die Annahme, dass die Impfung sicher ist, die Erwartung, dass die Impfung ein Leben wie vor der Coronakrise ermöglicht, sowie das Gefühl, insgesamt gut informiert zu sein.
- Einen stark negativen Zusammenhang mit der Impfbereitschaft haben die Angst vor Nebenwirkungen sowie die Überzeugung, dass das eigene Immunsystem im Falle einer Ansteckung die Infektion erfolgreich bekämpfen würde. Diese zwei Faktoren dominieren gegenüber den Faktoren, welche die Impfbereitschaft fördern.
Von Bernhard Kittel, Katharina T. Paul, Katharina Kieslich und Thomas Resch
Erste Impfstoffe gegen das neue Coronavirus sind in den USA sowie innerhalb der Europäischen Union (EU) bereits zugelassen. Damit wird auch für Österreich die Aussicht auf einen baldigen Beginn der Impfungen greifbar. Doch wie sieht es mit der Impfbereitschaft der österreichischen Bevölkerung aus? Im Rahmen des Austrian Corona Panel Projektes wurde die Bereitschaft, sich gegen Corona impfen zu lassen, dreimal untersucht: im Mai 2020 (siehe Blog 50), im Oktober 2020 (Blog 87) und im Dezember 2020. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung. Während im Mai 2020 noch 48% der Befragten des ACPP “voll und ganz” oder “eher” der Aussage zustimmten, sich ehestmöglich impfen lassen zu wollen, sollte es eine Impfung geben, so waren es im Oktober 2020 nur etwa ein Drittel.[1] Von Oktober bis Dezember sind nur geringfügige Änderungen festzustellen, die zu klein sind, um sie statistisch zu interpretieren. Die minimalen Verschiebungen zwischen Oktober und Dezember verblassen also gegenüber dem starken Rückgang der deklarierten Bereitschaft, sich gegen den neuen Coronavirus SARS-CoV-2 impfen zu lassen, zwischen Mai und Oktober.
Während im Mai dieses Jahres ein Corona Impfstoff noch eine weit entfernte Hoffnung schien, und damit die Frage nach der Impfbereitschaft eine eher hypothetische war, deuten unsere Ergebnisse vom Oktober und Dezember darauf hin, dass sich die Vorbehalte der österreichischen Bevölkerung gegenüber einer Impfung trotz des Näherrücken einer realistischen Zulassung eines neuen Impfstoffs in diesem Zeitraum eher verfestigt haben. Die wachsende Verfügbarkeit von Information zu neuen Impfstoffen scheint also keinen Effekt auf die Impfbereitschaft gehabt zu haben. Unsere bisherigen Analysen zu Mai und Oktober haben gezeigt, dass die Wahrnehmung der persönlichen Gefährdung sowie die Wahrnehmung der Regierungspolitik stark mit der Impfbereitschaft stark zusammenhängen. Des Weiteren erwiesen sich das Alter, das Geschlecht und die parteipolitische Orientierung als relevant. Dieser alarmierende Befund hat das ACPP-Team bewogen, in der Dezember-Befragung zusätzliche Fragen zur Impfbereitschaft aufzunehmen, mit dem Ziel, die individuellen Gründe, sich impfen zu lassen oder nicht, näher zu untersuchen.
In der Analyse prüfen wir verschiedene Ansatzpunkte zur Erklärung der Impfbereitschaft. Wir konzentrieren uns auf folgende Fragen: Was fördert die Impfbereitschaft, was behindert sie? Steht die eigene Gesundheit im Vordergrund? Wenn ja, was wiegt schwerer, die Angst vor einer Ansteckung oder die Angst vor eventuellen Nebenwirkungen einer Impfung? Oder ist Impfen ein Akt der Solidarität gegenüber anderen? Es existieren noch andere Beweggründe, sich nicht impfen zu lassen, die wir in diesem Beitrag jedoch nicht behandeln.
Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen (siehe Anhang, Modell 1): Die Impfbereitschaft wird sowohl von der Einsicht, dass die Impfung ein Schutz für einen selbst ist, als auch vom Bewusstsein, dass sie ein Schutz für andere ist, positiv beeinflusst. Der erste Effekt ist etwa doppelt so groß ist wie der zweite. Ebenso hängen drei weitere Faktoren positiv mit der Impfbereitschaft zusammen: die Annahme, dass die Impfung sicher ist, die Erwartung, dass die Impfung ein Leben wie vor der Coronakrise ermöglicht, sowie das Gefühl, insgesamt gut informiert zu sein. Auch die Wahrnehmung, speziell von den Behörden gut über die Impfungen informiert zu werden, korreliert positiv mit der Impfbereitschaft.
Die Angst vor Nebenwirkungen einer Corona Impfung jedoch, sowie die Überzeugung, dass das eigene Immunsystem mit einer Ansteckung zurechtkommen wird, verringern die Impfbereitschaft. Diese beiden Mitte Dezember 2020 abgefragten Motive wirken sich bei den Befragten besonders stark aus: 21% sind überzeugt, dass ihr Immunsystem mit dem Coronavirus zurechtkommen wird, 43% haben große Angst vor Nebenwirkungen der Impfung. Dieser zweite Befund deckt sich mit Beobachtungen in Finnland. Allerdings zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass mit zunehmendem Gefühl, gut informiert zu sein, der negative Effekt der Überzeugung, dass die eigene Immunabwehr stark genug ist, auf die Impfbereitschaft stärker wird (Modell 2). Diese Überzeugung ist statistisch signifikant stärker vertreten unter Anhänger*innen der FPÖ und unter Nichtwähler*innen.[2]
Insgesamt ist der positive und negative Einfluss dieser Motivationen auf die Impfbereitschaft so stark, dass sie den Erklärungsbeitrag der meisten anderen Variablen überdecken.
Fazit
Betrachtet man ganz Österreich, so ist insgesamt die Impfbereitschaft bezüglich Corona deutlich höher als etwa die Bereitschaft, sich gegen die saisonale Grippe (Influenza) zu impfen. Dennoch liegen die Werte deutlich unter der von der WHO als hinreichend für eine Herdenimmunität bezeichneten Durchimpfungsrate von etwa 60-70%. Zusammenfassend beobachten wir zwei entgegengesetzte Faktoren, die eine zentrale Rolle bei Bedenken gegenüber der Impfung gegen Corona spielen: auf der einen Seite ist es die Sorge um Nebenwirkungen, auf der anderen Seite die Überzeugung, dass das eigene Immunsystem die Infektion mit SARS-CoV2 erfolgreich bekämpfen kann. Letzteres steigt mit der Einschätzung der eigenen Informiertheit sogar noch an. Diese Ergebnisse ermöglichen einige Ansatzpunkte für die Politikgestaltung.
Dass die Angst vor Nebenwirkungen in der österreichischen Bevölkerung groß ist, könnte mitunter darauf zurückzuführen sein, dass einige der Impfstoffe eine Wirkweise aufweisen, die bisher in Impfungen nicht zur Anwendung kam (Stichwort mRNA). Angesichts der bereits stattfindenden medialen Diskussion der erfolgreichen Entwicklung von Impfstoffen ist es fraglich, ob zusätzliche Kampagnen durch wissenschaftliche Institutionen die Impfbereitschaft erhöhen können. Ein transparenter und direkter Umgang mit den erwähnten Sorgen sowie partizipative Bürgerforen könnten jedoch dazu beitragen, das Vertrauen in das Impfsystem zu stärken.
Die Thematisierung einer möglichen Impfpflicht scheint jedenfalls kontraproduktiv, wie die breite Ablehnung der Corona-App nach solchen Wortmeldungen vermuten läßt (Blog 30, Blog 31, siehe auch den Kommentar von Erich Kirchler und das Interview mit Barbara Prainsack). Ebenso wenig scheint es ratsam, einen finanziellen Anreiz zu setzen, da dies erst recht Mißtrauen wecken oder auch die intrinsische Motivation in Frage stellen könnte, wie man im Fall von freiwilligen und unvergüteten Blutspenden beobachtet hat. Wichtig wäre es, einen Zugang zu finden, der lokal, niedrigschwellig und breitenwirksam ist und solidarisches Verhalten nicht vorab in Frage stellt. Hausärzt*innen könnte hier eine zentrale Rolle zukommen, da sie ihre Patient*innen persönlich kennen, ihr Vertrauen genießen und sich bei entsprechender Honorierung durch das öffentliche Gesundheitswesen auch die Zeit nehmen können, mit Patient*innen über Sorgen und Ängste zu reden und ihnen so eventuell auch die Angst zu nehmen.
Die Einschätzung, das eigene Immunsystem sei stark genug, um mit SARS-CoV-2 zurecht zu kommen, ist zwar nicht so weit verbreitet wie die Angst vor Nebenwirkungen, sie ist jedoch wesentlich fester verankert. Ob medial verbreitete Erfahrungsberichte und Informationen über schwere Verläufe von COVID-19 dazu beitragen können, solche Überzeugungen ins Wanken zu bringen, ist fraglich. In Blog 21 wurde gezeigt, dass ein beachtlicher Anteil der österreichischen Bevölkerung ihre Informationen aus den sozialen Medien und den sogenannten Boulevardmedien bezieht und dass dieser Teil der Bevölkerung eher geneigt ist, Desinformation und Fake News Glauben zu schenken. Blog 32 hat darauf hingewiesen, dass Anhänger*innen der FPÖ ein geringes Vertrauen in die Corona-Berichterstattung aufweisen. Sie sind daher mit Informationskampagnen der Regierung, der sie wenig Vertrauen schenken (Blog 70), vermutlich schwer zu erreichen.
Eine geringe Impfbereitschaft ist allerdings nicht nur unter FPÖ-Wähler*innen zu finden. Sorgen um Nebenwirkungen sind bei Wähler*innen aller Parteien verbreitet. Es ist also wichtig zu unterscheiden, ob eine mangelnde Impfbereitschaft auf ein generelles Misstrauen in politische Institutionen zurückzuführen ist, oder auf die berechtigten Sorgen von Menschen, die sich die Frage stellen, wieso ein Impfstoff so schnell entwickelt werden konnte. Keinesfalls ist es ratsam, diese Sorgen als Impfskepsis abzutun oder die mangelnde Bereitschaft, sich impfen zu lassen, sogar als unsolidarisch zu bezeichnen. Stattdessen sollte über Vermittlung politisch unabhängiger Personen und Organisationen versucht werden, die Ängste von Menschen ernstzunehmen und durch partizipative Ansätze wie (virtuelle) Bürgerforen zu entkräften. Dies wäre auch im Interesse des gesamten, auch andere Krankheiten umfassenden, Impfkonzepts der österreichischen Gesundheitspolitik, die bereits lange mit stagnierenden Impfraten und mangelndem Vertrauen in die Effektivität von Impfungen konfrontiert ist.
[1] Andere Umfragen, wie z.B. jene von Peter Hajek, kommen mit anderen Skalen auf vergleichbare Werte.
[2] FPÖ-Vorsitzender Norbert Hofer hat im August 2020 das Argument des guten Immunsystems verwendet, um seine Absicht, sich nicht impfen zu lassen, zu begründen. Im Dezember, nach überstandener Infektion, kündigte er eine Online-Petition der FPÖ gegen eine etwaige Impfpflicht an.
Bernhard Kittel ist Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Wien und Leiter des Austrian Corona Panel Projects.
Katharina T. Paul ist seit 2013 senior research fellow (Post-Doc) und Lektorin am Institut für Politikwissenschaft und seit 2019 Mitglied der Forschungsgruppe Zeitgenössische Solidaritätsstudien (CeSCoS). In ihrem FWF Elise Richter Projekt forscht sie zu vergleichender Gesundheitspolitik, insbesondere Impfpolitik.
Katharina Kieslich ist Post-Doc Universitätsassistentin für Vergleichende Politikfeldanalyse am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Themen der Gesundheitspolitik. (+Mitglied #CeSCoS)
Thomas Resch ist als Doktorand am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Gerechtigkeitsforschung, Verteilungspräferenzen, Einstellungen gegenüber dem Wohlfahrtsstaat und international vergleichender Analyse von Wohlfahrtsstaaten.
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