19.11.2020 - PDF

Die Wiener Gratis-Grippeimpfaktion zeigt Wirkung

  • Etwa ein Drittel der Befragten zeigt sich in dieser Saison bereit, sich gegen die Grippe impfen zu lassen
  • Dabei zeichnet sich ein Trend ab: 84% jener, die sich schon 2019 impfen ließen, hat sich auch im Herbst 2020 impfen lassen bzw. hat es fest vor
  • Gut 10% der Befragten berichten, eine Impfung sei ihnen (bisher) nicht möglich gewesen; bei den unter-30-Jährigen ist dieser Anteil doppelt so hoch
  • Befragte über 60 oder unter 30 Jahren, Männer, sowie Befragte mit Matura oder höherem Bildungsabschluss sind eher gewillt, sich gegen die Grippe impfen zu lassen
  • Die Gratis-Impfaktion in Wien greift: Im Verhältnis wurden in der Bundeshauptstadt bereits doppelt so viele Menschen geimpft wie im Rest von Österreich
  • Unterschiede je nach Bildungsabschluss sowie zwischen Altersgruppen und Geschlechtern sind in Wien geringer als in den Bundesländern

Von David W. Schiestl

Befeuert durch die Coronakrise ist die Grippeimpfung heuer in aller Munde. So wurde etwa vonseiten der WHO vor zeitgleichen Ausbrüchen von COVID-19 und Influenza gewarnt. Doch die Impfbereitschaft in Österreich war in den letzten Jahren niedrig: In der Saison 2019/2020 beispielsweise ließen sich nur etwa 8% der Österreicher*innen gegen die Influenza impfen. Für diese Saison jedoch erwartete der Verband der österreichischen Impfstoffhersteller einen sprunghaften Anstieg: Eine Durchimpfungsrate von bis zu 21% sei in Österreich möglich, da inklusive Nachbestellungen und zusätzlicher Produktion 1,86 Millionen verfügbare Impfdosen erwartet werden. Auch in das öffentliche Kinderimpfprogramm wurde die Grippeimpfung aufgenommen: Damit können Kinder und Jugendliche bis zum 15. Lebensjahr kostenfrei bei den Kinderärzt*innen geimpft werden.

Die Stadt Wien bestellte außerdem bereits im Frühjahr etwa 400.000 Impfdosen, die seit Anfang Oktober 2020 im Rahmen einer Gratis-Impfaktion verabreicht werden. Dies führte teilweise auch zu Kritik: Die niederösterreichische Apothekerkammer etwa berichtete schon im Sommer von sich abzeichnenden Engpässen und sah diese auch in der Massenorder der Stadt Wien begründet. Wie es also um das Grippeimpfverhalten der Österreicher*innen bestellt ist, und welche Unterschiede sich zwischen verschiedenen Gruppen und Bundesländern zeigen, sehen wir uns im Folgenden genauer an.

Bereitschaft zur Grippeimpfung

Abbildung 1: Influenza-Impfbereitschaft 2020/21. Daten aus dem Austrian Corona Panel Project, Welle 16 (16. - 23. Oktober 2020), N = 1.526.

Auf die Frage „Haben oder werden Sie sich in dieser Wintersaison gegen die Grippe impfen lassen?“ antworteten etwa 5% der Befragten unserer Umfrage im Oktober 2020, sie hätten sich in dieser Saison bereits impfen lassen, und ca. 20% haben eine Impfung fest vor. Ungefähr 64% haben keine Impfung geplant, und gut 10% gaben an, eine Impfung sei für sie nicht möglich gewesen (siehe Abb. 1). Ein Teil dieser Angaben könnte auf die einleitend erwähnten Engpässe zurückzuführen sein.

In all diesen Bereichen existieren nennenswerte Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen. Die deutlichste Differenz zeigt sich dabei zwischen Personen, die sich schon in der letzten Saison gegen die Grippe impfen ließen, und jenen, die sich damals nicht impfen ließen (statistischer Zusammenhang: Cramérs V = 0,50***, siehe Abb. 2):

Abbildung 2: Influenza-Impfbereitschaft 2020/21 nach Impfverhalten 2019/20. Daten aus dem Austrian Corona Panel Project, Welle 16 (16. - 23. Oktober 2020), N = 1.484.

So wollten sich von den bereits 2019/20 geimpften Befragten beinahe 94% diese Saison erneut impfen lassen, wenngleich dies knapp 10% laut eigenen Angaben nicht möglich war. Im Gegensatz dazu liegt die Impfbereitschaft jener, die damals nicht geimpft wurden, bei nur 25%. Wer sich bereits impfen ließ, steht einer erneuten Impfung also offener gegenüber.

Unterschiede in der Impfbereitschaft

Abbildung 3: Influenza-Impfbereitschaft 2020/21 nach Altersgruppen. Daten aus dem Austrian Corona Panel Project, Welle 16 (16. - 23. Oktober 2020), N = 1.224.

Werfen wir nun einen Blick auf die Impfbereitschaft nach Alter, so zeigen sich auch hier signifikante Unterschiede (Cramérs V = 0.16***, siehe Abb. 3). Angesichts der vergleichsweise großen Gefahr, die für Personen über 60 Jahren von einer Influenzaerkrankung ausgeht, überrascht deren hohe Impfbereitschaft von 46% wenig. Dabei spielen auch Vorerkrankungen eine Rolle, welche unter diesen Befragten besonders verbreitet sind (Cramérs V = 0,26***). Daneben sticht die mit 42% ähnlich große Impfbereitschaft der unter-30-Jährigen schnell ins Auge, obwohl diese Altersgruppe weit weniger gefährdet ist. Da wir nur Personen über 15 Jahre befragen, kann diese Bereitschaft der jüngeren Altersgruppe nicht durch das Kinderimpfprogramm erklärt werden. Über die Gründe für diese hohe Impfbereitschaft der unter-30-Jährigen können wir an dieser Stelle nur spekulieren: Denkbar wären etwa damit verbundene Hoffnungen auf einigermaßen normale soziale Interaktionen mit Freunden im Rahmen von Treffen und Feiern. Die übrigen Altersgruppen zeigen eine weit geringere Impfbereitschaft (etwa 30%).

Signifikante Unterschiede können auch zwischen den Geschlechtern, Beschäftgungs- sowie Bildungsgruppen identifiziert werden. So gaben etwa 28% der Männer an, heuer bereits geimpft zu sein bzw. eine Impfung zu planen, während diese Antwortoptionen nur ca. 23% der Frauen wählten (Cramérs V = 0.10**). Werden jene hinzugezählt, denen eine Impfung nicht möglich war, vergrößert sich der Abstand zwischen den Geschlechtern sogar auf 8%. Beim Beschäftigungsstatus zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei den Altersgruppen: Personen in Ausbildung (die ja häufig unter 30 Jahre alt sind) sowie Pensionist*innen (die ja meistens über 60 Jahre alt sind) lassen sich bedeutend häufiger impfen als andere (Cramérs V = 0,11***). Bezüglich der Bildungsgruppen ist ein eindeutiger Trend erkennbar: Je höher die abgeschlossene Ausbildung, desto eher besteht die Bereitschaft, sich gegen die Grippe impfen zu lassen: Während etwa 32% der Befragten mit Pflichtschulabschluss Impfbereitschaft zeigten, lag dieser Wert bei Personen mit Hochschulabschluss bei ca. 46% (Cramérs V = 0.07**).

Die Gratis-Impfaktion in Wien

Schließlich wollen wir die doch recht unterschiedlichen Situationen in der Bundeshauptstadt und den Bundesländern vergleichen. Wie eingangs beschrieben, wurde von der Stadt Wien ein großes Gratis-Impfprogramm ins Leben gerufen, welches womöglich auch Auswirkungen auf die Impfbereitschaft hat (siehe Abb. 4):

Abbildung 4: Impfverhalten 2020/21 nach Wohnort (Wien / Restösterreich). Daten aus dem Austrian Corona Panel Project, Welle 16 (16. - 23. Oktober 2020), N = 1526.

Im Vergleich mit den anderen Bundesländern hat sich in Wien mit Stand Mitte Oktober 2020 bereits ein mehr als doppelt so großer Anteil gegen die Grippe impfen lassen (ca. 9%). Auch der Anteil derer, die eine Impfung fest geplant haben, ist im Vergleich beinahe doppelt so hoch (Cramérs V = 0,20***). Außerdem wird in Wien bedeutend seltener angegeben, eine Impfung sei nicht möglich gewesen: Während im Rest von Österreich etwa 12% von diesem Problem berichteten, beträgt dieser Anteil in Wien nur ca. 5%.

Fazit

Das Gratis-Impfprogramm der Stadt Wien scheint also Wirkung zu zeigen: Neben einer höheren Durchimpfungsrate schrumpfen auch alle oben erwähnten Differenzen zwischen Alters-, Beschäftigungs- und Bildungsgruppen, wenn der Blick auf Wien gerichtet wird. Unterschiede im Zugang zu Impfstoffen, aber auch in der Bereitschaft, sich impfen zu lassen, werden durch das Gratis-Impfprogramm offenbar spürbar abgeschwächt.

Allerdings könnte ein Teil der Abweichungen in den Bundesländern in eben dieser Aktion der Stadt Wien begründet liegen. Wie einleitend erwähnt, erklären Manche die Engpässe an Impfstoffen auch durch die Massenbestellung Wiens, wodurch die Zugänglichkeit in den anderen Bundesländern erschwert werden könnte. Ebenso könnten sich Berichte über einen Impfstoffmangel negativ auf das Interesse and einer Impfung auswirken. Für kommende Massenimpfungen – und insbesondere eine eventuelle Impfung gegen SARS-COV2 – sollte daher eine österreichweit einheitliche, kostenlose Impfaktion für Alle ins Leben gerufen werden.


David W. Schiestl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Migration, Sozialpsychologie und Organisation.


Anmerkung

Cramérs V ist als Kontingenzkoeffizient ein Maß zum statistischen Zusammenhang zwischen zwei Variablen. Es kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen, wobei der Zusammenhang umso größer ist, je weiter sich V dem Wert 1 nähert. Die Sterne markieren das Signifikanzniveau: *0,05  **0,01  ***0,001.