05.01.2023 - PDF
Chronologie zur Corona-Krise in Österreich - Teil 8: Das Aus für die Impfpflicht, eine Sommerwelle, der Tod von Dr. Lisa-Maria Kellermayr, neue Krisen und neue Impfstoffe
- Im Laufe des Jahres 2022 wurden viele COVID-19-Maßnahmen zurückgenommen. So endete im Juni 2022 österreichweit die Maskenpflicht in Supermärkten und, mit Ausnahme Wiens, in öffentlichen Verkehrsmitteln. Zudem wurde die bereits ausgesetzte COVID-19-Impfpflicht im Juli 2022 offiziell per Nationalratsbeschluss wieder abgeschafft. Zudem fiel auch die Pflicht zur Absonderung von COVID-19-Infizierten und eine sogenannte Verkehrsbeschränkung trat ab August 2022 an ihre Stelle.
- Seit Juni 2022 stiegen die Infektionszahlen wieder deutlich an, trotz geringerer Testzahlen. Im Gegensatz zu den Vorjahren baute sich erstmals eine Sommerwelle auf, wobei die offiziellen Infektionszahlen unter den prognostizierten Werten zurückblieben. Dabei musste jedoch von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Ende Juli 2022 nimmt sich die Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr das Leben, nachdem sie von Corona-Gegner*innen Morddrohungen erhalten hatte. Diskussionen um zu wenig Hilfestellung durch die Behörden werden danach laut.
- Im Laufe 2022 traten zudem mehrere neue Krisen und Themen in den Vordergrund – insbesondere der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und die damit verbundene Teuerung, aber auch die Ausbreitung der Affenpocken. Das COVID-19-Thema verschwand dadurch zunehmend aus dem Bewußtsein der Bevölkerung und dem Fokus des politischen Handelns.
- Im Herbst 2022 begann eine neue Impfkampagne für Auffrischungsimpfungen, wobei ab Oktober 2022 ein neuer, an die BA.4/BA.5-Virusvariante angepasster Impfstoff zur Verfügung stand. Angesichts der wachsenden Pandemiemüdigkeit und neuer multipler Krisen schritten die Auffrischungsimpfungen dennoch aber nur im moderaten Tempo voran.
Von Christina Walcherberger, Florian Holl, Markus Pollak und Julia Partheymüller
Dieser Beitrag dokumentiert die Schlüsselereignisse, Entwicklungen und Maßnahmen der COVID-19-Krise in Österreich im Zeitraum von Mai bis Oktober 2022. In bisher sieben Beiträgen zur Chronologie der Corona-Krise in Österreich wurden bereits der erste Lockdown im Frühjahr 2020, die darauffolgende Phase der Normalisierung im Sommer 2020 sowie der Beginn der zweiten Welle im Herbst 2020 beschrieben. Des Weiteren wurden in früheren Beiträgen bereits der Lockdown im Winter 2020/21 sowie die dritte Welle im Frühjahr 2021 dargestellt. Zuletzt betrachteten wir die Ausbreitung der “Delta”-Variante im Herbst 2021 sowie den darauffolgenden Delta-Lockdown, die im Winter/Frühjahr 2022 Fahrt aufnehmende Omikron-Welle und schließlich das “Frühlingserwachen” und weitere Lockerung bis einschließlich April 2022. Im vorliegenden Beitrag beschreiben wir, was seither geschah.
Mai 2022 - Juni 2022: Die Rücknahmne zahlreicher Maßnahmen und der Beginn der Sommerwelle
Nachdem die bundesweite Impfpflicht, wie im letzten Beitrag berichtet, am 9. März 2022 zunächst für 3 Monate ausgesetzt worden war, gab die Bundesregierung am 24. Mai bekannt, dass sie angesichts der milderen Verläufe der Omikron-Variante auch weiterhin nicht in Kraft treten werde. Außerdem wurde auf Bundesebene das Ende der Maskenpflicht in Supermärkten und öffentlichen Verkehrsmitteln, mit Ausnahme Wiens, sowie der Verzicht auf verpflichtende PCR-Tests in Schulen ab 1. Juni bekanntgegeben. Dies wurde mit den rückläufigen Zahlen an positiven COVD-19-Tests begründet. Kurz darauf, am 30. Mai 2022, verkündete das Gesundheitsministerium jedoch, dass es mit einer Rückkehr der Maskenpflicht spätestens im Herbst rechnen würde. Am 31. Mai 2022 wurde bekannt, dass ab dem 1. Juni 2022 kein 3G-Nachweis mehr für die Einreise nach Italien notwendig sein wird. Fast parallel zu diesen Entwicklungen kam es nach der vorangegangenen, relativ raschen Verbreitung der Affenpocken am 22. Mai 2022 zum ersten Verdachts- und später bestätigten Fall in Österreich. Ab 24. Mai 2022 bestand für eine Affenpocken-Infektion eine offizielle Meldepflicht.
Aufgrund der steigenden Preise beriet die Regierung am 4. Juni 2022 über mögliche Entlastungsmaßnahmen. Wenig später, am 14. Juni 2022, präsentierte sie ein Paket gegen die laufenden Teuerungen. Am 9. Juni 2022 hob die Europäische Zentralbank (EZB) wegen der hohen Inflation erstmals seit elf Jahren den Leitzins von 0 auf 0,25 Prozent an. Während die hohe Inflation wirtschaftliche Probleme bereitete, sank die Arbeitslosigkeit weiter (siehe Abbildung 2).
Am 3. Juni 2022 äußerte der Rechnungshof Kritik am bisherigen Pandemie-Management der Regierung. So sei die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern aber auch zwischen den Bundesbehörden häufig unkoordiniert gewesen. Am 10. Juni 2022 wurde außerdem das gesamte österreichische Bundesgebiet auf der Corona-Ampel auf gelb-grün (geringes Risiko) herabgestuft.
Im weiteren Verlauf des Juni nahm die sich ankündigende Sommerwelle weiter Fahrt auf. Rund um den 18. Juni 2022 lag die Zahl der täglichen Neuinfektionen bei etwa 4.700. Expert*innen zeigten sich entsprechend besorgt. Am 21. Juni gab es erstmals seit April 2022 wieder mehr als 10.000 gemeldete Neuinfektionen (10.995 - siehe Abbildung 3). Das Corona-Prognosekonsortium warnte entsprechend vor einer möglichen Verdreifachung der Hospitaliserungsrate. Zwei Tage darauf verkündeten der Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und ÖVP-Klubobmann August Wöginger schließlich die vollständige Abschaffung der COVID-19-Impfpflicht, welche bisher nur ausgesetzt worden war.
Angesichts steigender Infektionszahlen kam es, wie in der ersten Omikron-Welle im Frühjahr 2022, abermals zu Personalengpässen in verschiedenen Bereichen. So berichtete die AUA am 27. Juni 2022 von vielen gestrichenen Flügen aufgrund von gehäuften COVID-19-Infektionen unter Mitarbeiter*innen. Tags darauf empfahl das Nationale Impfgremium offiziell die 4. Impfdosis für alle Menschen über 65 Jahren. Zeitgleich wurde, nachdem bereits am 23. Juni 2022 regionale Erhöhungen der Risikoeinschätzung auf der Corona-Ampel vorgenommen wurden, ganz Österreich gelb eingefärbt, mit Ausnahme Wiens und des Burgenlands, welche direkt als orange (hohes Risiko) eingestuft wurden.
Juli 2022: Das Ende der Impfpflicht und der Quarantäne
Am 4. Juli 2022 wurde öffentlich, dass, nachdem die Hygiene Austria in einen Skandal rund um die Umettiketierung von in China produzierten Masken verwickelt gewesen war, eine außergerichtliche Einigung erreicht wurde. Rund 500 Kläger*innen hatten sich zusammengeschlossen und sollten mit etwa 70 Euro pro Person entschädigt werden.
Ebenfalls an diesem Tag forderte die Wiener Ärztekammer, aufgrund der sich verschlechternden Personalsituation, die Erstellung eines Maßnahmenplans von der Stadt Wien für den Fall der medizinischen Überlastung. Kurz darauf, am 7. Juli 2022, gab der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig bekannt, dass es in Wien eine Maskenpflicht für Gesundheitspersonal geben werde und Besucherzahlen in Spitälern auf maximal drei getestete Personen pro Tag und Patient*in eingeschränkt werden würden. Nachdem die Regierung zuvor bereits die offizielle Abschaffung der Impfpflicht angekündigt hatte, beschloss der Nationalrat, ebenfalls am 7. Juli, ihr endgültiges Ende.
Am 11. Juli 2022 empfahlen die Europäische Gesundheitsbehörde ECDC sowie die Europäische Arzneimittelbehörde EMA, aufgrund der nachlassenden Schutzwirkung nach der 3. Impfdosis, die 4. Impfung für alle über 60-Jährigen. Einige Tage darauf, am 19. Juli 2022, veröffentlichte das COVID-Prognose-Konsortium, bestehend aus Expert*innen der Technischen Universität Wien, der Medizinischen Universität Wien und der Gesundheit Österreich GmbH, eine ihrer wöchentlichen Prognosen, in welcher ein Strategiewechsel bei der Pandemiebekämpfung gefordert wurde. Durch unterschiedliches bzw. rückläufiges Testverhalten und unterschiedliche Testangebote würden die Infektionszahlen nicht mehr zuverlässig die Virusverbreitung abbilden. Der Fokus solle deshalb auf den Spitalskennzahlen (Intensiv- und Normalbettenbelegung) liegen, da diese nur in geringem Ausmaß von Verhaltenseffekten, wie einem sich veränderndem Testverhalten, verzerrt werden würden.
Zudem wurde an diesem Tag ein Gesetzesentwurf zum Ende der Quarantänepflicht öffentlich. Dieser stieß umgehend auf Kritik, unter anderem von Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Diesem in Arbeit befindlichen Gesetzesentwurf war bereits eine längere Diskussion um die Quarantänepflicht vorangegangen. Insbesondere die SPÖ-geführten Bundesländer zeigten sich kritisch. Denn angesichts der hohen Infektionszahlen müsse man sich auf den Herbst und Winter vorbereiten. Zudem würde das Aus der Quarantänepflicht ungeklärte arbeitsrechtliche und haftungstechnische Fragen am Arbeitsplatz aufwerfen. Kritisiert wurde zudem die unklare Rechtslage, denn ob Landeshauptleute selbst über die Quarantänemaßnahmen in ihrem Bundesland entscheiden dürfen, war zunächst nicht geklärt.
Das Gesundheitsministerium betonte jedoch demgegenüber die in der Regel milderen Krankheitsverläufe der vorherrschenden Omikron-Virusvariante. Es sei nicht von einer Überlastung der Gesundheitsinfrastruktur bei Wegfall der Quarantänepflicht auszugehen. Zudem könne durch die Einführung von Verkehrsbeschränkungen, die statt einer strikten Quarantäne den Besuch des Arbeitsplatzes erlauben, die Personalverfügbarkeit in der kritischen Infrastruktur sichergestellt werden. Die Evidenzbasierung dieser Argumentation blieb dabei letztlich fraglich und Mitglieder der GECKO-Expert*innenkommission wiesen, so wurde berichtet, die Verantwortung für diese politische Entscheidung zurück.
Trotz der anhaltenden Kritik beriet sich die Regierung mit den Landeshauptleuten am 25. Juli 2022 zu diesem Vorhaben. Bereits am nächsten Tag wurde verkündet, dass das Ende der Quarantänepflicht durch die Regierung beschlossen wurde und ab 1. August 2022 nur noch eine sogenannte "Verkehrsbeschränkung" für mit COVID-19 Infizierte gelten sollte. Mit COVID-19 Infizierte sollten demnach ihren Wohnort verlassen dürfen, aber dabei bestimmten Einschränkungen unterworfen sein. Die Verkehrsbeschränkungen umfassten das verpflichtende Tragen einer FFP2-Maske außerhalb des privaten Wohnbereichs und bei Kontakt zu anderen Personen sowie ein Betretungsverbot von Einrichtungen mit vulnerablen Gruppen oder risikobehafteten Orten wie etwa Pflegeeinrichtungen. Am 27. Juli 2022 wurde daraufhin verkündet, dass die telefonische Krankschreibung aufgrund des Endes der Quantäneplicht wieder eingeführt werden würde. Am selben Tag wurde außerdem bekannt, dass Wien aufgrund von krankheitsbedingten Personalmangel als erstes Bundesland wieder begonnen hatte, planbare Operationen zu verschieben. Wien kündigte dennoch an, wie bereits öfters zuvor in der Pandemie, striktere Maßnahmen im Vergleich mit den restlichen Bundesländern beizubehalten. So würden keine positiv getesteten Mitarbeiter*innen in Spitälern, Kindergärten und Schulen arbeiten dürfen.
Am 29. Juli 2022 wurde die Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr tot in ihrer Praxis in Oberösterreich aufgefunden. Sie war im Laufe der Pandemie massiv von Maßnahmen- und Impfgegner*innen bedroht worden. Die Staatsanwaltschaft Wels bestätigte einen Suizid. Auch eine spätere Obduktion konnte keine Hinweise auf Fremdeinwirkung feststellen. Anstoß für die Drohungen war ein Tweet von Kellermayr zu einer Demonstration von Gegner*innen der COVID-19-Maßnahmen vor dem Klinikum Wels-Grieskirchen, die von der Polizei Oberösterreich, ebenfalls via Twitter, als Falschmeldung bezeichnet worden war. Die erhaltenen Morddrohungen sowie die sehr hohen Ausgaben für Sicherheitsmaßnahmen veranlassten sie dazu, ihre Praxis Ende Juni 2022 zu schließen. Auch bei den Ermittlungen zu den Verfasser*innen der Drohungen gab es lange Zeit keine Erfolge zu vermelden. Erst als sich eine “Hacktivistin” aus Deutschland der Sache annahm, konnte ein Verdächtiger in Deutschland identifiziert werden, wodurch die Frage der Zuständigkeit aufgeworfen wurde. Der Tod von Dr. Lisa-Maria Kellermayr erschütterte viele zutiefst, auch über die Grenzen Österreichs hinaus. Zahlreiche Würdigungen erinnerten an ihren unermüdlichen Einsatz als Medizinerin während der Pandemie. Am 1. August 2022 fand, um ihrer zu gedenken, am Stephansplatz in Wien eine Mahnwache mit tausenden Teilnehmer*innen statt.
August 2022 - September 2022: Neue Impfstoffe, Inflation und steigende Fallzahlen
Mit 1. August 2022 trat die Verordnung in Kraft, durch welche die verpflichtende Quarantäne abgeschafft wurde. Aufgrund der weiterhin hohen Infektionszahlen und des daraus entstehenden Personalmangels setzte Niederösterreich zu diesem Zeitpunkt auch positiv auf COVID-19 getestetes Personal in Spitälern ein, jedoch nur, wenn dieses symptomfrei und nicht in besonders sensiblen Bereichen tätig sei. Am 7. August 2022, rund einen Monat vor Schulbeginn, wurde vermeldet, dass die Zahl der Schulabmeldungen, die während der Pandemie stark angestiegen waren, für das kommende Schuljahr deutlich rückläufig waren. Am folgenden Tag kündigte Biontech/Pfizer an, im Herbst zwei auf die aktuelle Omikron-Virus-Variante angepasste Impfstoffe auf den Markt bringen zu wollen.
Am 9. August 2022 verkündete Bildungsminister Martin Polaschek, dass positiv getestete, symptomfreie Lehrer*innen künftig unterrichten dürften, sofern sie Maske trügen. Diese Ankündigung wurde umgehend stark kritisiert. Die Wiener Stadtregierung verkündete noch am selben Tag, keine positiv-getesteten Lehrpersonen unterrichten zu lassen. Das Burgenland folgte dem Beispiel Wiens. Ebenfalls am 9. August 2022 wurde ein Rohbericht des Rechnungshofs bekannt, in welchem sich dieser abermals kritisch in Bezug auf das Pandemiemanagement der Regierung und die COVID-19-Finanzierungsagentur des Bundes, COFAG, äußerte. Konkret bemängelt wurden Postenschacher, doppelte Gehaltsbezüge und hohe Ausgaben für Beratungen. Die Stadt Wien verkündete am 26. August, dass die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, die in allen anderen Bundesländern im Juni 2022 aufgehoben wurde, bis mindestens Ende Oktober 2022 verlängert werden würde. Wenig später bekräftigte Bildungsminister Polaschek, dass man ohne Test- und Maskenpflicht in das bevorstehende Schuljahr starten werde.
Am 11. August 2022 meldeten sich Expert*innen, wie etwa der Komplexitätsforscher Peter Klimek, zu Wort und kritisierten, dass die gemeldeten Infektionszahlen in Österreich aufgrund der geringen COVID-19-Testzahlen kaum noch aussagekräftig seien. Die Infektionszahlen seien wahrscheinlich zwei- bis dreimal so hoch wie offiziell gemeldet und die Dunkelziffer liege entsprechend sehr hoch. Prognosemodelle für den Herbst und Winter seien daher äußerst schwierig zu berechnen. Das Gesundheitsministerium meldete tags darauf, dass, nach insgesamt 19 Millionen verabreichten COVID-19-Schutzimpfungen und 50.000 Meldungen von Nebenwirkungen bisher 1.400 Anträge auf Entschädigung nach dem Impfschadengesetz gestellt und 7 davon bewilligt wurden. Die Betroffenen wurden im Durchschnitt mit rund 1.600 Euro entschädigt.
Am 23. August 2022 wurde verkündet, dass der Tot-Impfstoff Valneva teilweise bereits ab Ende August 2022 in Österreich verimpft werden könnte. Anders als mRNA-Impfstoffe, welche den Körper dazu anregen, selbst ungefährliche Kopien des COVID-19 Spike-Proteins herzustellen, werden bei Totimpfstoffen wie Valneva abgetötete Viruspartikel im Rahmen der Impfung verabreicht. Wien startete mit dem Einsatz von Valneva am 1. September 2022, weitere Bundesländer folgten kurze Zeit später. Da der Impfstoff nur als Erstimpfung angeboten wurde und die Impfbereitschaft unter den bis zu diesem Zeitpunkt ungeimpften Personen gering war, fiel die Nachfrage eher gering aus. Ende August aktualisierte das Nationale Impfgremium seine Empfehlung: Allen über 12-Jährigen wurde eine Auffrischungsimpfung (4. Impfdosis) für den Herbst empfohlen. Zu diesem Zeitpunkt herrschte aber noch eine abwartende Stimmung, da einige grundsätzlich impfbereite Personen und auch Experten auf die Omikron-angepassten Impfstoffe warten wollten.
Am 26. August 2022 veröffentlichte Eurostat, das statistische Amt der Europäischen Union, Statistiken zu den ausgeschütteten Hilfszahlungen während der Pandemie. Im europäischen Vergleich hatte Österreich diesen zufolge pro Kopf am meisten für Corona-Hilfen ausgegeben - nämlich durchschnittlich 1.475 Euro pro Person.
Nachdem sich die Energiekrise aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine immer weiter verschärfte, forderte EU- und Verfassungsministerin Karoline Edstadler (ÖVP) Anfang September 2022 zu “Hausverstand” und “Eigenverantwortung” im Umgang mit Strom und Gas auf. Da die Energiepreise sich jedoch auch weiterhin nicht entspannten, einigte sich die Regierung am 3. September 2022 auf eine Strompreisbremse. Diese sollte durch staatliche Subventionierungen dafür sorgen, dass 80 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsverbrauchs an Strom zu günstigeren Tarifen angeboten werde. Die Maßnahme sollte die zu erwartenden hohen Preissteigerungen im Energiebereich abfedern, die ein wichtiger Faktor für die Inflation waren. Einige Tage danach, am 7. September 2022, wurde diese Strompreisbremse dann im Ministerrat beschlossen. Tags darauf erhöhte die Europäische Zentralbank (EZB) abermals den Leitzins, diesmal um 0,75 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent. Am 11. September gab Umweltministerin Leonore Gewessler bekannt, dass angesichts der Energiekrise eine Maximaltemperatur von 19 Grad in öffentlichen Gebäuden wie Ministerien oder Ämtern (nicht aber zum Beispiel in Schulen und Krankenhäusern) eingeführt werden solle. Geprüft würden zudem auch Verbote von Heizstrahlern und Werbebeleuchtung nach 22 Uhr. Am darauffolgenden Tag stellte die Regierung eine Kampagne mit Tipps zum Energiesparen im Haushalt vor.
Laut Statistik Austria lag die Inflation im September 2022 bei rund 10,5 Prozent. Dieser Wert stellte die höchste Inflation seit Juli 1952 dar. Am 27. September 2022 wurde bekannt, dass aufgrund der Teuerungen auch die Universitäten des Landes immer mehr in Geldnot geraten würden. Für die Jahre 2022 bis 2024 bräuchte man ein um 1,2 Milliarden Euro höheres Budget. Ansonsten könnten etwa befristete Verträge nicht verlängert werden, warnte die Universitätskonferenz. In diesem Zusammenhang wurden auch niedrigere Raumtemperaturen oder sogar Teilschließungen von Gebäuden angedacht.
Nachdem das Nationale Impfgremium Ende August die 4. Impfung nun auch für alle Menschen ab dem 12. Lebensjahr empfohlen hatte, empfahl tags darauf, am 1. September 2022, die Europäische Arzneimittelagentur EMA die Zulassung der auf die BA.1-Omikron-Variante abgestimmten Impfstoffe von Moderna und BioNTech/Pfizer. Kurz darauf, am 9. September, kam der erste an die Omikron-Variante BA.1 angepasste Impfstoff von BioNTech/Pfizer in Österreich an. Zudem trat am selben Tag in Wien ein Online-Vormerksystem für die Affenpocken-Impfung in Kraft. Kurze Zeit später wurde am 14. September ein an die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 angepasster COVID-Impfstoff, von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zugelassen.
Am 13. September 2022 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation WHO Zahlen zu Long COVID. So litten zwischen 2020 und 2021 etwa 17 Millionen Menschen in Europa an Symptomen von Long COVID.
Am 27. September 2022 wurde öffentlich, dass die Wiener Staatsanwaltschaft wegen eines Delikts der Datenfälschung gegen den FPÖ-Abgeordneten Christian Hafenecker ermittelt. Es ging dabei um die vermeintliche Anstiftung zur Fälschung von COVID-19-Testzertifikaten. Die Ermittlungen ergaben sich aus Chatnachrichten auf dem Handy eines ehemaligen Mitarbeiters. Währenddessen stiegen die COVID-19-Infektionszahlen weiter. So gab es etwa tags zuvor, am 27. September, 15.317 Neuinfektionen, bei einem Schnitt der letzten Tage von 8.976 Neuinfektionen pro Tag.
Am 30. September 2022 beantragte der ukrainische Präsident Selensky offiziell den beschleunigten NATO-Beitritt, nachdem der russische Präsident Putin zuvor Scheinabstimmungen durchführen ließ und diesen folgend vier besetzte Gebiete der Ukraine zu russischem Staatsgebiet erklärte.
Oktober 2022: Weiter steigende Fallzahlen, hohe Dunkelziffer und dennoch keine Maskenpflicht
Am 3. Oktober 2022 schaltete die Stadt Wien, aufgrund der hohen Nachfrage, 1.200 weitere Affenpocken-Impftermine frei, allerdings nach wie vor nur für Risikogruppen.
Aufgrund steigender Infektionszahlen wurden mit 6. Oktober 2022 alle Bundesländer auf der Corona Ampel entweder gelb (Vorarlberg, Tirol, Kärnten, Oberösterreich, Niederösterreich) oder orange (Salzburg, Steiermark, Burgenland, Wien) eingefärbt. Am selben Tag empfahl die GECKO wieder das vermehrte Tragen von FFP2-Masken, etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Innenräumen.
Am 9. Oktober 2022 fand die Bundespräsidentschaftswahl statt. Noch am selben Abend stand fest, dass Amtsinhaber Alexander van der Bellen mit 56,7% Prozent im ersten Wahlgang wiedergewählt wurde.
Nach einer vorangegangenen Diskussion über die Wiedereinführung der Maskenpflicht in gewissen Bereichen verkündete das Gesundheitsministerium am 19. Oktober 2022, dass diese vorerst nicht ausgeweitet werden würde. Die Maskenpflicht werde weiterhin nur in vulnerablen Bereichen wie Krankenhäusern gelten. Dies könnte sich jedoch entsprechend der pandemischen Situation ändern. In einem Bericht vom 19. Oktober 2022 zeigte die GECKO auf, dass Abwasseranalysen auf eine hohe Dunkelziffer bei den COVID-19-Fallzahlen hindeuten würden. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen könnte dreimal so hoch sein wie die Zahl gemeldeter positiver Tests, warnte die GECKO. Dementsprechend werde weiterhin in vollen Innenräumen oder öffentlichen Verkehrsmitteln das Tragen einer FFP2-Maske empfohlen.
Am 20. Oktober 2022 ließ die Europäische Arzneimittelbehörde EMA COVID-19-Impfungen für Säuglinge ab sechs Monaten zu. Zuvor war die Corona-Impfung erst ab dem fünften Lebensjahr zugelassen gewesen. Ob die Impfung für Babys und Kleinkinder angeboten werden soll, könne jedes Land selbst entscheiden.
Einen Tag später wurde vonseiten des Bildungsministeriums bekanntgegeben, dass die COVID-19-Sonderregelungen, die bisher gegolten hatten, für die zukünftigen Maturaprüfungen auslaufen würden. Die zusätzliche Arbeitsstunde bei schriftlichen Prüfungen, die Ersatztermine bei Verhinderung und die mögliche Kürzung der Themengebiete bei der mündlichen AHS-Prüfung fielen somit nun weg.
Am 28. Oktober 2022 meldeten sich abermals Expert*innen zu Wort und warnten vor starken Herbst-/Winterinfektionswellen. Der warme Spätherbst habe die COVID-19-Neuninfektionen zwar sinken lassen, die neuen Omikron-Virusvarinaten BQ.1 und BQ.1.1 würden allerdings auch in Österreich zunehmend an Bedeutung gewinnen. Zudem könnten diese Varianten die Immunabwehr des Körpers noch besser umgehen. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten ECDC erwartete für den Zeitraum von Mitte November bis inklusive Jänner eine weitere, von diesen Virusvarianten getragene, COVID-Infektionswelle.
Zusammenfassung und Fazit
Zwischen Mai und November 2022 verschwand aufgrund von neuen Themen und Krisen die Pandemie zunehmend aus der öffentlichen Wahrnehmung. Die Bundesregierung verkündete eine Reihe von Lockerungen, hob die Masken- und Quarantänepflicht auf und erklärte das Aus für die lang und kontrovers diskutierte Impfpflicht. Es kam damit zu einem Paradigmenwechsel hin zur Individualisierung des durch das Coronavirus ausgehenden Gesundheitsrisikos und damit verbundener Schutzmaßnahmen. Die Sommerwelle 2022 wurde weitgehend nicht mehr von Schutzmaßnahmen flankiert. Hinzu kam der tragische Tod der Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr.
Im Herbst 2022 kamen erstmals neue, an die Omikron-Variante angepasste, Impfstoffe zum Einsatz. Allerdings wurden den neuen Impfstoffen und der Kampagne für Auffrischungsimpfungen seitens der Bevölkerung eher wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht und die Impfzahlen schritten nur in mäßigem Tempo voran. Angesichts des anhaltenden russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der damit verbundenen Inflations- und Energiekrise, dominierten andere Themen auf der politischen Tagesordnung. Das COVID-19-Thema trat in den Hintergrund.
Gleichzeitig blieb es jedoch bei einem aktiven Infektionsgeschehen. Aufgrund sinkender Testzahlen und der damit vermuteten größeren Dunkelziffer wurde in dieser Phase der Pandemie die vorausschauende Einschätzung bzw. Modellberechnungen der Risikolage zunehmend schwieriger. Sowohl im Juni als auch im Oktober 2022 wurden dennoch erneut deutlich über 10.000 Infektionsfälle pro Tag registriert, die weiterhin Hospitalisierungen und Todesfälle zur Folge hatten. Dies war verbunden mit einem sich verschärfenden Personalengpass im Gesundheitsbereich. Eine dramatische Zuspitzung der Lage auf den Intensivstationen wie im Vorjahr blieb zwar vorerst aus. Allerdings könnte das Abklingen der akuten Phase der Pandemie zu einer erhöhten Dauerbelastung im Gesundheitswesen führen.
Christina Walcherberger arbeitet als Studienassistentin am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien und ist Teil des Teams des Austrian Corona Panel Project (ACPP). Sie studiert im Bachelorstudiengang Politikwissenschaft.
Florian Holl arbeitet als Studienassistent am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien und ist Teil des Teams des Austrian Corona Panel Project (ACPP). Er studiert im Bachelorstudiengang Politikwissenschaft.
Markus Pollak arbeitete als Studienassistent am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien und war Teil des Teams des Austrian Corona Panel Project (ACPP). Er studierte im Master Politikwissenschaft.
Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. Sie ist Mitglied des Vienna Center for Electoral Research (VieCER), des Projektteams des Austrian Corona Panel Projects (ACPP) und der Austrian National Election Study (AUTNES).
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