14.10.2020 – PDF

Chronologie zur Corona-Krise in Österreich Teil 3: Vom ruhigen Sommer bis zum Beginn der zweiten Welle

  • In den Sommermonaten wurde das Infektionsgeschehen durch das Aufkommen regionaler Cluster und Reiserückkehrer*innen geprägt, was zur Wiedereinführung von Maßnahmen wie der Maskenpflicht und vermehrten Testungen führte.
  • Auf europäischer Ebene wurde eine Einigung zur Krisenfinanzierung erzielt, der auch Österreich als Mitglied der “sparsamen Vier” zustimmte. Trotz des massiven Wirtschaftseinbruchs erholte sich der Arbeitsmarkt deutlich, blieb aber hinter den Vorjahreswerten zurück.
  • Mit Herbstbeginn begann die zweite Welle der Pandemie. Trotz weiterer Nachschärfungen bei den Maßnahmen und der Einführung von Steuerungsinstrumenten wie der Corona-Ampel erhöhten sich die Infektionszahlen kontinuierlich.

Von Markus Pollak, Nikolaus Kowarz und Julia Partheymüller

Österreich erlebte nach den dramatischen Einschränkungen des öffentlichen Lebens im Frühjahr (siehe im Teil 1 der Corona-Chronologie) einen vergleichsweise ruhigen Sommer. Bereits in der Zeit von Mitte April bis Ende Juni 2020 wurden zahlreiche Maßnahmen zurückgenommen, wodurch sich das öffentliche Leben zunehmend normalisierte (siehe Teil 2 der Corona-Chronologie). Dieser Beitrag zur Chronologie der Corona-Krise setzt sich mit den Ereignissen und Maßnahmen im Zeitraum von Juli bis Anfang Oktober auseinander. Dabei beleuchten wir auch erneut die Entwicklung des Infektionsgeschehens sowie die Lage am Arbeitsmarkt.

Juli: Regionale Cluster, Wiedereinführung der Maskenpflicht und europäische Krisenfinanzierung

Nachdem am 31. Mai der vorerst niedrigste Wert an gemeldeten Neuinfektionen pro Tag erreicht wurde (5 gemeldete Infektionen), erhöhten sich die Fallzahlen seit Juni wieder leicht. Diese Entwicklung konnte zunächst vor allem auf vereinzelte Cluster in Freikirchen und Schlachthöfen in Oberösterreich zurückgeführt werden. Am 1. Juli traten die letzten Lockerungen in Kraft und eine Reihe von Einschränkungen in den Bereichen der Gastronomie, Veranstaltungen und Sport wurden aufgehoben: Angestellte in der Gastronomie mussten mit 1. Juli z.B. keine Masken mehr tragen, deutlich größere Veranstaltungen wurden wieder zugelassen, die Prostitution wurde wieder erlaubt und die ersten Langstreckenflüge der AUA starteten nach drei Monaten wieder. Allerdings wurden an diesem Tag bereits erstmals seit April wieder mehr als 100 Neuinfektionen an einem Tag gemeldet.

In Anbetracht der steigenden Fallzahlen wegen mehrerer Cluster wurde schließlich ab 9. Juli die Maskenpflicht in der Gastronomie und Geschäften per Verordnung der Landesregierung in Oberösterreich wieder eingeführt. Die Maßnahme stellte die erste Verschärfung dar, seitdem die schrittweisen Lockerungen im April begonnen hatten. Zunächst schloss Bundeskanzler Sebastian Kurz eine solche erneute Verschärfung auf Bundesebene aus. Schließlich wurde jedoch wegen weiterhin steigender Fallzahlen die bundesweite Maskenpflicht in Supermärkten, Banken und Postfilialen am 23. Juli – nur 38 Tage nach der entsprechenden Lockerung – wieder eingeführt

Zwei Tage zuvor hatten sich die EU-Mitgliedstaaten auf den lange erwarteten siebenjährigen Finanzrahmen (MFF) der Europäischen Union geeinigt, der erstmals ohne die Beteiligung Großbritanniens erstellt wurde. Im Zentrum der Verhandlungen stand dabei der Umgang mit der Corona-Krise. Insbesondere Staaten wie Italien und Spanien, die von der Krise besonders stark betroffen waren, sollten sowohl leichter Zugang zu Krediten bekommen als auch Zuschüsse erhalten.  Bundeskanzler Sebastian Kurz nahm dabei als Teil der sogenannten “sparsamen Vier” eine kritische Rolle gegenüber den EU-Plänen ein. 750 Milliarden Euro (360 Milliarden Kredite, 390 Milliarden Zuschüsse) wurden schließlich für einen gemeinsamen “Wiederaufbaufonds” budgetiert, der den Mitgliedstaaten aus der Krise helfen sollte.

Am 22. Juli wurden in einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs mehrere Covid-19 Verordnungen für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben. Unter anderem waren die allgemeinen Ausgangsbeschränkungen während des Lockdowns und die damit verbundenen Geldstrafen rechtswidrig.

Abbildung 1: Ereignischronologie

August: Urlaubsrückkehrer*innen, Anstieg der Fallzahlen und die Corona-Ampel

Immer wieder wurde in Österreich die Möglichkeit diskutiert, Großveranstaltungen durchzuführen. Am 1. August fand, unter erheblichen Sicherheitsbeschränkungen, schließlich die Eröffnung der Salzburger Festspiele statt. Kulturschaffende und Medien beobachteten die Durchführung mit Hinblick auf einen möglicherweise von der Pandemie geprägten Herbst. Dass die Festspiele unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen aber dennoch stattfinden konnten, zeigt die vergleichsweise entspannte Lage im Sommer.

Im August begannen die täglich gemeldeten Neuinfektionen rasant zu steigen. Anfang August wurde außerdem ein Infektions-Cluster am Wolfgangsee identifiziert. Am 14. August sah Gesundheitsminister Rudolf Anschober eine “historische Marke überschritten”, da seit dem Beginn der Krise in Österreich eine Million Testungen stattgefunden hatten. Die hohe Zahl an Testungen wirke sich laut Anschober Auswirkung auf Fallzahlen aus: Denn wenn mehr getestet wird, können auch mehr Infektionen festgestellt werden. Außerdem habe sich die Altersstruktur der Gruppe von Infizierten in Österreich verändert. Im Gegensatz zum Beginn der Corona-Krise sind seither viele junge Menschen betroffen, vor allem im Alter von 15 bis 24. Da jüngere Menschen mit höherer Wahrscheinlichkeit leichtere Krankheitsverläufe durchlaufen, habe sich auch die Sterblichkeit deutlich reduziert. 

Ferner rückte die Infektionsgefahr durch Reiserückkehrer*innen, vor allem aus Kroatien, ins Zentrum der öffentlichen Debatte. Schließlich trat nach einer Häufung von Infektionsfällen im Zusammenhang mit Aufenthalten in Kroatien am 17. August eine Verordnung des Gesundheitsministerium mit Reisebeschränkungen in Kraft. Die neuen Einschränkungen führten zu Urlaubsabbrüchen und Staus an der Grenze. Die Stadt Wien richtete eine spezielle Teststraße für Reiserückkehrer*innen ein. Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärte daraufhin, das “Virus kommt mit dem Auto nach Österreich”

Das gemeldete Infektionsgeschehen intensivierte sich zunehmend; in der zweiten Hälfte des Monats wurden oftmals zwischen 300  und 400 Neuinfektionen pro Tag festgestellt. Das Wachstum blieb aber im Vergleich zum rapiden Anstieg im März verhältnismäßig stabil. Gleichwohl kündigte Bundeskanzler Sebastian Kurz am 28. August an, dass es “Licht am Ende des Tunnels” gebe und die Corona-Krise im Sommer 2021 überstanden sein werde.

September und Anfang Oktober: Der Beginn der zweiten Welle, die Corona-Ampel und mehr Maßnahmen 

Die Infektionszahlen im September stiegen weiter, wodurch auch Reiseeinschränkungen erneut wirksam wurden. Bereits am 1. September schloss Ungarn seine Grenzen für internationale Touristen, wovon auch Österreicher*innen betroffen waren. Kurze Zeit später erklärten erst die Schweiz und dann auch Deutschland die Stadt Wien (später auch Tirol) zum Risikogebiet, wodurch die Einreise in diese Länder nur noch mit negativem Corona-Testergebnis oder unter Einhaltung einer Quarantäne möglich war.

Direkt vor Schulbeginn wurde am 4. September die Corona-Ampel in Betrieb genommen, die anhand einer Empfehlung der Corona-Kommission regionale Risikoeinschätzungen (Grün, Gelb, Orange, Rot) veröffentlicht. Sie soll Auskunft darüber geben, welche Regionen in Österreich im Moment besonders gefährdet sind (siehe Abbildung 2). Sie wurde seither aufgrund der vermeintlichen politischen Einflussnahme auf die Ampelfarbe und die mangelnde Verbindlichkeit von mit der Einschätzung verbundenen Maßnahmen vielfach kritisiert. 

Abbildung 2: Corona-Ampel des österreichischen Gesundheitsministeriums, Stand: 09.10.2020 (Quelle: corona-ampel.gv.at)

Die täglich bestätigten Neuinfektionen erhöhten sich in der ersten Hälfte des September weiter stark, wie in der epidemiologischen Kurve (Abbildung 3) zu sehen ist. Innerhalb weniger Tage erhöhten sich die Fallzahlen von 200 bis 400 pro Tag auf 600 bis 800. Erstmals seit dem Höhepunkt der ersten Welle wurde am 3. Oktober ein Wert von über 1.000 Neuinfektionen (1058) an einem einzigen Tag gemeldet. Am 8. Oktober infizierten sich laut epidemiologischer Kurve sogar 1.235 Personen in Österreich - der höchste Wert, der in Österreich bis dahin gemessen wurde.[1]

Die Vergleichbarkeit der Infektionszahlen mit der ersten Phase der Krise ist dabei allerdings durch die deutlich größere Anzahl von Testungen (8. Oktober: 20.000) nur eingeschränkt gegeben. Die effektive Reproduktionszahl “R”, die angibt, wie viele Personen durchschnittlich von einer infizierten Person angesteckt werden, lag Anfang Oktober bei 1,13, wohingegen sie bei der Verkündung des Lockdowns im März bei etwa 3 lag. Die Entwicklung im März war also durch eine deutlich rasantere relative Ausbreitung gekennzeichnet (mehr zu Berechnungsweise von R hier).

Abbildung 3: Epidemiologische Kurve (gemeldete Neuinfektionen pro Tag), (Quelle: covid19-dashboard.ages.at)

Am 12. September reagierte die österreichische Bundesregierung mit einer erneuten Verschärfung der Maßnahmen auf die steigenden Infektionszahlen. Eine Presseaussendung des Bundeskanzleramts verkündete am 13. September, dass die zweite Welle der Pandemie begonnen hat. Eine Verordnung des Gesundheitsministeriums, die am 14. September in Kraft trat, weitete die Maskenpflicht erneut aus und verschärfte die Anforderungen im Veranstaltungsbereich. Ab 21. September wurden öffentliche Treffen mit mehr als 10 Personen untersagt. Ab 28. September galt zudem in Wien eine neue Registrierungspflicht der Besucher in der Gastronomie.

Die Corona-Pandemie hatte auch weiterhin erhebliche wirtschaftliche Folgen für Österreich. Die Statistik Austria gab am 28. September bekannt, dass es sich bei dem Einbruch von 12,1% des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal 2020 um den “kräftigsten Rückgang seit dem zweiten Weltkrieg” handelte. Obwohl sich der Arbeitsmarkt in den Sommermonaten deutlich erholt hatte, lagen die Arbeitslosenzahlen im September laut Arbeitsmarktservice (AMS) dennoch weit über dem Vorjahresniveau (Abbildung 4).

Abbildung 4: Arbeitslosigkeit im Zeitvergleich (Quelle: Arbeitsmarktservice [AMS])

Zusammenfassung und Fazit

Österreich erlebte einen – im Vergleich zum Lockdown im Frühling – ruhigen Sommer. Auf europäischer Ebene gelang nach langem Ringen eine Einigung zur europäischen Krisenfinanzierung, der auch Österreich als Mitglied der Gruppe der “sparsamen Vier” zustimmte. Trotz des dramatischen Wirtschaftseinbruchs erholte sich der Arbeitsmarkt in den Sommermonaten deutlich, auch wenn das Vorjahresniveau bislang nicht wieder erreicht werden konnte. Jedoch beschleunigten sich die Infektionszahlen spätestens mit Herbstbeginn zunehmend. Während im Sommer vor allem regionale Cluster und Reiserückkehrer*innen für den Zuwachs bei den Infektionen verantwortlich waren, stiegen die Infektionszahlen im Frühherbst in breiteren Bevölkerungsgruppen wieder an. Die Bundesregierung versuchte mit gezielten Maßnahmen die Ausbreitung einzudämmen, indem sie zunächst abgeschaffte Restriktionen wieder einführte und verstärkt auf Testungen der Reiserückkehrer*innen setzte. Zudem wurden neue regionale Steuerungsinstrumente wie die Corona-Ampel entwickelt, die jedoch bislang vermutlich aufgrund der fehlenden Kopplung an verpflichtende Maßnahmen wohl wenig Steuerungswirkung entfalten konnten. Die Österreicher*innen sahen sich zuletzt mit dem Beginn der zweiten Welle konfrontiert, wobei das angekündigte “Licht am Ende des Tunnels” Mitte 2021 derzeit erst schwach erkennbar ist.


Markus Pollak arbeitet als Studienassistent am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien und ist Teil des Teams des Austrian Corona Panel Project (ACPP). Er studiert im Master Politikwissenschaft.

Nikolaus Kowarz arbeitet als Studienassistent am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien und studiert im Master Politikwissenschaft.

Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Vienna Center for Electoral Research (VieCER) der Universität Wien und ist Mitglied des Projektteams der Austrian National Election Study (AUTNES). Sie promovierte in Sozialwissenschaften an der Universität Mannheim und studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Universität Hamburg.


Fußnoten

[1] Alle Angaben zu bestätigten Infektionen, Todesfällen und Zuwachsraten in diesem Blogbeitrag beziehen sich auf die offiziellen Daten sowie die Berechnungsweise des österreichischen Gesundheitsministeriums, der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH sowie auf das AGES Dashboard COVID 19: https://info.gesundheitsministerium.at/
Die Angaben können daher von den Zahlen anderer Quellen abweichen. z.B. COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU): https://coronavirus.jhu.edu/map.html