26.06.2020

Chronologie zur Corona-Krise in Österreich – Teil 2: Von den ersten Lockerungen hinzu einer Normalisierung des öffentlichen Lebens

  • Seit Mitte April kam es in Österreich zu einer schrittweisen Lockerung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Das öffentliche Leben normalisierte sich dadurch zunehmend. Jedoch blieben einige Präventionsmaßnahmen weiterhin in Kraft.
  • Zu den Maßnahmen mit der bisher längsten Gültigkeitsdauer gehören die Einschränkungen von Großveranstaltungen, Einschränkungen des Universitätsbetriebs sowie das Abstandhalten.
  • Nach einem starken Rückgang der Infektionen im April und Mai, blieb die Zahl an bestätigten Fällen seit Anfang Juni gleichbleibend auf niedrigem Niveau und die Reproduktionszahl schwankte seitdem bundesweit um den Wert 1. Seit der Ausbruch in Tirol eingedämmt werden konnte, verzeichneten Wien und Niederösterreich die höchsten Fallzahlen im Bundesländervergleich.
  • Im Zuge der Lockerungen kam das Wirtschaftsleben wieder in Schwung, wenngleich die ökonomischen Folgen der Krise weiterhin sichtbar blieben.

Von Markus Pollak, Nikolaus Kowarz und Julia Partheymüller

Während sich weltweit die Corona-Pandemie weiterhin auf dem Vormarsch befindet, konnte der Ausbruch in Österreich durch zahlreiche Maßnahmen vergleichsweise schnell eingedämmt werden. Ab Mitte April wurden die Maßnahmen schrittweise gelockert. In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens konnten gewohnte Handlungsweisen wieder aufgenommen werden, wenngleich einige Einschränkungen weiterhin bestehen bleiben. Mit der Rückkehr zu gewohnten Lebensweise geht aber auch die Gefahr einer zweiten Welle einher, weshalb das Infektionsgeschehen weiterhin genau beobachtet werden muss.

Im ersten Teil der Corona-Chronologie haben wir uns bereits mit den Hintergründen, den Entwicklungen in der Frühphase, dem Weg in den Lockdown und der Entwicklung der Fallzahlen befasst. Um den weiteren Verlauf der Corona-Krise zu dokumentierten, beschäftigt sich der vorliegende zweite Teil mit der Lockerung der Maßnahmen, der Normalisierung des öffentlichen Lebens sowie der weiteren Dynamik des Infektionsgeschehens vor dem Hintergrund der Lockerungen. 

April: Erste Lockerungen nach Ostern und Strategieänderung

Nachdem der Wendepunkt der täglich neu bestätigten Infektionen Ende März erreicht wurde (siehe den ersten Teil der Corona-Chronologie), kündigte die Bundesregierung am 6. April erste Lockerungen an. Gemäß des Stufenplans zur schrittweisen Öffnung von Geschäften nach Ostern konnten kleine Geschäfte (bis 400m²) abseits der Grundversorgung sowie Bau- und Gartenmärkte ab 14. April wieder öffnen. Gleichzeitig wurde die Verpflichtung zur Verwendung von Mund-Nasenschutz auf öffentliche Verkehrsmittel und sämtliche bisher nicht betroffenen Geschäfte ausgeweitet. Damit war der April nicht nur von Lockerungen gekennzeichnet, sondern auch von einer veränderten Strategie, welche die Maßnahmen zur Reduktion der Kontakte zurücknahm, aber gleichzeitig versuchte, die Ansteckungsgefahr durch das Tragen von Masken und die Einhaltung des Mindestabstandes zu reduzieren.

Darüber hinaus wurden im April weitere Lockerungsschritte ergriffen: So wurde beispielsweise nach einer anhaltenden öffentlichen Diskussion beschlossen, die Bundesgärten wieder zu öffnen. Zudem wurde am 7. April die generelle Quarantäne in Tirol aufgehoben, wenngleich St. Anton, das Paznautal und Sölden noch bis 23. April weiterhin isoliert blieben. Tirol war zuvor als Krisenherd identifiziert worden und seit 18. März hatten alle Tiroler Gemeinden unter Quarantäne gestanden. Die rechtlich umstrittenen Ausgangsbeschränkungen auf Basis der Verordnung zum Lockdown im März wurden bis Ende April aufrecht erhalten. Mit der Öffnung kleinerer Geschäfte hatte jedoch in der Praxis eine Lockerung bereits stattgefunden.

Abbildung 1: Ereignischronologie

Mai: Rücknahme zahlreicher Maßnahmen und das Aufkommen kontroverser Debatten

Angesichts der weiterhin rückläufigen Infektionszahlen, wurden im Mai weitere Lockerungen implementiert. Mit der Verordnung vom 30. April wurden neue Rahmenbedingungen festgelegt, die für den Zeitraum von 1. Mai bis 30. Juni gelten sollten. Am 1. Mai folgte die weitgehende Wiedereröffnung von Geschäften mit über 400 m² Geschäftsfläche, Einkaufszentren und Friseuren. Außerdem wurden vielerorts Spielplätze freigegeben, wenngleich keine bundesweit einheitliche Regelung beschlossen wurde. An diesem Tag wurde in Österreich der 600. bestätigte COVID-19 Todesfall vermeldet - die Zahl der neu gemeldeten Todesfälle ging seither stark zurück.[1] Ab 4. Mai wurden schließlich nach einer Empfehlung des Gesundheitsministeriums die Besuchsverbote in Pflege- und Seniorenwohnheimen gelockert und es wurde möglich, unter restriktiven Maßnahmen wie dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes Besuche zu empfangen.

Zugleich war diese Zeit auch geprägt von kontroversen öffentliche Debatten. So kam es am 13. Mai zu einer öffentlichen Kontroverse um den Besuch von Bundeskanzler Sebastian Kurz in der Vorarlberger Gemeinde Kleinwalsertal. Die Geltung der COVID-19 Abstandsregeln und Veranstaltungsverbote wurden in diesem Zusammenhang breit diskutiert. Darüber hinaus entwickelten sich im Mai nach anhaltenden Protesten Kunstschaffender hinblicklich des schwer getroffenen Kultur- und Veranstaltungssektors  anhaltende Debatten über die Kulturpolitik der Bundesregierung während der Corona-Krise. Am 15. Mai folgte daraufhin der Rücktritt der Staatssekretärin für Kultur, Ulrike Lunacek.

Weitere Lockerungsmaßnahmen folgten: Am 15. Mai öffneten die ersten Gaststätten, Cafés, Bars und Restaurants unter strengen Auflagen bezüglich maximaler Besucherzahl sowie Maskenpflicht. Für Schulen gab Bildungsminister Heinz Faßmann bereits am 25. April einen schrittweisen Plan zur Wiedereröffnung bekannt. Zunächst wurde der Schulbetrieb am 4. Mai ausschließlich für Abschlussklassen (Matura, Berufsschulabschluss, Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schulen) wieder aufgenommen. Außerdem wurde am selben Tag in Wien in zahlreichen Kindergärten und Kinderbetreuungsstätten der Normalbetrieb wieder gestartet, während in den anderen Bundesländern der Betrieb noch bis 15. bzw. 18. Mai eingeschränkt blieb. Der Kindergartenbetrieb wurde allerdings auch im März und April nie offiziell eingestellt, sondern es wurden lediglich partielle Einschränkungen und per Erlass des Sozialministeriums eine Empfehlung an Eltern und Kindergartenbetreiber ausgesprochen, die zu weitgehenden Schließungen führte. Weiters folgte die bundesweite Öffnung von Volksschulen, neuer Mittelschulen, AHS-Unterstufen und Sonderschulen am 18. Mai. Die Öffnung erfolgte dabei unter Auflage von Abstandsregeln und der Verpflichtung, im Schulgebäude Mund-Nasen-Schutz zu tragen. 

Nach dem Inkrafttreten von §5 der Lockerungsverordnung vom 27. Mai wurden außerdem die Schwimmbäder ab 29. Mai wiedereröffnet. So wie bei den bisher aufgehobenen Maßnahmen wurden allerdings “besondere Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19”, wie das Tragen von Mund-Nasen-Schutz in Innenräumen und restriktive Abstandsregeln eingeführt. Ab 30. Mai wurden darüber hinaus die Beschränkungen zu Mindestflächen pro Kunden im Handel aufgehoben.

Im Mai wurden damit insgesamt viele der einschneidendsten Maßnahmen schrittweise aufgehoben. Die umstrittene rechtliche Grundlage mancher Maßnahmen, wie z.B. der strengen Ausgangsbeschränkungen, wurden seither immer wieder diskutiert. Gleichwohl blieben einige Maßnahmen weiterhin in Kraft wie beispielsweise die Abstandsregeln, die Einschränkung des Universitätsbetriebs, die Einschränkung von Großveranstaltungen, das Tragen von Mund-Nasen-Schutz sowie die Grenzkontrollen (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Geltungsdauer verschiedener Maßnahmen

Juni: Weitere Schritte auf dem Weg zur Normalisierung des öffentlichen Lebens

Im Juni wurden weitere der verbliebenen Maßnahmen aufgehoben und gelockert, wodurch sich das öffentliche Leben zunehmend normalisierte. Die generelle Praxis der Besuchsverbote in Spitälern wurde nach 81 Tagen nach einer Presseaussendung des Gesundheitsministeriums gelockert. Es ist seither unter Einhaltung der Maskenpflicht möglich, maximal eine Person als Besuch zu empfangen. Um Beerdigungen und Hochzeiten zu ermöglichen wurden ab 29. Mai Veranstaltungen mit bis zu 100 Teilnehmer*innen wieder erlaubt, wobei in geschlossenen Räumen die Maskenpflicht galt und auch weiterhin gilt.[2] Zwei Tage darauf konnten Oberstufenklassen den Präsenzunterricht wieder aufnehmen.

Die letzten Lockerungen vor dem Erscheinen dieses Blogbeitrags wurden am 15. Juni nach dem Beschluss einer Änderung der COVID-19 Lockerungsverordnung umgesetzt. Die Verpflichtung, Mund-Nasen-Schutz zu tragen, wurde weitgehend aufgehoben, wenngleich sie in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Gesundheitsbereich und in Betrieben, in denen der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, weiterhin gelten soll. Darüber hinaus gelten immer noch Abstandsregeln bei Kontakten mit Personen außerhalb des eigenen Haushalts (1m) sowie die Einschränkung des Lehrbetriebs an Universitäten.  Außerdem sind seit dem 4. Juni die Grenzen zu Ungarn, Tschechien und der Slowakei ohne Reisebeschränkungen zu passieren. Schließlich folgte am 16. Juni nach 89 Tagen das Ende der Grenzkontrollen zu Deutschland und einer Reihe von anderen europäischen Staaten.

Entwicklung der Infektionszahlen

Angesichts der Schritte hin zu einer Normalisierung des öffentlichen Lebens muss die Dynamik von Neuinfektionen sowie regionale Clusterbildungen genau beobachtet werden. Für die Beurteilung von Neuinfektionen ist die effektive Reproduktionszahl (R) relevant (siehe Abbildung 3). R gibt an, wie viele Personen eine infizierte Person im Durchschnitt ansteckt.[3] Nach einem starken Absinken des Wertes im April folgte im Mai und Juni ein leichter Anstieg. Die effektive Reproduktionszahl schwankte seither um den Wert 1. Die Beobachtung der weiteren Entwicklung der effektiven Reproduktionszahl wird angesichts der Gefahr einer zweiten Infektionswelle von großer Bedeutung sein.

Abbildung 3: Effektive Reproduktionszahl

Grundsätzlich spielen lokale und regionale Cluster eine wichtige Rolle in der Corona-Pandemie und in Österreich ist eine regional ungleiche Verteilung der bestätigten Infektionsfälle zu beobachten. Tirol, das zu Beginn der Corona-Krise als Krisenherd galt, lag zuletzt bei nur 6 gemeldeten aktiven COVID-19 Fällen (siehe Tabelle 1). Demgegenüber waren mit Stand 25. Juni laut Daten des Gesundheitsministeriums in Wien (255) und in Niederösterreich (85) die meisten Infektionsfälle gemeldet. Damit waren mehr als 74% der aktiven Krankheitsfälle Österreichs in diesen beiden dicht besiedelten Bundesländern anzutreffen. Der Anstieg in der effektiven Reproduktionszahl war zuletzt ebenfalls vor allem auf die Entwicklungen in Wien und Niederösterreich zurückzuführen.

Tabelle 1: Infektionszahlen nach Bundesland

Wiederbelebung des Wirtschaftslebens

Im Zuge der Lockerungen der Maßnahmen seit Ostern ist das Wirtschaftsgeschehen wieder aufgelebt (siehe auch Beitrag zum Konsumklima). Allerdings vermeldete am 1. Juni das Arbeitsministerium mit 1.371.338 den Höchststand an Personen in Kurzarbeit. Die Zahl ist seither rückläufig (siehe Abbildung 4). Auch bei der Arbeitslosigkeit, die im März schlagartig nach oben geschnellt war, ist ein rückläufiger Trend zu beobachten. Das Vorkrisenniveau konnte aber am Arbeitsmarkt bei weitem nicht erreicht werden.

Abbildung 4: Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit (Quelle: www.bmafj.gv.at/Services/News/Aktuelle-Arbeitsmarktzahlen.html)

Zusammenfassung und Fazit 

Seit Mitte April wurden viele der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus Schritt für Schritt wieder aufgehoben. Vor allem im Mai wurde eine Vielzahl von Maßnahmen zurückgenommen; zugleich kamen vermehrt politische Kontroversen auf. Im Juni wurden weitere Schritte hin zu einer Normalisierung unternommen. Einige wenige Maßnahmen blieben jedoch weiterhin in Kraft, darunter die Einschränkungen von Großveranstaltungen, des Lehrbetriebs an Universitäten sowie das Abstandhalten. Die zunehmende Öffnung machte eine genaue Beobachtung der Infektionszahlen erforderlich, um einen neuerlichen Ausbruch rechtzeitig zu erkennen und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die Reproduktionszahl stieg im Zuge der Öffnung zwar etwas an, stabilisierte sich bei einigen Schwankungen allerdings bei einem Wert um 1. Die regionale Schwerpunkt der Corona-Pandemie veränderte sich im Laufe der Zeit: Während Tirol zunächst als Krisenherd galt, waren zuletzt vor allem Wien und Niederösterreich am stärksten betroffen, wenn auch auf einem insgesamt niedrigem Niveau. Die Lockerungen der Maßnahmen ging mit einer zunehmenden wirtschaftlichen Wiederbelebung einher. Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit gingen zurück, aber liegen derzeit weiterhin über Vorkrisenniveau. Während also die gesundheitliche Gefahr auf ein niedriges Niveau gesenkt werden konnte, bestehen einige der wirtschaftlichen Folgen fort. Da aber aufgrund der exponentiellen Ausbreitungsdynamik des Coronavirus ein zweiter Ausbruch jederzeit erfolgen kann, müssen die Entwicklungen weiterhin genau beobachtet werden.


Markus Pollak arbeitet als Studienassistent im Rahmen des Austrian Corona Panel Project am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Er studiert im Master Politikwissenschaft.

Nikolaus Kowarz arbeitet als Studienassistent am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien und studiert im Master Politikwissenschaft.

Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Vienna Center for Electoral Research (VieCER) der Universität Wien und ist Mitglied des Projektteams der Austrian National Election Study (AUTNES). Sie promovierte in Sozialwissenschaften an der Universität Mannheim und studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Universität Hamburg.


Fußnoten

[1] Alle Angaben zu bestätigten Infektionen, Todesfällen und Zuwachsraten in diesem Blogbeitrag beziehen sich auf die offiziellen Daten sowie die Berechnungsweise des österreichischen Gesundheitsministeriums sowie auf das amtliche Dashboard COVID 19: https://info.gesundheitsministerium.at/
Die Angaben können daher von den Zahlen anderer Quellen abweichen. z.B. COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU): https://coronavirus.jhu.edu/map.html

[2] Weitere Lockerungen sollen am 1. Juli (bis zu 250 Personen indoor, 500 Personen outdoor) und 1. August (bis zu 500 Personen indoor, 750 Personen outdoor) folgen.

[3] Wenn der Wert über 1 liegt, bedeutet das einen Netto-Anstieg an Krankheitsfällen. Nähere Beschreibung der effektiven Reproduktionszahl z.B. hier: www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-04/coronavirus-deutschland-reproduktionszahl-infektionen