10.12.2021 - PDF

Chronologie zur Corona-Krise in Österreich - Teil 6: Ein “Sommer wie damals”, der Weg in die vierte Welle, ein erneuter Lockdown und die Impfpflicht

  • Zwischen Mai und Juli 2021 ermöglichten sinkende Infektionszahlen und das Fortschreiten der Impfkampagne eine Reihe von Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Der sogenannte grüne Pass als Nachweis für eine geringe epidemiologische Gefahr sowie die 3G-Regel für Bereiche wie Gastronomie, Kultur- und Freizeit wurden eingeführt. Die Lage am Arbeitsmarkt hatte sich im Vergleich zum Vorjahr entspannt.
  • Im Spätsommer und Herbst 2021 breitete sich zunehmend die “Delta”-Variante aus und die vierte Infektionswelle erfasste Österreich. Angesichts der steigenden Infektionszahlen wurden neue Maßnahmen eingeführt, die zunehmend verschiedene Bereiche des öffentlichen Lebens für ungeimpfte Personen eingeschränkten (Ausweitung der 3G-Regel, neue 2.5G- und 2G-Regeln).
  • Die Zahl der täglichen Infektionen steigerte sich allerdings nach einer Phase der Stagnation rasant und erreichte im November 2021 bisherige Höchstwerte. Der damit einhergehende Anstieg der Belegung der Intensivstationen führte schließlich zur Entscheidung der Bundesregierung, einen erneuten bundesweiten Lockdown ab dem 22. November 2021 durchzuführen. Gleichzeitig kündigte die Bundesregierung eine generelle Impfpflicht ab 1. Februar 2022 an.

Von Markus Pollak, Nikolaus Kowarz und Julia Partheymüller

Dieser Beitrag dokumentiert die Schlüsselereignisse, Entwicklungen und Maßnahmen der Corona-Krise in Österreich im Zeitraum von Mai bis November 2021. In bisher fünf Beiträgen zur Chronologie der Corona-Krise in Österreich wurden bereits der erste Lockdown und die Anfangsphase der Krise im Frühjahr 2020 und die darauffolgende Rücknahme der Maßnahmen beschrieben. Außerdem wurden in weiterer Folge der Beginn der zweiten Welle, die neuerlichen Lockdowns im Herbst und Winter 2020/21 sowie die dritte Welle im Frühjahr 2021, regionale Lockdowns und die ersten Monate der Impfkampagne dargestellt. Im vorliegenden Beitrag beleuchten wir, was seither geschah.

Mai-Juli 2021: Lockerungen, Impffortschritt und die “Delta”-Variante

Am 19. Mai 2021 begannen weitgehende Öffnungsschritte. Für Bereiche wie Gastronomie, Kultur und Freizeit galt fortan die sogenannte “3G-Regel”, die einen Nachweis geringer epidemiologischer Gefahr (geimpft, genesen oder getestet) erforderlich machte. Angesichts sinkender Infektionszahlen stufte die Corona-Kommission ab 27. Mai auf der Corona-Ampel kein Bundesland mehr als Gebiet mit “sehr hohem Risiko” (rot) ein. 

Abbildung 1: Ereignischronologie 2021

Allerdings traten zu diesem Zeitpunkt die ersten Infektionen der als “Delta” bekannten Coronavirus-Variante B.1.617.2 in Österreich auf. Nur wenige Wochen später sollte die “Delta”-Variante laut AGES die bisher dominante “Alpha”-Variante  B.1.1.7 verdrängt haben.

Ursprünglich hatte die Bundesregierung angekündigt, dass alle Impfwilligen bis Ende Juni 2021 eine Impfmöglichkeit erhalten sollten. Diese Ankündigung konnte jedoch aufgrund von Lieferproblemen und der zunächst hohen Impfbereitschaft nicht eingehalten werden. Außerdem wurde inmitten der Impfkampagne am 31. Mai 2021 der erste Impfstoff (Pfizer/BioNTech) für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 15 Jahren durch die europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) zugelassen, wodurch der Kreis der impfbaren Bevölkerung zusätzlich ausgeweitet wurde. Am 1. Juni kündigte die Bundesregierung das Zielan, dass bis Ende Juni mindestens fünf Millionen Menschen in Österreich zumindest die erste Impfung erhalten haben sollten. Am 30. Juni erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz, dass der Impfstoff fortan kein knappes Gut mehr und die Pandemie “für alle Geimpften vorbei” sei. Bereits im April hatte Kurz davon gesprochen, dass für den Sommer “eine coole und intensive Zeit” zu erwarten sei. Im Juni sprach Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein davon, dass angesichts der Öffnungsschritte und des Impffortschritts ein “Sommer wie damals” bevorstehe. Am 10. Juli vermeldete die Bundesregierung schließlich, dass nun 5.005.125 Menschen in Österreich zumindest erstgeimpft seien (etwa 56% der Gesamtbevölkerung). Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärte zudem, dass sich die Krise nun “zu einem individuellen medizinischen Problem” wandle und appellierte an die Eigenverantwortung im weiteren Verlauf der Pandemie. Zu diesem Zeitpunkt war die Zahl der täglich gemeldeten Erstimpfungen bereits stark rückläufig (siehe Abbildung 2). 

Im Juni wurde in Österreich außerdem schrittweise der “Grüne Pass” eingeführt, der es Geimpften, Genesenen und Getesteten ermöglichen sollte, ihren epidemiologischen Status mittels eines digitalen Zertifikats nachzuweisen. Das standardisierte Zertifikat wurde ab 1. Juli in der gesamten EU anerkannt. Am selben Tag hob das österreichische Außenministerium außerdem die 15 Monate geltende weltweite Reisewarnung auf, die aufgrund der Corona-Krise verhängt worden war.

Abbildung 2: Zahl der Erstimpfungen in Österreich im Zeitverlauf des Jahres 2021

Am 1. Juli lockerte das Gesundheitsministerium außerdem per Verordnung die bis dahin geltenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Die Nachtgastronomie wurde geöffnet, die Maskenpflicht eingeschränkt und der Sport- und Kulturbetrieb geöffnet. Gleichzeitig wurde die schon seit Mai teilweise geltende “3G-Regel” auf die von den Öffnungen betroffenen Bereiche ausgeweitet. Aufgrund der zunehmenden Ausbreitung der hoch ansteckenden Delta-Variante des Coronavirus (B.1.617.2) einigte sich die Bundesregierung etwa zwei Wochen später unter anderem auf erneute Verschärfungen in der Nachtgastronomie. Diese wurden am 16. Juli per Verordnung des Gesundheitsministeriums erlassen und traten am 22. Juli in Kraft. Gleichzeitig wurde bei Einhaltung der 3G-Regel in weiten Teilen Österreichs die Maskenpflicht aufgehoben während sie in Wien, wo im Laufe der Krise meist strengere Maßnahmen beschlossen wurden, beibehalten wurde.

Die Situation am Arbeitsmarkt entwickelte sich insgesamt zunehmend positiv. Die absolute Arbeitslosigkeit sank saisonbedingt im Frühjahr und Sommer 2021 deutlich. Außerdem zeichnete sich ab, dass die Zahl der Arbeitslosen in diesem Zeitraum im Vergleich zu den Monaten nach dem ersten Lockdown im März 2020 auf ein deutlich niedrigeres Niveau gesunken war (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Absolute und relative Veränderung zum Vorjahreszeitraum im Zeitvergleich (Quelle: Arbeitsmarktservice [AMS])

August-September 2021: Schleppende Impfkampagne und der Beginn der vierten Welle

Nachdem die Zahl der täglich gemeldeten Neuinfektionen von Anfang April bis Juni 2021 gesunken war, stieg die Zahl der Infektionen ab Juli, und vor allem ab August wieder deutlich (siehe Abbildung 4). Lag die 7-Tage Inzidenz [1] laut AGES Dashboard COVID19 [2] am 1. Juli 2021 noch bei 7.2 Infektionen, steigerte sie sich bis zum 31. August 2021 auf 109.6 Infektionen. Gleichzeitig geriet die Impfkampagne ins Stocken und es wurden nur noch vergleichsweise wenige Erstimpfungen durchgeführt. 

Abbildung 4: Epidemiologische Kurve (gemeldete Neuinfektionen pro Tag) sowie 7-Tages-Durchschnitt, (Quelle: covid19-dashboard.ages.at)

Um die stark nachlassenden Bereitschaft zu Erstimpfungen (siehe Abbildung 2) zu erhöhen, wurde das Ende der kostenlosen Testmöglichkeiten, Selbstbehalte bei der Gesundheitsversorgung für Ungeimpfte sowie die Möglichkeit einer Impfpflicht diskutiert. Eine allgemeine Impfpflicht wurde dabei allerdings von allen im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien wiederholt explizit abgelehnt, während sie für einzelne Berufsgruppen denkbar sei. Da die österreichischen Gesundheitsbehörden zu diesem Zeitpunkt schon über mehr Impfdosen verfügten als sie in Österreich Verwendung finden konnten, wurden am 8. August 2021 500.000 Impfdosen des Impfstoffs Vaxzevria (AstraZeneca) an Bosnien und Herzegowina gespendet. 

Auf regionale Infektionsherde reagierten die Behörden zunehmend mit lokalen Maßnahmen und Ausreisebeschränkungen. So wurden beispielsweise am 11. August 2021 aufgrund hoher Infektionszahlen verschärfte Maßnahmen in ganz Osttirol und Ausreisebeschränkungen in Innervillgraten und Oberlienz beschlossen. Am 19. August gab die österreichische Corona-Kommission bekannt, dass Österreich aufgrund der epidemiologischen Entwicklung mit “mittlerem Risiko” (gelb) bewertet wird. Lediglich die Bundesländer Burgenland und Kärnten wurden weiterhin mit “geringem Risiko” (grün) bewertet. Vier Tage darauf erklärte das spanische Gesundheitsministerium Österreich zum Corona-Risikogebiet.

In den ersten beiden Wochen des Monats September setzte sich der Anstieg der Infektionszahlen fort, der mit leichter Verzögerung auch in einer deutlich höheren Auslastung der Belegung von Intensivbetten in Österreich resultierte (siehe Abbildungen 4 und 5). Am 9. September schätzte die Corona-Kommission aufgrund der Infektionsdynamik ganz Österreich mit “hohem Risiko” (orange) ein. In der zweiten Hälfte des Monats setzte sich der Anstieg der Infektionszahlen und der Auslastung der Intensivstationen nicht fort und erreichte vorläufig ein “Plateau”, was sich zwischenzeitlich in einer effektiven Reproduktionszahl von unter 1 [3] widerspiegelte.

Abbildung 5: Auslastung von Intensivbetten durch Covid-19 Patient*innen, (Quelle: covid19-dashboard.ages.at)

Angesichts dieser Entwicklungen kündigte die Bundesregierung am 8. September einen Stufenplan an, der zukünftige Maßnahmen an die Auslastung der Intensivstationen koppelte. Da die erste, an eine Auslastung der Intensivstationen von 10 Prozent gekoppelte, Stufe des Plans bereits im September erreicht werden sollte, wurde bereits am 15. September per Verordnung die Wiedereinführung der FFP2-Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften des täglichen Bedarfs (z.B. Lebensmittelhandel) umgesetzt. Für Ungeimpfte galt diese im gesamten Handel. Die 3G-Regel sollte bereits bei Veranstaltungen ab 25 Personen gelten und die Gültigkeitsdauer von Antigen-Tests wurde österreichweit von 48 auf 24 Stunden reduziert. Die damalige Entwicklung wurde dabei von Bundeskanzler Sebastian Kurz als “Pandemie der Ungeimpften” beschrieben. Außerdem führte die österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) am 17. September erneut die Möglichkeit der telefonischen Krankmeldung ein, die erst am 30. Juni ausgelaufen war. 

Am 26. September fand die Wahl zum oberösterreichische Landtag statt, bei der die Corona-skeptische Partei “Menschen – Freiheit – Grundrechte” (MFG) einen Stimmenanteil von 6.23% erreichte.

Oktober 2021: Regionale Maßnahmen und die Causa Kurz

Die im 5. Teil dieser Chronologie bereits beschriebene Regionalisierung der Pandemie-Maßnahmen setzte sich auch im Laufe der vierten Welle fort. Die Bundesregierung sei laut Gesundheitsminister Mückstein lediglich für die “Unterkante” an Maßnahmen” verantwortlich während die Bundesländer den genauen Rahmen der Corona-Maßnahmen beschließen müssten. Dies führte im Oktober zu einer Situation, die mehreren Medien als “Fleckerlteppich” von in Österreich geltenden Maßnahmen bezeichneten. Wien entschied sich im Laufe der Krise dabei häufig für schärfere Maßnahmen als die übrigen Bundesländer. Am 1. Oktober 2021 trat in Wien eine Verordnung in Kraft, die im gesamten Einzelhandel eine FFP2-Maskenpflicht, in der Nachtgastronomie die “2G-Regel” (d.h. geimpft oder genesen) und bei Großveranstaltungen (ab 500 Personen) sowie bei kleinen Veranstaltungen (ab 25 Personen) die “2.5G-Regel” (d.h. geimpft, genesen, PCR-getestet) einführte. Außerdem wurden die bisher 24 Stunden lang geltenden Antigen-Tests nicht mehr akzeptiert.

Anfang Oktober lösten Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt, in der ÖVP-Parteizentrale und der Mediengrupe “Österreich” am 6. Oktober eine schwere Krise in der österreichischen Bundesregierung aus. Die Hausdurchsuchungen fanden im Zuge von Korruptionsermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz und mehrere andere Beschuldigte statt. In den Tagen darauf wurden eine Reihe von Chatprotokollen bekannt, die den Bundeskanzler politisch belasteten und seither Gegenstand weiterer Ermittlungen der WKSta sind. Vizekanzler Kogler (Grüne) erklärte, keine Koalition mit Kurz an der Spitze weiterführen zu wollen und es fanden Gespräche der grünen Parteiführung mit SPÖ, FPÖ und NEOS zur Bildung einer alternativen Regierungskoalition statt. Kurz trat daraufhin am 9. Oktober 2021 als Bundeskanzler zurück. Am 11. Oktober wurde daraufhin der bisherige Außenminister Alexander Schallenberg als neuer Bundeskanzler angelobt. 

Nur drei Tage später erklärte die Corona-Kommission das Land Salzburg aufgrund des zunehmenden Infektionsgeschehens als erstes Bundesland zum Gebiet mit “sehr hohem” Risiko (rot). Niederösterreich und besonders Oberösterreich waren auch verstärkt vom zunehmenden Infektionsgeschehen betroffen, was sich nur eine Woche später gleichfalls in der Anhebung der Risikoeinschätzung durch die Corona Kommission widerspiegelte. Das Risiko im Burgenland wurde deutlich geringer (gelb) eingeschätzt. Aufgrund der hohen Infektionsrate in Salzburg führte die Salzburger Landesregierung ähnlich wie Wien am 15. Oktober eine generelle FFP2-Maskenpflicht im Handel ein. In mehreren Bezirken in Salzburg, Oberösterreich und Niederösterreich wurden es in der zweiten Hälfte des Monats  aufgrund hoher Inzidenzen Ausreisekontrollen eingeführt.

Auf Bundesebene reagierten Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und Arbeitsminister Martin Kocher am 20. Oktober mit der Ankündigung einer Einführung der 3G-Regelung am Arbeitsplatz ab 1. November, für die eine Übergangsfrist bis zum 14. November gelten sollte. Der Gesundheitsminister hoffte, damit einen “Impfturbo zu zünden”. Nur wenige Tage später, am 29. Oktober, kündigte die Bundesregierung an, dass bereits ab 15. November die 2.5G-Regelung (geimpft, genesen, PCR-getestet) am Arbeitsplatz die bisherigen Pläne ersetzen sollte. Während die Verschärfung auf grundsätzliche Zustimmung der meisten Parteien, des österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) sowie der Wirtschaftskammer (WKÖ) stieß, wurde unter anderem der Mangel an flächendeckenden PCR-Testangeboten in manchen Bundesländern kritisiert.

November 2021: 2G, bundesweite Lockdowns und die Impfpflicht

Im November stieg die Zahl täglich gemeldeter Neuinfektionen, Hospitalisierungen und schließlich auch die Zahl der mit COVID-19 in Verbindung stehenden Todesfälle stark. Am 4. November 2021 wurde laut AGES erstmals der bisherige Höchstwert (November 2020: 9.176) an gemeldeten Neuinfektionen an einem Tag übertroffen (9.817). An diesem Tag schätzte die Corona-Kommission das Risiko in ganz Österreich und jedem einzelnen Bundesland als “sehr hoch” (rot) ein. Ab 14. November klassifizierten auch die deutschen Behörden Österreich als “Hochrisikogebiet”. Zwischen dem 9. und 26. November wurden täglich über 10.000 Neuinfektionen gemeldet (bisheriger Höchstwert: 16.552 am 16. November, siehe Abbildung 4). Gleichzeitig konnten ab Anfang November nur noch weniger als 40 Prozent der Infektionsquellen durch Contact Tracing geklärt werden.

Im November verzeichnete Österreich teilweise eine der höchsten 7-Tages-Inzidenzen weltweit. Hatte diese im bisherigen Pandemieverlauf einmal den Höchstwert 562,7 erreicht (12.11.2020), überschritt der Wert zwischen dem 18. und 26. November 2021 deutlich die Marke von 1.000 Infektionen pro Woche. Allerdings zeigten sich durch die Aufschlüsselung der 7-Tage-Inzidenzen nach Immunisierungsstatus deutliche Unterschiede in der Betroffenheit verschiedener Gruppen (siehe Abbildung 6). Wenngleich die Gruppe der Menschen ohne Immunschutz deutlich stärker vom Infektionsgeschehen betroffen war, zeigte sich im November auch eine Zunahme symptomatischer Infektionsfälle (teil-)immunisierter (geimpft/genesen) Personen.

Abbildung 6: 7-Tage-Inzidenz symptomatischer Fälle nach Immunschutz im Zeitverlauf (Quelle: AGES; Die Kategorien “Ausreichender Immunschutz”, “Unzureichender Immunschutz” und “Kein Immunschutz” ergeben sich aus der Anzahl an Impfungen einer Person bzw. einer natürlichen Immunität aufgrund einer durchgemachten Infektion. Die genauen Kriterien sind unter www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/ zu finden.

Angesichts der zunehmenden Zahl an Impfdurchbrüchen setzten die österreichischen Gesundheitsbehörden auf die dritte Booster-Impfung zur Auffrischung der Immunisierung. Bisher hatte das Nationale Impfgremium (NIG) Drittimpfungen 6 Monate nach der zweiten Impfung nur für Menschen, die älter als 65 sind, empfohlen. Ansonsten war diese für jüngere Menschen erst zwischen 9 und 12 Monaten vorgesehen. Ab 1. November ermöglichten Wien und Vorarlberg als erste Bundesländer schließlich die dritte Impfung ab 6 Monate nach der zweiten Impfung für alle Altersgruppen, bevor das Nationale Impfgremium tags darauf eine entsprechende bundesweite Empfehlung abgab. Gleichzeitig sollte die Gültigkeitsdauer des “Grünen Passes” nach der Zweitimpfung ab Dezember auf 9 Monate reduziert werden. Am 12. November erleichterte Wien den Zugang zur dritten Impfung nochmals, indem der Mindestabstand zur zweiten Impfung auf 4 Monate reduziert wurde. 

Aufgrund der zunehmenden Auslastung der Intensivstationen (siehe Abbildung 5), wurde am 2. November der im Stufenplan der Bundesregierung vorgesehene Schwellenwert zur Einleitung der Stufe 2 der Maßnahmen erreicht. Ab 8. November sollten in der Nachtgastronomie und bei Veranstaltungen mit mehr als 500 Personen die 2G-Regel gelten. Außerdem sollten Antigen-Tests zur Selbstabnahme bundesweit ihre Gültigkeit verlieren. Am 5. November einigte sich die Bundesregierung in Verhandlungen mit den Landeshauptleuten auf weitere Verschärfungen, die die 4. Stufe des Stufenplans der Bundesregierung vorzog. Die 2G-Regel sollte ab 8. November nicht nur in der Nachtgastronomie und bei größeren Veranstaltungen, sondern in der gesamten Gastronomie, im Kulturbereich, im Freizeitbereich, in Pflegeeinrichtungen, bei körpernahen Dienstleistungen und allen Veranstaltungen gelten. Gleichzeitig wurde eine generelle bundesweite FFP2-Maskenpflicht im Handel eingeführt. Obwohl beispielsweise der Bildungsbereich von der 2G-Regel ausgenommen wurde, setzen einzelne Institutionen nach eigenem Ermessen auf Verschärfungen der Zugangsregeln. 

In den darauffolgenden Tagen kam es zu öffentlich ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten über die weitere Vorgehensweise. Gesundheitsminister Mückstein setzte sich angesichts der Lage für weitere Verschärfungen in Salzburg und Oberösterreich und mögliche nächtliche Ausgangsbeschränkungen ein. Die Landeshauptleute von Salzburg und Oberösterreich schlossen nach Verhandlungen mit dem Gesundheitsministerium solche Verschärfungen am 11. November aus. Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer sprach davon, dass Virolog*innen es bevorzugen würden, “wenn jeder einzelne Salzburger und Österreicher in ein Zimmer eingesperrt ist” – eine Aussage, die von mehreren Wissenschafter*innen öffentlich scharf kritisiert und als Ausdruck eines “wissenschaftsfeindlichen Klimas” eingeordnet wurde. 

Bundeskanzler Schallenberg dementierte im November wiederholt Gerüchte über einen möglicherweise bevorstehenden generellen Lockdown und betonte, dass er gegen die Einschränkung geimpfter Personen sei. Am 12. November kündigte die Bundesregierung daher in Anbetracht der weiterhin steigenden Zahlen und entsprechender Ankündigungen in Salzburg und Oberösterreich eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe sowie einen bundesweiten “Lockdown für Ungeimpfte” an. Dieser beinhaltete neben der geltenden 2G-Bestimmungen ganztägige Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte. Ab 15. November trat der international vielbeachtete Lockdown für Ungeimpfte in Kraft, nachdem er am 14. November vom Nationalrat bestätigt worden war.

Als sich Berichte zur Überlastung der Landeskliniken und der Vorbereitung auf die Triage mehrten, kündigte der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer nur drei Tage nach dem Beginn des bundesweiten Lockdowns für Ungeimpfte einen generellen Lockdown in Oberösterreich und Salzburg ab dem 22. November an, der auch geimpfte Menschen betreffen sollte. Tags darauf entschieden sich Landeshauptleute und Bundesregierung im Zuge eines Treffens in Tirol für einen bundesweiten Lockdown, der am 22. November in Kraft treten und am 12. Dezember enden sollte. Dieser wurde am 21. November per Verordnung angeordnet. Ähnlich wie bei vergangenen Lockdowns wurden Handel, Gastronomie und Freizeitbereiche zur Gänze geschlossen und ganztägige Ausgangssperren verhängt. Arbeit aus dem Home-Office wurde nach gegebener Möglichkeit flächendeckend empfohlen. Im Gegensatz zu den Lockdowns im Vorjahr wurde allerdings davon abgesehen, Schulen zu schließen, wenngleich ein Fernbleiben der Schüler*innen entschuldigt und nach gegebener Möglichkeit auch empfohlen wurde. Diese Regelung führte zu einer öffentlichen Debatte um Schulschließungen und die Rolle von Schulen im Infektionsgeschehen. Laut Medienberichten kamen am ersten Tag des Lockdowns in etwa 75% der Schüler*innen in Österreich zur Schule. Allerdings waren in Oberösterreich (60-70%) und Salzburg (50%) besonders wenige Schüler*innen im Präsenzunterricht, während in anderen Bundesländern teilweise bis zu 90% der Schüler*innen anwesend waren. Eine weitere Ausnahme der generellen Sperre des Freizeitbereichs betraf die Skilifte

Gleichzeitig kündigte die Bundesregierung am 19. November 2021 die Einführung einer generellen Impfpflicht an, die ab 1. Februar 2022 gelten soll. Diese wurde damit argumentiert, dass die bisherige Durchimpfungsrate nicht genüge, um die Corona-Krise einzudämmen. Außerdem mache das niedrige Niveau der Erstimpfungen (siehe Abbildung 2) und die gleichzeitige überproportionale Betroffenheit ungeimpfter Personen in der vierten Infektionswelle (siehe Abbildung 6) eine solche Entscheidung notwendig. Diese Maßnahme, die international viel beachtet wurde, führte zu kontroversen Diskussionen um die Legitimität und Funktionalität einer Impfpflicht. Der genaue Gesetzesentwurf für die Impfpflicht wird im Dezember 2021 erwartet. Um die Impfbereitschaft darüber hinaus durch positive Anreize zu steigern, kündigte der Österreichische Rundfunk (ORF) am 22. November ein bundesweites Gewinnspiel für geimpfte Personen an. 

Im November wurde außerdem bekannt, dass einige Menschen, die der Impfung skeptisch gegenüberstehen, das rezeptpflichtige Entwurmungsmittel Ivermectin zur Behandlung von COVID-19 Infektionen verwendet hatten, was in mehreren Fällen zu Vergiftungen führte. FPÖ-Obmann Herbert Kickl, der sich wiederholt gegen Maßnahmen und die Impfung aussprach hatte zuvor die Anwendung des Medikaments empfohlen. Die im November getroffenen Maßnahmen führten außerdem dazu, dass eine Reihe von Demonstrationen und Protestaktionen gegen die Beschränkungen und die Impfpflicht organisiert wurden. Die größten Demonstrationen fand am 20. November und am 4. Dezember in Wien statt und umfassten jeweils  in etwa 40.000 Personen.

Am 25. November entschied die europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), den Kinderimpfstoff von Biontech/Pfizer für Kinder ab 5 Jahren zuzulassen. Ende November wurde bekannt, dass die Weltgesundheitsorgansiation (WHO) eine neue, sich rasch verbreitende “Omikron”-Variante des Coronavirus als “Variant of Concern” einschätzte, da diese möglicherweise übertragbarer als die bisher dominante Delta-Variante sei und den Impfschutz besser umgehen könnte. Am 29. November wurde der erste Fall einer Omikron-Infektion in Österreich bestätigt. 

Am 2. Dezember zog sich Alt-Bundeskanzler Sebastian Kurz nach Korruptionsermittlungen vollständig aus der Politik zurück, gefolgt von einer  Reihe von Rücktritten von Regierungsmitgliedern der ÖVP. Am 6. Dezember wurde im Zuge einer Regierungsumbildung der bisherige Innenminister Karl Nehammer als Bundeskanzler sowie vier neue Minister und eine Staatssekretärin angelobt.

Zusammenfassung und Fazit

Der Zeitraum von Mai bis Juli war von weitgehenden Öffnungsschritten, rückgängigen Fallzahlen und einer Ausweitung der Impfkampagne geprägt. Mit einer steigenden Durchimpfungsrate wurde der Zugang zu verschiedenen Lebensbereichen zunehmend an Impfungen und Testungen, die als 3G, 2,5G und 2G bezeichnet wurden, gekoppelt. 

Zwischen August und Oktober begann sich die vierte Welle in Österreich auszubreiten. Die vor allem auf die Delta-Variante zurückzuführenden Infektionen erreichten zwischenzeitlich  ein gleichbleibendes Niveau an täglich gemeldeten Fällen, das etwa von Mitte September bis Mitte Oktober andauerte. Die Bundesregierung und bestimmte Landesregierungen (vor allem Wien) reagierten mit erneuten Maßnahmen, die diesmal vermehrt auf Einschränkungen für ungeimpfte Personen, die überproportional vom Infektionsgeschehen betroffen waren, abzielten.

Im November erreichte die vierte Welle ihren bisherigen Höhepunkt, was zu einer Überlastung der Intensivstationen und der Durchführung von Triage in manchen Bundesländern führte. Nach Ankündigungen einer flächendeckenden 2G-Regel und eines “Lockdowns für Ungeimpfte” verhängte die Bundesregierung am 22. November einen erneuten bundesweiten Lockdown, der auch geimpfte Personen betraf. Gleichzeitig kündigte die Bundesregierung eine international vielbeachtete generelle Impfpflicht ab 1. Februar 2022 an, was eine Reihe weitläufiger Protestkundgebungen hervorrief. 

Die Entwicklungen der letzten 6 Monate lassen die vielfach geäußerte Hoffnung, dass die Corona-Krise in Österreich (bald) zu Ende sei, in einem zweifelhaften Licht erscheinen. Vor allem die mangelnde Impfbereitschaft, gesellschaftliche Spannungen und die noch unklaren Auswirkungen der neuen Virus-Variante Omikron werden die Entscheidungsträger*innen weiterhin beschäftigen. Wie sich die geplante generelle Impfpflicht auf die weitere Entwicklung der Corona-Krise in Österreich auswirken wird, werden die kommenden Monate zeigen.


Markus Pollak arbeitet als Studienassistent am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien und ist Teil des Teams des Austrian Corona Panel Project (ACPP). Er studiert im Master Politikwissenschaft.

Nikolaus Kowarz arbeitet als Studienassistent am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien und studiert im Master Politikwissenschaft.

Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Vienna Center for Electoral Research (VieCER) der Universität Wien und ist Mitglied des Projektteams der Austrian National Election Study (AUTNES).


Fußnoten

[1]  Die Sieben-Tage Inzidenz steht für das (aus Vergleichbarkeitsgründen) auf 100.000 Personen gerechnete Infektionsgeschehen in 7 Tagen.

[2] Alle Angaben zu bestätigten Infektionen, Todesfällen und Zuwachsraten in diesem Blogbeitrag beziehen sich auf die offiziellen Daten sowie die Berechnungsweise des österreichischen Gesundheitsministeriums, der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH sowie auf das AGES Dashboard COVID-19: https://info.gesundheitsministerium.at/
Die Angaben können daher von den Zahlen anderer Quellen abweichen. z.B. COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU): https://coronavirus.jhu.edu/map.html

[3] R gibt an, wie viele Personen eine infizierte Person im Durchschnitt ansteckt.Wenn der Wert über 1 liegt, bedeutet das einen Netto-Anstieg an Krankheitsfällen. Nähere Beschreibung der effektiven Reproduktionszahl z.B. hier: www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-04/coronavirus-deutschland-reproduktionszahl-infektionen

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