25.04.2020

Alte und Neue Medien: Desinformation in Zeiten der Corona-Krise

  • Wir haben unsere Befragten fünf Falschaussagen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen lassen: Weniger als die Hälfte haben alle Falschaussagen korrekt erkannt.
  • Fast jeder achte Befragte konnte keine einzige der Falschaussagen als Desinformation aufdecken.
  • Obgleich die Unsicherheit über den Wahrheitsgehalt der Aussagen eine wesentlichere Rolle spielt als der überzeugte Glaube an Desinformation, zeichnet dies ein besorgniserregendes Bild.
  • Personen, die den ORF oder Der Standard als Informationsquelle für die Corona-Krise nutzen, tun sich bei der Identifikation von Desinformation leichter.
  • Personen, die Privatfernsehen, Österreich, Kronen Zeitung, WhatsApp, Instagram oder YouTube als Informationsquelle nutzen, tun sich bei der Identifikation von Desinformation schwerer.

Von Jakob-Moritz Eberl, Noelle S. Lebernegg und Hajo G. Boomgaarden

Die aktuellen Umstände führen innerhalb der Bevölkerung nicht nur zu Verunsicherung, sondern damit einhergehend auch zu einer verstärkten Informationssuche. Diese Kombination ist allerdings auch ein möglicher Nährboden für die Verbreitung von Desinformation. Demgemäß beklagt die WHO eine aktuell mit der Coronavirus-Pandemie einhergehende “Infodemie”, also die unkontrollierte Verbreitung von Falschinformation und diffuser Verschwörungstheorien über das Virus, den Schutz davor oder auch seine Herkunft. Auch das österreichische Innenministerium warnt ausdrücklich vor solcher Desinformation zum Coronavirus und bezieht sich dabei vor allem auf die Verbreitung auf neuen Medien (v. a. sozialen Medien). So hat sich beispielsweise gezeigt, dass u. a. Instant-Messaging-Dienste wie WhatsApp eine beliebte Plattform für die Verbreitung solcher Nachrichten darstellen. Professioneller Journalismus und im speziellen ein starker öffentlich-rechtlicher Rundfunk können hierbei ein wichtiges Korrektiv sein, so einige Expert*innen. 

In einem früheren Blog zum Informationsverhalten in der Krise wurde gezeigt, dass die Mediennutzung generell außerordentlich hoch ist. Konkret wurde festgestellt, dass vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk häufig herangezogen wird. Es werden aber auch soziale Medien wie WhatsApp oder Facebook von den Österreicher*innen als Informationsquelle genutzt. Im folgenden Beitrag gehen wir nun zwei Fragen nach: Erstens, erkennen unsere Mitbürger*innen Desinformation über den Coronavirus? Und zweitens, inwiefern gibt es dabei einen Zusammenhang zum Informationsverhalten, also den Medien, die als Informationsquelle zur Corona-Krise herangezogen werden? Wir verwenden dafür in erster Linie die Daten der zweiten Befragung unserer Panel-Umfrage.

Im Zweifel hat die Desinformation bereits gesiegt

Um der Verbreitung von Falschinformationen unter den Österreicher*innen auf den Grund zu gehen, haben wir unsere Befragten darum gebeten, mehrere Aussagen auf ihre Richtigkeit einzuschätzen. Bei fünf dieser Aussagen handelte es sich um klassische Beispiele von Desinformation in Zeiten der Corona-Krise. Sie bilden die Grundlage für unsere weiteren Analysen (Abbildung 1).

Abbildung 1: Identifikation von Desinformation (Anmerkungen: Feldzeit: 03.-08. April 2020, N=1.559 befragte Personen (ab 14 Jahre), Daten repräsentativ für die österreichische Wohnbevölkerung gewichtet.)

Zunächst eine erfreuliche Nachricht: Im Durchschnitt identifizieren etwa 65,3% der Befragten die von uns abgefragten Aussagen korrekt als Desinformation, d. h. sie sind sich “sehr sicher” oder “eher sicher”, dass die Aussagen falsch sind. Am sichersten sind sich die Befragten bei der Einschätzung, ob eine Impfung von der Bundesregierung absichtlich zurückgehalten werde (72,8%). Die meisten Schwierigkeiten hatten sie bei der Aussage, dass der Coronavirus eine Biowaffe sei. Nur 57,5% der Befragten identifizierten diese Aussage korrekterweise als Desinformation.

Eine genauere Inspektion der Daten zeigt allerdings auch, dass nur 40,7% der Befragten alle Aussagen korrekt als Desinformation identifizieren konnten. Das heißt ebenfalls, dass 59,3% der Befragten sich bei mindestens einer Desinformation “unsicher” waren, bzw. diese sogar “eher sicher, dass richtig” oder “sehr sicher, dass richtig” eingeschätzt haben. Die Mehrheit der Befragten tut sich also bei mindestens einer Aussage schwer. Fast jeder achte Befragte (12%) konnte sogar keine einzige der fünf Desinformationen als solche identifizieren.

Obwohl grundsätzlich bei jenen, die unsere Falschaussagen nicht entlarven konnten, der Anteil der Unsicheren (also jener die “unsicher, ob richtig oder falsch” ausgewählt haben) deutlich größer ist, als jener der Desinformations-Überzeugten, sind diese Zahlen dennoch besorgniserregend. Wenn man zu zweifeln beginnt, hat Desinformation ihr Ziel nämlich schon erreicht.

ORF-Verweigerer*innen und YouTube-Nutzer*innen am desinformiertesten

Zur Untersuchung eines möglichen Zusammenhangs zwischen dem Unvermögen Falschinformation als solche zu identifizieren und der Nutzung bestimmter Medien, wurde für eine Vielzahl unterschiedlicher Medien abgefragt, inwiefern diese als Informationsquelle zur Corona-Krise genutzt würden. Da das Informationsverhalten während einer Krise äußerst komplex ist und mit zahlreichen zusätzlichen Faktoren in Verbindung stehen kann, haben wir ein sogenanntes multivariates Regressionsmodell berechnet (siehe Methodische Anmerkungen am Ende des Beitrags). Dabei überprüfen wir den Zusammenhang zwischen dem Informationsverhalten und dem Desinformationsgrad der Befragten (d. h. ihrem Unvermögen Desinformation als solche zu identifizieren).

Unsere Analysen zeigen, dass jene Befragten, die sich öfter als einmal wöchentlich über den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ORF) oder die Tageszeitung Der Standard informieren, weniger anfällig für Desinformation sind. Gleichzeitig zeigt sich auch, dass die Befragten, die sich über das Privatfernsehen, die Tageszeitungen Österreich oder Kronen Zeitung, den Instant-Messaging-Dienst WhatsApp, die Plattform Instagram oder das Videoportal YouTube über das Coronavirus auf dem Laufenden halten signifikant desinformierter sind.

In den Abbildungen 2a und 2b haben wir für die jeweilige Informationsquelle den Desinformationsgrad der Nutzer*innen mit dem Desinformationsgrad jener verglichen, die diese Informationsquelle nicht nutzen. Tatsächlich identifizieren zum Beispiel jene Personen die sich über den ORF auf dem Laufenden halten im Schnitt nur 1,4 Aussagen falsch. Jene, die den ORF nicht als Nachrichtenquelle verwenden, sind sich wiederum im Schnitt bei 2,1 Aussagen (d. h. fast einer ganzen Aussagen mehr) entweder unsicher, oder denken, dass die Desinformation korrekt sein könnte. Bei YouTube-Nutzer*innen ist es wiederum umgekehrt: Jene, die zum Beispiel angeben YouTube als Informationsquelle zur Corona-Krise zu verwenden, sind sich im Schnitt bei 1,9 Falschinformationen unsicher bzw. glauben, dass diese korrekt sein könnten. Die, die YouTube nicht als Informationsquelle nutzen erkennen durchschnittlich nur 1,5 der fünf Aussagen nicht korrekt als Desinformation.

Abbildung 2a: Anzahl nicht erkannter Desinformation nach Informationsquelle – Alte Medien (Anmerkungen: Feldzeit: 03.-08. April 2020, N=1.559 befragte Personen (ab 14 Jahre), 1.351 gültige Werte, Daten repräsentativ für die österreichische Wohnbevölkerung gewichtet. Mittelwerte vorhergesagt auf Basis des Regressionsmodells; siehe methodische Anmerkungen.)

Abbildung 2b: Anzahl nicht erkannter Desinformation nach Informationsquelle – Neue Medien (Anmerkungen: Feldzeit: 03.-08. April 2020, N=1.559 befragte Personen (ab 14 Jahre), 1.351 gültige Werte, Daten repräsentativ für die österreichische Wohnbevölkerung gewichtet. Mittelwerte vorhergesagt auf Basis des Regressionsmodells; siehe methodische Anmerkungen.)

Ein Auftrag an alte und neue Medien

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zwar der Anteil der überzeugten Desinformierten eher gering ist, jedoch ist dies noch kein Grund zur Erleichterung, denn der Grad an Verunsicherung ob der Faktenlage innerhalb der Bevölkerung ist dennoch relativ hoch. Wenn Falschinformation Mitbürger*innen zweifeln lässt, ob die Regierung nicht doch den Impfstoff zurückhalten könnte, hat sie ihr Ziel bereits erreicht.

Es gibt daher noch viel Aufklärungsbedarf in der Bevölkerung. Doch, wo muss oder kann an dieser Stelle angesetzt werden? Bei einer Betrachtung des Desinformationsgrades unter Nutzer*innen unterschiedlicher Informationsquellen hat sich gezeigt, dass regelmäßige Nutzer*innen des ORF oder der Tageszeitung Der Standard weniger anfällig für Desinformation sind. Im Gegensatz dazu scheinen diejenigen tendenziell empfänglicher für Desinformationen zu sein, die vermehrt private Fernsehsender, die Tageszeitungen Kronen Zeitung oder Österreich oder soziale Medien wie WhatsApp, Instagram oder YouTube zur Informationsbeschaffung heranziehen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch eine Erhebung des Management Center Innsbruck, die sich zwar nicht mit Corona-Desinformation, jedoch mit Corona-Wissen beschäftigte. Dort fand man, dass die vermehrte Nutzung sozialer Medien wie auch privater Fernsehsender mit niedrigerem Corona-Wissen einhergeht, während die Nutzung öffentlich-rechtlicher Medien mit höherem Wissen assoziiert ist.

Was nun? Obwohl wir mit unseren Ergebnissen nicht sagen können, inwiefern die einzelnen Informationsquellen entsprechende Falschnachrichten aktiv aufklären oder diese gar verbreiten, sind private Fernsehsender sowie die Tageszeitungen Österreich und Kronen Zeitung gut darin beraten einen stärkeren Fokus auf die Aufklärung von Desinformation zu setzen, da sie die Desinformierten in der Bevölkerung am ehesten erreichen. Wo Plattformen wie Twitter und Facebook beim Thema Corona-Desinformation schnell und strikt reagiert haben, scheint es bei deren Geschwistern WhatsApp, Instagram und YouTube noch Ausbaupotenzial zu geben. Eines ist jedenfalls sicher: Solange die Corona-Krise nicht überstanden ist, wird auch die “Infodemie” nicht ganz überstanden sein. Um beide zu bewältigen müssen sowohl alte als auch neue Medien ihren Beitrag leisten.


Jakob-Moritz Eberl ist seit April 2017 Projektmitarbeiter (Post-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und seit 2013 Mitglied der österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES, Media Side). Er ist außerdem assoziierter Wissenschafter im Vienna Center for Electoral Research (VieCER) und beschäftigt sich unter anderem mit Fragen zu Medienwirkung, Medienvertrauen und Wahlverhalten.

Noelle S. Lebernegg ist Universitätsassistentin (Prae-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie assoziierte Wissenschafterin im Vienna Center For Electoral Research (VieCER). Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen politischer Kommunikation und Medien auf die öffentliche Meinung und Wahlverhalten.

Hajo Boomgaarden ist Professor für Empirische Methoden der Sozialwissenschaften am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien und derzeit Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der Darstellung und Wirkung von Politik in den Medien.


Methodische Erläuterungen

Um verschiedene mögliche Einflussfaktoren auf den Desinformationsgrad der Befragten zu identifizieren, haben wir ein sogenanntes multivariates Regressionsmodell berechnet und dabei neben der Mediennutzung individuelle Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bildung und Ideologie berücksichtigt. Dies ist wichtig, um die Unterschiede, die sich aus der unterschiedlichen sozialen Zusammensetzung verschiedener Medien-Nutzer*innengruppen ergeben, aus den Ergebnissen herauszurechnen.

Abgebildet sind die Koeffizienten eines binomialen Regressionsmodells (Abbildung A1). Nutzung der einzelnen Informationsquellen ist binär codiert, d. h. es wurde der Wert 1 eingetragen, wenn die Informationsquelle öfter als einmal pro Woche genutzt wurde; ansonsten der Wert 0. Die Zielvariable ist der Desinformationsgrad. Dabei handelt es sich um die Summe aller nicht korrekt identifizierten Aussagen, d. h. der Desinformationsgrad ist bei 0, wenn alle fünf Aussagen als “eher falsch” oder “sicher falsch” erkannt wurden; der Desinformationsgrad ist bei 5, wenn alle fünf Aussagen mit “unsicher, ob richtig oder falsch”, “eher sicher” oder “sehr sicher, dass richtig” beantwortet wurden. Überschreitet das 95% Konfidenzintervall (d.h. die Antennen am Kreissymbol) die 0 Linie, besteht kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Nutzung der jeweiligen Informationsquelle und dem Desinformationsgrad. Je positiver der Koeffizient, desto desinformierter sind die Nutzer*innen dieser Informationsquelle. Je negativer der Koeffizient, desto weniger desinformiert sind Nutzer*innen dieser Informationsquelle.

Abbildung A1: Zusammenhang zwischen Informationsverhalten und Desinformationsgrad (Anmerkungen: Feldzeit: 03.-08. April 2020, N=1.559 befragte Personen (ab 14 Jahre), 1.351 gültige Werte, Daten repräsentativ für die österreichische Wohnbevölkerung gewichtet.)

Update

Die Fragen zur Desinformation wurden in Welle 9 der Befragung noch einmal wiederholt und um zwei neue Fragen zu Verschwörungen mit Bezug zu 5G und Bill Gates ergänzt. Abbildung U1 zeigt die Verteilungen.

Abbildung U1: Identifikation von Desinformation (Anmerkungen: Feldzeit: 23.-27. Mai 2020, N=1.502 befragte Personen (ab 14 Jahre), Daten repräsentativ für die österreichische Wohnbevölkerung gewichtet.)