16.01.2021 - PDF

Im Tempel des Sarastro: Sollen Expert*innen politische Entscheidungen treffen?

  • Die österreichische Bevölkerung ist überwiegend der Meinung, dass es besser sei, wenn wichtige politische Entscheidungen auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse von unabhängigen Expert*innen und nicht von gewählten Politiker*innen getroffen werden.
  • Die Zustimmung ist dabei in allen gesellschaftlichen Gruppen und über alle politischen Lager hinweg sehr hoch.
  • Am skeptischen stehen jüngere Befragte (unter 30 Jahre) dem Einfluss von Expert*innen gegenüber. Besonders hoch ist die Zustimmung unter über 65-Jährigen und bei Personen mit Universitätsabschluss, sowie bei Wähler*innen der NEOS.

Von Julia Partheymüller und Jakob-Moritz Eberl

Im Zuge der Pandemie wurde vielfach der Einfluss von Expert*innen auf politische Entscheidungen kritisiert und Legitimationsdefizite angesichts einer “Herrschaft der Virologen” diagnostiziert. Expert*innen, die die Einschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung des Coronovirus befürworteten, wurden öffentlich angegriffen und sogar mit Mord bedroht. Diese Angriffe überraschen allerdings vor dem Hintergrund, dass aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass viele Bürger*innen in entwickelten Demokratien technokratische Einstellungen aufweisen und den Einfluss von Expert*innen in der Politik grundsätzlich gutheißen. Die neue US-Regierung setzt entsprechend verstärkt auf Expert*innen in der Politik und in Österreich genoss noch im Jahr 2019 die Expert*innenregierung Bierlein hohe Beliebtheit. In einem anderen Blog konnten wir zudem zeigen, dass sich die Österreicher*innen von der Corona-Berichterstattung erwarten, dass Wissenschaft und Forschung mehr Platz geboten wird.

In Anbetracht der öffentlichen Debatte um die Rolle von Expert*innen wurden im Rahmen des Austrian Corona Panel Projects (ACPP) die Teilnehmer*innen der Umfrage wiederholt gefragt, was sie meinen, wie angesichts der Corona-Krise politische Entscheidungen in einer Demokratie getroffen werden sollten. Speziell wurden die Befragten dabei gebeten anzugeben, inwiefern ihrer Ansicht nach die folgende Aussage zutrifft oder nicht zutrifft: “Es ist besser, wenn wichtige politische Entscheidungen auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse von unabhängigen Experten und nicht von gewählten Politikern getroffen werden.” Dieser Beitrag beleuchtet anhand dieser Daten, die Meinung der österreichischen Bevölkerung dazu, welche Rolle wissenschaftliche Erkenntnisse von Expert*innen bei politische Entscheidungen im Kontext der Corona-Krise spielen sollten.

Breite Mehrheit befürwortet, wenn Expert*innen auf wissenschaftlicher Grundlage politische Entscheidungen treffen

Abbildung 1 zeigt die Zustimmungswerte für politische Entscheidungen von Expert*innen, die auf wissenschaftlicher Grundlage basieren, im Zeitverlauf. Im Zeitraum von März bis November 2020 gab jeweils eine Mehrheit der Befragten an, dass diese Aussage voll und ganz oder eher zutrifft. Die Höchstwerte wurden dabei im April (65 Prozent) und im November 2020 (66 Prozent) gemessen, als die gesundheitliche Gefahr durch die Pandemie als besonders hoch angesehen wurde. Weitere 27 bis 33 Prozent stimmen der Aussage zumindest teilweise zu. Die Ablehnung der Aussage fällt dabei denkbar gering aus und schwankt in einem Bereich zwischen 7 bis 9 Prozent. Insgesamt zeigen die Umfragedaten also wenig Hinweise darauf, dass im Kontext der Pandemie ein Legitimationsdefizit aufgrund von Expert*innenentscheidungen durch die Bevölkerung wahrgenommen wurde.

Abbildung 1: Zustimmung zum Einfluss von Expert*innen auf politische Entscheidungen im Zeitverlauf (Daten: ACPP, gewichtet)

Unterstützung in allen gesellschaftlichen Gruppen und politischen Lagern, Ablehnung am ehesten bei den Jüngeren

Abbildung 2 stellt die Zustimmungswerte in verschieden Subgruppen der Bevölkerung dar. Es zeigt sich eine breite Unterstützung für den Einfluss von Expert*innen, die politische Entscheidungen auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse treffen, in allen Bevölkerungsgruppen. Eine leicht höhere Skepsis zeigt sich zwar in der jüngsten Alterskohohrte (14-29 Jahre). In dieser Gruppe lehnen 12 Prozent der Befragten den Einfluss von Expert*innen auf politische Entscheidungen ab. Jedoch ist dies selbst in dieser Gruppe nur eine kleine Minderheit. Besonders hoch ist die Zustimmung unter älteren Befragten (über 65 Jahre) und bei Personen mit sehr hohem Bildungsabschluss (Universitätsabschluss), sowie bei Wähler*innen der NEOS. In diesen drei Gruppen erreicht die Zustimmung mit über 75 Prozent die insgesamt höchsten Werte. Zwischen männlichen und weiblichen Befragten bestehen kaum Unterschiede. Bei den Wähler*innen von ÖVP und FPÖ fällt die Zustimmung zu Expert*innenentscheidungen etwas geringer aus als bei SPÖ, Grünen, NEOS oder sonstigen (Wähler*innen anderer Parteien, Nichtwähler*innen, Nicht-Wahlberechtigte Personen). Doch auch bei den Wähler*innen von ÖVP und FPÖ sind die Zustimmungswerte insgesamt sehr hoch.

Abbildung 2: Zustimmung zum Einfluss von Expert*innen auf politische Entscheidungen in verschiedenen sozialen Gruppen (Daten: ACPP, 13.-20.11.2020; gewichtet)

Fazit

Im Kontext der Pandemie kam Expert*innen eine Schlüsselrolle zu, die Politik mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Einschätzungen zu versorgen. Dies zog auch Kritik und öffentliche Debatten nach sich, inwiefern der Einfluss von Expert*innen auf politische Entscheidungen Legitimationsdefizite schaffen würde. Die Analysen zeigen, dass zumindest aus Sicht der Bevölkerung der Einfluss von Expert*innen, die politische Entscheidungen auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse treffen, als allgemein positiv wahrgenommen wird. Eine breite Mehrheit der Bevölkerung befürwortet es, wenn Expert*innen auf wissenschaftlicher Grundlage politische Entscheidungen treffen. Dies gilt für alle gesellschaftlichen Gruppen und politischen Lager. Die Ablehnung ist zwar leicht höher bei jüngeren Personen, doch auch hier sagt nur eine kleine Minderheit, dass politische Entscheidungen nicht auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse von unabhängigen Expert*innen getroffen werden sollten. Insgesamt lassen die Ergebnisse somit kein wahrgenommenes Legitimationsdefizit von wissenschaftlich basierten Expert*innenentscheidungen per se erkennen. Wie nun aber Expertise durch die unterschiedlichen Gruppen definiert wird, ist eine ganz andere Frage. Eins ist dennoch klar, die Anfeindungen von Expert*innen, z.B. in Sozialen Medien, gehen vermutlich von einer eher kleinen Minderheit aus, die nicht die Meinung der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung zum Ausdruck bringt.


Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Vienna Center for Electoral Research (VieCER) der Universität Wien und ist Mitglied des Projektteams der Austrian National Election Study (AUTNES). Sie promovierte in Sozialwissenschaften an der Universität Mannheim und studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Universität Hamburg.

Jakob-Moritz Eberl ist seit April 2017 Projektmitarbeiter (Post-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und seit 2013 Mitglied der österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES, Media Side). Er ist außerdem assoziierter Wissenschafter im Vienna Center for Electoral Research (VieCER) und beschäftigt sich unter anderem mit Fragen zu Medienwirkung, Medienvertrauen und Wahlverhalten.