27.07.2020

Verschwende keine Krise: Welche COVID-19-induzierten Veränderungen der Arbeitswelt sollten uns erhalten bleiben?

  • Die COVID-Pandemie führte zu enormen Umstellungen in der österreichischen Arbeitswelt – mit Extremwerten für Homeoffice, Kurzarbeit und Kündigungen.
  • Einige der Veränderungen scheinen von den Befragten im Corona-Panel kurz vor dem Ende des Lockdowns (12. Juni 2020 - 17. Juni 2020) durchaus positiv bewertet zu werden, sodass die Krise als Chance zur Beschleunigung der Art und Weise wie wir arbeiten gesehen werden kann.
  • Die Befragten sprechen sich im Allgemeinen dafür aus, bestimmte COVID-19-bezogene Änderungen im Arbeitskontext beizubehalten, wie z.B. mehr Flexibilität, weniger Geschäftsreisen und unbürokratischere und flexiblere Verfahren bei Krankenstand.
  • Frauen befürworten die Mehrzahl der COVID-19-induzierten Veränderungen etwas stärker als Männer. Bei der Beantwortung einiger Fragen wird auch ein Alterseffekt sichtbar: Befragte über 40 befürworten entlastende Veränderungen stärker als Jüngere, während Jüngere Flexibilisierungen stärker priorisieren.
  • Diese Ergebnisse zeigen, dass die Arbeitnehmenden einem Mehr an Autonomie und Flexibilität im Arbeitsleben nicht negativ gegenüberstehen, dass jedoch eine klare Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben weiterhin gewünscht wird

Von Falk Ebinger, Lisa Schmidthuber und Jurgen Willems

Die Maßnahmen zur Eindämmung des COVID-19 Virus brachten nicht nur zahlreiche Einschränkungen in der persönlichen Freiheit der Menschen in Österreich, sie führten auch zu massiven Veränderungen in der Arbeitswelt (siehe Corona-Blog 9). Während der Phase des strengen Lockdowns wurde Home Office für all jene zur Regel, die nicht an ihrem Arbeitsplatz unabkömmlich oder gänzlich freigestellt waren. Elektronische Kommunikation trat nicht nur an die Stelle der sonst üblichen Präsenzkultur, sondern ersetzte auch den größten Teil an persönlichen Besprechungen und Dienstreisen. Ärztliche Krankschreibungen konnten von den Arbeitnehmenden telefonisch erlangt werden, ohne in den Ordinationen vorstellig zu werden. Bei Anwesenheit an der Arbeitsstelle mussten strikte Abstandsregeln eingehalten werden.

Viele Kommentatoren bewerteten diese Veränderungen als Chance, da neue Arbeitsformen innerhalb weniger Tage und nicht, wie sonst üblich, nach jahrelangen Diskussionsprozessen eingeführt werden mussten. Damit schafft die COVID-19 Krise ein Laboratorium, das die Möglichkeiten und Grenzen neuer Arbeitsarrangements im praktischen Anwendungsfall aufzeigt.

Welche dieser arbeitsbezogenen COVID-19-Änderungen tatsächlich von Dauer sein werden, ist die hier gestellte Leitfrage. Diese kristallisierte sich aus den Ergebnissen unseres vom Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds geförderten Projekts zu gesellschaftlichen Folgen der Corona-Epidemie sowie aus der Diskussion dieser Ergebnisse mit Wissenschaftler*innen, Unternehmen und politischen Entscheidungsträger*innen in Österreich heraus (Willems, Knassmüller, Ebinger, et al. 2020). Während viele Veränderungen als Folge der COVID-19-Pandemie zu persönlichen und gesellschaftlichen Nachteilen führten (für einen Überblick siehe: Willems, Knassmüller, Eggenreich, et al. (2020)), könnten einige Veränderungen auch direkte und indirekte sowie kurz- und langfristige Vorteile haben.

Durch die Aufnahme einer neun Aspekte umfassende Fragenbatterie in die elfte Welle (12. Juni 2020 - 17. Juni 2020) des Austrian Corona Panel Projects können erste Aussagen darüber getroffen werden, inwieweit die arbeitende Bevölkerung in Österreich – abhängig von ihrer Situation – bestimmte COVID-19-bezogene Veränderungen im Arbeitsumfeld befürwortet oder ablehnt. Mit diesem Bericht wollen wir zum einen die öffentliche Meinung in Österreich während der Hochphase der Pandemie dokumentieren und erste Aussagen darüber treffen, ob bestimmte Veränderungen aus Sicht der Befragten bestehen bleiben sollten. Zum anderen wird untersucht, ob sich Unterschiede in der Bewertung aufgrund des Geschlechts oder Alters ergeben. Als Verwaltungsforscher*innen sind wir darüber hinaus daran interessiert, ob sich die Meinungen zwischen den Beschäftigten im privaten oder öffentlichen Sektor grundlegend unterscheiden. Solche Erkenntnisse können relevant sein, um zu beurteilen, ob ein sektorspezifischer Ansatz für die Gestaltung der Zukunft der Arbeit notwendig ist.

Die Fragen konnten auf einer 5-Punkte-Likert-Skala beantwortet werden ("1 = Sehr dafür", "2 = Eher dafür", "3 = 'Dazwischen'", "4 = Eher dagegen", "5 = Sehr dagegen"). In den Abbildungen sind jeweils die Mittelwerte sowie die 95%-Konfidenzintervalle um den Mittelwert angegeben.

Abbildung 1: Sample Arbeitende Bevölkerung – Bewertung der Änderung der Arbeitssituation (Quelle: Austrian Corona Panel Data der Universität Wien, elfte Welle).

Wie in Abbildung 1 ersichtlich sprechen sich die Befragten im Allgemeinen dafür aus, bestimmte COVID-19-bezogene Änderungen im Arbeitskontext beizubehalten, wie z.B. mehr Flexibilität in Bezug auf Homeoffice, Arbeitszeiten und Teilzeitarbeit. Ebenso finden unbürokratischere und flexiblere Verfahren bei Krankenstand sowie weniger Geschäftsreisen und externe Termine breite Zustimmung. Aus Sicht der Befragten sollte dies jedoch weder mit mehr Kontrolle durch den/die Arbeitgeber*in noch mit zunehmend verschwindenden Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben einhergehen. Diese Ergebnisse zeigen vor allem die allgemeinen Herausforderungen für die Zukunft der Arbeit auf, bei der mehr Autonomie und Flexibilität gewünscht wird. Gleichzeitig darf jedoch eine klare Abgrenzung zwischen Berufs- und Privatleben nicht verloren gehen.

Deutliche Geschlechterunterschiede

Abbildung 2 zeigt, dass Frauen die Mehrzahl der COVID-19-induzierten Veränderungen noch stärker als Männer befürworten. So sind sie etwas stärker dafür, Abstand am Arbeitsplatz zu wahren, weniger Geschäftsreisen durchzuführen und Flexibilität in Bezug auf Teilzeitarbeit und Homeoffice zu haben. Diese abweichenden Präferenzen könnten mit den immer noch stark unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen, insb. mit dem weit höheren Teilzeitanteil von Frauen und dem höheren Anteil an Büroarbeit, zusammenhängen. Nur geringe Unterschiede zeigen sich im am stärksten bejahten Item: Berufs- und Privatleben sollten aus Sicht beider Geschlechter auch zukünftig klar getrennt sein. Ebenso gibt es keine Unterschiede in der (deutlich schwächer) positiven Bewertung einer vereinfachten Krankschreibung sowie in der Ablehnung von Kontrollmöglichkeiten für Arbeitgebende.

 

Abbildung 2: Sample Arbeitende Bevölkerung, differenziert nach Geschlecht – Bewertung der Änderung der Arbeitssituation (Quelle: Austrian Corona Panel Data der Universität Wien, elfte Welle).

Bemerkenswerte Altersunterschiede

Bei der Beantwortung einiger Fragen wird auch ein spannender Alterseffekt sichtbar, wie in Abbildung 3 ersichtlich: Während Befragte über 50 Jahre bei den vier ersten Aussagen durchgängig am stärksten befürworten, unterstützen sie die vier letzten Aussagen mit am schwächsten. Offensichtlich ist ihnen die arbeitsbezogene Flexibilität deutlich weniger wichtig, als den Jüngeren. So zeigt sich bei den Antwortenden unter 30 Jahre ein fast gegensätzliches Präferenzmuster: Bemerkenswert ist weiterhin, dass sich jüngere Befragte (40 und jünger) sich zwar ebenfalls für eine klare Trennung von Arbeits- und Privatleben, weniger Geschäftsreisen und externe Termine aussprechen, allerdings bei weitem nicht so stark wie Befragte über 40. Jüngere Befragte empfinden offensichtlich das Eindringen der Arbeit in die Freizeit und Dienstreisen als deutlich weniger belastend als ältere. Dafür sprechen sich die jüngeren Kohorten deutlich stärker als Befragte über 50 Jahre für eine freie Wahlmöglichkeit zwischen Homeoffice und Präsenzzeit im Betrieb aus.

 

 

Abbildung 3: Sample Arbeitende Bevölkerung, differenziert nach Alter – Bewertung der Änderung der Arbeitssituation (Quelle: Austrian Corona Panel Data der Universität Wien, elfte Welle).

Einschätzungen aus Privatwirtschaft und öffentlichem Sektor gleichen sich

Zur Gegenüberstellung des öffentlichen und des privaten Sektors (differenziert nach abhängig Beschäftigten und Selbständigen) wurden die Aussagen der Befragten zu ihrem Arbeitsbereich herangezogen (siehe Abbildung 4). Die Unterschiede in der Bewertung der Veränderungen sind zwischen Beschäftigten des öffentlichen und des privaten Sektors überraschend schwach ausgeprägt. Abgesehen von der in der Privatwirtschaft stärker gewünschten Reduzierung von Geschäftsreisen und externen Terminen sind keine bemerkenswerten Unterschiede zwischen abhängig Beschäftigten des privaten und des öffentlichen Sektors ersichtlich. Ebenfalls gering und erwartbar sind die Abweichungen in den Aussagen der Selbständigen: Sie sehen in der Vermischung von Privat- und Berufsleben ein geringeres Problem, befürworten vereinfachten Krankschreibungen deutlich schwächer, und lehnen Kontrollmöglichkeiten für Arbeitgeber deutlich weniger ab als abhängig Beschäftigte.

Abbildung 4: Sample Arbeitende Bevölkerung, differenziert nach Sektor und Beschäftigungsverhältnis – Bewertung der Änderung der Arbeitssituation (Quelle: Austrian Corona Panel Data der Universität Wien, elfte Welle).

Erste Schlussfolgerungen


Die COVID-Pandemie führte zu gravierenden Veränderungen in der Arbeitswelt. Aus Sicht der Befragten werden diese Maßnahmen nicht nur negative, sondern durchaus auch positiv bewertet.  Das bedeutet, dass die Menschen in Österreich offensichtlich Veränderungen in der Arbeitswelt nicht generell negativ gegenüberstehen, sondern durchaus ein höheres Maß an Flexibilisierung begrüßen. Dies gilt jedoch nur, solange Arbeits- und Privatleben weiterhin trennbar sind und damit keine Überwachungskultur einhergeht. Der kaum vorhandene Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Sektor deutet darauf hin, dass die Herausforderungen in diesen Sektoren ähnlich sein könnten. Dies bedeutet auch, dass öffentliche und private Organisationen in der Gestaltung der Arbeitswelt von morgen voneinander lernen können.


Falk Ebinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Public Management und Governance der Wirtschaftsuniversität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Verwaltungsmodernisierung und verhaltenswissenschaftlicher Verwaltungsforschung und Verwaltungselitenforschung.

Lisa Schmidthuber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Public Management und Governance der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der digitalen Transformation des öffentlichen Sektors, Open Government und den neuen Formen der Bürgerbeteiligung.

Jurgen Willems ist Universitätsprofessor und Institutsvorstand am Institut für Public Management und Governance der Wirtschaftsuniversität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Interaktion von Bürger und Staat, bürokratischer Reputationsforschung und automatisierten Public Services.


 

Referenzen

“Austrian Corona Panel Project”. 2020. “Austrian Corona Panel Data.” Vienna: University of Vienna. https://viecer.univie.ac.at/coronapanel/.

Willems, Jurgen, Monika Knassmüller, Falk Ebinger, Katharina Dinhof, and Moritz Schmid. 2020. “Austria in the Covid-19 Pandemic - Citizens’ Satisfaction with Crisis Measures and Communication.” OSF Preprints, April, 1–15. doi:10.31219/osf.io/y37sq.

Willems, Jurgen, Monika Knassmüller, Lea Eggenreich, and Falk Ebinger. 2020. “COVID-19 Shutdown: Die Sicht Der Bürger*innen – Persönliche Und Gesellschaftliche Nachteile.” OSF Preprints, June, 1–26. doi:10.31219/osf.io/m7r4h.