12.06.2020

Die Wichtigkeit zentraler Lebensbereiche während der Corona-Krise – Ein Vergleich mit früheren Erhebungen

  • Enge Beziehungen (Familie, Partnerschaft, Freunde und Verwandtschaft) haben für die Österreicher*innen auch in der Corona-Krise einen hohen Stellenwert.
  • Familie und Verwandtschaft werden im Vergleich zu 2016 als noch wichtiger bewertet.
  • Im Vergleich zu 2016 sinkt besonders die Bedeutung von Beruf und Arbeit sowie Religion und Kirche.
  • Im Vergleich zu 2016 sind die meisten Österreicher*innen mit Partnerschaft und Familienleben heute weniger zufrieden.

von Wolfgang Aschauer, Franz Höllinger und Claudia Herbst

Das Leben aller Österreicher*innen hat sich seit dem Beginn der Corona-Krise verändert. Als besonders einschneidend können beispielsweise der rekordverdächtige Anstieg an Jobverlusten sowie Herausforderungen im Bezug auf die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen angesehen werden – diese Aspekte betreffen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen sehr ungleich. Was jedoch alle betrifft sind die Regeln und Empfehlungen, welche auf eine Einschränkung des physischen Kontaktes abzielen und auch nach der Lockerung anderer Maßnahmen tendenziell erhalten bleiben. Obwohl es über eine längere Zeitspanne hinweg somit unmöglich war, Freund*innen und Verwandte zu besuchen, verbrachten viele jedoch oft Tage und Wochen mit der eigenen Familie und dies häufig auch auf kleinem Raum. Wie haben sich diese Entwicklungen auf die Bewertung von verschiedenen Lebensbereichen (Familie, Beruf, Freizeit etc.) ausgewirkt? Im Folgenden soll auf diese Frage Bezug genommen werden. Die Daten stammen einerseits aus der Corona-Panelumfrage der Universität Wien (Welle 5) und andererseits aus dem Social Survey Österreich (SSÖ) 2016, bei dem 2.021 Personen befragt wurden. Die Wichtigkeit verschiedener Lebensbereiche wurde hierbei mithilfe einer Skala von 1 (= unwichtig) bis 7 (= sehr wichtig) gemessen.

Abbildung 1: Bewertung der Lebensbereiche (Daten: Austrian Corona Panel Data, Welle 5, 24. – 29. April 2020; N=1515), gewichtete Daten

In der Corona-Panelumfrage der Universität Wien zeigt sich, dass soziale Beziehungen (in der Familie, in der Partnerschaft und mit Freund*innen) sowie auch die Freizeitgestaltung zu jenen Lebensbereichen zählen, die den Menschen am wichtigsten sind. 89 Prozent der Befragten gaben an, dass die Familie für sie sehr oder eher wichtig sind (Werte 5 bis 7 auf einer 7-stufigen Skala).  Auch Partnerschaft (77%), Freizeit (76%), Freund*innen (75%) und Verwandtschaft (68%) haben für die Mehrheit der Befragten eine hohe Bedeutung. Etwa die Hälfte der Befragten beurteilen Beruf und Arbeit (56%) und Politik und öffentliches Leben (42%) als sehr oder eher wichtig; für rund ein Drittel sind diese Bereiche eher unwichtig (Werte 1-3 auf der 7-stufigen Skala). Religion und Kirche wurden von über zwei Drittel (68%) der Befragten als nicht wichtig eingestuft. Lediglich für 19% der Befragten hat Religion eine hohe Bedeutung.

Die Wichtigkeit verschiedener Lebensbereiche im Zeitvergleich

Abbildung 2: Mittlere Wichtigkeit der Lebensbereiche im Zeitvergleich (Daten: Austrian Corona Panel Data, Welle 5, 24.-29. April 2020; N= 1515 und Social Survey Österreich 2016, N=2021, jeweils gewichtete Daten)

Beim Vergleich der Daten der fünften Welle des Corona-Panels mit jenen des Social Survey Österreich (2016) werden diverse Unterschiede sichtbar. Die generell hohe Bedeutung von Familie und Verwandtschaft nimmt in der Phase der Corona-Krise sogar noch leicht zu. Partnerschaft, Freund*innen und Freizeit werden hingegen im Vergleich zur Erhebung von 2016 als etwas weniger wichtig eingestuft. Angesichts der Krise verlieren Beruf und Arbeit - eventuell vorübergehend - deutlich an Bedeutung, während die Anteilnahme am öffentlichen Leben und damit auch die subjektive Wichtigkeit von Politik steigt. Die Krise hat offensichtlich nicht dazu geführt, dass Menschen vermehrt Zuflucht bei der Religion suchen; im Gegenteil, der ohnehin schon relativ niedrige Stellenwert von Religion und Kirche ist in der Krise nochmals deutlich gesunken. Einschränkend muss hier erwähnt werden, dass die Daten aus den beiden Studien nur bedingt vergleichbar sind, weil sich die Stichprobe aus dem Corona-Panel wohl überwiegend aus internetaffinen Personen zusammensetzt. Gerade bei älteren Menschen könnte dies eine Verzerrung der Daten bewirken.

Verändert sich die Zufriedenheit mit Partnerschaft und Familienleben?

Abbildung 3: Zufriedenheit mit Partnerschaft und Familienleben (Daten: Austrian Corona Panel Data, Welle 5, 24.-29. April 2020; N= 865 und Social Survey Österreich 2016, N=1062 (hier Substichproben der Befragten, die mit EhepartnerIn bzw. LebensgefährtIn zusammen leben)

Bezüglich der Zufriedenheit mit Partnerschaft und Familie können ebenfalls Veränderungen im Vergleich zu 2016 beobachtet werden. In beiden Bereichen ging die Zufriedenheit insgesamt zurück. Während die Daten des Sozialen Survey Österreichs darauf hindeuten, dass 2016 noch 60% der Befragten mit ihren Partnerschaften sehr zufrieden waren, so sind es im Kontext der Corona-Panelumfrage nur mehr 55%. Zusätzlich gaben in unserer Umfrage etwa 10% an, mit ihrer Partnerschaft weniger oder nicht zufrieden zu sein, was einem Anstieg von etwa 7% im Vergleich zu 2016 entspricht. Auch bezüglich des Familienlebens kann für die Befragten der Corona-Panelumfrage eine geringere Zufriedenheit konstatiert werden. Der Anteil der Personen, die eine hohe Zufriedenheit angaben, hat von 56% (SSÖ 2016) auf 48% (Corona-Panelumfrage) abgenommen, zudem ist der Anteil der Unzufriedenen erneut um acht Prozentpunkte (von 3% auf 11%) angestiegen.

Fazit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Bewertung verschiedener Lebensbereiche durch COVID-19 und die daraus resultierenden Maßnahmen durchaus beeinflusst wird. Die Relevanz von engen Beziehungen (Familie, Partnerschaft, Freunde und Verwandtschaft) sowie die Bedeutung der Freizeit ist auch in Zeiten der Corona-Krise von hoher Bedeutung. Des Weiteren kann sogar ein Anstieg der Wichtigkeit von Politik und dem öffentlichen Leben verzeichnet werden. Im Vergleich zu 2016 haben besonders Beruf und Arbeit und Religion an Wichtigkeit verloren. Aufgrund der Einschränkung sozialer Aktivitäten im Zuge der COVID-Maßnahmen haben auch Freunde und Freizeitgestaltung vorübergehend etwas an Bedeutung verloren. Die Zufriedenheit mit der Partnerschaft und dem Familienleben ist im Vergleich zu 2016 spürbar gesunken. Dies dürfte daran liegen, dass das dauerhafte Zusammensein im Familienkreis vermehrt zu Spannungen zwischen den Familienmitgliedern führte, wie auch schon in anderen Blogbeiträgen (z.B. von Caroline Berghammer) aufgezeigt wurde.


Wolfgang Aschauer ist seit 2016 Assoziierter Professor an der Abteilung Soziologie und Kulturwissenschaft der Universität Salzburg. Seine Forschungsbereiche sind die soziale Integrationsforschung (hier insbesondere Herausforderungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und Solidaritätspotentiale in der westlichen Gesellschaft und interkulturelle Verständigung) sowie auch quantitative Methoden der Sozialforschung und Tourismusforschung. (Kontakt: wolfgang.aschauer@sbg.ac.at)

Franz Höllinger ist a.o. Universitätsprofessor am Institut für Soziologie der Universität Graz.  Sein Forschungsschwerpunkt ist die Untersuchung des Wandels religiöser und familiärer Lebensformen und Wertorientierungen in international vergleichender Perspektive. Neuere Publikation: Religion and existential security. A cross-national comparative analysis on the macro- and micro-level; British Journal of Sociology 2019. (Kontakt: franz.hoellinger@uni-graz.at)

Claudia Herbst studiert Soziologie sowie Kunstgeschichte an der Universität Salzburg. Hier ist sie seit 2019 Studienassistentin an der Abteilung Soziologie und Kulturwissenschaft. Derzeit schreibt sie ihre Abschlussarbeit im Bereich sozialer Bewegungen und klimapolitischer Proteste. (Kontakt: claudia.herbst@sbg.ac.at)