10.04.2020

Sozialpsychologische Auswirkungen der Corona-Krise auf verschiedene Erwerbsgruppen

  • Obwohl positive Gefühle allgemein vorherrschen, werden einige Gruppen derzeit auch von negativen Gefühlen geplagt. Dies betrifft vor allem Arbeitslose, Schüler*innen und Studierende, sowie haushaltsführende und arbeitsunfähige Menschen.
  • Home-Office scheint nicht zu vermehrt negativen Gefühlen zu führen.
  • Kurzarbeit und der Abbau von Urlaub bzw. Zeitausgleich hat nur geringen Einfluss auf die Häufigkeit negativer Gefühle.
  • Auch auf die Lebenszufriedenheit insgesamt zeigen Kurzarbeit und der Abbau von Zeitausgleich bzw. Urlaub wenig Auswirkungen.
  • Arbeitslose weisen im Vergleich zu anderen Gruppen stark verminderte Lebenszufriedenheit auf.
  • Im Vergleich zu 2018 sank die Lebenszufriedenheit allgemein leicht, verringerte sich aber für Arbeitslose doppelt so stark wie im Durchschnitt.

Von David W. Schiestl & Fabian Kalleitner

Spätestens seit der berühmten Marienthal-Studie zu den Auswirkungen von Massenarbeitslosigkeit in einem Dorf von Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel aus den Jahren 1931-1932 ist bekannt, dass Arbeit auch das psychische Wohlbefinden entscheidend beeinflusst. Insbesondere durch Arbeitslosigkeit kann es dabei zu starken negativen Effekten auf die Psyche kommen. Wie bereits im vorangegangenen Blogbeitrag zu manifester Deprivation angekündigt befasst sich dieser Blogbeitrag mit einigen sozialpsychologischen (latenten) Funktionen von Arbeit: Wir vergleichen das psychische Wohlbefinden verschiedener Erwerbsgruppen miteinander. Wir unterscheiden dabei zwischen verschiedenen Gruppen: Menschen, die seit dem Beginn der Corona-Krise keine Veränderungen im Erwerbstatus erfuhren („unverändert Erwerbstätige“); zum Zeitpunkt der Umfrage Arbeitslose; Erwerbstätige in Kurzarbeit, im Abbau von Zeitausgleich oder Urlaub sowie im Home-Office; Schüler*innen und Studierende; Pensionist*innen und andere Gruppen, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen (z.B. haushaltsführende oder arbeitsunfähige Personen). Besonderer Fokus wird dabei auf die Häufigkeit positiver und negativer Gefühle sowie auf die allgemeine Lebenszufriedenheit der Menschen in diesen Gruppen gelegt.

Wie wirkt sich der Erwerbsstatus auf die Gefühlslage aus?  

In unserer Panel-Umfrage stellen wir den StudienteilnehmerInnen Fragen zur Häufigkeit von Gefühlen, welche sich an einem von der WHO ausgegebenen Instrument zur Erfassung der Depressivitätsgefährdung orientieren. Neun Bereiche werden hier behandelt: Ruhe und Gelassenheit, Einsamkeit, Ärger, Niedergeschlagenheit, Glücksgefühle, Nervosität, Angst, Traurigkeit und das Gefühl, voller Energie zu sein. Für die Auswertung wurden Indizes zu positiven und negativen Emotionen erstellt, welche den Durchschnitt der Antworten einer Gruppe darstellen. Diese Indizes werden im Folgenden als Zahlenwerte dargestellt. Ein Wert von 100 bedeutet, dass alle Mitglieder einer Gruppe stets die höchste Antwortmöglichkeit wählten – d.h., dass sie die abgefragten Gefühle täglich erlebten. Umgekehrt bedeutet ein Wert von 0, dass niemand angab, jemals diese Gefühle zu verspüren. 

Während positive Emotionen erfreulicherweise in allen oben genannten Erwerbsgruppen klar überwiegen verspüren arbeitslose Menschen diese im Vergleich mit anderen Gruppen seltener. Bei negativen Gefühlen dagegen ergibt sich ein anderes Bild: Keine nennenswerten Unterschiede zeigen sich zwischen unverändert Erwerbstätigen und jenen im Home-Office. Unter Personen in Kurzarbeit oder im Abbau von Zeitausgleich und Urlaub lässt sich eine leichte Häufung dieser Emotionen beobachten. Arbeitslose, aber auch SchülerInnen und Studierende sowie sonstige Nicht-Erwerbspersonen stechen schließlich besonders heraus: Sie berichten deutlich häufiger von negativen Gefühlen (siehe Abbildung 1). 

Abbildung 1: Häufigkeit negativer Gefühle nach Erwerbsgruppen. Indizes wurden aus Mittelwerten von Angaben zu Einsamkeit, Ärger, Niedergeschlagenheit, Nervosität, Angst und Traurigkeit gebildet; dargestellt auf einer Skala von 0 bis 100

Wenn wir einige der Angaben dieser besonders betroffenen Gruppen nun näher betrachten, zeigt sich das Ausmaß der Situation: Jeweils etwa ein Drittel der arbeitslosen Menschen fühlt sich mehrmals pro Woche (oder noch häufiger) einsam oder niedergeschlagen und traurig – unter unverändert Erwerbstätigen dagegen gibt dies jeweils nur jeder und jede Neunte an. Niedergeschlagenheit verspüren in dieser Häufigkeit etwa 20% der Arbeitslosen, bei unverändert Erwerbstätigen antworteten so dagegen nur ca. 8%.

Noch stärkere Hinweise bieten die Antworten auf die Frage, wie zufrieden die Studienteilnehmer*innen mit ihrem Leben im Allgemeinen sind. Während die Antworten der meisten Gruppen auf ähnlichem Niveau zwischen knapp 65 und etwa 69 Punkten liegen, stechen arbeitslose Menschen auf den ersten Blick heraus: Sie erreichen im Schnitt einen deutlich niedrigeren Wert. Home-Office und Kurzarbeit scheinen hingegen keinen Einfluss auf die allgemeine Lebenszufriedenheit zu haben (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Durchschnitte der Lebenszufriedenheit nach Erwerbsgruppen; dargestellt auf einer Skala von 0 bis 100

Im Vergleich zu früheren Befragungen beobachten wir nun insgesamt eine Abnahme in der Lebenszufriedenheit: Im Jahr 2018 lag diese im Österreich-Schnitt um etwa 8 Punkte höher (80 Punkte im EU-SILC 2018, 72 Punkte in unserer Umfrage), was angesichts der Krise auch nicht verwundert. Unter österreichischen Arbeitslosen ist dieser Unterschied jedoch bemerkenswert größer: Wurde hier 2018 noch ein Wert von 65 gemessen (EU-SILC 2018), liegen arbeitslose Menschen in unserer Befragung nur mehr bei ca. 49 Punkten. Dieser Rückgang um 16 Punkte – also um das Doppelte der allgemeinen Abnahme – weist darauf hin, dass sich Arbeitslosigkeit in Ausnahmezeiten noch stärker auf das psychische Wohlbefinden auswirkt.

Was bereits Marie Jahoda in ihrer berühmten Studie beschrieb, zeigt sich hier in unseren eigenen Daten erneut: Die negativen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit sind klar messbar. Erwerbsarbeit wirkt sich auf das Leben nicht nur in materieller Hinsicht aus, sondern auch die Psyche betreffend.  Gerade jene, die jetzt ihren Job verlieren und starke materielle Einbußen hinnehmen müssen, haben auch ein deutlich höheres Risiko unglücklich zu werden – die Corona-Krise scheint also nicht nur die allgemeine Lebenszufriedenheit zu senken, sondern auch die Unterschiede in der Lebenszufriedenheit zwischen Erwerbstätigen und arbeitslosen Menschen zu erhöhen.


David W. Schiestl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Migration, Sozialpsychologie und Organisation.

Fabian Kalleitner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Aktuell forscht er zu Themen wie Steuerpräferenzen, Steuerwissen, Wahrnehmungsmechanismen und Arbeitswerte.


Methodische Anmerkungen

Datenquelle: Austrian Corona Panel Data, Daten aus Welle 1; Zeitraum der Befragung 27.3.-30.3.2020. Stichprobe: N= 1541 Befragte. Für die Berechnungen wurden die Daten gewichtet. Für weitere Informationen siehe viecer.univie.ac.at/coronapanel/