29.05.2020

Der ganz persönliche Kampf gegen die Infodemie: Nachrichtenvermeidung während der Corona-Krise

  • Ein Großteil der Österreicher*innen (75%) hat während der Krise schon einmal aktiv versucht Corona-Berichterstattung zu vermeiden
  • Nachrichten werden oft als zeitlich, emotional, und körperlich belastend empfunden
  • Nachrichtenvermeidung tritt vor allem bei Österreicher*innen auf, die wenig Vertrauen in Politik und Medien haben
  • Jedoch hängt das Vermeidungsverhalten auch von eigenen Risikoeinschätzungen ab; wer sich selbst für gesundheitlich gefährdet hält, vermeidet Nachrichten weniger

Von Sophie Lecheler & Loes Aaldering

Die Corona-Krise ist eine Zeit der Unsicherheit, in der viele von uns stets neue Informationen zu Infektionsraten, Maßnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit, zur Herstellung von eigenen Mund-und-Nasenschutz-Masken, etc. suchen. Diese Informationen werden durchaus auch durch Freunde und Familie vermittelt, doch haben sich viele auch in dieser Krise auf klassische Nachrichtenmedien verlassen.

Ein gesteigerter Nachrichtenkonsum kann jedoch auch negative Auswirkungen haben. Studien der letzten Jahre zeigen beispielsweise, dass vor allem negative und konfliktgeladene Berichterstattung zu Vertrauensverlusten in Politik und Medien führen kann. Zudem kann die Fülle verfügbarer Nachrichtenkanäle, auf denen durchgehend neue Informationen erhältlich sind, als überfordernd wahrgenommen werden. Schon vor einigen Jahren hat sich deshalb in der Nachrichtenforschung ein neuer Begriff etabliert: Nachrichtenvermeidung. Hier geht es nicht um Menschen, die uninteressiert an Nachrichten sind. Vielmehr beschreibt der Begriff das Verhalten von politisch interessierten Menschen mit oft starker Mediennutzung, die vermehrt Inhalte nicht mehr „ertragen“ können und darum aktiv versuchen Nachrichten aus dem Weg zu gehen. Diese Menschen erleben einen starken Nachrichtenkonsum mit negativen Nebenwirkungen auf ihre emotionale und körperliche Gesundheit. Die Nachrichten sind heute für diese Menschen salopp formuliert einfach „too much“.

Abbildung 1. Nachrichtenvermeidung allgemein und zum Thema Corona-Krise; Frage: Wie oft versuchen Sie, (Nachrichten im Allgemeinen/Nachrichten zum Thema Corona-Krise) aktiv auszuweichen? (0-nie bis 10-sehr häufig)

Um festzustellen, welche Rolle das aktive Vermeiden von Nachrichten in Krisensituationen spielt, wurde das Konzept auch im Austrian Corona Panel Project erforscht. Die Annahme hier war, dass vermehrter Nachrichtenkonsum über die Corona-Krise bereits bestehende Belastungserscheinungen verstärkt, und Nachrichtenvermeidung darum in der Corona-Krise eine besonders wichtige Rolle spielt. Zuerst wurden Österreicher*innen befragt, ob sie im Allgemeinen und während der Corona-Krise Nachrichten vermeiden. Wie Abbildung 1 zeigt, spielte Nachrichtenvermeidung sowohl im allgemeinen Nachrichtenkonsum, als auch bei Nachrichten zur Corona-Krise eine bedeutende Rolle. Zwar geben 25% der Befragten an, nie Nachrichten zur Corona-Krise zu vermeiden, jedoch bedeutet dies auch, dass eine Mehrheit der Befragten (75%) dieses Verhalten bei sich selbst erkennt. Wichtig ist hier jedoch, dass Nachrichtenvermeidung allgemein und zum Thema Corona-Krise eng verbunden sind. Nachrichtenvermeidung spielt also nicht nur zur Corona-Krise eine Rolle, sondern betrifft auch den Nachrichtenkonsum zu anderen Themen.

Abbildung 2 kontextualisiert Vermeidungsverhalten weiter. Hier zeigt sich, dass der Konsum von Nachrichten für die Befragten vor allem als ermüdend („Nachrichtenlast ist ermüdend“) und zeitintensiv eingeschätzt wird („Kostet zu viel Zeit“). Weniger oft stimmen Befragte Österreicher*innen der Einschätzung zu, dass Nachrichten nicht vertrauenswürdig sind. Gleichzeitig werden Nachrichten auch als relevant für negative emotionale und körperliche Auswirkungen gesehen („Negative Auswirkung auf Stimmung / körperliches Wohlbefinden“).

Abbildung 2. Motivation Nachrichtenvermeidung während der Corona-Krise. Frage: Inwiefern treffen die folgenden Aussagen auf Sie zu? (Wenn ich Nachrichten nutze, dann hat das eine negative Wirkung auf meine Stimmung. / Wenn ich Nachrichten nutze, dann hat das eine negative körperliche Wirkung auf mich (z.B. Kopfweh, Schlafstörungen) / Ich fühle mich von der Menge der Nachrichten, die heutzutage verfügbar sind, erschöpft./ Nachrichten nehmen zu viel meiner Zeit in Anspruch. / Ich kann mich bei den Nachrichten, die verfügbar sind, nicht darauf verlassen, dass diese auch wahrheitsgetreu sind. / Die oft expliziten Bilder in der derzeitigen Nachrichtenberichterstattung verstören mich./ Nachrichtenkonsum führt bei mir nur zu Streitigkeiten mit Anderen, und das vermeide ich lieber.

Interessant ist auch, in welchen Segmenten der österreichischen Bevölkerung Nachrichtenvermeidung besonders ausgeprägt ist. Wie zu erwarten zeigen die Daten des Austrian Corona Panel Projects, dass Nachrichtenvermeidung vor allem bei Österreicher*innen vorliegt, die sowieso schon weniger Vertrauen in Politik und Medien haben. Dies hängt jedoch auch davon ab, für wie gefährdet sich jemand selbst hält. Österreicher*innen die ihre eigene Gefährdung durch das Coronavirus als höher einschätzen, vermeiden Nachrichten weniger oft. Dieser Mechanismus bestätigt sich jedoch nicht, wenn man nach Wahrnehmungen zum allgemeinen Risiko des Coronavirus für die Gesamtbevölkerung fragt. Vermeidungsverhalten ist also eher durch sogenannte „egotropische“ Risikoeinschätzungen motiviert, das heißt die Einschätzung der eigenen Situation sind wichtiger für Nachrichtenkonsum als Sorgen um die österreichische Gesellschaft allgemein.

Fazit

Nachrichtenmedien sind in Krisensituationen wichtige Informationsquellen. Diese Informationsquellen können jedoch auch selbst zur Infodemie werden, und somit unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben, wie z.B., negative Stimmung, körperliche Belastungen, und Vertrauensverlust. Bürger*innen reagieren auf einen Überfluss an negativen Nachrichten mit individuellen Vermeidungsmechanismen. Hier genau müssen Forschung, Politik, aber auch vor allem der Journalismus ansetzen und aktiv über neue Formen der Informationsvermittlung in und nach der Krise nachdenken. 

 


Sophie Lecheler ist Professorin für Politische Kommunikation am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.

Loes Aaldering ist Assistenzprofessorin in Vergleichender Politikwissenschaft am Department of Political Science and Public Administration der VU Amsterdam.