18.05.2020
Erwartungen an die Corona-Berichterstattung: Vom Wachhund zum Schoßhund?
- Die Erwartungen an die Corona-Berichterstattung sind hoch. Alle neun abgefragten journalistischen Rollen werden von über 60% der Befragten als “sehr” oder “extrem wichtig” erachtet.
- Am deutlichsten (82% der Befragten) ist der Wunsch nach einem Fact-Checker, also nach Journalismus, der sich um die Aufklärung von Desinformation bemüht.
- Von allen journalistischen Rollen wird die Kritik- und Kontrollfunktion von Journalismus als am wenigsten wichtig angesehen.
- Letztlich hängt das Verständnis für Journalismus als Vierte Gewalt stark von der Zufriedenheit mit der Bundesregierung ab. Während der kritische Watchdog bei Befragten, die mit der Regierung unzufrieden sind, oberste Priorität hat, wird bei Regierungszufriedenen der Collaborator, also ein Journalismus, der sich der Unterstützung der Regierungsmaßnahmen verpflichtet, mit am wichtigsten eingeschätzt.
Von Jakob-Moritz Eberl, Andreas Riedl und Noelle S. Lebernegg
Besonders in Krisenzeiten ist die Bevölkerung in hohem Maße von journalistischer Berichterstattung abhängig. Auch in der Corona-Krise ist sie die zentrale Quelle relevanter Information zum Coronavirus. Doch in einer Demokratie erfüllen Massenmedien vielfältige Funktionen, die über die Rolle als bloße Informationsverbreiter hinausgehen, auch wenn sie nicht immer und von allen Medien in gleichem Maße erfüllt werden. Unter anderem spricht man dem Journalismus in einer Demokratie z.B. die Rolle eines sogenannten Watchdogs zu – also einer Vierten Gewalt neben Exekutive, Legislative und Judikative –, die insbesondere den Regierenden in einer Gesellschaft genauer auf die Finger schauen soll. Gerade eine regierungskritische Presse wird allerdings nicht von allen in der österreichischen Politik gerne gesehen.
Aber wie ist es eigentlich mit dem Souverän? Welche Erwartungen haben die Bürger*innen an die Corona-Berichterstattung? Welche Rollen von Journalismus finden sie aktuell wichtig? Im folgenden Beitrag gehen wir diesen Fragen nach. Unter besonderer Berücksichtigung der Kritik- und Kontrollfunktion von Journalismus analysieren wir außerdem, inwiefern diese Erwartungen an die Corona-Berichterstattung mit der Regierungszufriedenheit zusammenhängen. Wir verwenden dafür die Daten der dritten Befragung unserer Panel-Umfrage.
Hohe Erwartungen an den Journalismus
Um den Erwartungen an die Corona-Berichterstattung auf den Grund zu gehen, haben wir unsere Befragten darum gebeten, neun journalistische Rollen auf ihre Wichtigkeit zu bewerten. Die Kurzbezeichnung sowie eine Beschreibung jeder Rolle ist Abbildung 1 zu entnehmen.
Grundsätzlich zeigt sich, dass die Erwartungen an den Krisenjournalismus hoch sind: Bei jeder einzelnen der neun Rollen sind sich über 60% der Befragten einig, dass sie eine “sehr” oder sogar “extrem wichtige” Aufgabe journalistischer Nachrichtenmedien während der Corona-Krise darstellen. Dennoch werden manche Rollen als deutlich wichtiger eingeschätzt als andere.
Die WHO beklagte kürzlich eine mit der Coronavirus-Pandemie einhergehende “Infodemie”, also die unkontrollierte Verbreitung von Desinformation über das Virus. Dieser Bedrohung sind sich offenbar auch die Bürger*innen bewusst, denn gerade die Rolle des Fact-Checkers – der sich um die Aufklärung von Desinformation zum Coronavirus bemühen soll – wird von ihnen als am relevantesten wahrgenommen. 82% der Befragten empfinden die Rolle als “sehr” oder “extrem wichtig”.
Neben dem Bedürfnis nach korrekten Informationen spielt aber gleichzeitig Unterhaltung und Entspannung für viele eine wichtige Rolle. 65% der Befragten empfinden den Entertainer als “sehr” oder “extrem wichtig”. Das wirft die Frage auf, inwiefern sich Journalismus nicht verstärkt auch anderen Themen als dem omnipräsenten Coronavirus verpflichten sollte. Journalismus trägt letztlich eine emotionale Verantwortung, bei der es nicht nur den Informationsstand, sondern auch das soziale Befinden der Bürger*innen im Blick zu behalten gilt.
Deutlich zeigen unsere Ergebnisse außerdem das Spannungsverhältnis zwischen Watchdog und Collaborator. Der Watchdog, der mit Kritik an den Regierenden und der Aufdeckung verborgener Missstände beauftragt ist, rangiert ganz am Ende der Erwartungen. Dies zeigt sich auch an einer anderen Stelle der Befragung, wo 40% der Aussage zustimmen, dass sich Medien angesichts der Corona-Krise mit ihrer Kritik an der Bundesregierung zurückhalten sollten. Im Gegensatz dazu erwarten Bürger*innen offenbar einen Collaborator, dessen Hauptaufgabe es ist, die Regierungsmaßnahmen zu unterstützen. Hier sehen wir, was auch als Verantwortungsethik beschrieben wird: Obwohl die Rolle als Collaborator gegen das Unabhängigkeitsprinzip vieler Journalist*innen verstoßen mag, tragen sie mit ihrer Berichterstattung Verantwortung für die Konsequenzen ihres Handelns (z.B. die Akzeptanz von Schutzmaßnahmen). Allerdings besteht dabei letztlich auch die Gefahr, dass sich Hofberichterstattungs-Journalismus etabliert. Ungeachtet dieses Risikos scheint die Bevölkerung hier aber offenbar eine recht klare Meinung zu haben: Der Collaborator ist für sie momentan wichtiger als der Watchdog.
Ein Wachhund, der polarisiert
Insbesondere aufgrund des Spannungsverhältnisses zwischen den beiden letzten Rollen, dem (potentiell) regierungskritischen Watchdog und dem wohlwollenden Collaborator, stellt sich die Frage, wie universell diese Prioritätensetzung der Bevölkerung ist; also ob sich die Wichtigkeit unterschiedlicher Rollen entlang bestimmter Subgruppen unterscheidet. Deshalb haben wir die Befragten anhand ihrer Zufriedenheit mit der Bundesregierung in drei Gruppen unterteilt: Erstens, jene, die “eher” oder “sehr unzufrieden” mit der Bundesregierung sind (11%); zweitens, jene, die “teils-teils zufrieden” sind (24%); und drittens, jene, die “eher” oder “sehr zufrieden” sind (65%). Danach haben wir anhand des Anteils der Befragten, welche die jeweiligen journalistischen Rollen als “sehr” oder “extrem” wichtig einstufen, die Prioritäten zwischen den drei Gruppen anhand von Rangfolgen verglichen (siehe Abbildung 2).
Bei den Unzufriedenen wird der Watchdog als wichtigste journalistische Rolle wahrgenommen, während der Collaborator die niedrigste Priorität einnimmt. Bei jenen Befragten, die weder vollends zufrieden noch unzufrieden mit der bisherigen Arbeit der Bundesregierung sind, befinden sich beide Rollen im Mittelfeld. Bei den Zufriedenen zeigt sich dann wieder ein deutliches Bild: Hier ist der Collaborator auf Platz 2, während der Watchdog die niedrigste Prioritätsstufe hat.
Ein Plädoyer für die Vierte Gewalt
Zusammenfassend zeigt sich, dass die insgesamt sehr hohen Erwartungen an die Vielzahl unterschiedlicher Aspekte journalistischer Berichterstattung die wichtige gesellschaftliche Rolle von Journalismus (besonders) in Krisenzeiten unterstreichen. Journalismus ist und bleibt unverzichtbar – auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Das sollte auch in den kommenden Monaten und Jahren nicht untergehen, wo dessen ökonomische Existenz wohl noch deutlicher bedroht ist als bereits bisher.
Im Licht dieser Analyse gilt das besonders für die Rolle als Watchdog, wie sie die Basis für kritischen und investigativen Journalismus bildet. Wenn die akute Krisensituation vorbei ist und/oder die Zufriedenheit mit der Bundesregierung sinken sollte, werden wohl auch in der Bevölkerung die Stimmen nach einem kritischen Journalismus wieder lauter. Als Gesellschaft sind wir dabei gut beraten, auch in Zeiten hoher Regierungszufriedenheit darauf zu achten, dass aus dem Wachhund zwischenzeitlich nicht schon ein Schoßhund wurde.
Jakob-Moritz Eberl ist seit April 2017 Projektmitarbeiter (Post-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und seit 2013 Mitglied der österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES, Media Side). Er ist außerdem assoziierter Wissenschafter im Vienna Center for Electoral Research (VieCER) und beschäftigt sich unter anderem mit Fragen zu Medienwirkung, Medienvertrauen und Wahlverhalten.
Andreas Riedl ist Junior Scientist am Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung (CMC) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien und der Universität Klagenfurt und dort Teil der Arbeitsgruppe "Media, Politics & Democracy". Er beschäftigt sich mit Medienqualität, journalistischen Selbstverständnissen und Mediatisierung.
Noelle S. Lebernegg ist Universitätsassistentin (Prae-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie assoziierte Wissenschafterin im Vienna Center For Electoral Research (VieCER). Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen politischer Kommunikation und Medien auf die öffentliche Meinung und Wahlverhalten.
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