Corona-Dynamiken - 11.05.2021 - PDF

Die Bereitschaft, sein Leben weiter der Pandemie anzupassen, schwindet

Von Julian Aichholzer

Die Bedrohung einer Pandemie, wie jene durch COVID-19, erfordert unter anderem, dass die Bürger*innen einer Gesellschaft ihr Alltagsverhalten anpassen. Dazu zählt die Bereitschaft, die vielfach zitierten Verhaltensregeln mitzutragen, wie z.B. besondere Hygienemaßnahmen und physische Abstandsregeln einzuhalten.

Den Befragten des Austrian Corona Panel Project wurde seit Beginn der Coronakrise (Start: März 2020) folgende Aussage vorgelegt, um deren Bereitschaft zur Verhaltensänderung in Bezug auf Eindämmungsmaßnahmen zu messen: „Um die Corona-Krise einzudämmen, bin ich bereit, meine Lebensweise zu ändern.“ Dieser Indikator zeigt laut früheren Beiträgen bspw. auch Zusammenhänge mit geäußerter Solidarität gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen.

Abbildung 1. Aussage „Um die Corona-Krise einzudämmen, bin ich bereit, meine Lebensweise zu ändern/sind die meisten in meinem persönlichen Umfeld bereit, ihre Lebensweise zu ändern.“ Antworten: „trifft voll und ganz/eher zu“ in % [Quelle: ACPP Wellen 1-22, März 2020-April 2021, demografisch gewichtet; Corona-Daten: AGES].

Wie Abbildung 1 zeigt, hat besonders nach den ersten zwei Monaten der Pandemie die Bereitschaft, individuell zu Eindämmungsmaßnahmen beizutragen, deutlich abgenommen. Danach war diese relativ stabil (z.B. 75% Ende März 2020, 48% Mitte Mai 2020, 42% im April 2021). Lediglich Mitte November 2020, mit einem Spitzenwert an COVID-19-Neuinfektionen, gab es wieder einen erneuten Anstieg in der Bereitschaft, sein Verhalten den Umständen entsprechend anzupassen (52% Zustimmung).

Offenbar sank die Bereitschaft seit Mitte Februar 2021 hingegen weiter ab (von 48% auf 42%), obwohl diese Phase bereits die dritte Corona-Infektionswelle markierte. Anders ausgedrückt, laufen hier jüngst die COVID-19-Fallzahlen und individuelle Bereitschaft tendenziell auseinander.

In späteren Befragungen wurde auch nach der Einschätzung des Verhaltens Anderer gebeten („Um die Corona-Krise einzudämmen, sind die meisten in meinem persönlichen Umfeld bereit, ihre Lebensweise zu ändern“; siehe Abbildung 1). Dieser Anteil fällt durchgehend etwas geringer aus, das heißt, die Befragten schätzen die Bereitschaft zur Verhaltensänderung bei anderen als etwas niedriger ein als bei sich selbst („Optimismus-Bias“). Auch hier war zuletzt die wahrgenommene Bereitschaft in den letzten drei Monate leicht sinkend (von 36% auf 32%).

Fazit

Weniger als die Hälfte der ACPP-Befragten ist aktuell noch bereit, ihre Lebensweise weiter der Pandemie anzupassen. Auch andere Indikatoren deuten auf eine gewisse „Müdigkeit“ dahingehend hin, dass die Normkonformität geringer eingeschätzt wird und ein steigender Anteil der Befragten die Maßnahmen als immer weniger effektiv erachtet. Allerdings könnte man die Ergebnisse der vorliegenden Analyse auch so deuten, dass eine gewisse Sättigung erreicht wurde. Viele werden nicht an ihre Lebensweise vor der Pandemie, sondern vermutlich an eine kürzere Zeitspanne denken. Wer sein Verhalten bereits seit über einem Jahr stark verändern musste, wird kaum mehr bereit, sich weiter einzuschränken.


Julian Aichholzer ist Universitätsassistent (Post-Doc) am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien und im Austrian Corona Panel Project, der Austrian National Election Study sowie dem Forschungsverbund Interdisziplinäre Werteforschung assoziert.