30.10.2020 - PDF

Grundeinkommen gewinnt in Österreich an Zustimmung

  • Die Zustimmung zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) hat sich in Österreich seit Ende April um fast sieben Prozentpunkte erhöht. Jede/r Vierte, die oder der noch im April dagegen war, befürwortet nun das BGE.
  • Die neuen Befürworter*innen (d.h. jene, die im April noch dagegen waren) gehören überwiegend keiner sozial prekären Gruppe an. Unter ihnen sind besonders viele Menschen, die in der öffentlichen Verwaltung, im verarbeitenden Gewerbe und im Gesundheits- und Sozialbereich tätig sind. 
  • Neue Befürworter*innen sind zudem überwiegend in Österreich und in den 1960er- und 1970er-Jahren geboren (“Generation X”), haben wenig Änderungen im Beruf durch Corona erlebt bzw. kommen mit der finanziellen Situation im Haushalt aktuell laut eigener Aussage gut zurecht.
  • Diese Daten lassen uns vermuten, dass die betreffenden Personen ihre Meinung zum BGE nicht primär deshalb geändert haben, weil sie sich davon eine Verbesserung ihrer eigenen momentanen Lage erhoffen, sondern weil sich ihre Meinung zum Thema generell verändert hat.

Von Lukas Schlögl und Barbara Prainsack

Im April 2020, also zum ersten Höhepunkt der Corona-Krise, befragte das Austrian Corona Panel Projekt (ACPP) in einer repräsentativen Umfrage die österreichische Bevölkerung (ab 14 Jahren) zum Thema BGE. Angelehnt an eine Fragestellung des European Social Survey (ESS) im Jahr 2016 wurde der Begriff des BGE als Transfer definiert, der aus Steuern finanziert wird, der die grundlegenden Lebenshaltungskosten deckt, der viele andere Sozialleistungen ersetzt und der jeder Person in gleicher Höhe zusteht, egal ob sie arbeitet oder nicht. Wie in einem früheren Blogbeitrag dargestellt, waren Ende April 2020, als die Zustimmung zum BGE im ACPP erstmals abgefragt wurde, kaum Veränderung gegenüber 2016 zu verzeichnen. Zustimmung und Ablehnung des BGE hielten sich Ende April, mitten im Corona-Lockdown, wie bereits 2016, mit jeweils etwa 40% Zustimmung und Ablehnung ziemlich die Waage.

Dreieinhalb Monate später stellten wir die Frage im ACPP noch einmal. Was hat sich seither getan? Im Vergleich zum März hat sich die Zustimmung um rund 7% Prozentpunkte erhöht und die Ablehnung um einen ähnlichen Wert reduziert (siehe Abbildung 1). Das BGE ist also populärer geworden. Der Unterschied zwischen den Zustimmungs-Mittelwerten im März und im August ist statistisch signifikant (p<0.01) und daher mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Produkt zufälliger Schwankungen. Das Antwortverhalten hat sich konsistent verschoben: Beide zustimmenden Optionen (“dafür” und sehr dafür”) wurden häufiger gewählt, beide ablehnenden Antworten (“dagegen” und “sehr dagegen”) weniger häufig. Die Zahl derer, die “Weiß nicht” angaben oder die Frage unbeantwortet ließen, ist geringfügig kleiner geworden.

Daten: ACPP, N~1,500; demografisch und politisch repräsentativ gewichtet

Angesichts des kurzen Zeitraums von dreieinhalb Monaten seit unserer letzten Erhebung ist die Verschiebung der Meinungslandschaft in Bezug auf das BGE von einer beachtlichen Größenordnung. Waren im März noch knapp weniger Befragte für als gegen ein Grundeinkommen, spricht sich nun - Enthaltungen und “Weiß nicht” nicht eingerechnet - eine Mehrheit von 56,3% für das BGE aus. Worauf könnte dessen wachsende Popularität zurückzuführen sein?

Ganz grundsätzlich könnten wir zwei (einander nicht ausschließende) Hypothesen aufstellen: Der Meinungsumschwung könnte Resultat (i) eines längerfristigen strukturellen Trends oder (ii) der aktuellen Krise sein. Gegen erstere These spricht sowohl unser früherer Vergleich mit dem ESS 2016 als auch die Größenordnung des Umschwungs, denn ein Anstieg der Zustimmung zum BGE um rund 2 Prozentpunkte pro Monat ist mit demografischem oder Wertewandel als alleiniger Ursache nicht erklärbar. Strukturtrends könnten allerdings dennoch eine Rolle spielen, indem Sie zum Beispiel den Meinungsumschwung in der Krise verstärkten indem sie gewisse Gruppen empfänglich für einen Meinungsumschwung machten.

Was Corona-bezogene Ursachen betrifft, bieten sich besonders solche Hypothesen an, die mit der aktuellen gesundheitlichen Bedrohungslage, den wirtschaftlichen Risiken, der schwierigen Arbeitsmarktsituation, oder mit besonderer gesellschaftlicher Solidarität in der Krise zu tun haben. Vieles hat sich seit April verändert: etwa ist, wie kürzlich hier berichtet, die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr der Normalität sukzessive geschwunden. Der Kultur- und Tourismussektor sind weiterhin stark beeinträchtigt. Aspekte wie diese könnten Menschen dazu veranlasst haben, ein BGE als bedingungslose Grundsicherung für alle Menschen in einem anderen Licht zu sehen. Freischaffende Künstler*innen können seit Juli im Rahmen einer Überbrückungshilfe eine Art Grundeinkommen für ein halbes Jahr beantragen; auch wenn es sich dabei nicht um ein universelles Grundeinkommen handelt, das jeder Mensch unabhängig von Beruf, Alter, oder Erwerbsstatus bekommt, so könnten diese Entwicklungen durchaus auch einen Effekt auf die Meinungsbildung in der weiteren Bevölkerung gehabt haben. Der unbürokratische und bedingungslose Charakter eines BGE zählt zu den Hauptargumenten von dessen Fürsprechern, wie ein neues Buch zu diesem Thema nahelegt, das eine der Autor*innen dieses Blogbeitrags verfasst hat. Solche Argumente erscheinen womöglich in der Krise überzeugender als zuvor.

Das Design des ACPP gibt uns die Möglichkeit, das Antwortverhalten von Personen über die Zeit zu beobachten. 1.011 Befragte nahmen sowohl an der Befragung Ende April als auch an jener Mitte August teil (das “Panel”). Berücksichtigen wir ausschließlich die Anworten dieses Panels, dann ergibt sich, was die Gesamtsicht betrifft, ein ähnliches Muster wie zuvor in Abbildung 1 dargestellt. Abbildung 2 zeigt, wie sich das Antwortverhalten im Panel über die Zeit änderte. Die Zeilen geben die Antworten im April wieder, die Spalten jene im August.

Daten: ACPP, N=1.011, nur Teilnehmer*innen der Wellen 5 und 14

Aus dieser Betrachtung ergibt sich folgendes: Erstens deckte sich nur bei der Hälfte des Panels die Antwort der beiden Befragungszeitpunkte, was für sich genommen interessant ist (Korrelation der numerischen Items: 0.64). Es gibt also ein hohes Maß an Fluktuation. Zweitens: Von jenen, die Ende April dagegen oder sehr dagegen waren, erklärte Mitte August ein knappes Viertel, nun dafür oder sehr dafür zu sein. Nennen wir diese Gruppe die “Neu-Befürworter” des BGE. Umgekehrt änderte nur etwa ein Achtel der Befragten ihre Meinung von (sehr) dafür auf (sehr) dagegen. Drittens: Auch bei jenen, die im April “Weiß nicht” angaben, gab es Änderungen, jedoch verteilten sich diese zu etwa gleichen Teilen auf Dafür, Dagegen und Weiß nicht. In Summe geht der Zuwachs bei der Zustimmung in erster Linie auf jene zurück, die im April noch dagegen waren - besonders jene, die zwar dagegen, aber nicht “sehr” dagegen waren.

Die Diagramme in Abbildung 3 zeigen ausgewählte Eigenschaften jenes gerade erwähnten Viertels ehemaliger Gegner, die das BGE nun neu befürworten (“Neubefürworter*innen”) im Vergleich mit jenen drei Vierteln, die die ablehnende Haltung zum BGE im August beibehalten haben (“konstante Gegner*innen”). Vorweg ist festzuhalten, dass die folgenden Schätzungen mit höherer statistischer Unsicherheit behaftet sind, da die beiden genannten Gruppen zusammengenommen nur 400 Personen umfassen. In Summe ergibt sich ein Bild, nach dem die Neubefürworter*innen überwiegend keinen sozial prekären Gruppen angehören. Sie sind besonders in der öffentlichen Verwaltung, im verarbeitenden Gewerbe und im Gesundheits- und Sozialbereich tätig; überwiegend in Österreich in den 1960er- und 1970er-Jahren geboren (“Generation X”); haben überwiegend einen Lehr- oder Berufsschulabschluss; und haben - Stand: Mitte August - überwiegend keine Änderung im Beruf durch Corona (mehr) bzw. kommen mit der finanziellen Situation im Haushalt aktuell laut eigener Aussage gut zurecht. Dies lässt vermuten, dass diese Menschen nicht primär deshalb jetzt ein BGE befürworten, weil sie sich davon eine Verbesserung ihrer momentanen Lage erhoffen.

Sektor der Beschäftigung

Beschäftigungsstatus Februar 2020

Bildungsstand

Migrationshintergrund

Bildungsstand

Änderung beruf. Situation (Mitte August)

Alter

Finanzielles Auskommen (Mitte August)

Wahlverhalten NRW 2019

“Die meisten sind sich einig, dass Zusammenhalt in der aktuellen Krisensituation wichtig ist.”

Abbildung 3. Eigenschaften der Neubefürworter*innen (NB) und der konstanten Gegner*innen (KG) des BGE, Daten: ACPP, N=400 (105 Neubefürworter*innen, 295 Konstante Gegner*innen)

Obwohl die Neubefürworter*innen viele Ähnlichkeiten mit den konstanten Gegner*innen des BGE aufweisen, gibt es einige interessanter Unterschiede. Die Neubefürworter*innen sind häufiger als die Konstanten Gegner*innen in den Bereichen öffentliche Verwaltung und IT/Kommunikation tätig, und weniger häufig im Handel als diejenigen, die das BGE weiterhin ablehnen. Die Neubefürworter*innen sind zudem jünger und daher auch weniger häufig Pensionsbezieher*innen als die konstanten Gegner*innen. Und die Neubefürworter*innen geben ein bisschen häufiger an, mit der finanziellen Situation im Haushalt nur “teils-teils” zurechtzukommen als die konstanten Gegner*innen. Die politische Einstellungen der Neubefürworter*innen und konstanten Gegner*innen unterscheiden sich wenig. Zwar sind die Neubefürworter*innen geringfügig mehr dem Lager der SPÖ und den Grünen zuzuordnen - zu etwa einem Drittel geben sie aber ebenso wie die konstanten Gegner*innen an, bei den Nationalratswahlen 2019 die ÖVP gewählt zu haben. (Allerdings ist das Wahlverhalten jener, die das BGE zu beiden Zeitpunkten durchgehend befürwortet haben, politisch deutlich weiter links einzuordnen als bei den Neubefürworter*innen.) Die Neubefürworter*innen sind zu guter Letzt auch etwas optimistischer, was die Wahrnehmung des aktuellen gesellschaftlichen Zusammenhalts betrifft.

Fassen wir zusammen: Die Zustimmung zum BGE hat sich in Österreich seit Ende April um fast sieben Prozentpunkte erhöht. Diese Erhöhung ist darauf zurückzuführen, dass jede/r vierte Befragte, die bzw. der noch im April dagegen war, nun für ein BGE ist. Die neuen Befürworter*innen gehören überwiegend keiner sozial prekären Gruppe an. Es sind Personen mit berufsnaher Ausbildung; in einem Drittel der Fälle Personen, die bei den Nationalratswahlen 2019 die ÖVP wählten; und es sind oft Menschen, die in der öffentlichen Verwaltung, im verarbeitenden Gewerbe und im Gesundheits- und Sozialbereich tätig sind.

Das Problem der steigenden Arbeitslosigkeit beschäftigt alle Teile und Lager in unserer Gesellschaft. Die Lösungsansätze variieren: Auch Job-Garantien für Langzeitarbeitslose, oder sogar für alle Menschen im Land, sind Ansätze die derzeit diskutiert werden. Erst die Zukunft wird zeigen, ob die derzeit wachsende Unterstützung zum BGE von Dauer ist oder ob es sich dabei um ein vorübergehendes Krisenphänomen handelt.


Lukas Schlögl ist Post-Doc Universitätsassistent für Vergleichende Politikfeldanalyse am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Themen der Technologie-, Industrie- und Arbeitspolitik.

Barbara Prainsack ist Professorin für Vergleichende Politikfeldanalyse und Leiterin der Forschungsgruppe Zeitgenössische Solidaritätsstudien (CeSCoS) am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.