10.07.2020

Pflege in Österreich in Zeiten von Corona: Veränderungen, Probleme und ihre Auswirkungen

  • Etwa 13% der im Corona-Panel befragten Personen haben pflegebedürftige Angehörige. Davon haben etwa ein Drittel eine 24h Pflege, ein Drittel eine Teilzeitkraft und ein weiteres Drittel leistet die Pflege selbst – oder die Partner*innen übernehmen diese Aufgabe.
  • Es zeigt sich dabei, dass die Pflege von Angehörigen wohl häufiger von Frauen als von Männern übernommen wird.
  • Etwa 40% der Befragten mit pflegebedürftigen Angehörigen haben während der Pandemie kleinere oder größere Veränderungen in der Organisation der Pflege erlebt. Bei etwa 18% mussten Angehörige in der Pflege einspringen oder mithelfen.
  • Die Probleme mit der Pflege waren nicht nur auf die Zeit des Lockdown beschränkt: Ende Juni hatten etwa gleich viele Personen Probleme bei der Pflege wie Ende April.
  • Personen, die angeben, sehr stark von Problemen bei der Pflege betroffen zu sein, sind mit ihrem Leben deutlich weniger zufrieden als jene, die keine Probleme in der Pflege haben.
  • Der Blick in die Zukunft ist mittlerweile polarisierter: Einige schätzen Ende Juni ihre Chancen, die Pflege aufrecht erhalten zu können, höher ein als Ende April. Gleichzeitig steigt aber auch der Anteil derjenigen, die diese Chancen für gering halten.

Von Fabian Kalleitner

Pflegebedürftige Personen sind meist älter und haben oftmals zahlreiche Vorerkrankungen. Aus diesen Gründen gehören beinahe alle pflegebedürftigen Personen zu jener Gruppe, bei der eine Covid-19 Erkrankung einen schweren Verlauf nehmen kann. Aber nicht nur aufgrund der unmittelbaren gesundheitlichen Gefahren war und ist die Pandemie eine besonders schwierige Zeit für die Pflege. Durch die starke Abhängigkeit von ausländischen Pflegekräften und deren zwischendurch schwierigen bis unmöglichen Einreise kam es zu Problemen im Austausch von Pflegekräften oder bei der Suche nach neuen Pfleger*innen. Dies führte kurzfristig zu einem starken Medienecho - insbesondere in Zusammenhang mit einem Zug rumänischer Pflegekräfte - das aber bald wieder verhallte. In diesem Blog werfen wir einen Blick auf die Personen im Austrian Corona Panel, welche pflegebedürftige Angehörige haben, und befassen uns mit folgenden Fragen: Wie wird die Pflege organisiert und aufgeteilt? Sind Probleme bei der Pflege mittlerweile gelöst oder haben Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen weiterhin Schwierigkeiten dabei, die Pflege zu organisieren? Welche Auswirkungen hat dies auf die Lebenszufriedenheit? Wie schätzen die Befragten ihre Chancen ein, die Pflege in Zukunft aufrechterhalten zu können?

Wer hat pflegebedürftige Angehörige und wie wird die Pflege organisiert?

Pflegefragen wurden zu drei Zeitpunkten im Corona-Panel integriert: Ein kürzeres Modul in Welle 2 (3. April 2020 – 8. April 2020), längere Module in Welle 5 (24. April 2020 – 29. April 2020) und Welle 12 (26. Juni 2020 – 1. Juli 2020). Damit kann in groben Zügen nachgezeichnet werden, wie es mit der Aufrechterhaltung der Pflege in der Hochphase von Corona aussah und wie sie aktuell organisiert wird. In unserer Stichprobe haben je nach Welle etwa 13%–14% der Befragten pflegebedürftige Angehörige (siehe die ACPP-Fragebögen für die genauen Fragestellungen). Das entspricht in etwa 200 Befragten pro Welle. Damit werden deskriptive Aussagen möglich, aber die Stichprobe ist teilweise zu klein, um klare Aussagen über Trends zu tätigen.

Blicken wir auf Abbildung 1, ist erkennbar, dass bei etwa einem Drittel der Personen mit pflegebedürftigen Angehörigen eine 24h Kraft die Pflege übernimmt. Auch Teilzeitkräfte werden bei etwa einem Drittel der Befragten eingesetzt. Das übrige Drittel übernimmt selbst die Pflege – oder sie wird von der Partnerin (oder dem Partner) geleistet. Bezüglich der Aufteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern zeigt sich, dass zwar etwa gleich viele Frauen (26%) wie Männer (22%) angeben, selbst pflegend tätig zu sein, aber deutliche Geschlechterunterschiede bei der Frage existieren, ob der bzw. die Partner*in pflegt. Hier haben im Schnitt 14% der männlichen Befragten angegeben, dass ihre Partner*in pflegt, während dies nur 4% der weiblichen Befragten taten (siehe auch Abbildung 1 im Appendix).  Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass Männer und Frauen ihre Leistungen unterschiedliche einschätzen. Die Fachliteratur hat aufgezeigt, dass insbesondre Männer dazu neigen, in Fragebögen das Ausmaß ihrer unbezahlten Arbeit (wie Kinderbetreuung oder Haushaltstätigkeiten) zu überschätzen. Es bräuchte aber weitere Untersuchungen, um klären zu können, ob dies auch hier der Fall ist. Es zeigt sich hier aber einmal mehr, dass die unbezahlte oder kaum vergütete Tätigkeit der Pflege von Angehörigen wohl in erster Linie von Frauen erledigt wird [siehe Blog #57].

Auch Unterschiede zwischen den Wellen werden in Abbildung 1 sichtbar, diese befinden sich aber noch innerhalb der statistischen Schwankungsbreite. Deshalb kann nicht genau gesagt werden, ob die 24h Pflege abgenommen hat, wie es in Abbildung 1 im Vergleich zur Eigenpflege den Anschein hat. Ein besseres Bild über die Veränderungen bietet Abbildung 2. Hier wurden die Personen mit pflegebedürftigen Angehörigen direkt danach gefragt, ob, und wenn ja, welche Veränderungen sie seit Beginn der Corona-Krise in der Pflege erlebt haben. Hier zeigt sich, dass nur ein relativ kleiner Anteil selbstständig eine neue Pflegekraft suchen musste. Zusätzlich zu dem häufiger vorkommenden Pflegekräfteaustausch, der von den Agenturen organisiert wurde, ergibt sich aber in Welle 12, dass bereits etwa 20% der Pflegebedürftigen in unserer Stichprobe eine neue Pflegekraft bekamen. Etwa gleich hoch war der Anteil der Angehörigen, die einspringen oder mithelfen mussten. Inklusive anderen Veränderungen hatten also etwa 40% der Befragten kleinere oder größere Veränderungen in diesem relativ kurzen Zeitraum erlebt, wobei der Großteil der Änderungen in der ersten Hälfte des Lockdown stattfand (bis Welle 5), während sich danach (bis Welle 12) nur mehr wenig änderte.

Abbildung 1: Pflegeart (n: Welle 2 = 201, Welle 5 = 213, Welle 12 = 201)

Abbildung 2: Veränderung in

der Pflege seit Beginn der Corona-Krise (n: Welle 5 = 208, Welle 12 = 201)

Probleme die weiterhin bestehen und ihre Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit

Wie wurden diese Veränderungen aufgenommen und konnten diese Änderungen die Probleme in der Pflege lösen? Abbildung 3 macht deutlich, dass die Krise im Pflegebereich noch keineswegs vorüber ist. In Welle 12 (Ende Juni) geben sogar mehr Befragte an, dass sie Probleme mit der Pflege haben als es in Welle 5 (Ende April) der Fall war. Zwar sind diese Unterschiede wiederum nicht statistisch signifikant, aber es kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass die Probleme in der Pflege mittlerweile geringer geworden sind. Dass dies auch Auswirkungen auf andere Lebensbereiche hat, wird deutlich, wenn man sich zusätzlich die Lebenszufriedenheit ansieht. So haben Personen, für die die Pflege ein Problem darstellt („trifft voll und ganz zu“), eine durchschnittliche Lebenszufriedenheit von 5,7 auf der 10-stufigen Skala, während bei Personen, die keine Probleme berichteten („trifft gar nicht zu“), die Lebenszufriedenheit im Durchschnitt klar höher bei 7,3 liegt (pooled t-test: n=146, t=-3.226, df=58, p<0.01). Eine problematische Pflegesituation belastet demnach nicht „nur“ Personen in Pflege, sondern auch pflegende und die Pflege organisierende Angehörige.

Ein gespaltenes Bild zeigt sich beim Blick in die Zukunft. Bei der Frage, wie die Befragten die Chancen einschätzen, die Pflege aufrecht erhalten zu können, scheint sich eine Polarisierung abzuzeichnen. Während mittlerweile mehr Personen angeben, dass sie die Chancen hoch oder eher hoch einschätzen (64,7%) so steigt auch der Anteil derjenigen, die diese für eher gering oder sehr gering halten (13,9%).

Abbildung 3: Zustimmung zur Aussage die

Pflege stellt ein Problem dar (n: Welle 5 = 208, Welle 12 = 201)

 

Abbildung 4: Subjektiv eingeschätzte Chancen die Pflege aufrechterhalten zu können (n: Welle 5 = 207, Welle 12 = 189)

Der Blog thematisierte, wie die Pflege für die Befragten in der Hochphase von Corona aufrechterhalten wurde und wie sich die Lage aktuell, wo es im Zuge der Grenzöffnungen und des verstärkten Fokus auf wirtschaftliche Probleme in den Medien wieder still um das Thema wird, darstellt. Die Ergebnisse weisen dabei darauf hin, dass die Krise in der Pflege keineswegs vorüber ist und weiterhin Probleme bestehen. Letztendlich bräuchte es aber eine fokussierte Untersuchung mit einer größeren spezifisch ausgewählten Stichprobe und detaillierteren Fragen, um stärker auf Details eingehen zu können. Dabei sollte klar sein, dass eine schlecht funktionierende Pflege nicht nur die Würde und das Wohlergehen der pflegebedürftigen Person bedroht, sondern auch die Pfleger*innen und die Angehörigen oft stark belastet. Eine schlecht funktionierende Pflege ist demnach kein Rand- oder Minderheitenphänomen, sondern betrifft breite Schichten der Bevölkerung, die mitunter stark unter den Belastungen leiden. Dies traf bereits vor Corona zu, wurde aber im Zuge der Pandemie noch einmal deutlicher. Deshalb braucht es auch in Zukunft stärkere Anstrengungen, um die Pflege zu verbessern und deren Organisation zu erleichtern.


Fabian Kalleitner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Aktuell forscht er zu Themen wie Steuerpräferenzen, Steuerwissen, Wahrnehmungsmechanismen und Arbeitswerte.


Appendix

Abbildung A1: Pflegeart nach Geschlecht der Befragten (n: Welle 2 = 201, Welle 5 = 213, Welle 12 = 201)