03.07.2020

Corona, Umwelt, Klima & Nachhaltigkeit

  • Je höher das Einkommen, desto weniger klimafreundlich sind Menschen in Österreich tendenziell eingestellt
  • Je größer der Einkommensverlust durch die Krise, desto weniger klimafreundlich sind die Österreicher*innen eingestellt
  • Je besser das subjektive finanzielle Auskommen, desto klimafreundlicher sind die Menschen
  • Menschen mit höherer Bildung sind im Schnitt klimafreundlicher und nachhaltiger eingestellt
  • Für Menschen in Kurzarbeit gilt: Je länger die Kurzarbeit andauert, desto weniger klimafreundlich und nachhaltig sind sie eingestellt.
Von Thomas Resch, Marvin Waibel und Bernhard Kittel

Bis zum 29. Juni 2020 lag das Klimavolksbegehren in Österreich zur Unterschrift auf, das von insgesamt 380.590 Menschen – rund 6% der Stimmberechtigten – unterschrieben wurde.[1] In dem Volksbegehren wird gefordert, Klimaschutz politisch verbindlicher zu machen, indem er in Gesetzen und auch in der Bundesverfassung verankert wird, und ihn auch in konkreten Maßnahmen wie einer ökosozialen Steuerreform umzusetzen.[2]

Nicht zuletzt zeigen Initiativen wie das Klimavolksbegehren, dass die Bedeutung des Klimawandels in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Immer lauter wurden die öffentlichen Forderungen nach politischen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels. Der Ausbruch des Corona-Virus lenkte dann, gerade zu Beginn, nahezu die gesamte mediale Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen und den Umgang mit COVID-19, während klimapolitische Diskurse in dieser neuen Realität in den Hintergrund rückten. Doch auch während der Corona-Krise gab es vereinzelte Wortmeldungen, dass die Krise auch als Chance gesehen werden sollte, die Umwelt stärker zu entlasten. In der ersten Welle (27-30 März) unserer Panelbefragung[3] stimmten fast 75% der Aussage zu, dass die Corona-Krise eine Chance für die Umwelt und das Klima biete.

Die Corona-Krise hat auch in Österreich viele Menschen wirtschaftlich schwer getroffen. Die Regierung beschloss Notfallpakete und andere Unterstützungsmaßnahmen sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen. Einige Politiker*innen forderten, dass die finanziellen Hilfeleistungen für Unternehmen mit Klimaauflagen verbunden werden sollten.

Dies wirft die Frage auf, wie wichtig der Bevölkerung der Klimawandel ist, insbesondere vor dem Hintergrund neu entstandener Existenzängste. Bereits vor der Krise mahnten kritische Stimmen, dass sich in diesen Zeiten nur finanziell privilegierte Menschen Sorgen um das Klima leisten können. In diesem Blog soll nun der Frage nachgegangen werden, welchen Einfluss die persönliche ökonomische Betroffenheit durch die Corona-Krise auf das Umwelt- und Klimabewusstsein hat. Wie wichtig ist der Schutz des Klimas und der Umwelt, und wie bedeutend ist Nachhaltigkeit für die Österreicher*innen in der COVID-19 Pandemie?

Zur Messung des Umweltbewusstseins wurden entsprechende Variablen aus dem Corona-Panel zu Indizes zusammengeführt und der Zusammenhang mit Variablen errechnet, welche die individuelle ökonomische Situation erfassen. Die genaue Formulierung der den Variablen zugrundeliegenden Fragen ist im technischen Anhang am Ende dieses Textes wiedergegeben.

Corona als Chance für Umwelt und Klima

In der Panelstudie wird in jeder Welle abgefragt, ob die Studienteilnehmer*innen die Corona-Krise als Chance für Umwelt und Klima (Skala: 1-5) begreifen. Wie sich zeigt (Abb. 1), nahm während der Pandemie die Sichtweise, die Krise als Chance zu verstehen, kontinuierlich ab.

Abbildung 1: Gewichtete Mittelwerte der Antworten, ob die Corona-Krise eine Chance für Umwelt und Klima biete, Verlauf (Welle 1-10, N=251)

Klimafreundlichkeit, Klimamaßnahmen & Nachhaltigkeit

Die Abbildungen 2-4 visualisieren die jeweilige Verteilung von Einstellungen zu Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit. Diese insgesamt 13 Items bilden die drei Indizes, wobei Klimafreundlichkeit aus sechs (Abb. 2), Klimamaßnahmen aus fünf (Abb. 3) und Nachhaltigkeit aus zwei skalierten Items (Abb. 4) besteht.

Abbildung 2: Items zu Klimafreundlichkeit/Skepsis (N=1251 bis 1236)

Abbildung 3: Items zu Klimamaßnahmen (N=1254)

Abbildung 4: Items zu Nachhaltigkeit (N=1254)

Was haben unsere Daten gezeigt? Klimafreundlichkeit und hohe Bewertung von Nachhaltigkeit folgen etwa einer Glockenkurve, sind also annähernd normalverteilt (Abb. 5 und 6). Die Einstellungen zu Klimamaßnahmen sind hingegen deutlich linksschief (Abb. 7). Das lässt darauf schließen, dass die Anzahl klimafreundlicher und klimaskeptischer Personen in Österreich annähernd gleich verteilt ist und auch die Meinungen zum Thema der Nachhaltigkeit sehr unterschiedlich ausfallen. Staatlichen Klimamaßnahmen werden hingegen von einem Großteil der Österreicher*innen positiv gesehen.

Daraus schließen wir, dass die Befragten zwar (in beschränktem Ausmaß) bereit sind, dem Klimawandel durch Änderungen ihres persönlichen Lebensstils entgegenzuwirken, es aber vorziehen, wenn der österreichische Staat Maßnahmen setzt und Anreize schafft. Um dies zu überprüfen visualisieren wir die Variable “Klimaschutz: Eigenverantwortung vs. Gesetze” (Abb. 8). Man sieht, dass die Verteilung klar linksschief ist, was bedeutet, dass sich mehr Österreicher*innen für staatliche Maßnahmen und Gesetze aussprechen als für individuellen Klimaschutz seitens der Bürger*innen und der einzelner Unternehmen.

Hypothese: Mehr Ökonomie, weniger Klima

Analysen des European Social Survey (ESS) aus dem Jahr 2016 zeigen etwa, dass Klimawandel im direkten Wettbewerb mit anderen Themen in der öffentlichen Debatte und mit Alltagssorgen steht. Eines dieser Themen ist die wirtschaftliche Lage.[4]

Es ist zu erwarten, dass für Menschen, die von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, oder anderen Einkommenseinbußen betroffen sind, Anliegen wie Umweltschutz, nachhaltiges Wirtschaften und die Eindämmung des Klimawandels weniger wichtig sind, weil die eigene und familiäre ökonomische Situation stärker in den Fokus rückt. Unsere Hypothese lautet daher:

Je größer die wirtschaftliche Betroffenheit einer Person durch die Corona-Krise, desto weniger Bedeutung kommt Themen wie Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit zu. In anderen Worten: Wir vermuten einen Zielkonflikt zwischen persönlicher wirtschaftlicher Situation einerseits und Klima- und Umweltschutz andererseits.

Abbildung 5: Verteilung der Klimafreundlichkeit (N=1213)

Abbildung 6: Verteilung der Einstellungen zu Nachhaltigkeit (N=1254)

Abbildung 7: Verteilung der Einstellungen zu Klimamaßnahmen (N=1254)

Abbildung 8: Klimaschutz: Eigenverantwortung vs. Gesetze (N=1254)

Wirtschaftliche Betroffenheit und Umwelteinstellungen

Die individuellen wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise lassen sich an einigen Merkmalen festmachen. Wir sehen uns zunächst die Entwicklung des Haushaltseinkommens von Februar 2020 bis zum Zeitraum der neunten Welle (23. bis 27. Mai 2020) des Austrian Corona Panel Projects, in dem das Modul zu Umwelteinstellungen enthalten war, an. Als zweiten wirtschaftlichen Indikator verwenden wir das subjektive finanzielle Auskommen. Drittens wird die Auswirkung der persönlichen Einschätzung der wirtschaftlichen Gefahr untersucht. Viertens sehen wir uns die Auswirkung der Dauer der Kurzarbeit über den Zeitraum des Panels bis Ende Mai an. Der Effekt dieser erklärenden Variablen wird unter Kontrolle der Berufstätigkeit/Arbeitslosigkeit und des höchsten erreichten Bildungsabschlusses analysiert.

Abbildung 9: Verhältnis Einkommensveränderung und Klimafreundlichkeit (N=1110)

Die Ergebnisse zeigen, dass höhere Einkommenseinbußen mit geringerer Klimafreundlichkeit einhergehen. Arbeitslosigkeit und die persönlich empfundene wirtschaftliche Gefahr haben im Gegensatz dazu keinen signifikanten Effekt auf die Klimafreundlichkeit beziehungsweise Klimaschutz-Skepsis. Je höher das subjektive finanzielle Auskommen, desto klimafreundlicher sind die Menschen.

In Bezug auf die Einstellungen zu den Klimamaßnahmen und zur Nachhaltigkeit weist die Dauer der Kurzarbeit signifikante Effekte auf, während Einkommensveränderungen keinen solchen Effekt haben. Das könnte daran liegen, dass Menschen, die mehr Zeit für sich haben, mehr gegenüber den eigenen wirtschaftlichen Problemen sensibilisiert sind.

Um dies zu überprüfen wurden lineare Regressionsmodelle mit der Differenz der Wochenarbeitsstunden zwischen Februar 2020 und Welle 9 als unabhängiger Variable berechnet.

Abbildungen 11-13: Bildung, Klima & Nachhaltigkeit (N=1254 bis 1213)

Fazit

Die Daten zeigen also tatsächlich einen Zielkonflikt zwischen der Verbesserung der individuellen wirtschaftlichen Situation der Menschen einerseits und der Bedeutung von Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit andererseits. Einkommenseinbußen und Kurzarbeit sind mit weniger klimafreundlichen Einstellungen korreliert. In der Krise gilt aber ebenso wie in normalen Zeiten, dass mit zunehmendem Bildungsniveau Klimafreundlichkeit, Einstellungen zu Klimamaßnahmen und Nachhaltigkeitsgedanken ansteigen.

Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Menschen in Österreich stark darin unterscheiden, inwieweit sie ihr Verhalten ändern möchten, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Die Einstellung der Menschen hängt dabei auch von der persönlichen wirtschaftlichen Betroffenheit durch die Corona-Krise ab. Allerdings zeigt sich auch, dass die meisten Menschen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Klimafolgen für wichtig halten. Es scheint, als würde die österreichische Bevölkerung politischen Maßnahmen zur Einhaltung der Klimaziele durchaus zustimmen, was mit offenkundiger Skepsis gegenüber der gesamtgesellschaftlichen Wirksamkeit eigenverantwortlichen Handelns einhergeht. Eine ergänzende Hypothese zielt auf einen eventuellen Fairnesseffekt, der besagt, dass nur von einer gesetzlichen Regelung erwartet werden kann, dass die Kosten von allen gleichermaßen getragen werden. Diese Interpretation wird dadurch gestützt, dass die Zustimmung zu Maßnahmen, welche die Studienteilnehmer*innen persönlich treffen, deutlich schwieriger vorherzusagen ist. Dass diesbezüglich auch die individuelle wirtschaftliche Betroffenheit eine Rolle spielt, verdeutlicht das Problem der Politik, in schwierigen Zeiten zwischen der Verfolgung klimapolitischer und wirtschaftlicher Ziele abzuwägen.

Die Ergebnisse veranschaulichen also, dass die persönliche ökonomische Betroffenheit durchaus einen Einfluss auf die Klimaeinstellungen haben kann. Nichtsdestotrotz bleibt nicht die ökonomische Situation, sondern das Bildungsniveau der beste Prädiktor für die Klimaeinstellungen der Befragten.

Anhang


Thomas Resch ist als Doktorand am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Gerechtigkeitsforschung, Verteilungspräferenzen, Einstellungen gegenüber dem Wohlfahrtsstaat und international vergleichender Analyse von Wohlfahrtsstaaten.

Marvin Waibel  arbeitet als Studienassistent am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien am Projekt Verteilungspräferenzen und Bedarfsgerechtigkeit im Netzwerk. Er studiert im Master Soziologie.

Bernhard Kittel ist Universitätsprofessor am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien und Vizedekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät.  Seine Forschungsschwerpunkte sind Experimentelle Gerechtigkeitsforschung, Experimentelle Gremien- und Wahlforschung, Beschäftigungs- und Arbeitsmarktforschung sowie International vergleichende Analyse von Wohlfahrtsstaaten und Arbeitsbeziehungen.