Sollten während einer Pandemie Wahlen durchgeführt werden und wenn ja, wie? Die Einstellung der Österreicher*innen zum Wählen per E-Voting
- Die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung bevorzugt die Durchführung von Wahlen auch während einer Pandemie gegenüber einer Wahlverschiebung.
- Die meisten würden es dabei bevorzugen, entweder per Briefwahl und/oder online per E-Voting abzustimmen.
- Ob und wie Wahlen organisiert werden sollen, hängt jedoch von der Parteipräferenz der Befragten ab. Insbesondere einige der FPÖ-Wähler*innen bevorzugen häufiger eine Wahlverschiebung als die Wähler*innen anderer Parteien.
Von Carolina Plescia, Sylvia Kritzinger und Julia Partheymüller
Regelmäßige, freie und faire Wahlen sind das zentrale Element einer Demokratie. Die Corona-Pandemie stellt aus verschiedenen Gründen eine gewaltige Herausforderung für die Abhaltung von Wahlen dar: die Wahlbeteiligung kann sinken, da der Weg zum Wahllokal für manche Wähler*innen als Problem gesehen werden könnte; öffentlich durchgeführte Wahlkampagnen können möglicherweise nicht durchgeführt werden; und die Gesundheit der Wahlhelfer*innen könnte gefährdet sein. Gleichzeitig birgt jedoch die Verschiebung von Wahlen auch ihre Risiken. Nicht zuletzt ist das Recht zu wählen und gewählt zu werden ein Grundprinzip der liberalen Demokratie. Die Verschiebung von Wahlen – auf einen unbestimmten oder weit entfernten Zeitpunkt – wirft damit grundrechtliche demokratiepolitische Fragen auf.
Verschiedene Länder haben für die Durchführung von Wahlen während der Corona-Krise unterschiedliche Lösungen gewählt (für einen Überblick siehe Bericht von ElectionWatch.EU). Beispielsweise hielt Frankreich den ersten Wahldurchgang der Kommunalwahlen am 15. März 2020 noch regulär ab. Gesundheitliche Bedenken sowie eine sehr niedrige Wahlbeteiligung führten aber zu einer Verschiebung des zweiten Wahlgangs – der Stichwahl. Der erste Wahlgang der Kommunalwahlen in Bayern, auch am 15. März 2020, wurde ebenfalls „traditionell“ mit der Möglichkeit der Stimmabgabe im Wahllokal durchgeführt, aber die Regeln für den zweiten Wahlgang wurden geändert, so dass ausschließlich die Stimmabgabe per Briefwahl vorgesehen war. In Ländern wie Österreich, Italien, Polen oder Spanien wurden geplanten Wahlen hingegen verschoben. Davon waren in Österreich bislang speziell die Gemeinderatswahlen in Vorarlberg und der Steiermark betroffen. Auch in Zusammenhang mit der anstehenden Wien-Wahl im Herbst wurde zwischenzeitlich eine Verschiebung der Wahl diskutiert. Vor diesem Hintergrund geht unser Blogbeitrag der Frage nach: Was denkt die österreichischen Bevölkerung über Wahlen in Zeiten der Pandemie? Und gibt es Unterschiede zwischen Wähler*innen der verschiedenen Parteien?
Wie sollten Wahlen während einer Pandemie organisiert werden?
In Welle 5 (24.-29. April 2020) des österreichischen Corona-Panels haben wir die Befragten nach ihrer Einstellung zu Wahlen während einer Pandemie befragt. Von den sechs verschiedenen Optionen, die in Abbildung 1 aufgelistet sind und die erfassen, ob und wie Wahlen durchgeführt werden sollten, ist die am häufigsten gewählte Option, dass Wahlen während einer Pandemie mittels „Briefwahl und E-Voting in Kombination" (ca. 28% der Befragten) durchgeführt werden sollten. Die am zweithäufigsten gewählte Antwort ist die Verschiebung der Wahl (18%), gefolgt von der Option bei Wahlen während einer Pandemie sowohl das Wählen im Wahllokal, mittels E-Voting und per Briefwahl zuzulassen (17%). 14% der Befragten bevorzugen die Variante, Wahlen ausschließlich per Briefwahl durchzuführen, während lediglich 12% eine ausschließliche Online-Abstimmung per E-Voting unterstützen würden. Interessanterweise ist die am seltensten gewählte Option der Status quo – nämlich die Durchführung von Wahlen im Wahllokal mit der Möglichkeit der Briefwahl (11%).
Da es sich bei unserer Umfrage um eine Online-Umfrage handelt, könnte der Prozentsatz derer, die sich tatsächlich für eine Online-Abstimmung aussprechen, etwas überschätzt sein. Klar ist jedoch, dass sich nur eine Minderheit der Befragten dafür ausspricht, die Wahlen zu verschieben. Die Mehrheit der Befragten sind für die Abhaltung von Wahlen während einer Pandemie, aber mit der Möglichkeit „remote“, also entweder mittels Briefwahl oder per E-Voting abzustimmen.
Diese mehrheitliche positive Einstellung zu „Remote“-Wahlen ist beachtlich, da unsere Daten auch zeigen, dass die Befragten E-Voting bzw. Briefwahl generell als weniger sicher erachten. Das Betrugsrisiko wird für diese Modi des Wählens höher eingeschätzt als bei der Stimmabgabe im Wahllokal (siehe hierzu Abbildung A1 im Anhang). Daher ist es interessant, dass eine Mehrheit der Österreicher*innen dennoch eine „Remote“-Abstimmung einer Wahlverschiebung vorziehen würde. Wir können über die Gründe nur spekulieren, aber vielleicht wird die Stimmabgabe im Wahllokal während einer Pandemie mit zu großen Gesundheitsrisiken in Verbindung gebracht.
Was denken die Wähler*innen verschiedener Parteien?
Bei den Anhänger*innen unterschiedlicher Parteien gibt es hinsichtlich der Durchführung von Wahlen während Pandemien durchaus deutliche Einstellungsunterschiede (siehe Abbildung 2). Die Wähler*innen von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS würden eine Abstimmung mittels Briefwahl und/oder E-Voting bevorzugen, während die FPÖ-Wähler*innen am häufigsten eine Verschiebung der Wahlen bevorzugen. So beträgt der Anteil der FPÖ-Wähler*innen, die eine Wahlverschiebung wünschen 26.7%; für Wähler*innen der ÖVP sind es hingegen 13.8%, für die SPÖ 16.4%, für die Grünen 15.2%. Besonders selten wünschen sich NEOS-Wähler*innen eine Wahlverschiebung mit nur 4%. Die Parteianhänger*innen unterscheiden sich auch hinsichtlich der Einschätzung des Betrugsrisikos bei E-Voting- und Briefwahl-Abstimmungen, wobei die FPÖ-Wähler*innen das höchste Betrugsrisiko sehen (siehe hierzu Abbildung A2-A4 im Anhang).
Zusammenfassung und Fazit
Bei der Entscheidung, ob und wie Wahlen während einer Pandemie abgehalten werden sollen, müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. In diesem Blog untersuchten wir die Einstellung der österreichischen Bevölkerung hierzu. Die Meinungen dazu sind durchaus gemischt, aber eine Mehrheit der Bevölkerung würde eine Abhaltung der Wahlen unterstützen, v.a. in Formen einer Remote-Abstimmung mittels Briefwahl und/oder E-Voting. Dies gilt jedoch seltener für die FPÖ- Wähler*innen, die in Zeiten einer Pandemie eine Verschiebung der Wahlen bevorzugen würden und beim E-Voting sowie bei der Briefwahl ein höheres Betrugsrisiko als andere Wähler*innen befürchten. Für die demokratische Legitimität der Durchführung von Wahlen und das Vertrauen in den Wahlprozess wäre es insgesamt wünschenswert, dass Entscheidungen zu Änderungen des Wahlmodus von allen Parteien und auch einer Mehrheit von Wähler*innen gleichermaßen unterstützt werden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass es noch einige Hürden auf dem Weg zu einem Konsens hinsichtlich der Änderung von Wahlregeln geben könnte. Während die Verfassungsrichter*innen letztendlich wohl die Entscheidung darüber haben werden, welcher Modus der Abstimmung bei Wahlen – und hier insbesondere die E-Voting Abstimmung – verfassungskonform ist, ist die Frage nach der Form der Wahlen aber auch eine politische Entscheidung: denn die Durchführung von Wahlen mittels der zusätzlichen Option des E-Votings setzt auch voraus, dass die politischen Akteur*innen zunächst die Unterstützung und das Vertrauen aller Bürger*innen für diese Form der Abstimmung gewinnen.
Carolina Plescia ist Assistenzprofessorin am Institut für Politik- und Sozialwissenschaften der Universität Bologna und am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. Sie promovierte am Trinity College Dublin und forscht zu Themen wie öffentliche Meinung, Wahlkampf und Parteiwahl.
Sylvia Kritzinger ist Professorin für Methoden in den Sozialwissenschaften am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien, eine der Projektleiter*innen der Austrian National Election Study (AUTNES) und stellvertretende Leiterin des Vienna Center for Electoral Research (VieCER).
Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Vienna Center for Electoral Research (VieCER) der Universität Wien und ist Mitglied des Projektteams der Austrian National Election Study (AUTNES). Sie promovierte in Sozialwissenschaften an der Universität Mannheim und studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Universität Hamburg.
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