26.04.2020
Wahrgenommene Gefahren durch das Coronavirus rückläufig
- Die Einschätzung des gesundheitlichen und wirtschaftlichen Risikos seitens der Österreicher*innen sinkt: sowohl das persönliche Risiko als auch das Risiko für die Allgemeinheit schätzen die Menschen im Schnitt geringer ein, als es zu Beginn der Krise war.
- Die kollektive wirtschaftliche Gefahr wird nach wie vor bedeutend höher eingeschätzt als die persönliche.Vor allem Personen, welche einem höheren Erkrankungsrisiko ausgesetzt sein könnten, nehmen die persönliche gesundheitliche Gefahr des Coronavirus nun deutlich größer wahr.
- Arbeitslose schätzen die persönliche wirtschaftliche Gefahr im Mittel deutlich höher ein als Personen im Home-Offices auch das Risiko für die Allgemeinheit schätzen die Menschen im Schnitt geringer ein, als es zu Beginn der Krise war.
Zu Beginn unserer Befragung schätzten die Österreicher*innen die allgemeine Gefahr durch den Coronavirus im Durchschnitt sehr hoch ein (siehe Blog zur Wahrnehmung der Krise vom 3. April). Seitdem sind einige Wochen vergangen – und wir wollen im Folgenden einige Verläufe über die Zeit nachzeichnen. Konkret beschäftigt sich der vorliegende Blogbeitrag mit der Entwicklung der wahrgenommenen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Gefahren, welche vom Coronavirus und der dadurch ausgelösten Ausnahmesituation ausgehen. Waren in der ersten Befragungswelle (27.-30.03.) die täglichen Infektionszahlen noch hoch und ein Ende der weitgehenden Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen noch nicht absehbar, so konnte die effektive Reproduktionszahl mittlerweile deutlich unter 1 gedrückt werden (Bericht Ages). Vor der vierten Befragungswelle (17.-21.04.) wurden erste Pläne einer langsamen schrittweisen Öffnung veröffentlicht. Zugleich werden umfassende Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft getroffen und die Prognosen über den Wirtschaftsrückgang in Österreich laufend nach oben korrigiert. Wie nimmt die österreichische Bevölkerung diese Veränderungen im Verlauf der Pandemie wahr? Erhöhen die negativen Prognosen die Angst vor persönlichen und kollektiven negativen wirtschaftlichen Folgen der Krise? Oder überwiegt der Eindruck, dass die Krise in den Griff zu bekommen sei?
Wahrnehmung der gesundheitlichen Gefahr
Wie im ersten Blog zu diesem Thema unterteilen wir auch für diese Analyse die Befragten in zwei Gruppen: Zum einen die Gruppe derjenigen, deren Erkrankungsrisiko als hoch eingeschätzt wird, welche aus Personen mit relevanten Vorerkrankungen sowie aus der Altersgruppe über 65 Jahre besteht; zum anderen eine Gruppe, deren Risiko als niedrig eingestuft wird. Wie gefährdet sehen sich diese beiden Gruppen?
Insgesamt gingen die Einschätzungen der persönlichen sowie allgemeinen gesundheitlichen Gefahr, welche vom Coronavirus ausgeht, stark zurück. Dies dürfte unter anderem an den Berichten über sinkende Fallzahlen und freie Kapazitäten im Gesundheitssystem liegen. Wie schon zu Beginn der Krise zeigen sich auch Mitte April deutliche Unterschiede zwischen der Hoch- und der Niedrigrisikogruppe (siehe Abbildung 1). Doch während Menschen mit hohem Risiko die persönliche gesundheitliche Gefahr immer noch größer ansehen als Menschen mit geringem Risiko, nahm der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen seit Ende März stark ab: Sie liegen in ihren Angaben zu (sehr) hoher Gefährdung nur noch knapp 17% auseinander. Ende März lag dieser Unterschied noch bei etwa 28%. Für die Hochrisikogruppe verzeichnen wir in der wahrgenommenen Gefährdung demnach einen größeren Rückgang als für Personen der Niedrigrisikogruppe.
Die Einschätzung der allgemeinen gesundheitlichen Gefahr ist noch stärker zurückgegangen: In der ersten Befragungswelle schätzten je knapp unter 60% in beiden Gruppen die allgemeine gesundheitliche Gefahr als „groß“ oder „sehr groß“ ein. Inzwischen sind diese Wahrnehmungen auf etwa 33% bei Personen mit niedrigem Risiko und ca. 40% bei jenen mit hohem Risiko gesunken.
Abbildung 1: Zeitverlauf der Einschätzung persönlicher und kollektiver gesundheitlicher Gefahr durch das Coronavirus nach Risikogruppe.
Wahrnehmung der wirtschaftlichen Gefahr
Die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten in den durch die Corona-Krise gebeutelten Ländern werden derzeit heiß diskutiert. Eine Prognose des WIFO sieht beispielsweise für Österreich ebenso wie für die ganze Welt wirtschaftlich schwere Zeiten aufziehen. Andere Forschungseinrichtungen wie das Institut für Höhere Studien (IHS) kommen zu ähnlichen Einschätzungen. Wie nehmen unsere Befragten die wirtschaftliche Gefahr wahr, welche durch das Coronavirus einerseits für sie persönlich und andererseits für Österreich allgemein besteht? Diese Frage wird in Abbildung 2 beantwortet. Betrachten wir zunächst die individuelle Dimension: Im Vergleich zu Ende März verringerte sich der Anteil jener, die von einer (sehr) großen wirtschaftlichen Gefahr für sich selbst ausgehen, um etwa 13 Prozentpunkte auf ein knappes Viertel. Arbeitslose Menschen und Personen, die in Kurzarbeit oder dem Abbau von Zeitausgleich und Urlaub sind, schätzen diese Gefahr höher ein: Jeweils ein knappes Drittel dieser Gruppen gab an, eine (sehr) große wirtschaftliche Gefahr für sich zu sehen. Wer im Home-Office arbeitet, empfindet dagegen unterdurchschnittliche Gefährdung. Hier liegt ein Zusammenhang mit den zwischen den Einkommensklassen sehr unterschiedlichen Auswirkungen der Krise auf die Erwerbssituation nahe (siehe Blog über die Einkommensverteilung) - und damit auch zu unterschiedlicher finanzieller Sicherheit.
Abbildung 2: Einschätzung persönlicher und kollektiver wirtschaftlicher Gefahr durch das Coronavirus.
Analog dazu sank die Einschätzung der kollektiven wirtschaftlichen Gefahr um ebenfalls ca. 13 Prozentpunkte. Sie liegt jedoch nach wie vor bedeutend höher als die individuelle: Mitte April fanden etwa 70% der Befragten, vom Coronavirus ginge eine (sehr) große Gefahr für die österreichische Wirtschaft aus. Spannenderweise weisen Menschen im Abbau von Zeitausgleich und Urlaub, in Kurzarbeit oder im Home-Office im Mittel geringere Gefahreneinschätzungen auf, während arbeitslose Menschen im Durchschnitt liegen. Pensionist*innen, Schüler*innen und Studierende sowie andere nicht-erwerbstätige Personen dagegen sehen überdurchschnittlich oft eine allgemeine Gefährdung der Wirtschaft in Österreich.
Fazit
Dass sich also je nach Teilhabe am Arbeitsmarkt verschiedene Verläufe der Wahrnehmungen zeigen, stellt einen interessanten Zwischenbefund dar, der in den kommenden Wochen genau zu beobachten sein wird. Deutlich wird aber bereits jetzt, dass die Bevölkerung trotz der in letzter Zeit stark negativen Wirtschaftsprognosen mittlerweile weniger Gefahren wahrnimmt als zuvor. Dies könnte einerseits davon zeugen, dass die Menschen in Österreich von Anfang an negative Folgen erwartet haben. Andererseits könnten die Regierungsmaßnahmen zu einer gewissen Linderung der Sorgen beigetragen haben. Ob diese verringerte Gefahreneinschätzung und damit auch steigende Zuversicht berechtigt ist oder zu einem Anstieg riskanten Verhaltens führt, welches einen neuerlichen Zuwachs der Infektionsrate zur Folge hat, werden wir in nächsten Wochen verfolgen.
Fabian Kalleitner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Aktuell forscht er zu Themen wie Steuerpräferenzen, Steuerwissen, Wahrnehmungsmechanismen und Arbeitswerte.
David W. Schiestl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Migration, Sozialpsychologie und Organisation.
Bernhard Kittel ist Universitätsprofessor am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien und Vizedekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Seine Forschungsschwerpunkte sind Experimentelle Gerechtigkeitsforschung, Experimentelle Gremien- und Wahlforschung, Beschäftigungs- und Arbeitsmarktforschung sowie International vergleichende Analyse von Wohlfahrtsstaaten und Arbeitsbeziehungen.