21.04.2020
Nationale oder europäische Lösungen? Was Österreicher*innen meinen, wie die Corona-Krise bekämpft werden sollte
- Während in der Corona-Krise die nationalen Gesellschaften in vielerlei Hinsicht durch ein starkes Gemeinschaftsgefühl geeint werden, scheiden sich die Geister an der Frage, inwieweit der Krise besser durch nationale oder europäischen Lösungen beizukommen ist.
- Finanzielle Mehrbelastungen, um anderen Ländern bei der Krisenbekämpfung zu helfen, werden mehrheitlich abgelehnt; bei anderen Fragen herrscht weitgehende Uneinigkeit.
- Die Präferenzen für nationale über europäische Lösungen unterscheiden sich markant durch die ideologische Grundeinstellung sowie durch die wahrgenommene Bedrohung durch die Corona-Krise: Ideologisch links orientierte Personen bevorzugen eher europäische Lösungen bevorzugen; ideologisch rechts orientierte präferieren nationale Lösungsansätze – in beiden Fällen unabhängig vom Ausmaß der wahrgenommenen Bedrohung.
- Bei jenen, die sich in der ideologischen Mitte sehen, gilt hingegen: Je größer sie die Gefahr einschätzen, die von der Corona-Krise ausgeht, desto stärker werden nationale Alleingänge den europäischen Lösungen vorgezogen.
Von Julia Partheymüller, Mariyana Angelova und Nico Büttner
Wenn am Donnerstag die EU-Staats- und -Regierungschefs erneut zu einem virtuellen EU-Sondergipfel zusammenkommen, werden sie darüber beraten, wie die Corona-Krise in Europa bewältigt werden soll. Wurde die Krisenbekämpfung bislang aufgrund der fehlenden EU-Kompetenzen im Gesundheitsbereich durch die nationale Politik dominiert, wird der Ruf nach europäischen Lösungen zur Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise nun immer lauter. So warnte zuletzt beispielsweise der französische Staatspräsident Emmanuel Macron vor einem drohenden Zerfall der EU ohne eine ausreichende finanzielle Solidarität. Auch das EU-Parlament sprach sich am Freitag mit großer Mehrheit für gemeinsame europäische Anleihen zur Bekämpfung der Corona-Krise aus. Doch in einigen Mitgliedstaaten, insbesondere Nettozahler-Staaten wie Deutschland, den Niederlanden und auch Österreich, sind die Rufe nach mehr europäischer Solidarität bislang mit einer zurückhaltenden bis ablehnenden Haltung aufgenommen worden. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir in diesem Beitrag, inwiefern die österreichische Bevölkerung nationale oder europäische Lösungsansätze zur Krisenbekämpfung bevorzugt.
Österreicher*innen mehrheitlich gegen finanzielle Mehrbelastungen, ansonsten weitgehende Uneinigkeit
Abbildung 1 zeigt die Einstellungen der österreichischen Bevölkerung zu verschiedenen Aspekten der europäischen sowie nationalen Krisenbekämpfung (die genaue Frageformulierungen im Wortlaut steht im Anhang). Mehrheitlich finden es die Österreicher*innen nicht in Ordnung, wenn Österreich zukünftig höhere Mitgliedsbeiträge entrichten müsste, um anderen EU-Ländern bei der Bekämpfung der Corona-Krise zu helfen. Die Befürwortung einer finanziellen Solidarität in der Krise, wie sie Macron vorgeschlagen hat, fällt demnach in Österreich insgesamt eher gering aus.
Bei anderen Themen herrscht große Uneinigkeit. So befürworten in etwa gleich viele Personen eine stärker zentral gesteuerte Krisenbekämpfung durch die EU wie diese andere ablehnen. Zudem ist ein großer Anteil der Befragten geteilter Meinung. Auch bei der Frage danach, ob offene Grenzen die Sicherheit in Österreich bedrohen und Grenzkontrollen deshalb dauerhaft nötig sind, herrscht Dissens. Zwar ist hier die Zustimmung zu dauerhaften Grenzkontrollen tendenziell etwas höher als die Ablehnung, jedoch ebenfalls ohne dass es eine Mehrheit für die eine oder andere Seite gibt.
Schließlich zeigt sich auch bei dem nationalen Instrument “Ausfuhrstopp” ein gemischtes Bild. Während ca. 30 Prozent der Befragten es eher oder sogar sehr ablehnen, dass Österreich die Ausfuhr notwendiger Güter (wie z.B. Lebensmittel, Medikamente und Schutzmasken) beschränken darf, sind ca. 40 Prozent eher oder sehr dafür. Wenn es jedoch nicht um Österreich, sondern um andere EU-Länder geht, dreht sich dieses Verhältnis um: Etwa 40 Prozent lehnen Ausfuhrstopps anderer Länder ab, während nur etwas 25 Prozent meinen, dass andere EU-Länder ihre Ausfuhren in der Krise beschränken sollen dürfen. Die Präferenz für nationale Lösungen wie den Ausfuhrstopp ist also mit einer gewissen Doppelmoral behaftet, wobei zumindest einige Befragte die für das eigene Land bevorzugte nationale Abschottung anderen Ländern nicht im gleichen Maße zugestehen möchten.
Ideologische Grundeinstellung und Gefahrenwahrnehmung prägen Wunsch nach nationalen und europäischen Lösungen
Wie sehen die Meinungen der Österreicher*innen im Hinblick auf die geeigneten Mittel zur Bekämpfung der Corona-Krise nach Gefahrenwahrnehmung sowie in unterschiedlichen ideologischen Gruppen aus? Um diese Frage zu untersuchen, haben wir auf Basis der Fragen aus Abbildung 1 einen Index zu Präferenzen für europäische vs. nationale Lösungen erstellt, der von 0 “starke Präferenz für nationale Lösung” bis 100 “starke Präferenz für europäische Lösung” reicht (für weitere Details zur Indexbildung siehe Anhang). Der Mittelwert des Index beträgt 46 Indexpunkte, was die gemischten Meinungen in der Bevölkerung widerspiegelt. In Abbildung 2 ist die Präferenz für nationale vs. europäische Lösungen als Abweichung von diesem Mittelwert (Einheit Index-Punkte) dargestellt, sodass negative Werte eine Präferenz für eher nationale und positive Werte eine Präferenz für europäische Lösungen ausdrücken. Wir stellen die Präferenz-Werte für verschiedene Gruppen in Abhängigkeit von der ideologischen Grundeinstellung (Ideologie: Links, Mitte, Rechts) und der Gefahrenwahrnehmung (x-Achse) in Abbildung 2 dar.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Präferenz für nationale über europäische Lösungen sowohl mit der ideologischen Grundeinstellung als auch mit der wahrgenommenen Bedrohung durch die Corona-Krise zusammenhängt:
Während ideologisch links orientierte Befragte europäische Lösungen bevorzugen, präferieren ideologisch rechts orientierte Personen nationale Lösungsansätze – in beiden Fällen unabhängig vom Ausmaß der wahrgenommenen Bedrohung.
Bei Bürger*innen der ideologischen Mitte hängt es im Gegensatz dazu davon ab, wie groß diese die Gefahr einschätzen, die von der Corona-Krise ausgeht. Für sie gilt: Je größer die wahrgenommene Bedrohung, desto stärker werden nationale Alleingänge den europäischen Lösungen vorgezogen.
Das bedeutet also, dass im linken Spektrum generell europäische Lösungen und im rechten Spektrum generell nationale Antworten zur Lösung der Corona-Krise bevorzugt werden. Bei den Bürger*innen in der Mitte hingegen bevorzugen jene, die die Krise weniger bedrohlich wahrnehmen, europäische Lösungen, während bei hoher Gefahr nationale Lösungen bevorzugt werden.
Zusammenfassung und Fazit
Unsere Ergebnisse zeigen, dass die österreichische Bevölkerung finanzielle Mehrbelastungen, um anderen Ländern bei der Bewältigung der Krise zu helfen, mehrheitlich eher ablehnt. Doch ist die österreichische Bevölkerung bei der Frage nach nationalen versus europäischen Lösungen insgesamt sehr gespalten. Während sich ein Teil der Bevölkerung mehr europäisches Krisenmanagement wünscht, lehnen andere genau dieses ab. Ebenso verhält es sich bei Grenzkontrollen und Ausfuhrstopps. Die Spaltung in der Frage verläuft dabei zunächst entlang des ideologischen Links-Rechts-Spektrums. Während man sich links der Mitte für europäische und gegen nationale Lösungen aussprechen, ist es bei ideologisch rechts stehenden Personen umgekehrt. In der ideologischen Mitte hängt die Präferenz von der Gefahrenwahrnehmung ab, wobei bei hoher Bedrohung nationale Lösungen bevorzugt werden.
Was lässt sich aus den Ergebnissen für die weitere Corona-Krisenpolitik ableiten? Es wird deutlich, dass die finanzielle Frage soweit der kritischste Punkt zu sein scheint, der am meisten Ablehnung erfährt. Bei den meisten anderen Fragen herrscht große Uneinigkeit in der Bevölkerung. Bei gleichbleibend hoher Gefahreneinschätzung ist davon auszugehen, dass die nationale Krisenpolitik weiterhin dominieren wird. Ob vor diesem Hintergrund bereits ein Durchbruch zu einem tragfähigen Kompromiss in Finanzierungsfragen beim nächsten EU-Gipfel möglich sein wird, bleibt angesichts dieser Ergebnisse abzuwarten.
Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Vienna Center for Electoral Research (VieCER) der Universität Wien und ist Mitglied des Projektteams der Austrian National Election Study (AUTNES). Sie promovierte in Sozialwissenschaften an der Universität Mannheim und studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Universität Hamburg.
Mariyana Angelova ist Projektmitarbeiterin (Post-Doc) in dem C3 Projekt "Strong vs. Weak Governments and the Challenge of Economic Reforms" an der Universität Wien, Teil des Sonderforschungsbereichs 884 "Political Economy of Reforms" (SFB 884) an der Universität Mannheim. Sie hat ihr Doktorat an der Graduate School of Economic and Social Sciences (GESS) an der Universität Mannheim absolviert.
Nico Büttner promoviert und lehrt seit Oktober 2019 am Department of Politics & International Relations der University of Oxford. Zuvor war er mehrere Jahre am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien als Studienassistent für die Austrian National Election Study (AUTNES) tätig.