04.02.2022 - PDF
Wer soll wieviel bekommen? Bevorzugte Unterstützungsleistungen bei Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit während der COVID-19 Pandemie
- Die Mehrheit der Befragten befürwortet eine Arbeitslosenunterstützung und Kurzarbeitsregelung, die zumindest 1.000€ Einkommen im Monat garantiert.
- Ein Großteil der Befragten macht die bevorzugte Höhe der Unterstützung stark von der vorangegangenen Höhe des Einkommens abhängig. Während bei niedrigem Einkommen (1.500€) im Durchschnitt eine Bruttoersatzrate von 75 % des früheren Bezugs bevorzugt wird, sind es bei hohem Einkommen (5.000€) im Durchschnitt nur 45%.
- Befragte unterscheiden bei der gewünschten Höhe der Anspruchsberechtigung kaum zwischen Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit
- Während manche Befragte eine existenzsichernde Höhe der Unterstützung bevorzugen, wollen andere die Erhaltung des vorangegangen Lebensstandards sicherstellen.
Von Fabian Kalleitner, Lukas Schlögl und Licia Bobzien
Ein Blick in die Statistik der Sozialausgaben macht klar, dass im Vergleich zu den Ausgaben für Alter (45% im Jahr 2019) sowie für Krankheit und Gesundheitsversorgung (27%), Sozialausgaben für Arbeitslosigkeit mit etwa 5,3% in Österreich deutlich weniger ins Gewicht fallen. Nichtsdestoweniger steht dieser Ausgabenposten im Zentrum vieler Debatten über das adäquate Ausmaß staatlicher Unterstützungen. Dieser Beitrag untersucht, welche Höhe von Unterstützungsleistungen Österreicher*innen für unterschiedliche Einkommensniveaus und Bezugsarten präferieren.
Die COVID-19 Pandemie hat die Bedeutung staatlicher Unterstützungsmaßnahmen aufgezeigt. Rasch zeigte sich, dass die bekannten Unterstützungsmöglichkeiten sowohl für Arbeitnehmer*innen als auch für Arbeitgeber*innen nicht ausreichend waren. Die Bundesregierung brachte mehrere Gesetze und Verordnungen auf den Weg, die diesbezüglich neue Möglichkeiten schufen und unter anderem die Kurzarbeit wieder einführten. Diese Maßnahmen und die durch die Pandemie allgemein schlechte Arbeitsmarktlage führten 2020 nahezu zu einer Verdoppelung der Ausgaben auf etwa 10,2% der Sozialausgaben.
2022 soll eine Reform die Arbeitslosenversicherung in Österreich auf ein neues Fundament stellen. Dabei stehen die sogenannten Ersatzraten und die Bezugsdauer aktuell im Zentrum von Diskussionen. Neben Überlegungen, wie Arbeitsbereitschaft gefördert und Missbrauch von Seiten der Arbeitgeber*innen- als auch Arbeitnehmer*innen verhindert werden kann, ist ein wichtiger politischer Gesichtspunkt, eine breite Mehrheit für die Reform zu gewinnen. Vorstellungen über eine adäquate Höhe der Unterstützung in der Bevölkerung spielen vor diesem Hintergrund eine wichtige Rolle. Diese Vorstellungen analysieren wir im Folgenden mit Hilfe von Daten des Austrian Corona Panel Projects (ACPP).
Im Zentrum dieses Blogs stehen zwei Fragen: Wird bei Kurzarbeit eine andere Höhe der Unterstützung gewünscht als bei Arbeitslosigkeit? Und sollen die Unterstützungsleistungen progressiv angelegt sein (d.h. sollen Personen, die zuvor ein niedriges Einkommen hatten, andere Ersatzraten bekommen als Personen mit hohem Einkommen)? Konkret wurden ACPP-Respondent*innen gefragt, wie hoch das ersetzte Bruttoeinkommen von vier idealtypischen Personen ausfallen sollte (siehe Tabelle 1). Diese Personen unterschieden sich einerseits in der Höhe der Einkommen vor dem Verlust der Arbeit (1.500€ oder 5.000€ monatlich brutto) und andererseits in der Art der Unterstützungsleistung, die bezogen wird (Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit). Um die Situation der Kurzarbeit und der Arbeitslosigkeit möglichst vergleichbar zu machen, wurden die Befragten gebeten, sich vorzustellen, dass die Person in Kurzarbeit derzeit 0 Stunden arbeitet und dass sowohl die arbeitslose als auch die in Kurzarbeit tätigen Personen davor mindestens ein Jahr in Beschäftigung gewesen waren. Um eine bessere Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wird im Folgenden verglichen, welche Bruttoersatzrate die Befragten bevorzugen. Diese berechnet sich jeweils aus der Division des gewünschten Ersatzeinkommens durch das vorangegangene Bruttoeinkommen dieser idealtypischen Personen.
Abbildung 1 zeigt, wie hoch nach Ansicht der Befragten der Anteil am früheren Einkommen sein soll, den Personen je nach Szenario durch Unterstützungsleistungen ersetzt bekommen sollen. Die Darstellung zeigt die Verteilung der Brutto-Ersatzraten (vertikale Achse) nach Einkommen (horizontale Achse) und Art der Unterstützung (Farbe). Die Verteilung macht deutlich, dass Österreicher*innen stark danach unterscheiden, welches Einkommen die Personen vor der Unterstützung bezogen haben. So werden bei niedrigem Einkommen deutlich höhere (relative) Ersatzraten bevorzugt als bei hohem Einkommen. Auffallend sind hier die Häufungen bei 66% (1.000€) bzw. 80% (1.200€) im Falle von Personen mit einem Letztbezug von 1.500€. Ein beträchtlicher Teil der Befragten (22% bei Kurzarbeit, 15% bei Arbeitslosigkeit) würde Personen mit geringem Einkommen aber auch 100% ihrer früheren Bruttobezüge ersetzen. Nur wenige Respondent*innen wären bei niedrigem Einkommen für Ersatzraten unter 50% des Letztbezugs. Dies steht in starkem Gegensatz zu den Antworten bei höheren Einkommen. Hier zeigt sich ein viel breitere Verteilung der Präferenzen ohne klare Häufungen der Antworten. Im Schnitt zeigt sich ein deutlich niedriges Niveau der gewünschten Ersatzraten als bei Geringverdienern.
Weniger starke Unterschiede in den Präferenzen zeigen sich zwischen den Arten der Unterstützung. Bezieher*innen von Kurzarbeitsgeld wird im Durchschnitt etwas mehr Einkommen zugestanden als Personen in Arbeitslosigkeit. Auch die Unterschiede in den Ersatzraten zwischen den Einkommen unterscheidet sich je nach Art der Unterstützungsleistung. Bei 5.000€ Letztbezug ist der Unterschied in der gewünschten Ersatzrate zwischen Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit stärker ausgeprägt als bei niedrigen Einkommen. Der Unterschied in den durchschnittlich bevorzugten Ersatzraten wächst von 4,7 Prozentpunkte bei niedrigem Einkommen (AL 71,2% & KU 75,9%) auf 8 Prozentpunkte bei Einkommen von 5.000€ an (AL 41,7% & KU 49,7%). Diese Unterschiede in den der bevorzugten Ersatzraten sind allerdings kleiner als die faktisch existierenden Unterschiede in den Bezugsberechtigungen des österreichischen Sozialsystems. So wird bei der Kurzarbeit in etwa 80% des Nettoeinkommens ersetzt während bei Arbeitslosigkeit eine Anspruchsberechtigung auf nur mindestens 55% der Nettoeinkommen vorliegt (diese Standardsätze können sich abhängig von anderen Faktoren verändern). Die von uns erhobenen Präferenzen zeigen dass die Befragten hier weniger stark differenzieren.
Die Antworten in Abbildung 1 gaben das Antwortverhalten im Mai 2020 wieder. Haben sich diese Präferenzen mit der veränderten Dynamik der Pandemie und der veränderten Wirtschaftslage seither verändert? Abbildung 2 macht deutlich, dass die durchschnittlichen Ersatzraten über die Zeit relativ stabil blieben. Zwar waren die bevorzugten Ersatzraten im August 2020 gegenüber Mai leicht gestiegen, aber dann zum Februar 2021 wieder etwas gesunken und sind anschließend bis dato relativ unverändert geblieben.
Insgesamt zeigt sich, dass sich beinahe alle Befragten klar für Unterstützungsleistungen aussprechen, die zumindest etwa 1.000€ Einkommen im Monat garantieren. Darüber hinaus herrscht kein gesellschaftlicher Konsens darüber, wie stark die Höhe der Unterstützungsleistung vom vorangegangenen Einkommen abhängig sein soll. Während es für einige vor allem um existenzsichernde Maßnahmen geht, sind andere für deutliche höhere Unterstützungszahlungen. Im Unterschied zum Gesetzgeber trifft die österreichische Bevölkerung weniger starke Unterschiede je nach Unterstützungstyp. Für die Befragten ist es deutlich wichtiger, wie hoch das ursprüngliche Einkommen einer Person war. Es ist dagegen weniger relevant, ob die Beschäftigungslosigkeit den Charakter von Arbeitslosigkeit oder von Kurzarbeit hat. Nur die Unterschiede in den bevorzugten Ersatzraten von Personen mit hohem Einkommen im Vergleich zu denjenigen mit niedrigem Einkommen sind etwas höher bei Arbeitslosigkeit als bei Kurzarbeit. Wichtig ist abschließend zu erwähnen, dass wir hier keine Aussage darüber machen können, wie lange diese Unterstützungsleistungen nach Verlust der Arbeit aus Sicht der Befragten ausgezahlt werden sollen. Zudem war die Möglichkeit, Kurzarbeitsgeld zu beziehen, bei einer Reduktion der Arbeitszeit auf 0 Stunden nur in Ausnahmesituationen und in einer kurzen Phase während der Pandemie möglich.
Fabian Kalleitner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Aktuell forscht er zu Themen wie Steuerpräferenzen, Steuerwissen, Wahrnehmungsmechanismen und Arbeitswerte.
Lukas Schlögl ist Post-Doc Universitätsassistent für Vergleichende Politikfeldanalyse am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Themen der Technologie-, Industrie- und Arbeitspolitik.
Licia Bobzien ist Postdoktorandin im Projekt perzepEU ('Cohesion in Europe – Perceptions and Fields of Action') an der Hertie School, Berlin. Ihre Forschung beschäftigt sich mit (der Wahrnehmung) ökonomischer Ungleichheit und deren Auswirkungen auf politische Präferenzen und Einstellungen.
Work and Corona Blog
Dieser Beitrag ist zuvor im Work and Corona Blog erschienen.
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