21.01.2022 - PDF

Selbstverantwortung ist die beste Solidarität? Vorerkrankte in der Corona-Krise

  • Menschen mit Vorerkrankung und Menschen über 65 befolgen und befürworten nicht-pharmazeutische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie stärker als andere.
  • Menschen mit Vorerkrankung und Menschen über 65 befürworten eine Pflicht sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen stärker als andere.
  • Aber Personen mit Vorerkrankung und Personen über 65 lassen sich weniger häufig auf das Coronavirus testen als andere.

Von Thomas Resch

Im Zuge der Corona-Krise und der nationalen Impfstrategie wurden sogenannte Hochrisiko- und Risikogruppen in Österreich explizit priorisiert: “Als Risikogruppe gelten Menschen über 65 Jahre sowie Personen mit chronischen Vorerkrankungen jeden Alters. Für diese Personen steigt die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung mit schwerem Verlauf”. Laut Statistik Austria litten im Jahr 2019 2,8 Mio. Österreicher*innen ab 15 Jahren an einer dauerhaften Krankheit oder einem chronischen Gesundheitsproblem (1,5 Mio. davon Frauen). Dieser Blogbeitrag analysiert und vergleicht das Verhalten und die Einstellungen von Menschen mit Vorerkrankung jenem Teil der Bevölkerung, der rein medizinisch gesehen keinem besonders erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Der Beitrag betrachtet das Verhalten in der Corona-Pandemie, zum einen die Befolgung der staatlichen Maßnahmen gegen das Virus im Lockdown des Herbst 2021, und zum anderen die Häufigkeit sich auf Corona testen zu lassen. In Bezug auf Einstellungen beleuchtet dieser Blogbeitrag, inwiefern Menschen mit Vorerkrankung zu staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie stehen und wie diese eine Impfpflicht bewerten.

Im Austrian Corona Panel Project (ACPP) wurden Ende November/Anfang Dezember 2021 in Österreich lebende Menschen befragt, ob Sie zur Zeit an einer Erkrankung leiden (für die Liste der abgefragten Erkrankungen sh. Anhang). Von 1202 Menschen, die diese Frage beantworteten, erklärten 59,5% an keiner der abgefragten Vorerkrankungen zu leiden. Die restlichen 40,5% hatten also zum Zeitpunkt der Umfrage eine der aufgelisteten Erkrankungen.[1] Inkludiert man nun auch alle Bürger*innen im Alter von über 65 Jahren in die Gruppe der Risikobehafteten, so ergibt sich eine Anzahl von 625 (52%) in der Gruppe mit Vorerkrankung gegenüber 577 (48%) Personen, die keine Vorerkrankung angaben und nicht älter als 65 Jahre waren (Abbildung 1, alle Angaben sind demographisch gewichtet).[2]

Abbildung 1: Anteile der Erkrankten nach Altersgruppen, Quelle: ACPP Welle 27 (N = 1202, demographisch gewichtet).

Um Befolgung der Corona-Maßnahmen zu messen wurden drei Variablen - “Abstand halten”, “Maske tragen” und “zu Hause bleiben” - in einem Index zusammengeführt. Ebenso in einem Index zusammengefasst wurden 13 Einstellungsfragen bezüglich nicht-pharmazeutischen Corona-Maßnahmen (z.B. verpflichtende 3-G Regel am Arbeitsplatz, 2-G für Gastronomie, Schließung der Schulen).[3] 

Befolgung der Corona-Maßnahmen

Sowohl erkrankte Personen wie auch ältere Menschen halten die Maßnahmen “Abstand halten”, “Maske tragen” und “zu Hause bleiben” nach eigenen Angaben stärker ein, als diejenigen ohne Erkrankung oder jüngere Menschen (Abbildung 2).

Abbildung 2: Durchschnittliche Befolgung der Corona-Maßnahmen mit 95% Konfidenzintervallen. Quelle: ACPP Welle 27 (N = 1202).

Befürwortung von nicht-pharmazeutischen Corona-Maßnahmen

Was die Unterstützung von Maßnahmen gegen das Coronavirus angeht, zeichnet sich ein ähnliches Bild ab, wie bisher geschildert. Sowohl erkrankte Personen als auch ältere Menschen befürworten die vorgeschlagenen Maßnahmen stärker (Abbildung 3).

Abbildung 3: Durchschnittliche Befürwortung von nicht-pharmazeutischen Corona-Maßnahmen mit 95% Konfidenzintervallen. Quelle: ACPP Welle 27 (N = 1202).

Befürwortung einer Corona-Impfpflicht

Neben den nicht-pharmazeutischen Corona-Maßnahmen wurde im  ACPP auch die Befürwortung zu einer Pflicht, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen, abgefragt. Auch hier zeigt sich, dass Vorerkrankung und Alter über 65 mit stärkerer Befürwortung zu so einer Impfpflicht einhergehen (Abbildung 4).

Abbildung 4: Durchschnittliche Befürwortung einer Impfpflicht gegen das Coronavirus mit 95% Konfidenzintervallen. Quelle: ACPP Welle 27 (N = 1202).

Testhäufigkeit

Bei den Corona-Tests ist das Bild jedoch anders als bei Corona-Maßnahmen und Zustimmung zu einer Impfpflicht. Jüngere Menschen (<=65) und Personen ohne Vorerkrankung lassen sich häufiger auf das Coronavirus testen als andere (Abbildung 5).

Abbildung 5: Durchschnittliche Testhäufigkeit innerhalb 4 Wochen vor der Umfrage mit 95% Konfidenzintervallen. Quelle: ACPP Welle 27 (N = 1202).

Fazit

Menschen mit Vorerkrankung und Menschen über 65 befolgen und befürworten nicht-pharmazeutische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie stärker als andere. Außerdem sind diese stärker für eine Pflicht sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen als Menschen ohne Vorerkrankung und Menschen unter 66. Allerdings machen Menschen mit Vorerkrankung und Menschen über 65 weniger häufig Corona-Tests als andere.

[1] Übergewicht wurde nicht abgefragt, spielt aber für den klinischen Verlauf einer Corona-Erkrankung eine Rolle.

[2]  Wir verwenden eine Liste von 15 Gruppen von Erkrankungen, plus Verletzungen, plus nicht näher definierte “andere” Erkrankungen.

[3]  Mehr zu den Indexberechnungen findet sich im Anhang.

 


Thomas Resch ist als Doktorand am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Gerechtigkeitsforschung, Verteilungspräferenzen, Einstellungen gegenüber dem Wohlfahrtsstaat und international vergleichender Analyse von Wohlfahrtsstaaten sowie von Gesundheitspolitik und Gesundheitssystemen.


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