02.07.2021 - PDF

Präferenzen für Gesundheitspolitik: Dissonanz und Eigeninteresse als Wege in die Zweiklassenmedizin?

  • In den im Austria Corona Panel abgefragten Präferenzen für Gesundheitspolitik, fand die Chancengleichheit bei der medizinischen Behandlung am meisten Zustimmung.
  • Viele wollten höhere Ausgaben für das öffentliche Gesundheitssystem, aber nur wenige waren bereit diese durch zusätzliche direkte persönliche Beiträge mitzufinanzieren.
  • Privatversicherte und Mehrverdiener*innen waren eher für eine Beibehaltung des bestehenden Systems oder sogar für einen Ausbau der Privat- bzw. Wahlmedizin als Modell im Gesundheitswesen.

Von Thomas Resch

Das österreichische Gesundheitssystem ist komplex und im OECD Vergleich kostenintensiv, zugleich aber auch vergleichsweise inklusiv und leistungsfähig. Im Jahr 2019 betrugen die öffentlichen Gesundheitsausgaben in Österreich 32.622 Millionen Euro. Die privaten Gesundheitsausgaben machten landesweit 11.536 Millionen Euro aus. Zusammen waren das 11,1 Prozent des österreichischen BIP.

Die Corona-Krise hat gezeigt, welche zentrale Rolle das Gesundheitssystem für die österreichische Gesellschaft spielt. Diese Rolle wirkt sich nicht nur auf individuelle und kollektive Gesundheit aus, sondern hat auch politische, soziale und ökonomische Konsequenzen.Gesundheitsausgaben und die damit verbundene Ausgestaltung des Gesundheitssystems haben einen wesentlichen Beitrag geleistet der Pandemie in Österreich zu widerstehen.

Abbildung 1: Gesamte Gesundheitsausgaben in Prozent des BIP: Österreich im OECD Vergleich. Quelle: OECD (https://data.oecd.org/healthres/health-spending.htm)

Präferenzen für Gesundheitspolitik

Allerdings sind sowohl die Ausgaben für das Gesundheitssystem als auch die Gestaltung des Gesundheitssystems an sich in der Öffentlichkeit umstritten. Mitte April 2021 wurden im Austrian Corona Panel Project (ACPP) acht Präferenzen für Gesundheitspolitik abgefragt (Abbildung 2). Spezifisch geht es um die Themen der Verteilungsgerechtigkeit innerhalb und der Ausgestaltung des österreichischen öffentlichen Gesundheitssystems. Fragen der Ausweitung der Privat- bzw. Wahlmedizin sowie Finanzierbarkeit des öffentlichen Gesundheitswesens sind bei den abgefragten Präferenzen zentral.

Abbildung 2: Präferenzen für Gesundheitspolitik (ACPP April 2021, demographisch & politisch gewichtet), N = ca. 1500.

“Das österreichische Gesundheitssystem sollte stärker auf Privat- bzw. Wahlmedizin ausgerichtet werden. Die staatlichen Ausgaben für das öffentliche Gesundheitssystem sollten erhöht werden. Menschen, die mehr Kosten für das öffentliche Gesundheitssystem verursachen, sollten mehr in das Gesundheitssystem einzahlen. Ich wäre bereit, höhere Beiträge für das öffentliche Gesundheitssystem zu zahlen. Gleiche Behandlungschancen für alle sollten garantiert werden. Privat- bzw. Wahlmedizin sollte abgeschafft werden. Privatversicherte sollten nicht in öffentlichen Einrichtungen behandelt werden. Selbstbehalte im öffentlichen Gesundheitssystem sollten abgeschafft werden.”

Dissonanz und Eigeninteresse?

Die Österreicher*innen wollten also überwiegend Chancengleichheit bei der Behandlung, höhere Ausgaben für das öffentliche Gesundheitssystem und keine stärkere Ausrichtung desselben auf Privat- bzw. Wahlmedizin. Chancengleichheit wurde in der Fragestellung als "gleiche Behandlungschancen für alle sollten garantiert werden" definiert. Es waren nur 14 Prozent der Befragten bereit selbst höhere Beiträge in das öffentliche Gesundheitssystem einzuzahlen, während 46 Prozent dies nicht wollten. 40 Prozent konnten sich dies teilweise vorstellen. Gleichzeitig befürworteten fast die Hälfte - 49 Prozent - eine Ausgabenerhöhung für das öffentliche Gesundheitssystem. 42 Prozent waren für eine Abschaffung der Selbstbehalte. Die Aussage “Menschen, die mehr Kosten für das öffentliche Gesundheitssystem verursachen, sollten mehr in das Gesundheitssystem einzahlen” wurde von 43 Prozent als gar nicht oder nicht zutreffend beurteilt. Die Frage der Finanzierung bleibt aber offen, denn die meisten sind weder bereit, die Kosten direkt zu tragen noch höhere Beiträge für Patient*innen zu unterstützen. Es manifestiert sich also eine Dissonanz, denn die Befragten im ACPP wollen zwar ein Gesundheitssystem das nicht diskriminiert sondern inklusive Chancengleichheit bietet, sowie auch eine Erhöhung der Ausgaben für Gesundheit, aber sind nur wenig bereit höhere Beiträge zu zahlen.

Auch wurde im ACPP abgefragt, ob Personen im April 2021 privat krankenversichert waren, was auf etwa 24 Prozent der Respondent*innen der Umfrage zutraf. Betrachtet man die signifikanten Analyseergebnisse so zeigt sich, dass privatversicherte Personen eine stärkere Ausrichtung des Gesundheitssystems auf Privat- bzw. Wahlmedizin begrüßten. Diese waren auch tendenziell gegen eine Chancengleichheit bei der Behandlung für alle und gegen eine Abschaffung der Privat- bzw. Wahlmedizin. Des Weiteren waren Privatversicherte gegen eine Nichtbehandlung von Privatversicherten in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und gegen eine Abschaffung der Selbstbehalte. Je höher das Nettohaushaltseinkommen der Befragten, desto stärker lehnten diese eine Erhöhung der staatlichen Ausgaben für das öffentliche Gesundheitssystem ab. Außerdem wollten Mehrverdiener*innen Privat- bzw. Wahlmedizin nicht abschaffen. Diese waren auch signifikant gegen die Nichtbehandlung von Privatversicherten in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und gegen eine Abschaffung der Selbstbehalte im öffentlichen Gesundheitssystem. Diese Befunde zeugen von Eigeninteresse der Privatversicherten, ihre erkauften “Privilegien” aufrechtzuerhalten, und von Eigeninteresse der Mehrverdiener*innen, zumindest nicht mit Mehrkosten konfrontiert zu werden. Menschen mit niedrigerem Einkommen weisen auch Eigeninteresse auf, denn sie wollen höhere Staatsausgaben für das Gesundheitssystem in Kauf nehmen.

Fazit                                                                                                                                                                                                                                                                                    

Einerseits lehnten die Österreicher*innen eine stärkere Ausrichtung des Gesundheitssystems auf Privat- bzw. Wahlmedizin ab. Zugleich fand Chancengleichheit bei der Behandlung eine breite Mehrheit (76 Prozent). Andererseits waren nur wenige (14 Prozent)  bereit höhere Beiträge selbst zu zahlen. Fragen nach der Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems flammen während der Corona-Krise dennoch wieder auf.

Eine explizite Zweiklassenmedizin würde also keine Mehrheit in der österreichischen Bevölkerung finden, denn es zeigt sich zumindest, dass die Finanzierung des öffentlichen Gesundheitssystems weder direkt durch die Bürger*innen noch direkt durch die Patient*innen mehrheitsfähig ist. Es bliebe also Finanzierung durch Aufnahme neuer Schulden und unter Umständen die Einführung neuer Steuerkonzepte, sowie die Einführung eines steuerfinanzierten Beveridge-Systems wie in Großbritannien.  

Da die Bevölkerung dem Gesundheitswesen deutlich mehr vertraut als etwa der Bundesregierung, dem österreichischen Parlament oder der EU, wird es wichtig sein das Gesundheitssystem eben nicht als politischen Spielball zu nutzen, sollte man dieses Vertrauen nicht verspielen wollen. Stattdessen sollten Lösungen zur Finanzierung, Effizienz- und Qualitätssteigerung des Gesundheitssystems gefunden werden, die für die Bevölkerung langfristig tragbar und auch ökonomisch nachhaltig sind. Wenn sozioökonomische Ungleichheiten nicht auch noch durch das Gesundheitssystem fortgeführt werden sollen, möge man die Ideale der Fairness und der Gerechtigkeit im Gesundheitsbereich aufrechterhalten.


Thomas Resch ist als Doktorand am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Gerechtigkeitsforschung, Verteilungspräferenzen, Einstellungen gegenüber dem Wohlfahrtsstaat und international vergleichender Analyse von Wohlfahrtsstaaten.


Anhang

Multiple Lineare Regression

 

b/se

g_p1

 

Maennlich

0.000

 

(.)

Weiblich

-0.128

 

(0.07)

ISCED 1 (keine abg. Schulbildung)

0.000

 

(.)

ISCED 2 (Sek. I)

-0.477

 

(0.30)

ISCED 3 (Lehre etc)

-0.375

 

(0.30)

ISCED 4 (Sek. II)

-0.379

 

(0.31)

ISCED 5 (Tertiär)

-0.455

 

(0.31)

Alter

-0.006**

 

(0.00)

privat_vers=1

0.000

 

(.)

privat_vers=2

0.315***

 

(0.08)

hh_eink

0.001

 

(0.01)

constant

2.752***

 

(0.33)

g_p2

 

Maennlich

0.000

 

(.)

Weiblich

0.100

 

(0.07)

ISCED 1 (keine abg. Schulbildung)

0.000

 

(.)

ISCED 2 (Sek. I)

0.475

 

(0.31)

ISCED 3 (Lehre etc)

0.557

 

(0.31)

ISCED 4 (Sek. II)

0.581

 

(0.32)

ISCED 5 (Tertiär)

0.660*

 

(0.32)

Alter

-0.001

 

(0.00)

privat_vers=1

0.000

 

(.)

privat_vers=2

-0.045

 

(0.08)

hh_eink

-0.047**

 

(0.01)

constant

3.230***

 

(0.34)

g_p3

 

Maennlich

0.000

 

(.)

Weiblich

-0.123

 

(0.08)

ISCED 1 (keine abg. Schulbildung)

0.000

 

(.)

ISCED 2 (Sek. I)

-0.011

 

(0.34)

ISCED 3 (Lehre etc)

-0.280

 

(0.34)

ISCED 4 (Sek. II)

-0.186

 

(0.35)

ISCED 5 (Tertiär)

-0.176

 

(0.35)

Alter

0.002

 

(0.00)

privat_vers=1

0.000

 

(.)

privat_vers=2

-0.096

 

(0.09)

hh_eink

0.018

 

(0.02)

constant

2.692***

 

(0.37)

g_p4

 

Maennlich

0.000

 

(.)

Weiblich

-0.225**

 

(0.07)

ISCED 1 (keine abg. Schulbildung)

0.000

 

(.)

ISCED 2 (Sek. I)

-0.696*

 

(0.30)

ISCED 3 (Lehre etc)

-0.634*

 

(0.30)

ISCED 4 (Sek. II)

-0.291

 

(0.31)

ISCED 5 (Tertiär)

-0.488

 

(0.31)

Alter

0.002

 

(0.00)

privat_vers=1

0.000

 

(.)

privat_vers=2

0.149

 

(0.08)

hh_eink

0.025

 

(0.01)

constant

2.963***

 

(0.33)

g_p5

 

Maennlich

0.000

 

(.)

Weiblich

0.185**

 

(0.06)

ISCED 1 (keine abg. Schulbildung)

0.000

 

(.)

ISCED 2 (Sek. I)

0.912***

 

(0.26)

ISCED 3 (Lehre etc)

0.811**

 

(0.26)

ISCED 4 (Sek. II)

0.733**

 

(0.27)

ISCED 5 (Tertiär)

1.003***

 

(0.27)

Alter

0.006**

 

(0.00)

privat_vers=1

0.000

 

(.)

privat_vers=2

-0.244***

 

(0.07)

hh_eink

-0.021

 

(0.01)

constant

3.219***

 

(0.28)

g_p6

 

Maennlich

0.000

 

(.)

Weiblich

0.244**

 

(0.09)

ISCED 1 (keine abg. Schulbildung)

0.000

 

(.)

ISCED 2 (Sek. I)

-0.275

 

(0.36)

ISCED 3 (Lehre etc)

-0.120

 

(0.36)

ISCED 4 (Sek. II)

-0.277

 

(0.38)

ISCED 5 (Tertiär)

-0.253

 

(0.37)

Alter

-0.003

 

(0.00)

privat_vers=1

0.000

 

(.)

privat_vers=2

-0.444***

 

(0.10)

hh_eink

-0.101***

 

(0.02)

constant

3.764***

 

(0.40)

g_p7

 

Maennlich

0.000

 

(.)

Weiblich

0.122

 

(0.08)

ISCED 1 (keine abg. Schulbildung)

0.000

 

(.)

ISCED 2 (Sek. I)

-0.039

 

(0.35)

ISCED 3 (Lehre etc)

-0.010

 

(0.35)

ISCED 4 (Sek. II)

-0.244

 

(0.36)

ISCED 5 (Tertiär)

-0.225

 

(0.35)

Alter

-0.002

 

(0.00)

privat_vers=1

0.000

 

(.)

privat_vers=2

-0.515***

 

(0.09)

hh_eink

-0.035*

 

(0.02)

constant

2.949***

 

(0.38)

g_p8

 

Maennlich

0.000

 

(.)

Weiblich

0.243**

 

(0.08)

ISCED 1 (keine abg. Schulbildung)

0.000

 

(.)

ISCED 2 (Sek. I)

0.497

 

(0.35)

ISCED 3 (Lehre etc)

0.488

 

(0.35)

ISCED 4 (Sek. II)

0.159

 

(0.36)

ISCED 5 (Tertiär)

0.143

 

(0.36)

Alter

0.001

 

(0.00)

privat_vers=1

0.000

 

(.)

privat_vers=2

-0.292**

 

(0.10)

hh_eink

-0.055***

 

(0.02)

constant

3.171***

 

(0.39)

R-sqr

0.0336 0.0205 0.0136 0.0469 0.0609 0.0914 0.0571 0.0680

dfres

911

N

920.0

p < 0.05, ** p < 0.01, *** p < 0.001