Das Publikum aus rund 800 großteils Studierenden wurde zuerst von Sylvia Kritzinger (Vienna Center for Electoral Research), Georg Pfeifer (Europäisches Parlament-Verbindungsbüro in Österreich) und Paul Schmidt (Österreichische Gesellschaft für Europapolitik) begrüßt. Danach stellten sich die SpitzenkandidatInnen zwei Stunden lang diversen Fragen. Diese Fragen kamen zum einen, aus einer vorher stattgefundenen „Gipfeltour“ durch die österreichischen Bundesländer, in der Fragen aus der Bevölkerung gesammelt wurden sowie aus dem Publikum, das sowohl online als auch persönlich Fragen einbringen konnte.
Die erste, aus der Gipfeltour entnommene, Frage an die KandidatInnen behandelte die Entscheidungsfindung in der EU – sollten Entscheidungen mehr auf Europäischer Ebene getroffen werden oder durch die einzelnen Mitgliedsstaaten. Auch wenn sich das Podium, durch die Abwesenheit von Harald Vilimsky, sehr proeuropäisch gab, differierten die einzelnen Spitzenkandidaten in dieser Frage. Othmar Karas betonte, dass es keine Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene geben darf, ohne das Parlament als Bürgervertretung miteinzubeziehen. Evelyn Regner war der Meinung, dass die Entscheidungsfindung bezüglich spezifischer Probleme lösungsorientiert sein sollte und demensprechend entweder auf europäischer Ebene oder auf der Ebene der Nationalstaaten stattfinden müsse.
Claudia Gamon, Werner Kogler als auch Johannes Voggenhuber teilten die Idee von vermehrter Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene. Allerdings wichen sie in der konkreten Umsetzung von einer mehr und mehr geeinten Europäischen Union voneinander ab. Während Claudia Gamon die, bereits aus anderen NEOS Wahlkämpfen bekannte, Idee von den „Vereinigten Staaten von Europa“ verteidigte, betonte sie, dass die Entscheidungskraft in den Agenden der EU nicht bei den Regierungschefs liegen sollte, sondern bei den Bürgern. Die Idee die Kompetenzen des Europäischen Rates zu beschränken vertraten ebenso Werner Kogler und Johannes Voggenhuber und sprachen sich für ein Initiativrecht des Europäischen Parlaments aus.
Kontroverser wurde die Diskussion erst als die ersten Fragen der Studierenden beantwortet werden sollten. Die Fragen der Studierenden wurden dazu zunächst via Crowd-Sourcing unter dem Hashtag #ask2019 mit Hilfe der Online-Plattform sli.do ermittelt. Weitere Fragen wurden danach direkt von zufällig ausgewählten TeilnehmerInnen im Saal per Mikrofon gestellt. Thematisch ging es bei den Fragen um die Einführung einer CO2-Steuer, unbezahlte Praktika, Frauenquoten im Europäischen Parlament, Artikel 13 und Seenotrettungen im Mittelmeer.
Werner Kogler wurde mit der Frage konfrontiert, ob es in der EU eine CO2-Steuer geben sollte, die vor allem Wirtschaft und Industrie treffen würde. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage gestellt, ob er sich diese CO2-Steuer für Privatpersonen vorstellen könnte. Der grüne Spitzenkandidat sprach sich, wenig überraschend, nicht nur für eine CO2-Steuer für Wirtschaft und Industrie aus, sondern für eine allgemeine CO2-Steuer und ein generelles Umdenken in der europäischen Umweltpolitik. Trotzdem sollten die schwächsten in der Gesellschaft, die Arbeitnehmer, von dieser Steuer ausgenommen werden.
Johannes Voggenhuber ließ mit dem Statement aufhorchen, dass er Gender-Quoten im Hinblick auf KandidatInnenlisten und dem Anteil von Abgeordneten im Parlament ablehne. Der Staat solle und dürfe sich in die Zusammensetzung von Wahllisten nicht einmischen. Er vertritt die Idee, dass sich das Volk, als der Souverän, zu entscheiden habe, ob es jene Listen abstraft die keine Frauenrepräsentation gewährleisten. Mit der Annahme, dass er dafür Kritik ernten würde, dass er als Mann auf der einzig wählbaren Position seiner Liste stehen würde, fügte er hinzu, dass ihm auf den weiteren Positionen einige Frauen folgen würden. Bei seinem Rücktritt würde daher sicher eine Frau zum Zug kommen.
Unterstützt wurde er bezüglich seiner Ablehnung von Gender-Quoten für Wahllisten von Claudia Gamon, die zusätzlich betonte, dass nicht nur keine Geschlechterparität im Europäischen Parlament gegeben sei, sondern auch keine gerechte Altersverteilung. Die Spitzenkandidatin der NEOS antwortete zudem auf die Frage, ob man das Problem der unbezahlten Praktika auch auf europäischer Ebene lösen könnte, mit Nein. Sie ist der Meinung, dass dafür die Mitgliedsstaaten zur Verantwortung gezogen werden sollten, da es ihr Zuständigkeitsbereich sei. Später wurde sie für diese Antwort aus dem Publikum kritisiert, da sie zum einen eine sehr zentralisierte Europäische Union fordere und zum anderen diese Agenden im Zuständigkeitsbereich der Nationalstaaten belassen würde. Gamon verteidigte ihr Statement indem sie betonte, dass trotz einer zentralisierten EU nicht alle Agenden auf dieser Ebene Platz hätten und es durchaus Themen gäbe die nach wie vor in den Zuständigkeitsbereich der Nationalstaaten fallen müssten.
Evelyn Regner und Othmar Karas mussten sich indes vor allem Fragen stellen, in denen sie ihre bisherige Entscheidungsfindung im Europäischen Parlament verteidigen mussten. Bezüglich des Artikel 13 wurde Karas mehrfach vorgeworfen, dafür gestimmt zu haben, obwohl der Artikel die Freiheit des Internets gefährdet. Karas verteidigte seine Entscheidung mit der Absicht mit zukünftigen Gesetzen die negativen Folgen des Artikel 13 verhindern zu wollen. Evelyn Regner entgegnete auf die Frage, warum Seenotrettungen verhindert werden, damit dass es die anti-europäischen Kräfte im EU-Parlament wären, die, diese Rettungen verhindert. Sie selbst wäre durchaus dafür. Zusätzlich wurde Karas bei einer Fragestellung aus dem Publikum dafür kritisiert für die ÖVP anzutreten, obwohl man ihn als kompetenten und offenen Europapolitiker schätze. Karas entgegnete, dass er für jene Liste antrete mit der er etwas bewegen könnte und das wäre die ÖVP, in dessen Statuten er das Europakapitel verfasst hätte.
Allgemein war die zwischen den KandidatInnen relativ konfliktfreie Diskussion von in erster Linie pro-europäischen Statements der Diskutanten geprägt. Diese Meinungen lösten vor allem, weil der Vertreter der anti-europäischen Kräfte im EU-Parlament, Harald Vilimsky, nicht anwesend war keine Kontroversen aus. Im Gegensatz dazu enthielten die Fragestellungen der Studierenden durchaus Konfliktpotenzial und führten zu der ein oder anderen Debatte zwischen den KandidatInnen und dem Publikum. Zudem zeigten sich die Studierenden verständnislos, weil die KPÖ nicht zur Diskussion eingeladen war. Die Moderatorin betonte, dass sich die Veranstalter darauf geeinigt hatten nur Parteien einzuladen, die entweder im Europaparlament oder im Nationalrat vertreten waren. Vertreter der KPÖ, die dazu eingeladen wurden stattdessen ein kurzes Statement bei der Diskussion abzugeben, nahmen diese Möglichkeit nicht war.
Zuletzt ließ die sehr gut besuchte Veranstaltung sowohl die Veranstalter als auch die KandidatInnen auf eine hohe Wahlbeteiligung unter den Studierenden und auch unter der jüngeren Bevölkerung bei der Europawahl hoffen. Sylvia Kritzinger resümierte: "Wir hoffen, dass die Veranstaltung dazu beigetragen hat, die Wichtigkeit der EP-Wahlen für die zukünftige europäische Entwicklung zu unterstreichen und dementsprechend mehr junge Wähler und Wählerinnen 2019 zur Wahl gehen werden, als dies 2014 der Fall war, wo gerade einmal ca. 29% aus der jungen Altersgruppe an der Wahl teilgenommen haben."
Die Videoaufzeichung der Veranstaltung ist hier verfügbar.
Bericht: Verena Reidinger
Fotos: © Universität Wien/derknopfdruecker.com