07.08.2020

Physisch, aber nicht sozial distanziert: Freiwilligenarbeit in Zeiten von COVID-19

von Romualdo Ramos, Margaret Renn Andrews und Tanja Stamm

Einleitung

Die COVID-19 Pandemie hat den Alltag unserer Gesellschaft substantiell verändert und ein neues Licht auf Fragen der Solidarität geworfen. Eine dieser Fragen ist, inwiefern sich die Gesellschaft während der Krise freiwillig engagiert. Wir verstehen Freiwilligenarbeit als selbstgewählte und ohne Entlohnung geleistete Arbeit in gemeinnützigen Bereichen (Rosenbladt, 2000). Freiwilligenarbeit kann informell (z.B. Nachbarschaftshilfe) oder formell im Rahmen einer Non-Profit Organisation stattfinden. In Einklang mit dem Salutogenese-Modell der Gesundheit (Antonovsky et al., 1996) und mit Erkenntnissen der positiven Psychologie (Seligman & Csikszentmihalyi, 2014) haben mehrere Querschnitts-, Längsschnitts- und experimentelle Studien gezeigt, dass Freiwilligenarbeit, trotz zusätzlichem Zeitaufwand, eine sinnstiftende, gesundheitsfördernde und stressabbauende Wirkung haben kann (Ramos et al., 2015; Ramos & Wehner, 2015; Mogilner et al., 2012). Dieses Paradox (mehr Arbeit, weniger Stress) erklären Mogilner und Kolleg*innen kurz und prägnant: „Zeit (anderen) zu geben gibt uns Zeit“. Während wir bereits einige Erkenntnisse über die Erwerbsarbeit während der Corona-Krise haben (Blog 8, Blog 25, Blog 57, Blog 61, Blog 69), fehlt uns detailliertes Wissen über Freiwilligenarbeit noch fast vollständig.

Ziel des Blogs

Ziel dieses Blogs ist es, sich ein Bild über das Ausmaß des freiwilligen Engagements in der österreichischen Zivilgesellschaft während der Corona-Krise zu verschaffen, sowie den Zusammenhang zwischen Freiwilligenarbeit und psychischer Gesundheit zu untersuchen.

Methoden

Im Rahmen des Austrian Corona Panels (ACPP) haben wir Teilnehmer*innen gefragt, ob und wie oft sie während der Corona-Krise formelle oder informelle Freiwilligenarbeit geleistet haben. Die Prozentsätze wurden dann mit offiziellen Daten zum freiwilligen Engagement in Österreich verglichen (Freiwilligenbericht, 2019). Zum Schluss haben wir den Zusammenhang zwischen Freiwilligenarbeit, kognitivem Stress und depressiven Symptomen mit Pearson’s Korrelationstabellen, T-tests und Varianzanalysen (ANOVA) nach Gewichtung von Daten untersucht. Kognitiver Stress umfasst inwiefern Teilnehmer*innen in den letzten zwei Wochen Schwierigkeiten mit Konzentration, Entscheidungstreffen und Gedächtnis hatten. Depressive Symptome wurde anhand Gemütszustände („Wie oft waren Sie in der letzten Woche einsam/glücklich/sehr nervös / traurig, usw“) abgefragt.

Ergebnisse

Die Daten von 1.502 Teilnehmer*innen der Umfrage wurden für die Analyse herangezogen (758 Frauen, 738 Männer, 6 Divers). Die Erhebung stammt aus der 9. Welle des ACPP (23.-27. Mai 2020).

Graphik 1: Beteiligungsquote im Vergleich: Freiwilligenbericht 2019 vs. ACPP Daten (%)

Beteiligung in der Freiwilligenarbeit

Graphik 1 zeigt die Beteiligungsquote vom Freiwilligenbericht 2019 und die Daten des ACPPs. Der Vergleich zeigt, dass die Teilnahme an formeller Freiwilligenarbeit von 31 auf 22% während der Corona-Pandemie zurückgegangen ist. Dies lässt sich durch die Lockdown-Maßnahmen gut erklären. Bei informeller Freiwilligenarbeit ist jedoch ein wesentlicher Zuwachs sichtbar: von 30% laut Daten des Freiwilligenberichts 2019 auf 50% während des Lockdowns. Ca. 58% der formell Freiwilligentätigen waren Männer (ein Muster, welches von anderen Erhebungen bekannt ist), während die Geschlechtsverteilung in informellen Tätigkeiten (Nachbarschaftshilfe) ausgeglichen war. Wenn beide Formen der Freiwilligenarbeit zusammengetragen werden, sind es 52% der ACPP-Stichprobe, die sich während der Corona-Krise freiwillig engagiert haben. Während ca. 18% der gesamten Fälle einmalige Aktionen waren, gaben 44% der freiwillig Tätigen an, sich mehr als einmal engagiert zu haben. Knapp 28% waren mehrmals pro Monat engagiert, 10% sogar mehrmals pro Woche.

Graphik 2: Häufigkeit der Freiwilligenarbeit (%)

Zusammenhang zwischen Freiwilligenarbeit, Kognitivem Stress und depressiven Symptomen

Wir haben dann die Freiwilligenarbeit in eine dichotome Variable umgewandelt (Freiwilligentätigkeit ausgeführt ja/nein) unabhängig von deren Form (formell oder informell) und in Zusammenhang mit Indikatoren von psychischer Gesundheit untersucht. Pearsons Korrelationen zeigten keine signifikanten Zusammenhänge zwischen Freiwilligenarbeit, Stress- oder depressiven Symptomen (nur die zwei psychischen Indikatoren korrelierten erwartungsgemäß miteinander).

Zum Schluss haben wir den Zusammenhang anhand 2x2 ANOVAs untersucht. Das Ziel war herauszufinden, ob Geschlecht eine Rolle in der Beziehung zwischen Freiwilligenarbeit und psychischen Indikatoren spielt. Weder Freiwilligenarbeit noch die Interaktion mit Geschlecht haben signifikante Ergebnisse geliefert (p>.05). Es hat sich jedoch einen statistisch signifikanten Unterschied in kognitiven Stress gezeigt, in dem Frauen (Mittelwert: 1.64) ein leicht höheres Stressniveau berichten als Männer (Mittelwert: 1.54). Die Werte für kognitiven Stress waren aber insgesamt niedrig.   

Tabelle 1: Pearsons‘ Korrelationstabelle

Tabelle 2: Varianzanalysen (2x2 ANOVA) zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Freiwilligenarbeit, Geschlecht und psychischen Indikatoren

Fazit

Während wir keine Korrelation zwischen Freiwilligenarbeit und Stress finden konnten, zeigt unsere Befragung: physisch distanziert ist nicht gleich sozial distanziert. Trotz Isolationsmaßnahmen war die österreichische Bevölkerung vermehrt freiwillig tätig. Dieses Engagement erfolgte vor allem informell, etwa in der Form von Nachbarschaftshilfe. Zwischen 32-40% der Befragten gaben zusätzlich an, diese Freiwilligenarbeit mehrmals im Monat und auch mehrmals in der Woche zu leisten. 


Romualdo Ramos ist Arbeits- und Gesundheitspsychologe und ist als Postdoc am Institut für Outcomes Research der Med Uni Wien tätig.

Margaret Renn Andrews ist Public Health Expertin und Doktorandin am Institut für Outcomes Research der Med Uni Wien.

Tanja Stamm ist Professorin und Leiterin des Instituts für Outcomes Research sowie Deputy Head vom Zentrum für Medizinische Statistik, Informatik und Intelligente Systeme der Med Uni Wien.


Literaturverzeichnis

  • Antonovsky, A. (1996). The salutogenic model as a theory to guide health promotion. Health promotion international11(1), 11-18.
  • Freiwilligenbericht (2019). 3. Bericht zum freiwilligen Engagement in Österreich von Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz.
  • Mogilner, C., Chance, Z., & Norton, M. I. (2012). Giving time gives you time. Psychological Science23(10), 1233-1238.
  • Ramos, R., Brauchli, R., Bauer, G., Wehner, T., & Hämmig, O. (2015). Busy yet socially engaged: volunteering, work–life balance, and health in the working population. Journal of occupational and environmental medicine57(2), 164-172.
  • Ramos, R., & Wehner, T. (2015). Hält Freiwilligenarbeit gesund? Erklärungsansätze und kontextuelle Faktoren. In Psychologie der Freiwilligenarbeit (pp. 109-127). Springer, Berlin, Heidelberg.
  • Rosenbladt, B. V. (2000). Freiwilliges Engagement in Deutschland–Freiwilligensurvey 1999. Ergebnisse der Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. Bd1.
  • Seligman, M. E., & Csikszentmihalyi, M. (2014). Positive psychology: An introduction. In Flow and the foundations of positive psychology (pp. 279-298). Springer, Dordrecht.