25.05.2020
Von der krisenbedingten “Rally-around-the-flag” zurück zur politischen Normalität: Das Vertrauen in die Bundesregierung im Verlauf der Corona-Krise
- In der Corona-Krise brachte die österreichische Bevölkerung der Bundesregierung überaus viel Vertrauen entgegen. Dies entspricht dem Muster eines “Rally-around-the-flag”-Effekts.
- Seit Ende März sinkt das Regierungsvertrauen zwar stetig; es liegt aber weiterhin deutlich über Vergleichswerten vom Jänner 2020.
- Der Rückgang des Regierungsvertrauens unterscheidet sich nur geringfügig nach Alter, Geschlecht und Bildung.
- Es zeigt sich aber ein deutliches parteipolitisches Muster: Besonders bei den Wähler*innen von SPÖ und FPÖ nimmt das Vertrauen in die Bundesregierung deutlich ab.
Von Julia Partheymüller, Carolina Plescia und Sylvia Kritzinger
Ein bekanntes politikwissenschaftliches Phänomen ist der sogenannte „Rally-around-the-flag“-Effekt, der beschreibt, dass das Vertrauen in die Regierung in Krisenzeiten sprunghaft zunimmt und sich die Bevölkerung geeint hinter die Regierung stellt. Anzeichen für ein solches Zusammenrücken waren auch in Österreich während der Corona-Krise beobachtbar (siehe z.B. die Blog-Beiträge Nr. 38 und Nr. 29). Mittlerweile scheint aber etwas politische Normalität wieder eingetreten zu sein. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir in diesem Beitrag das Vertrauen in die Bundesregierung im Zeitverlauf und für verschiedene Bevölkerungsgruppen.
Das Vertrauen in die Bundesregierung im Zeitverlauf
Im Rahmen des Austrian-Corona-Panel-Projects wurde das Vertrauen in die österreichische Bundesregierung seit Beginn der Corona-Krise im März 2020 regelmäßig gemessen. Dabei wurden dieselben Befragten zu sieben verschiedenen Zeitpunkten gebeten, auf einer Skala von 0 (“überhaupt kein Vertrauen”) bis 10 (“sehr viel Vertrauen”) anzugeben, wie viel Vertrauen sie in die Bundesregierung haben. Eine Vergleichsmessung liegt zudem für den Jänner 2020 vor, wo wir im Rahmen der Austrian National Election Study (AUTNES) dieselbe Frage kurz nach dem Amtsantritt der neuen Regierungskoalition aus ÖVP und Grünen – und somit vor der Corona-Krise – gestellt haben. Abbildung 1 zeigt die Stärke des Vertrauens in die Bundesregierung im Zeitverlauf seit Ende März bis Mitte Mai im Vergleich zum Regierungsvertrauen im Jänner 2020.
Aus Abbildung 1 geht hervor, dass die österreichische Bevölkerung der Bundesregierung Ende März enormes Vertrauen entgegenbrachte. Etwa 70 Prozent der Befragten gaben zu diesem Zeitpunkt an, der Regierung in hohem Maße zu vertrauen (Werte 7 bis 10 auf der Skala von 0 bis 10). In der Umfrage von Mitte Jänner waren es hingegen nur etwa 30 Prozent der Befragten, die derart hohe Werte wählten. Der starke Anstieg im Regierungsvertrauen vom Jänner 2020 auf März 2020 deutet darauf hin, dass es zu einem starken Rally-Effect zu Beginn der Krise kam. Seit Ende März nimmt das Vertrauen in die Bundesregierung jedoch wieder kontinuierlich ab. Mitte Mai (Welle 8) wurde der bisher niedrigste Vertrauensstand seit März gemessen: Nur noch etwas mehr als 45 Prozent der Befragten vertrauten der Bundesregierung noch in hohem Maße – ein deutlicher Rückgang im Vergleich zu den 70 Prozent Ende März. Das Vertrauen in die Bundesregierung ist jedoch weiterhin höher, als dies noch im Jänner 2020 der Fall war.
Bei wem hat die Bundesregierung an Vertrauen eingebüßt?
Abbildung 2 zeigt die Vertrauensveränderungen zwischen Ende März (Welle 1) und Mitte Mai 2020 (Welle 8) nach sozio-demographischen Merkmalen und Wahlverhalten. Es kann zunächst festgehalten werden, dass für alle untersuchten Gruppen ein Rückgang im Vertrauen zu verzeichnen ist, was die durchwegs negativen Durchschnittswerte (d.h. die Balken in Abbildung 2 zeigen von 0 nach unten) anzeigen. Für die sozio-demographischen Merkmale Alter, Geschlecht und Bildung zeigt sich, dass die Regierung um 1 bis 1,5 Skalenpunkte an Vertrauen auf einer Skala von 0 bis 10 eingebüßt hat. Interessanterweise ergeben sich zwischen den Geschlechtern sowie den Alters- und Bildungsgruppen kaum Unterschiede. Anders ausgedrückt: Das Regierungsvertrauen nahm über alle Alterskategorien und Bildungskategorien sowie sowohl bei Männern und Frauen deutlich ab.
Ausgeprägte Unterschiede finden sich aber bei den Wähler*innen der verschiedenen Parteien. Obwohl auch bei den ÖVP-Wähler*innen ein Rückgang im Vertrauen zu beobachten ist, fällt er im Vergleich zu den anderen Wähler*innen am geringsten aus: Für die ÖVP-Wähler*innen ging das Vertrauen im Durchschnitt lediglich um ca. einen halben Skalenpunkt seit März zurück. Am stärksten verlor die Bundesregierung an Vertrauen bei den Wähler*innen von SPÖ und FPÖ, mit über zwei Skalenpunkten.[1] Die Verluste bei Wähler*innen der Grünen und NEOS bewegen sich dabei mit ca. einem Skalenpunkt im Mittelfeld. Die im Vergleich zu ÖVP-Wähler*innen höheren Verluste bei den Grün-Wähler*innen könnten darauf hindeuten, dass die Grünen als Juniorpartner etwas stärker unter Vertrauensverlusten in die Regierungsleistung leiden. Insgesamt stehen aber vor allem Wähler*innen der Oppositionsparteien SPÖ und FPÖ der Regierung zunehmend skeptischer gegenüber.
Zusammenfassung und Fazit
In der Corona-Krise genoss die Bundesregierung sehr viel mehr Vertrauen der österreichischen Bevölkerung, als dies noch bei ihrem Amtsantritt im Jänner 2020 der Fall war. Dieser Befund spricht dafür, dass es zu einem starken „Rally-around-the-flag“-Effekt in Österreich in der Krise gekommen ist. Seit Ende März sinkt das Regierungsvertrauen zwar wieder, was darauf hindeutet, dass dieser Rally-Effekt deutlich abgenommen hat. Dennoch liegt das Vertrauen in die Bundesregierung weiterhin über dem Vorkrisenniveau. Während die Bundesregierung in verschiedenen sozio-demographischen Gruppen ähnlich stark an Vertrauen verlor, zeigt sich ein ausgeprägtes parteipolitisches Muster. Insbesondere Wähler*innen von FPÖ und SPÖ vertrauen der Bundesregierung weniger als noch in der Frühphase der Krise. Dies deutet daraufhin, dass mit der Rückkehr zur Normalität im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben auch die Parteipolitik allmählich zur Normalität zurückkehrt.
Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Vienna Center for Electoral Research (VieCER) der Universität Wien und ist Mitglied des Projektteams der Austrian National Election Study (AUTNES). Sie promovierte in Sozialwissenschaften an der Universität Mannheim und studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Universität Hamburg.
Carolina Plescia ist Assistenzprofessorin am Institut für Politik- und Sozialwissenschaften der Universität Bologna und am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. Sie promovierte am Trinity College Dublin und forscht zu Themen wie öffentliche Meinung, Wahlkampf und Parteiwahl.
Sylvia Kritzinger ist Professorin für Methoden in den Sozialwissenschaften am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien, eine der Projektleiter*innen der Austrian National Election Study (AUTNES) und stellvertretende Leiterin des Vienna Center for Electoral Research (VieCER).
Fußnoten
[1] Am geringsten war das Vertrauen bereits Ende März bei SPÖ- und FPÖ-Wähler*innnen (siehe Tabelle 1). Für diese beiden Parteien waren zudem die Vertrauensverluste am größten. Die initial bestehenden Unterschiede über die Parteien hinweg haben sich also im Zeitverlauf verstärkt.
Tabelle 1: Vertrauen in die Bundesregierung im März und im Mai 2020 (Mittelwerte; Skala 0-10)
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