29.10.2021 - PDF

Das 7C-Modell zur Erklärung der (mangelnden) Impfbereitschaft

  • Die Bereitschaft, sich gegen Infektionskrankheiten im Allgemeinen impfen zu lassen, steigt mit zunehmendem Alter, Bildung und Einkommen.
  • Menschen, die bisher nicht vom COVID-19 Impfangebot Gebrauch gemacht haben, weisen eine höhere Gleichgültigkeit gegenüber einer Ansteckung sowie eine höhere Bereitschaft an Falschinformationen zu glauben auf als geimpfte Menschen

Von Robert Böhm, Bernhard Kittel, Katharina T. Paul, Julia Partheymüller & Thomas Resch

Die Impfquote in Österreich stagniert. Im vergangenen Monat ist der Anteil der teilweise oder vollständig geimpften Österreicher*innen um weniger als zwei Prozent auf aktuell etwa 65% der österreichischen Bevölkerung (bzw. 74% der Personen ab 12 Jahren, Stand: 25.10.21) gestiegen. An der Verfügbarkeit von Impfstoffen mangelt es schon lange nicht mehr. Dementsprechend ist der Anteil derer, die zwar impfbereit aber noch ungeimpft sind, auf ein Prozent gesunken, während acht Prozent zögerlich bzw. unschlüssig sind.

In einem früheren Beitrag wurde bereits untersucht, in welchen Bevölkerungsgruppen die Impfbereitschaft—und damit die Impfrate—am geringsten ist, wodurch Lücken in der flächendeckenden Immunität entstehen. Um jede Chance zu nutzen, die noch ungeimpften Erwachsenen vom persönlichen und gesellschaftlichen Nutzen der Corona-Schutzimpfung zu überzeugen, reicht es allerdings nicht aus, zu beleuchten wer nicht geimpft ist. Es ist mindestens ebenso wichtig zu verstehen, warum diese Menschen nicht geimpft sind. Erst die Beantwortung beider Fragen—wer und warum—ermöglicht zielgruppenspezifische und effektive Interventionsmaßnahmen zur Erhöhung der Impfquote in Österreich und darüber hinaus.

Das 7C-Modell: Bestimmungsfaktoren der Impfentscheidung

Um diesbezüglich mehr Wissen zu erlangen, verwenden wir im vorliegenden Beitrag Fragen, die auf dem sogenannten  7C-Modell der Impfbereitschaft zu den Einflussfaktoren von Impfentscheidungen beruhen. Das 7C-Modell geht davon aus, dass es 7 unabhängige Faktoren gibt, die eine Impfung wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher machen (siehe Abbildung 1, Frageformulierungen im Anhang):

  • Confidence ist das Vertrauen in die Wirksamkeit und Sicherheit von Impfungen, aber auch das Vertrauen in die Gesundheitsbehörden und die Institutionen, die Impfungen entwickeln und empfehlen. Höheres Vertrauen erhöht die Impfbereitschaft.

  • Complacency (Gleichgültigkeit) ist die mangelnde wahrgenommene Bedrohung von Infektionskrankheiten. Höhere Gleichgültigkeit verringert die Impfbereitschaft.

  • Constraints sind strukturelle oder psychologische Barrieren, die eine Impfung in praktischer Hinsicht schwierig oder kostspielig machen. Eine größere Wahrnehmung von Barrieren verringert die Impfbereitschaft. 

  • Calculation (Abwägung) beschreibt das Ausmaß, in dem Personen vor ihrer Impfentscheidung eine individuelle Kosten-Nutzen Abwägung vornehmen. In Abhängigkeit davon, wo Informationen gesucht werden und wie wahrscheinlich hierbei Falschinformationen rezipiert werden, kann eine stärkere Abwägung die Impfbereitschaft erhöhen oder verringern. 

  • Collective Responsibility (Kollektive Verantwortung) beschreibt das Wissen und die Bereitschaft, andere Menschen durch die eigene Impfung vor der Ansteckung indirekt mitzuschützen und auf diese Weise zur Ausrottung von Infektionskrankheiten beizutragen. Eine höhere kollektive Verantwortung erhöht die Impfbereitschaft.

  • Compliance (Regelkonformität) beschreibt die Unterstützung für die Einhaltung von Regeln, Vorschriften und Bestimmungen. Eine erhöhte Impfbereitschaft geht oftmals einher mit einer erhöhten Unterstützung für impffördernde Maßnahmen (z.B. Einführung einer Impfpflicht).

  • Conspiracy (Verschwörung) beschreibt den Glauben an Falschinformationen bis hin zu Verschwörungen im Bezug zu Impfungen. Falschinformationen und der Glaube an Verschwörungsmythen verringern die Impfbereitschaft.

Abbildung 1: Das 7C-Modell der Impfbereitschaft. Details siehe vaccination-readiness.com.

 

Erklärungsfaktoren der Impfbereitschaft im Allgemeinen

Abbildung 2 stellt den Zusammenhang zwischen sozio-demographischen Faktoren und den einzelnen Faktoren des 7C-Modells dar. Die Unterschiede nach Geschlecht sind überwiegend nicht statistisch signifikant. Deutlich wird nur, dass Frauen seltener bereit sind, Personen, die Impfempfehlungen nicht Folge leisten, zu bestrafen (geringere Werte in Compliance). Das Alter weist statistisch bedeutsame Zusammenhänge mit den Impfeinstellungen auf: Mit zunehmendem Alter neigen Menschen eher zu Vertrauen in die Gesundheitsbehörden (höhere Werte in Confidence), wollen häufiger  Erkrankungen vermeiden (niedrigere Werte in Complacency), erachten Impfungen als wichtige Gemeinschaftsaufgabe (höhere Werte in Collective Responsibility) und plädieren eher für die Bestrafung von Personen, die Impfempfehlungen nicht folgen (höhere Werte in Compliance). Mit zunehmendem Alter sinkt zudem die Häufigkeit individueller Kosten- und Nutzen-Abwägungen (niedrigere Werte in Calculation) und die Bereitschaft, Verschwörungsmythen Glauben zu schenken (niedrigere Werte in Conspiracy). Im Hinblick auf Bildung sehen wir starke Zusammenhänge vor allem zwischen der tertiären Bildung, teilweise auch der Sekundarstufe II, und allen  Dimensionen des 7C-Modells. Personen mit einer tertiären Ausbildung stehen im Vergleich zu Personen mit Lehrabschlüssen (Referenzkategorie) einer Impfung seltener gleichgültig gegenüber, sehen seltener Hürden und haben eine geringere Neigung, Verschwörungsmythen Glauben zu schenken. Des Weiteren haben sie ein größeres Vertrauen in Gesundheitsbehörden, wägen stärker die Vor- und Nachteile einer Impfung ab, haben ein stärkeres Gefühl der kollektiven Verantwortung und stimmen Maßnahmen zur Einhaltung von Regeln eher zu. Der Einfluss des Haushaltseinkommens auf die sieben Dimensionen zeigt ein sehr ähnliches Muster. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die allgemeine Impfbereitschaft mit Alter, Bildung und Einkommen steigt.

Abbildung 2: Sozio-demographische Erklärungsfaktoren der 7C. Daten: ACPP, Welle 25 (24.Sept.-1.Okt. 2021). Details und Variablendefinitionen: siehe Anhang. Referenzkategorie der Variable Bildung: Lehre o.ä. Der Wertebereich der Items für Complacency und Constraints wurde umgedreht, so dass höhere Werte eine stärkere Ausprägung des theoretischen Konstrukts anzeigen.

 

Zusammenhang der 7C-Faktoren der Impfbereitschaft mit dem Impfstatus

Zur Beantwortung der Frage, warum sich erwachsene Menschen nicht impfen lassen, betrachten wir im Folgenden die Einstellungsmuster der beschriebenen 7C-Faktoren im Zusammenspiel mit dem dem COVID19-Impfstatus (mindestens einmal geimpft vs. ungeimpft). Die Analyse zeigt, dass alle Faktoren außer Calculation und Compliance mit dem COVID-Impfstatus zusammenhängen, wobei der größte Zusammenhang mit Complacency und Conspiracy zu beobachten ist. In anderen Worten steht der Impfstatus einer Person also insbesondere damit in Zusammenhang, wie sehr diese COVID-19 als Bedrohung wahrnimmt (positiver Zusammenhang) und wie sehr sie Falschinformation über Impfungen Glauben schenkt (negativer Zusammenhang). Entsprechend der theoretischen Vorhersagen weisen geimpfte im Vergleich zu ungeimpften Personen ebenfalls substantiell höhere Werte in Confidence und Collective Responsibility und niedrigere Werte in Constraints auf (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Ausprägung der 7C-Faktoren bei geimpften und ungeimpften Personen. (Complacency & Conspiracy umgedreht) Daten: ACPP, Welle 25 (24.Sept.-1.Okt. 2021) N = 1235.

 

Fazit und mögliche Implikationen

Die Ergebnisse zeigen eindrücklich, dass sich die COVID-19 ungeimpften und geimpften Personen in nahezu allen impfrelevanten Aspekten unterscheiden. 

Da insbesondere eine mangelnde Risikowahrnehmung gegenüber dem Virus und Falschinformationen mit dem Impfstatus zusammenhängen, sollten diese Aspekte in den Fokus der öffentlichen Kommunikation rücken. Besonders jüngere Menschen ohne Universitätsabschluss sowie Personen mit niedrigen Einkommen weisen häufig diese Einstellungsmuster auf. Eine zielgruppenorientierte und effektive Impfkommunikation sollte daher versuchen, diese Gruppen zu erreichen und verständlich darlegen, inwiefern von COVID-19 auch für jüngere Menschen eine Gefahr ausgeht (z.B. Long Covid), Fehlinformationen konsequent entgegentreten und sich um Aufklärung bemühen. Da das niedrige Vertrauen in die politischen Entscheidungsträger*innen die Effektivität solcher Maßnahmen reduziert, könnten hier alternative Kommunikationskanäle und -formen angesprochen werden. Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, aber dennoch Wege zur Überwindung der Pandemie zu finden, könnte über solche Maßnahmen beispielsweise in einem basisdemokratischen Verfahren wie etwa einem Bürgerforum öffentlich diskutiert werden.

 


Robert Böhm ist Professor für Social Psychology in the Context of Work, Society, and Economy am Institut für Psychologie der Universität Wien.

Bernhard Kittel ist Universitätsprofessor am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Er ist Leiter des Austrian Corona Panel Projects (ACPP). Seine Forschungsschwerpunkte sind Experimentelle Gerechtigkeitsforschung, Experimentelle Gremien- und Wahlforschung, Beschäftigungs- und Arbeitsmarktforschung sowie International vergleichende Analyse von Wohlfahrtsstaaten und Arbeitsbeziehungen.

Katharina T. Paul ist seit 2013 senior research fellow (Post-Doc) und Lektorin am Institut für Politikwissenschaft und seit 2019 Mitglied der Forschungsgruppe Zeitgenössische Solidaritätsstudien (CeSCoS). In ihrem FWF Elise Richter Projekt forscht sie zu vergleichender Gesundheitspolitik, insbesondere Impfpolitik.

Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. Sie ist Mitglied des Vienna Center for Electoral Research (VieCER) und des Projektteams der Austrian National Election Study (AUTNES).

Thomas Resch ist als Doktorand am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Gerechtigkeitsforschung, Verteilungspräferenzen, Einstellungen gegenüber dem Wohlfahrtsstaat und international vergleichender Analyse von Wohlfahrtsstaaten.


 

 

Anhang

Soziodemographische Erklärungsfaktoren der 7C

 

(1)

(2)

(3)

(4)

(5)

(6)

(7)

Confidence

Complacency

Constraints

Calculation

Collective Responsibility

Compliance

Conspiracy

 

 

 

 

 

 

 

 

Geschlecht: weiblich

0.02

-0.23*

0.03

-0.22*

0.05

-0.35***

0.07

 

(0.13)

(0.13)

(0.13)

(0.13)

(0.13)

(0.13)

(0.11)

Alter in Dekaden

0.20***

-0.26***

-0.29***

-0.11***

0.26***

0.17***

-0.24***

 

(0.04)

(0.04)

(0.04)

(0.04)

(0.04)

(0.04)

(0.03)

Bildung: ≤ Sek. I

0.19

0.11

-0.15

0.26

-0.17

0.29*

-0.15

 

(0.16)

(0.16)

(0.16)

(0.16)

(0.16)

(0.16)

(0.14)

Bildung: Sek. II

0.45**

-0.49**

-0.52**

0.22

0.33

0.43**

-0.27

 

(0.20)

(0.20)

(0.20)

(0.20)

(0.20)

(0.20)

(0.17)

Bildung: Tertiär

0.92***

-0.78***

-1.01***

0.42**

0.78***

0.55***

-0.75***

 

(0.19)

(0.19)

(0.19)

(0.19)

(0.19)

(0.19)

(0.17)

Haushaltseinkommen

0.12***

-0.09***

-0.01

0.05**

0.11***

0.02

-0.12***

 

(0.02)

(0.02)

(0.02)

(0.03)

(0.02)

(0.02)

(0.02)

Konstante

2.61***

5.33***

5.91***

4.37***

2.89***

1.97***

4.75***

 

(0.27)

(0.28)

(0.28)

(0.28)

(0.28)

(0.27)

(0.24)

 

 

 

 

 

 

 

 

Fallzahl

1,137

1,135

1,133

1,088

1,148

1,122

1,101

R2

0.06

0.07

0.07

0.02

0.07

0.03

0.08

Der Wertebereich der für Complacency und Constraints verwendeten Items wurde umgedreht, so dass höhere Werte eine stärkere Ausprägung des theoretischen Konstrukts anzeigen. Standardfehler in Klammern. *** p<0.01, ** p<0.05, * p<0.1

 

Logit-Regressionsmodell: 7C als erklärende Faktoren für den Impfstatus (nicht geimpft/mind. 1 mal geimpft)

 

Impfstatus (nicht geimpft/geimpft)

 

Confidence

0.182**

 

(0.07)

Complacency

0.242***

 

(0.06)

Constraints

0.191**

 

(0.07)

Calculation

-0.093+

 

(0.05)

Collective

0.181**

 

(0.06)

Compliance

0.118+

 

(0.07)

Conspiracy

-0.352***

 

(0.06)

Constant

-0.453

 

(0.37)

Pseudo R-sqr

0.4084

BIC

834.7

N

1235.0

+ p < 0.10, * p < 0.05, ** p < 0.01, *** p < 0.001

 

Frageformulierung 7C

Es wurde die Kurzvariante des Messinstruments zur Messung der Ausprägung der 7C verwendet, d.h. eine Frage für jedes „C“. Untenstehend sind der Instruktionstext und die Fragen dargestellt.

Die folgenden Aussagen beziehen sich auf alle Krankheiten, gegen die eine Impfung verfügbar ist und von den Gesundheitsbehörden empfohlen wird. Bitte geben Sie an, wie sehr Sie jeder der Aussagen zustimmen. Bewerten Sie die Aussagen auf einer Skala von 1 = stimme überhaupt nicht zu bis 7 = stimme voll und ganz zu. Zusätzliche Antwortmöglichkeiten Weiß nicht und keine Angabe. (Matrix-Frage, randomisiert)

“Ich bin überzeugt davon, dass die zuständigen Behörden nur wirksame und sichere Impfstoffe zulassen.” (Confidence)

“Ich lasse mich impfen, weil es zu riskant ist, Infektionskrankheiten zu kriegen.” (Complacency, umgedreht kodiert, so dass niedrige Zustimmung eine hohe Ausprägung des theoretischen Konstruktes anzeigt)

“Impfungen sind mir so wichtig, dass ich andere Sachen zurückstelle, um mich impfen zu lassen.” (Constraints, umgedreht kodiert, so dass niedrige Zustimmung eine hohe Ausprägung des theoretischen Konstruktes anzeigt)

“Ich lasse mich nur dann impfen, wenn die Vorteile deutlich die Risiken überwiegen.” (Calculation)

“Ich sehe Impfen als eine gemeinschaftliche Aufgabe gegen die Verbreitung von Krankheiten.” (Collective Responsibility)

“Es sollte möglich sein, Personen zu bestrafen, die nicht den Impfempfehlungen der Gesundheitsbehörden folgen.” (Compliance)

“Impfungen verursachen Erkrankungen und Allergien, die schlimmer sind, als die Krankheiten, gegen die sie schützen sollen.” (Conspiracy)

Variablendefinitionen

Bildung: 1. Sekundarstufe I oder weniger; 2. Lehre oder äquivalent; 3. Matura oder äquivalent; 4. Abgeschlossene tertiäre Ausbildung nach Matura

Geschlecht: männlich = 0 / weiblich = 1

Alter: Alter in Dekaden

Haushaltseinkommen: in Dezilen 1 = <1.100 Euro; 2 = 1.100-1.500 Euro; 3 = 1.500-1.800 Euro; 4 = 1.800-2.200 Euro; 5 = 2.200-2.700 Euro; 6 = 2.700-3.100 Euro; 7 = 3.100-3.700 Euro; 8 = 3.700-4.300 Euro; 9 = 4.300-5.500 Euro; 10 = >5.500 Euro