29.10.2021 - PDF

Psychische Belastung während der Corona-Krise

  • Es besteht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der psychischen Belastung und der persönlichen Einschätzung der amtlichen Corona-Fallzahlen.
  • Es besteht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der psychischen Belastung und den staatlichen Corona-Maßnahmen.
  • Auch besteht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der psychischen Belastung und der persönlichen Einschätzung der gesundheitlichen Gefahr durch Corona.

Von Thomas Resch

Dieser ACPP-Blogbeitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob psychische Belastungen der Österreicher*innen und die staatlichen Corona-Maßnahmen sowie eigene Einschätzungen der amtlichen Corona-Fallzahlen und gesundheitliche Gefahrenwahrnehmung in einem zeitlichen Zusammenhang stehen. Ein länderübergreifender OECD-Bericht legt einen solchen Zusammenhang, zumindest zwischen Häufigkeit von Depressivität und Angst,  den Corona-Todeszahlen sowie den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Viruses  nahe.

Für diesen Blogbeitrag wird ein Index der psychischen Belastung verwendet, der aus neun Variablen zusammengesetzt ist (siehe Anhang). Diese Variablen umfassen die Häufigkeit von Einsamkeit, Niedergeschlagenheit, Ärgerlichkeit, Ruhe*, Nervosität, Glücksgefühl*, Ängstlichkeit, Bedrücktheit und Einschätzung des eigenen Energielevels*. Je höher der Indexwert, desto höher ist die psychische Belastung.

Abbildung 1 (links oben) zeigt den Verlauf der durchschnittlichen psychischen Belastung (Min: -0,60, Max: 3,50) im Zeitraum März 2020 und Juni 2021. Diese psychische Belastung war zu Beginn der Corona-Krise relativ hoch. Diese Belastung ging kontinuierlich zurück und erreichte im September 2020 einen Tiefpunkt. Danach stieg diese wieder stark an und erreichte im Herbst 2020 und Winter 2020/21 einen neuen Höhepunkt. Ab Mai 2021 fiel die psychische Belastung wieder wesentlich. Die neuesten Daten aus dem ACPP für Ende September 2021 zeigen wieder eine etwas erhöhte durchschnittliche psychische Belastung. 

Abbildung 1 (rechts oben) bildet den Verlauf der Strenge der staatlichen Maßnahmen in Österreich ab (Daten: Oxford COVID-19 Government Response Tracker). Der Index basiert auf neun Indikatoren, welche unter anderem Schulschließungen, Arbeitsplatzeinschränkungen und Reisebeschränkungen umfassen. Wenn die Maßnahmen in Bundesländern unterschiedlich sind, wird das Bundesland mit den strengsten Maßnahmen herangezogen. Der Index reicht von 0 bis 100, wobei 100 extrem strenge Maßnahmen bedeuten. Es zeigt sich, dass die staatlichen Corona-Maßnahmen einem ähnlichen zeitlichen Trend folgten als die psychische Belastung. 

Abbildung 1 (links unten) zeigt auch den Verlauf der durchschnittlichen persönlichen Einschätzung der aktuellen Corona-Fallzahlen. Dieser basiert auf der Frage: “Was schätzen Sie: wie viele Menschen sind in Österreich derzeit mit dem Coronavirus infiziert? Aktuelle Anzahl der Infizierten in Österreich nach offiziellen Angaben.”Der Verlauf in Abbildung 1 (links unten) gibt den Trend der tatsächlichen Corona-Infektionszahlen einigermaßen gut wider, wobei die Menschen in Österreich die amtlichen Corona-Fallzahlen tendenziell leicht überschätzten. Auch hier zeigt sich eine Ähnlichkeit im Verlauf der Infektionszahlen mit der durchschnittlichen psychischen Belastung. 

Abbildung 1 (rechts unten) zeigt den Verlauf der  persönlichen gesundheitlichen Gefahrenwahrnehmung  von März 2020 bis Juni 2021. Auch hier zeigt sich ein ähnlicher Verlauf wie bei der durchschnittlichen psychischen Belastung. Die gesundheitliche Gefahrenwahrnehmung basiert auf der Frage: “Wie groß schätzen Sie die gesundheitliche Gefahr ein, welche von dem Coronavirus für Sie persönlich und für die österreichische Bevölkerung ausgeht? Für mich persönlich.”

Abbildung 1: Verläufe der durchschnittlichen psychischen Belastung, der Strenge der staatlichen Corona-Maßnahmen, der durchschnittlichen Anzahl an amtlichen Corona-Infektionszahlen nach eigenen Einschätzungen und der persönlichen gesundheitlichen Gefahrenwahrnehmung von März 2020 bis September 2021. Quelle: ACPP (N je Welle = ca. 1500) & Oxford COVID-19 Government Response Tracker, Blavatnik School of Government, University of Oxford.

 

In Abbildung 2 (links und Mitte)  ist zu sehen, wie die Strenge der staatlichen Corona-Maßnahmen und die Einschätzungen der amtlichen Corona-Fallzahlen mit der individuellen psychischen Belastung in Zusammenhang stehen. 

Es zeigt sich, dass in Zeiten mit strengeren Maßnahmen auch die psychische Belastung höher war. Ähnlich verhält es sich mit den Einschätzungen der Corona-Fallzahlen, wobei hier bei den großen Schätzwerten aufgrund der breiten Konfidenzintervallen eine eindeutige Interpretation schwieriger ist.

Abbildung 2 (rechts) macht deutlich, dass auch ein Zusammenhang zwischen persönlicher gesundheitlicher Gefahrenwahrnehmung von Corona und der psychischen Belastung zu bestehen scheint.

Abbildung 2: Lineare Vorhersagen mit 95% Konfidenzintervallen (bivariat). Eigene Einschätzungen der amtlichen Corona-Fälle winsorisiert ab 500.000. Quelle: ACPP (N = ca. 3100, demographisch gewichtet).

 

Fazit

Die zeitlichen Zusammenhänge der Strenge der Maßnahmen, der gesundheitlichen Gefahrenwahrnehmung und der Einschätzung der amtlichen Corona-Infektionszahlen mit der psychischen Belastung scheinen zu bestehen. Da sich die staatlichen Corona-Maßnahmen an der Anzahl an Corona-Fällen (Inzidenzraten) und auch vor allem an den Auslastungen der Spitäler und der Intensivstationen orientieren, lassen sich potenzielle Effekte der Maßnahmen und der Corona-Fallzahlen schwer unterscheiden. Dass beide eine Rolle spielen, wird auch in dem OECD-Bericht betont. Zusätzlich scheint auch die gesundheitliche Gefahrenwahrnehmung eine Rolle zu spielen.

 


Thomas Resch ist als Doktorand am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Gerechtigkeitsforschung, Verteilungspräferenzen, Einstellungen gegenüber dem Wohlfahrtsstaat und international vergleichender Analyse von Wohlfahrtsstaaten.


Fußnoten

[1] Die Verläufe in Abbildung 1 sind vergrößert um sie besser sichtbar zu machen

* Variable wurde für die Indexbildung umgedreht

[2]  Eigene Einschätzungen der amtlichen Corona-Fälle zur Ausreißerkorrektur winsorisiert ab 500.000

 

 

Anhang

Index der psychischen Belastung

Min: -0,60

Max: 3,49

Wie oft waren Sie in der letzten Woche...? (Matrix-Frage, randomisierte Antwort-Items)

a. … ruhig und gelassen b. … einsam c. … ärgerlich  d. … so niedergeschlagen, dass Sie nichts aufheitern konnte e. … glücklich f. … sehr nervös g. … ängstlich h. … bedrückt und traurig i. … voller Energie

Matrix-Labels: • nie [1] • an manchen Tagen [2] • mehrmals die Woche [3] • beinahe jeden Tag [4] • täglich [5] • weiß nicht [88] • keine Angabe [99]

a, e, i umgedreht

Index berechnet mit Hauptkomponentenanalyse (engl. PCA). 

Strenge der staatlichen Corona-Maßnahmen

0-100

Es wurde immer die Strenge herangezogen, die zu Beginn der jeweiligen Welle der ACPP-Befragung vorherrschte.

www.bsg.ox.ac.uk/research/research-projects/covid-19-government-response-tracker