28.02.2022 - PDF
Hat der "Lockdown für Ungeimpfte" gewirkt?
- Der “Lockdown für alle” Ende November 2021 führte zu einer deutlichen Reduktion von Mobilität, Einkäufen und Kontakten.
- Der “Lockdowns für Ungeimpfte”, der bis Ende Jänner 2022 fortgeführt wurde, entfaltete demgegenüber wenig Wirksamkeit. So erhöhte sich die allgemeine Mobilität und das Einkaufen von Gütern jenseits der Grundversorgung im Jänner 2022 für die Gruppe der Ungeimpften ähnlich stark wie für die Gruppe der Geimpften. Allenfalls für das Einkaufsverhalten lässt sich eine schwache Dämpfung der Mobilität bei Ungeimpften erkennen.
- Angesichts der steigenden Infektionszahlen verzichteten vor allem Geimpfte im Jänner 2022 auf eine Ausweitung ihrer sozialen Kontakten. Ungeimpfte weiteten demgegenüber ihre Kontakte stärker aus.
Von Fabian Kalleitner und Julia Partheymüller
Die Einführung des sogenannten “Lockdown für Ungeimpfte” Anfang November 2021 sorgte für viele kontroverse Diskussionen. Neben der Frage, ob eine solche Regelung zu einer Spaltung der Gesellschaft beitrage, stand dabei vor allem die Frage der Wirksamkeit dieser Maßnahme im Raum, da weiterhin z.B. am Arbeitsplatz die 3G-Regel galt und zudem zunächst Kontrollen nur stichprobenartig durchgeführt wurden. Weiters wurde kurze Zeit nach Einführung ein allgemeiner Lockdown verhängt, der aber für Genesene und Geimpfte im Dezember vor Weihnachten wieder endete. Für Ungeimpfte blieb der Lockdown bis zum 31.01.2022 weiter aufrecht und dauerte damit beinahe drei Monate. Dabei wurden ab Mitte Jänner 2022 Kontrollen von 2G-Nachweisen verpflichtend im Handel an den Kassen durchgeführt.
Vor diesem Hintergrund beleuchten wir in diesem Blogbeitrag das Verhalten von geimpften und ungeimpften Personen im Zeitraum bis Jänner 2022. Wir betrachten dabei speziell das (a) allgemeine Mobilitätsverhalten, (b) das Einkaufen von Gütern jenseits der Grundversorgung sowie (c) soziale Kontakte.
Mobilitäts-, Einkaufs- und Kontaktverhalten im Zeitverlauf
Die Abbildungen 1 bis 3 zeigen das mittlere selbst eingeschätzte Mobilitäts-, Einkaufs- und Kontaktverhalten der Befragten im Zeitraum von März 2021 bis Jänner 2022 (für Details zur Messung, siehe Fußnote [1] und [2]). Es zeigt sich, dass über die Sommermonate die Mobilität, das Einkaufen und die Anzahl von sozialen Kontakten außerhalb des Haushalts zunahmen, sowohl für Geimpfte als auch Ungeimpfte. Zu beachten ist hier, dass sich auch die Gruppenzusammensetzung in dieser Zeit veränderte. Waren im März zunächst vor allem Ältere und Risikogruppen geimpft, konnte sich ab (Früh-)Sommer 2021 die breite Bevölkerung impfen lassen und die Impfquote stieg an. In den Herbstmonaten verlangsamte sich dann aber das Impftempo.[3]
Angesichts steigender Infektionszahlen und beginnender Einschränkungen gemäß des damals geltenden Stufenplans war in den Herbstmonaten 2021 dann wieder ein leichter Rückgang der Mobilität zu beobachten, wobei die Anzahl der sozialen Kontakte im Oktober 2021 auf dem höchsten gemessenen Niveau im Beobachtungszeitraum lagen. Kurze Zeit später Anfang November 2021 wurden neue verschärfte Regeln für Ungeimpfte eingeführt, insbesondere der sogenannte Lockdown für Ungeimpfte, der unter anderem eine 2G-Regel für den Handel vorsah.
Allerdings befand sich Österreich kurz darauf zum Zeitpunkt unserer Novemberbefragung bereits in einem allgemeinen (Teil-)Lockdown (insb. Schließung von Handel und Gastronomie), sodass sich die Wirkung des Lockdowns für Ungeimpfte hier nicht erfassen ließ. Der Zeitverlauf zeigt, dass im November 2021 – also während des allgemeinen Lockdowns – sowohl geimpfte als auch ungeimpfte Personen ihre Mobilität, das Einkaufen und ihre sozialen Kontakte deutlich reduzierten.
Unterschiede zwischen geimpften und ungeimpften Personen
Von besonderen Interesse für uns sind die Unterschiede im Verhalten von geimpften und ungeimpften Personen im Jänner 2022, da diese uns eine Abschätzung erlauben, inwiefern der sogenannte “Lockdown für Ungeimpfte” eine Wirkung entfalten konnte. Im Gegensatz zu den Geimpften blieb der Lockdown für Ungeimpfte auch über den Jahreswechsel bis Ende Jänner 2022 aufrecht. Wenn der Lockdown für Ungeimpfte wirkt, würden wir deshalb erwarten, dass mögliche Mobilitäts -und Kontaktsteigerungen bei Ungeimpften weniger stark ausfallen als bei Geimpften. Was die allgemeine Mobilität betrifft, zeigen sich jedoch kaum Unterschiede für die beiden Gruppen: Sowohl für Geimpfte als auch Ungeimpfte erhöhte sich die Mobilität im Jänner 2022 ungefähr im gleichen Ausmaß, wobei die Mobilität von Ungeimpften allgemein sogar höher als die von Geimpften lag. Die Häufigkeit des Einkaufens wurde für die Ungeimpften im Jänner 2022 scheinbar leicht gedämpft. Jedoch weiteten die Ungeimpften gleichzeitig ihre sozialen Kontakte etwas stärker aus, während Geimpfte ihre Kontakte weiterhin gegenüber der Kontaktanzahl im Herbst deutlich geringer hielten.
Fazit
Der “Lockdown für Ungeimpfte” hat für viele kontroverse Diskussionen gesorgt. Wir liefern vor diesem Hintergrund erste Analysen zur Wirksamkeit dieser Maßnahme zur Pandemiebekämpfung. Die Ergebnisse zeigen, dass eine geringfügig niedrigere Steigerung der Häufigkeit der Einkaufens im Jänner 2022 für Ungeimpften im Vergleich zu Geimpften beobachtet werden konnte. Für die Wirkung der Maßnahme hinsichtlich einer Reduktion der Ansteckungsmöglichkeiten sollten aber die Anzahl der sozialen Kontakte noch entscheidender sein. Hier zeigen sich aber kaum Auswirkungen. So erhöhten sowohl Geimpfte als auch Ungeimpfte ihre Kontaktanzahl seit Dezember 2021 wieder, obwohl zum Zeitpunkt der Befragung im Jänner 2022 der Lockdown für Ungeimpfte weiterhin in Kraft war. Unsere Zahlen sprechen sogar eher dafür, dass Geimpfte, obwohl sie von den verschärften Regeln selbst nicht betroffen waren, ihre Kontakte stärker einschränkten als Ungeimpfte. Insgesamt unterstreichen die Ergebnisse die Bedeutung der Mitwirkung der Bevölkerung bei der Pandemiebekämpfung, ohne die staatliche Maßnahmen und Gesetze nur bedingt eine Lenkungswirkung entfalten können.
Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Vienna Center for Electoral Research (VieCER) der Universität Wien und ist Mitglied des Projektteams der Austrian National Election Study (AUTNES).
Fabian Kalleitner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Aktuell forscht er zu Themen wie Steuerpräferenzen, Steuerwissen, Wahrnehmungsmechanismen und Arbeitswerte.
Fußnoten
[1] Der Mobilitätsindex besteht aus der Summe der angegebenen Häufigkeiten, wie oft Befragte für unterschiedliche Zwecke ihr Zuhause verlassen haben. Die Zwecke finden sich unten in der Frageformulierung. Die Skala wurde so rekodiert, dass “0” bedeutet, dass Personen im Schnitt “nie” ihr Zuhause verlassen haben und “1” bedeutet, dass Befragte im Schnitt “täglich” für alle die genannten Zwecke ihr Zuhause verlassen. Befragt, die bei einer der Mobilitätskategorien “Weiß nicht” oder “Keine Antwort” angegeben haben, werden aus der Analyse ausgeschlossen. Die Mobilitätsvariable “Mobilität Konsum (Keine Lebensmittel)” in Abbildung 2 entspricht den Antworten zu Mobilitätszweck “Sonstige Besorgungen”.
Haben Sie wegen folgenden Gründen in der vergangenen Woche Ihr Zuhause verlassen? (Matrix-Frage, randomisierte Antwort-Items - außer Items h. und i. immer zuletzt)
a. Arbeit
b. Sport
c. Freunde oder Verwandte treffen
d. Um Medikamente zu kaufen, medizinische Versorgung zu erhalten oder um andere zu pflegen/ anderen zu helfen
e. Essen einkaufen
f. Haustier ausführen
g. Aufgrund von Langeweile im Haus oder um meine Freiheit zu genießen
h. Sonstige Besorgungen [immer an vorletzter Position]
i. Andere Gründe [immer an letzter Position]
Matrix-Labels:
● nie
● an manchen Tagen
● mehrmals die Woche
● beinahe jeden Tag
● täglich
● weiß nicht
● keine Angabe
[2] Um die Anzahl der Kontakte zu berechnen wurden die Mittelwerte der Kategorien in der Kontaktanzahlsfrage unten verwendet. Für die oberste Kategorie wurde eine Kontaktanzahl von 20 angenommen. Eine niedrigere Annahme (etwa 18) führt zu qualitativ gleichen Ergebnissen. Befragte, die “weiß nicht” oder “keine Antwort” angegeben haben, wurden aus der Analyse ausgeschlossen.
[3] Unterschiede in den Zeitverläufen der Gruppen können insbesondere im Zeitraum bis Sommer aufgrund der unterschiedlichen Gruppenzusammensetzung entstehen. So war zunächst nur der ältere Teil der Bevölkerung aufgrund der Priorisierung geimpft, später kamen zunehmend jüngere hinzu, die allgemein mehr Mobilität und Sozialkontakte aufweisen. Ab Herbst können wir aber von einer vergleichsweise gleichbleibenden Gruppenzusammensetzung der Geimpften und Ungeimpften ausgehen, da sich nur noch wenige Menschen sich impfen ließen.
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