Themenverschiebungen in der Berichterstattung im Vorfeld der Wahl 2017

08.05.2018

 

Die automatisierte Medienanalyse der österreichischen Wahlstudie (AUTNES) zeigt, dass die Berichterstattung zur Nationalratswahl 2017 dem Sachthema Immigration deutlich mehr Sichtbarkeit verschafft hat als 2013. Gleichzeitig nahm die Sichtbarkeit von traditionell wichtigen Themen wie Arbeit und Wohlfahrtsstaat und Wirtschaft und Budget deutlich ab. Ein gänzlich neues Thema im Wahlkampf 2017 war die Silberstein-Affäre. Entgegen den Befürchtungen mancher Politiker, das Thema hätte andere wichtige Themen verdrängt, zeigt sich eine solche Themenverschiebung nur bedingt.

 

Von: Sebastian Galyga, Gregor Rettenegger, Jakob-Moritz Eberl und Hajo Boomgaarden

 

Die Facebook-Seiten, die bekanntermaßen vom politischen Berater Tal Silberstein erstellt wurden, seien laut Christian Kern „unmoralisch und unglaublich blöd“ gewesen. Blöd auch deshalb, weil sie, so die Meinung der SPÖ, die eigentlich wichtigen Themen aus dem politischen Diskurs verdrängt hätten. Nach dem Aufkommen der Affäre mahnte Christian Kern, es sei nun wieder an der Zeit, auf wichtige Themen zu setzen. In diesem Kontext wollen wir untersuchen, welche Themen während der Wahl 2017 tatsächlich medial diskutiert wurden. Wie dominant war die sogenannte Silberstein-Affäre in der politischen Berichterstattung? Mussten andere Themen „Federn lassen“, um der Causa Silberstein den limitierten Platz in den Medien einzuräumen?

Die Themen der Nationalratswahl 2017

Die mediale Sichtbarkeit eines bestimmten Themas ist für einzelne Parteien grundsätzlich ein Vorteil, wenn Wähler davon ausgehen, dass diese Partei die besten Lösungen für ein Thema hat, also dieses Thema politisch für sich beanspruchen kann. Diese sogenannte Themenführerschaft hatte laut AUTNES Multi-Mode Panel Study 2017 die SPÖ zum Beispiel beim Thema Arbeit und Wohlfahrtsstaat. Die damaligen Herausforderer ÖVP und FPÖ teilten sich die Themenführerschaft im Bereich Immigration. Die ÖVP hatte außerdem noch die Themenführerschaft auf Wirtschafts- und Budgetpolitik.

Noch am Wahlabend 2017 bedauerte jedoch Christian Kern, dass unter anderem die Medien eine „permanente, brutale, rechte Themenlage“ vorbereitet hätten. Doch trifft das laut Daten der AUTNES-Medienanalyse zu?

Die folgenden Darstellungen zeigen das Vorkommen von neun verschiedenen Policy-Themenbereichen in der politischen Berichterstattung anhand der AUTNES-Erhebungen. Dabei handelt es sich um Vollerhebungen aller Beiträge der Print- und Onlineausgaben der Tageszeitungen Der Standard, Die Presse, Salzburger Nachrichten, Kurier, Kleine Zeitung, Heute, Österreich und Kronen Zeitung wenige Wochen vor den Wahlen 2013 und 2017 in den acht Wochen vor der jeweiligen Wahl. Die Beiträge wurden mittels automatisierter Inhaltsanalyse auf ca. 700 spezifische Einzelthemen durchsucht. Die Ergebnisse wurden dann auf neun Themenbereiche aggregiert (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1 zeigt die relative Sichtbarkeit unterschiedlicher Themenkomplexe anteilig an der gesamten politischen Berichterstattung jeweils sechs Wochen vor der Nationalratswahl 2013 und 2017. So war sowohl 2013 als auch 2017 Wirtschaft und Budget das dominierende Sachthema während des Wahlkampfes. Es kam in ca. 34 Prozent (Wahl 2013) und 28 Prozent (Wahl 2017) aller Beiträge vor. Dicht gefolgt, war in beiden Wahlkämpfen auch das Thema Arbeit und Wohlfahrtsstaat medial besonders relevant. Im Vergleich zeigt sich außerdem, dass vor allem die sichtbaren Themen aus 2013, das heißt Wirtschaft und Budget, Arbeit und Wohlfahrtsstaat, und Institutionenreform (darunter v.a. Korruptionsbekämpfung) 2017 eher abgenommen haben. Die Berichterstattung zum Themenbereich Immigration hat sich wiederum nahezu verdoppelt. Dieser Bedeutungszuwachs des Themas Immigration konnte auch schon in den Presseaussendungen der Parteien festgestellt werden. Die kolportierte „rechte Themenlage“ lässt sich nur bedingt feststellen. Zwar nahm das Thema Immigration stark zu, eher „linke“ Themen wie Arbeit und Wohlfahrtsstaat waren jedoch auch im Wahlkampf 2017 deutlich wichtiger. Die Sichtbarkeit von Sicherheit und Bundesheer (auch ein Thema, das eher durch rechte Parteien besetzt wird) blieb in beiden Wahlen eher gleich.

Abgesehen von den acht Sachthemen haben wir uns außerdem die mediale Sichtbarkeit der Affäre um den politischen Berater Silberstein angesehen. Er fand 2017 in fast zehn Prozent aller Artikel zur Wahl Erwähnung. Ob die Silberstein-Affäre aber tatsächlich der Grund für die Abnahme von Sachthemen wie Arbeit und Wohlfahrtsstaat war, betrachten wir in den nächsten Schritten etwas genauer.

Themenverschiebung durch Silberstein?

Am 30. September, 15 Tage vor dem Wahltag, wurde bekannt, dass der politische Berater der SPÖ, Tal Silberstein, für die Organisation von Facebook-Seiten im Rahmen einer gegen den ÖVP-Chef Sebastian Kurz geführten Negativkampagne verantwortlich war. Abbildung 2 zeigt die Sichtbarkeit der von uns erfassten acht Sachthemen sowie von Silberstein während der letzten vier Wochen vor der Wahl 2017.

Deutlich zu erkennen, steigt die mediale Sichtbarkeit des Themas Silberstein mit Bekanntwerden der Details um die Facebook-Seiten 15 Tage vor der Wahl dramatisch an: am selben Tag macht es sechs Prozent und ein paar Tage später bis zu 17 Prozent aller behandelten Themen aus. Für etwa eine Woche ist die Silberstein-Affäre eines der wichtigsten Themen des Wahlkampfs. Doch in der letzten Woche vor der Wahl lässt die Sichtbarkeit bereits deutlich nach. Was die Sachthemen betrifft, lässt sich am ersten bis zum dritten Tag der Affäre allein bei der Sichtbarkeit der Bereiche Wirtschaft und Budget sowie Arbeit und Wohlfahrt eine Abnahme feststellen. Die Sichtbarkeit beider Bereiche steigt jedoch schon am vierten Tag bereits wieder an und hält sich für den Rest des beobachteten Zeitraums fast auf demselben Niveau wie vor Silberstein. Keines der anderen Sachthemen scheint auf den ersten Blick durch die Silberstein-Affäre an Sichtbarkeit eingebüßt zu haben.

Abbildung 3 zeigt nur die Veränderungen in der Themensichtbarkeit zwischen der dritten und vierten Woche (als die Silberstein-Affäre bekannt wurde) und den letzten beiden Wochen vor der Wahl. Zum Vergleich wurde dieselbe Auswertung für die Daten der Berichterstattung 2013 vorgenommen, da es sein könnte, dass manche Themen grundsätzlich gegen Ende eines Wahlkampfs weniger Medienaufmerksamkeit bekommen.

Aus Abbildung 3 wird nun deutlich, dass das Thema Arbeit und Wohlfahrtsstaat am stärksten an medialer Sichtbarkeit einbüßen musste, nachdem die Silberstein-Affäre publik wurde. Vergleicht man die Zeiträume vor und nach der Affäre, nahm die Sichtbarkeit des Themas um ca. drei Prozentpunkte ab. Ähnlich ging es den Themen Wirtschaft und Budget, sowie Infrastruktur und Umwelt. Dabei blieben diese Themen 2013 eher stabil. In Summe verlieren fast alle Themen im Vergleich zwischen den beiden Zeiträumen an Sichtbarkeit. Institutionenreform nimmt leicht zu, da es sich hinter dieser Bezeichnung unter anderem das Sachthema der Korruptionsbekämpfung versteckt, das auch im Zusammenhang mit der Silberstein-Affäre relevant wurde. Das Immigrationsthema bleibt als einziges stabil in seiner Sichtbarkeit. Bis auf leichte Tendenzen für die Sachthemen Sicherheit und Bundesheer, sowie Außenpolitik und Europa, zeigt der Vergleich mit der Berichterstattung 2013 keine deutlichen Trends, dass etwaige Themen grundsätzlich gegen Ende der Wahl weniger Medienaufmerksamkeit bekommen würden.

Bestandsaufnahme: Business as usual?

Was lässt sich nun über die Themenlandschaft während der Nationalratswahl 2017 sagen? Im Vergleich zu 2013, gab es vor allem ein Sachthema, das deutlich an Sichtbarkeit dazugewonnen hat: Immigration. Themen wie Arbeit und Wohlfahrtsstaat, Wirtschaft und Budget oder Institutionenreform (u.a. Korruption) haben im Vergleich dazu etwas an Wichtigkeit eingebüßt, blieben allerdings weiterhin unter den sichtbarsten Sachthemen der Wahl. Das spricht daher nur bedingt für Kerns Behauptung, dass die Medien eine „rechte Themenlage“ verbreitet hätten. Dass Immigration ein wichtigeres Thema sein würde, ist außerdem wenige Jahre nach der sogenannten europäischen Flüchtlingskrise nicht überraschend. Im Einklang mit vergleichbaren Analysen zu den Facebookseiten der Spitzenkandidaten sowie zu den Wählerpräferenzen zeigen unsere Auswertungen, dass sich die Auswirkung der Silberstein-Affäre auf die Themenlage insgesamt in Grenzen hielt und nur von kurzer Dauer war.

 

Hajo Boomgaarden ist Professor für Methoden in den Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt auf Textanalyse am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Davor war er Assistenzprofessor (2007-2011) und Assoziierter Professor für politische Kommunikation (2011-2014) an der Amsterdam School of Communication Research und am Department of Communication an der Universität Amsterdam. Der Fokus seiner Forschung liegt im weitesten Sinne auf der politischen Kommunikation, im Besonderen auf Medien und europäischer Integration, Medien und Populismus, Parteien der extremen Rechten und Wahlkampagnen. In jüngster Zeit beschäftigt sich seine Forschungsarbeit mit der Weiterentwicklung der computergestützten Methoden der Textanalyse und der multimedialen Analyse.

Jakob-Moritz Eberl ist seit April 2017 Projektmitarbeiter (Post-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und seit 2013 Teil der österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES, Media Side), wo er für die manuelle und automatisierte Inhaltsanalyse der medialen Berichterstattung verantwortlich ist. Er hat zuvor Politikwissenschaft (MA) und Politische Kommunikation (Dr.) an der Universität Wien studiert. Seine Dissertation verfasste er zu Medienbias in Österreich.

Sebastian Galyga ist Studienassistent am Vienna Center for Electoral Research und Student der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften im Master Communication Science an der Universität Wien. Sein Interesse gilt der politischen Kommunikation und den quantitativen, insbesondere inhaltsanalytischen Methoden. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Studienassistent ist er an der Erhebung und Auswertung der Mediendaten der österreichischen Wahlstudie (AUTNES, Media Side) beteiligt, wo er für die manuelle Inhaltsanalyse der medialen Berichterstattung verantwortlich ist.       

Gregor Rettenegger ist Studienassistent am Vienna Center for Electoral Research und Student im Masterstudium am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Sein Interesse gilt computerunterstützen Methoden der Inhaltsanalyse und Intermedia Agenda Setting. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Studienassistent ist er an der österreichischen Wahlstudie (AUTNES, Media Side) beteiligt, wo er für die automatisierte Inhaltsanalyse der medialen Berichterstattung verantwortlich ist.

Abbildung 1: Themen in der Berichterstattung; die anteilhafte Sichtbarkeit eines Themas wird anhand aller Artikel zur jeweiligen Wahl errechnet; sonstige Themen beinhaltet u.a. Artikel, die zwar Wahlkampfereignisse, aber kein einziges Sachthema behandeln; AUTNES Automatic Content Analysis of the Media Coverage 2013, 2017

Abbildung 2: Themensichtbarkeit während der Wahl 2017; die anteilhafte Sichtbarkeit eines Themas wird anhand aller Themen an einem bestimmten Tag errechnet; AUTNES Automatic Content Analysis of the Media Coverage 2017

Abbildung 3: Veränderung der Themensichtbarkeit; die anteilhafte Veränderung in der Sichtbarkeit eines Themas wird anhand der anteilhaften Sichtbarkeit eines Themas im Vergleich zu allen anderen Themen für den Zeitabschnitt 1-2 Wochen vor der Wahl und 3-4 Wochen vor der Wahl errechnet; AUTNES Automatic Content Analysis of the Media Coverage 2013, 2017