Von: Julian Aichholzer und Laurenz Ennser-Jedenastik
Die Liste Pilz als neuer Player
Eine Besonderheit der Nationalratswahl 2017 war das Antreten der Liste Pilz nach der Abspaltung von den Grünen sowie die damit verbundenen drastischen Verschiebungen im linken Spektrum der Wählerschaft. Der klare Verlierer war die „Mutterpartei“, die Grünen, selbst.
Die Liste Pilz hat sich jedoch, so kann man mutmaßen, in den letzten Monaten mit dem öffentlichen Austragen von innerparteilichen Konflikten selbst massiv beschädigt. In Umfragen liegt die Partei mittlerweile konstant unter der Vierprozenthürde. Selbst wenn die Partei damit Gefahr läuft, wieder in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, heißt das aber nicht, dass man aus ihrem Erfolg im Oktober 2017 keine allgemeinen Lehren ziehen könnte.
Interessant an der politischen Positionierung der Liste Pilz war, dass sie – vor allem im ökonomischen Bereich – eine klar linke Haltung vertrat, während sie in anderen Bereichen durchaus Anleihen bei den Mitbewerbern aus dem rechten Spektrum nahm. Beispielsweise warnten die Partei und ihr Namensgeber im Wahlkampf wiederholt vor der Unterwanderung westlicher Demokratien durch den politischen Islam. Das Wahlprogramm der Partei ist außerdem gespickt mit populistischer Anti-Eliten-Rhetorik: Gewettert wird gegen „Konzerne“, „Spekulanten“, „Banken“, „Amazon“ und „Apple“, während die Interessen der „Steuerzahler“, der „alleinerziehenden Mütter“ oder gar der „Buchhändlerin in Oberpullendorf“ geschützt werden sollen. Das ist insofern interessant als Parteien, die in Österreich ökonomisch linke Positionen vertreten (SPÖ, Grüne), bisher kaum auf islamkritische oder populistische Argumente gesetzt haben. Auch in anderen westeuropäischen Ländern gibt es bisher kaum Parteien mit dieser Ausrichtung.
In diesem Blogbeitrag wollen wir überprüfen, inwiefern sich diese Positionierung auch im Wahlverhalten der Liste Pilz-Anhänger niedergeschlagen hat. Wir vergleichen dazu Personen, die im Oktober 2017 Liste Pilz gewählt haben mit jenen, die ihre Stimme den Grünen gegeben haben.
Empirische Untersuchung der Wählerschaft
Bislang ist wenig über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Gruppen von Wählerinnen und Wählern – Liste Pilz vs. Grüne – bekannt. Dies ist primär der mangelhaften Datenlage geschuldet. Für gewöhnlich können Wählerinnen und Wähler von kleinen Parteien aufgrund der geringen Fallzahl in Umfragen nicht gesondert ausgewiesen werden (so etwa auch in der SORA-Wahltagsbefragung 2017).
Die Datenbasis der folgenden Analysen ist daher eine Kumulation (Zusammenführung) der Daten der Austrian National Election Study (AUTNES) 2017, konkret der „Online Panel Study”, der „Multi-Mode Panel Study” und des „CSES Post-Election Survey”. Zusammen ergeben diese eine Stichprobe von immerhin n = 579 Personen, die angaben, bei der Nationalratswahl 2017 Liste Pilz oder Grüne gewählt zu haben.
Um die Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen zu verstehen, berücksichtigen wir einerseits sozio-demografische Merkmale wie berufliche Stellung, formale Bildung, Geschlecht, Alter (in nicht-linearer Form) und Migrationshintergrund. An spezifischen Präferenzen untersuchen wir andererseits die Sympathie gegenüber Peter Pilz, die generelle ideologische Orientierung (links-rechts), Einstellungen zur Zuwanderung (Zuwanderung als Bereicherung, Zuwanderung nur in Ausnahmefällen), sozio-ökonomische Einstellungen (Arbeitslosigkeit vs. Schulden bekämpfen, Einkommensungleichheit ausgleichen), Anti-Elitismus/Populismus (Politiker kümmern sich um die Reichen, Politiker sind nicht vertrauenswürdig).
Die Analyse erfolgt über ein so genanntes logistisches Regressionsmodell, wobei Wählerinnen und Wähler der Liste Pilz lediglich jenen der Grünen gegenübergestellt werden. Diese Art statistische Analyse ermöglicht es, viele Merkmale, die ein Ergebnis (hier: die Wahlentscheidung) beeinflussen können, gleichzeitig in einem Modell zu berücksichtigen, um so den Nettoeffekt jedes einzelnen Merkmals nach Kontrolle für alle anderen zu ermitteln.
Ergebnisse
Die grüne Linie in den Grafiken (siehe Abb. 1) zeigt jeweils die aus dem Modell geschätzte Wahrscheinlichkeit, die Grünen oder Liste Pilz zu wählen – unter verschiedenen Ausprägungen eines bestimmten Merkmals. Der grün schattierte Bereich zeigt zusätzlich die statistische Unsicherheit (95%-Konfidenzintervall).
Verläuft die grüne Linie flach bzw. entlang der mittleren Wahlwahrscheinlichkeiten im Sample (rot eingefärbte Linie), dann hat ein Merkmal keinen Einfluss auf die Entscheidung zwischen Liste Pilz und den Grünen. Je stärker geneigt die grüne Linie, desto stärker ändert sich die Wahlwahrscheinlichkeit für eine der beiden Parteien in Abhängigkeit eines Merkmals.
Der wohl bedeutendste Erklärungsfaktor ist, wie zu erwarten, die Sympathie gegenüber der Person Peter Pilz selbst. Jedoch behalten viele andere Variablen auch nach Berücksichtigung dieser individuellen Einschätzung ihre Erklärungskraft.
Unter den sozio-demografischen Merkmalen etwa zeigt vor allem das Geschlecht einen direkten Einfluss: Männer tendieren eher zur Liste Pilz, Frauen eher zu den Grünen. Außerdem haben sehr junge Wählerinnen und Wähler eine leichte Präferenz für die Grünen.
Die Analyse zeigt weiters, dass Wählerinnen und Wähler der Liste Pilz ideologisch etwas weiter rechts stehen, allerdings nur in Bezug auf die Links-Rechts-Selbsteinstufung und Zuwanderungsfragen. Bei ökonomischen Einstellungen ähneln einander die beiden Wählergruppen nämlich. Außerdem sind populistische Einstellungen bei Wählerinnen und Wählern der Liste Pilz etwas ausgeprägter.
Fazit
Kann die Wahl für die Liste Pilz als Beispiel für eine neue populistische Linkspartei gezählt werden? Die hier präsentierten Daten legen tatsächlich nahe, dass Pilz-Wählerinnen und -Wähler einen gewissen Spagat schaffen: in ökonomischen Fragen stehen sie klar links, ähnlich der Grün-Wählerschaft, während Anti-Eliteneinstellungen und Skepsis gegenüber Zuwanderung bei der Pilz-Anhängerschaft in größerem Ausmaß vorherrschen.
Das ist insofern bedeutsam als – zumindest in Österreich – populistischen Neigungen und Ablehnung von Zuwanderung traditionell eher unter Wählerinnen und Wählern rechter Parteien vorzufinden waren. Auch lässt sich aus einer Kombination der eben genannten Faktoren ableiten, dass Pilz-Wählerinnen und -Wähler eher euroskeptisch sein werden. Sollte diese neue Partei aber langfristig nicht bestehen, bleibt die Frage, wie diese Wählerinnen und Wähler von anderen Parteien umworben und gewonnen werden können.
Julian Aichholzer ist Universitätsassistent (Post-Doc) am Institut für Staatswissenschaft und Teil der „Austrian National Election Study“ (AUTNES) und ACIER sowie des Forschungsverbunds „Interdisziplinäre Werteforschung“. Er hat zuvor Soziologie (Mag.) und Politikwissenschaft (Dr.) an der Universität Wien studiert.
Laurenz Ennser-Jedenastik ist seit Oktober 2014 Universitätsassistent (Post-Doc) am Institut für Staatswissenschaft an der Universität Wien. Von September 2009 bis März 2013 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Austrian National Election Study (AUTNES). 2013 und 2014 war er im Rahmen eines Erwin-Schrödinger-Stipendiums des FWF an der Universität Leiden (Niederlande) tätig.