Hilfe, meine Partei ist zerstritten! Na und?

03.03.2020

Parteien, die von internen Konflikten geplagt sind, kommen bei den Wähler*innen nicht gut an, denn sie lassen die Parteien inkompetent und wenig stabil wirken. Aber wann nehmen Wähler*innen innerparteiliche Konflikte überhaupt wahr? Sind ihre Wahrnehmungen in der Realität begründet oder werden sie von sogenanntem „motivated reasoning“ – also parteiischer Informationsverarbeitung – beeinflusst?

 

Von Jakob-Moritz Eberl, Sylvia Kritzinger und Carolina Plescia

 

Zur Beantwortung dieser Fragen haben wir in einer aktuellen Studie Paneldaten der Österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES) 2017 (Wagner et al. 2018) verwendet. Bei Paneldaten handelt es sich um eine Umfrage in mehreren Wellen, das heißt, dass dieselben Befragten über einen längeren Zeitraum immer wieder interviewt werden.

Tatsächlich eignet sich die Nationalratswahl 2017 sehr gut, um unserer Forschungsfrage nachzugehen, denn die Monate im Sommer vor der Wahl waren durch erhebliche innerparteiliche Konflikte, zu unterschiedlichen Zeitpunkten, gekennzeichnet (z.B. der Parteivorsitzendenwechsel bei den Grünen und der ÖVP, die Silberstein-Affäre). Genau diese zeitlichen Unterschiede im tatsächlichen Konfliktausmaß, konnten wir in unserer Studie ausnutzen und fragten die Wähler*innen über mehrere Monate verteilt: „Wenn Sie an die folgenden Parteien denken: Wie einig oder zerstritten sind diese intern, also innerhalb ihrer Partei, Ihrer Meinung nach?“.

Zuerst wollen wir nun also überprüfen, ob die Wahrnehmungen der Wähler*innen auf realpolitischen Entwicklungen beruhen. Demnach müssten Unterschiede und Veränderungen in der Wahrnehmung parteiinterner Konflikte so variieren, dass sie das tatsächliche Konfliktausmaß innerhalb einer Partei zu einem bestimmten Zeitpunkt in etwa widerspiegeln.

Abbildung 1 zeigt das wahrgenommene Level an innerparteilichem Konflikt für jede Partei im Juli (Welle 2) und im Oktober (Welle 4) vor der Wahl 2017.

In Welle 2 (schwarze Marker) zeigt sich, das ÖVP und Grüne am zerstrittensten wahrgenommen werden. Im Juli waren die Querelen zwischen Reinhold Mitterlehner und seinem Nachfolger Sebastian Kurz noch recht frisch. Auch die Abspaltung der Liste Pilz von den Grünen beschäftigte noch alle Medien. Das wahrgenommene Konfliktpotenzial innerhalb der beiden Parteien sollte jedoch in Welle 4 (graue Marker), d.h. am Ende des Wahlkampfes, wieder abnehmen.

Bei der SPÖ macht sich im Vergleich zwischen Welle 2 und Welle 4 auch der Skandal um den Wahlkampfberater Tal Silberstein bemerkbar. Die Parteiführung wurde von führenden Parteifunktionär*innen wegen ihrer Wahlkampfstrategie heftig kritisiert; was auch den Wähler*innen offensichtlich nicht entging. Kurz vor der Wahl wird die SPÖ daher als die am stärksten zerstrittene Partei wahrgenommen.

Der Vergleich zwischen der ÖVP und der Neuen Volkspartei (Anm. es wurden beide Varianten getrennt abgefragt) zeigt spannende Unterschiede in der Wahrnehmung der Wähler*innen. Während die vermeintlich „alte“ ÖVP als sehr gespalten wahrgenommen wird, gilt sie mit neuem Anstrich und neuem Namen als sehr geeint. Wir interpretieren dies als Hinweis darauf, dass die Strategie des neuen Parteichefs Sebastian Kurz, seiner Partei nach der Übernahme der Führung im Mai 2017 ein neues Image zu geben, erfolgreich war (siehe auch Plescia et al., 2019).

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die öffentliche Wahrnehmung innerparteilicher Konflikte mit dem tatsächlichen Ausmaß dieser Konflikte weitgehend übereinstimmt. Wir fanden auch, dass der Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und tatsächlichem Konflikt stärker war, je aufmerksamer die Wähler*innen den Wahlkampf verfolgten.

Dennoch wissen wir, dass Menschen konsequent Strategien zur Reduzierung von kognitiven Dissonanzen anwenden, um das psychologische Unbehagen negativer oder gegensätzlicher Informationen zu verringern, ein Prozess, der auch als „motivated reasoning“ bezeichnet wird. Angesichts der Tatsache, dass Konflikte innerhalb einer Partei in der Regel als ein Problem für diese Partei wahrgenommen und von der Öffentlichkeit negativ bewertet werden, ist zu erwarten, dass sich Anhänger*innen der betroffenen Parteien gegen solche Informationen zur Wehr setzen; d.h. diese nicht bzw. weniger wahrhaben wollen.

Abbildung 2 zeigt das wahrgenommene Niveau an innerparteilichem Konflikt aufgeschlüsselt nach Anhänger*innen der jeweiligen Partei („partisans“) und allen anderen Befragten. Die Ergebnisse sind eindeutig: Über alle Parteien hinweg nehmen Wähler*innen die Partei, der sie selbst nahestehen, als wesentlich weniger gespalten und zerstritten wahr. Anhänger*innen sehen also innerparteiliche Konflikte zuallererst durch die rosarote Brille der eigenen Parteifarbe.

Dennoch werden auch in dieser Auswertung jene Parteien, die mit tatsächlichen innerparteilichen Konflikten zu kämpfen haben, als zerstrittener wahrgenommen als andere Parteien. Die Unterschiede zwischen Parteianhänger*innen und anderen Wähler*innen sind also geringer, wenn der innerparteiliche Konflikt quasi offensichtlich ist. Bei den Grünen und der (alten) ÖVP beispielsweise sind die Unterschiede zwischen den beiden Untergruppen am geringsten. Mit anderen Worten: Wenn die Realität einsetzt, fällt es den Anhänger*innen schwerer, die Augen vor parteiinternen Konflikten zu verschließen.

Ist eine Partei also zerstritten, gibt es tatsächlich Grund zur Sorge, denn die Wähler*innen ziehen reale Ereignisse als Grundlage für ihre Einschätzung innerparteilicher Konflikte heran. Die Frage nach dem „na und?“ ist nicht trivial. Handelt man als Partei rasch, verändert sich die Wahrnehmung der Wähler*innen noch während eines laufenden Wahlkampfes – wie unsere Ergebnisse gezeigt haben. Dieses Zusammenspiel wird beeinflusst von der Aufmerksamkeit mit der die Wähler*innen den Wahlkampf verfolgen und von der eigenen Parteinähe. Gänzlich ignorieren, also den Kopf einziehen, können aber sogar Parteianhänger*innen innerparteiliche Konflikte in der eigenen Partei nicht.


[1] Anmerkung:  Vollständige Informationen zu den Modellen finden Sie in der publizierten Studie. Die Welle 2 wurde zwischen dem 26. Juli und dem 10. August 2017 durchgeführt, Welle 4 zwischen dem 2. und dem 13. Oktober 2017.

[2] Anmerkung: Vollständige Informationen zu den Modellen finden Sie in der publizierten Studie.


Carolina Plescia hat ihr Doktorat im November 2013 am Trinity College in Dublin, mit einer Dissertation zu Wahlverhalten in 'mixed member' Wahlsystemen absolviert. Danach hat sie ihre Anstellung als Universitätsassistentin (Post-Doc) am Institut für Staatswissenschaften an der Universität Wien angetreten. Ihre Dissertation wurde mit dem ECPR Jean Blondel PhD Preis für die beste politikwissenschaftliche Doktorarbeit 2014 ausgezeichnet.

Sylvia Kritzinger ist Universitätsprofessorin für Methoden in den Sozialwissenschaften am Institut für Staatswissenschaft. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen politisches Verhalten, Wahlforschung, demokratische Repräsentation, politische Teilnahme und quantitative Methoden. Sie ist eine der Projektleiterinnen der 'Austrian National Election Study' (AUTNES), verantwortlich für 'the Demand Side - Wahlverhalten' und stellvertretende Leiterin des Vienna Center for Electoral Research.

Jakob-Moritz Eberl ist seit April 2017 Projektmitarbeiter (Post-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und seit 2013 Teil der österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES, Media Side), wo er für die manuelle und automatisierte Inhaltsanalyse der medialen Berichterstattung verantwortlich ist. Er hat zuvor Politikwissenschaft (MA) und Politische Kommunikation (Dr.) an der Universität Wien studiert. Seine Dissertation verfasste er zu Medienbias in Österreich.


 

Abbildung 1: Durchschnittliche Vorhersage der Wahrnehmung innerparteilicher Konflikte nach Parteien [1]

Abbildung 2: Vorhersage nach Partei und Parteizugehörigkeit [2]