Von: Gregor Rettenegger, Sebastian Galyga und Jakob-Moritz Eberl
Was ist Personalisierung?
Wahlkämpfe, so die gängige Meinung, werden zunehmend von Personalisierung geprägt. Nicht Ideologien oder Wahlprogramme, sondern vielmehr die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten spielen die zentrale Rolle in der medialen Wahlberichterstattung. Besonders für parlamentarische Systeme, die traditionell eigentlich auf Parteien als politische Akteure fokussiert sind, wird diese Verschiebung der medialen Aufmerksamkeit oft negativ bewertet. Eine zu hohe Konzentration der medialen Aufmerksamkeit (und damit zumindest suggerierten Macht) in den Händen einzelner Führungsfiguren könne langfristig eine Gefahr für die Institutionen der repräsentativen Demokratie darstellen.
Auf den ersten Blick scheint die Nationalratswahl 2017 besonders stark von Personalisierung geprägt gewesen zu sein. Fast fünfzig Fernsehauftritte und TV-Duelle der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten fanden vor der Wahl statt. Zwei der sechs Parteien, die in den Nationalrat einzogen, trugen den Namen des Spitzenkandidaten. Eine stellte schließlich den Kanzler. Die Liste Pilz um Spitzenkandidat und Namensgeber Peter Pilz schaffte es, als kurz vor der Wahl überhaupt erst gegründete Partei, auf Anhieb in den Nationalrat; und Sebastian Kurz gelang es mit seiner Liste Kurz, die Traditionspartei ÖVP in der Öffentlichkeit scheinbar neu zu erfinden und komplett auf seine Person auszurichten.
Doch wie personalisiert war die Berichterstattung zur Nationalratswahl 2017 tatsächlich? Bei welchen Parteien standen die Parteispitzen besonders stark im Fokus der Medien, und welche Veränderungen zeigen sich im Vergleich zur Wahl 2013?
Wie messen wir Personalisierung in der Berichterstattung?
Die Darstellungen unten zeigen das Ausmaß an Personalisierung in der politischen Berichterstattung anhand der AUTNES Erhebungen von allen Beiträgen der Print- und Onlineausgaben der Tageszeitungen Der Standard, Die Presse, Salzburger Nachrichten, Kurier, Kleine Zeitung, Heute, Österreich und Kronen Zeitung zu den Wahlkämpfen 2013 und 2017, in den acht Wochen vor der jeweiligen Wahl. Der Personalisierungsgrad wird hier definiert als Anteil jener Politikberichterstattung zu einer Partei, in der eine Spitzenkandidatin oder ein Spitzenkandidat erwähnt wird.[1] Die Vergleichsgruppe bilden Beiträge, in denen nur Parteien oder andere Politikerinnen und Politiker vorkommen, nicht aber die Parteispitzen selbst. So wird der mediale Fokus auf das Spitzenpersonal ersichtlich.
[1] Bei den Parteien „Liste Pilz“ und „Liste Kurz“, wurden diese Bezeichnungen der Partei und nicht dem Spitzenkandidaten zugeordnet, obgleich sie den Nachnamen des Politikers im Parteinamen tragen.
Personalisierung der Berichterstattung: Ein Echo der Parteistrategie?
Grundsätzlich spielen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten als die medial sichtbarsten Vertreter für alle politischen Parteien eine wichtige Rolle. Internationale Forschung zeigt, dass vor allem für neue, sowie rechtspopulistische Parteien Spitzenkandidatinnen und -kandidaten essentiell für deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit sind. Neue Parteien sind besonders auf ihre Spitzenkandidatin bzw. ihren Spitzenkandidaten angewiesen, weil sie noch wenig bekannt sind und ihren Wiedererkennungswert steigern müssen. Das geht am ehesten, wenn die gesamte Medienaufmerksamkeit auf eine einzige Person gerichtet ist. Rechtspopulistische Parteien setzen oftmals auf „starke” und „charismatische” Spitzenkandidatinnen und -kandidaten, die kein Blatt vor den Mund nehmen und dadurch immer für einen guten O-Ton zu haben sind.
Abbildung 1 zeigt die prozentualen Anteile personalisierter Berichte. Vergleicht man die Wahlkämpfe von 2013 und 2017, zeigt sich, dass der Anteil personalisierter Berichte bei allen Parteien zugenommen hat. Besonders sticht dabei die ÖVP bzw. Liste Kurz hervor, bei der sich der Anteil von 29% auf 51% sprungartig erhöht hat. Die geringste Änderung liegt mit 40% auf 44% bei der FPÖ vor. Jedoch wies die Berichterstattung über die FPÖ bereits 2013 einen hohen Grad an Personalisierung auf.
Abseits des zeitlichen Vergleichs zeigt sich, dass die Berichterstattung über linke Parteien tendenziell etwas weniger stark personalisiert ist, als diejenige über rechte Parteien. Die Unterschiede sind allerdings gering. Die Ausnahme bildet hier vor allem die Liste Pilz, bei der sich auch die Berichterstattung sehr stark auf den bekannten Spitzenkandidaten fokussierte. Hier wurde mit 77% der mit Abstand höchste Grad an personalisierter Berichterstattung gemessen.
Personalisierung der Berichterstattung: Ein Resultat journalistischer Routinen?
Die Personalisierung der politischen Berichterstattung kann allerdings auch von Medien selbst ausgehen, die zunehmend Konflikte um Kandidatinnen und Kandidaten ins Zentrum der Berichterstattung stellen. Hier spielt die Medienlogik eine besondere Rolle, wo bestimmte Formate (z.B. Online vs. Offline) oder Mediengenres (z.B. Qualitätsmedien vs. Boulevard) entsprechend ihrer journalistischen Routinen und der Erwartungshaltung ihrer Leserinnen und Leser den Nachrichtenwert von Persönlichkeiten unterschiedlich einschätzen.
Abbildung 2 zeigt die Personalisierung in der Berichterstattung, anhand eines Vergleichs von Online- und Offlinemedien, sowie Qualitäts-, (überregionale) Midrange- und Boulevardmedien. Während bei Offline und Online kein Unterschied erkennbar ist, weisen Boulevardzeitungen - mit einem Unterschied von fast zehn Prozentpunkten - einen deutlich höheren Grad an Personalisierung auf als Qualitäts- oder Midrangemedien. Auch hier zeigt sich ein Anstieg zum Vergleichsjahr 2013 quer durch alle untersuchten Formate und Genres.
Personalisierung der Berichterstattung: Eine Wahlkampfdynamik?
Neben dem Ausmaß der Personalisierung in der medialen Berichterstattung insgesamt ist auch die Dynamik dieses Aspekts während des Wahlkampfs interessant. Immerhin entscheiden sich immer mehr Wählerinnen und Wähler erst am Ende des Wahlkampfs für eine Partei. Abbildung 3 zeigt den zeitlichen Verlauf personalisierter Berichterstattung über die letzten 8 Wochen vor der Wahl 2013 und 2017. Verglichen werden zusätzlich Boulevardmedien mit Mid-Range und Qualitätszeitungen (=Non-Boulevard). Dabei wird ersichtlich, dass in beiden Wahlkämpfen die Personalisierung mit Näherrücken des Wahltages tendenziell leicht zunahm, dies jedoch stärker bei der Wahl 2017 der Fall war. Zu Beginn der jeweiligen Wahlkämpfe liegen Boulevard und Non-Boulevard 2017 in Bezug auf den Personalisierungsgrad ihrer Berichterstattung noch in etwa gleich auf, dann nimmt aber vor allem die Personalisierung in Boulevardmedien bis zum Ende der Wahlkämpfe zu (+17,5 Prozentpunkte bei Boulevardmedien und +11 Prozentpunkte bei Qualitätsmedien).
Bestandsaufnahme: Personalisierung
Was lässt sich nun über Personalisierung in österreichischen Wahlkämpfen sagen? Der Begriff Personalisierung beschreibt einen Prozess. Anhand nur zweier Wahlen, können wir an sich wenig über diesen Prozess sagen. Um zu beurteilen, inwieweit es sich hier um einen langfristigen Trend handelt, bedarf es weiterer Beobachtungen. Dennoch kann ein Zuwachs in personalisierter Wahlberichterstattung zwischen 2013 und 2017 festgestellt werden. Sollte es weiterhin Parteien wie die Liste Pilz oder die Liste Kurz geben – oder sollten gar weitere Parteien hinzukommen –, die ihre gesamte Wahlkampfstrategie auf den Spitzenkandidaten zuschneiden, kann von einem weiteren Zuwachs personalisierter Berichterstattung ausgegangenen werden.
Denn unsere Analyse hat gezeigt, dass Unterschiede im Personalisierungsgrad zwischen 2013 und 2017 eher mit den Parteien als mit den Medien selbst zu tun haben. Zwischen Online- und Offlinemedien konnten wir gar keinen Unterschied feststellen. Die Berichterstattung in Boulevardmedien wiederum ist etwas personalisierter, dies war allerdings schon 2013 der Fall. Zuletzt hat sich gezeigt, dass die Personalisierung über den Wahlkampf hinweg leicht zunimmt. Das ist demokratiepolitisch dann problematisch, sollte dies zur Folge haben, dass inhaltliche Diskussionen stattdessen ausbleiben.
Alles in allem halten sich die meisten Unterschiede zwischen Parteien, Medien und über Zeit allerdings in Grenzen. Eines ist aber sicher, die Wahlkampfberichterstattung 2017 war personalisierter als 2013 und in politischen Zeiten, in denen keine Partei mehr „Partei“ genannt werden will, ist personalisierte Berichterstattung zumindest vorerst gekommen um zu bleiben.
Gregor Rettenegger ist Studienassistent am Vienna Center for Electoral Research und Student im Masterstudium am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Sein Interesse gilt computerunterstützen Methoden der Inhaltsanalyse und Intermedia Agenda Setting. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Studienassistent ist er an der österreichischen Wahlstudie (AUTNES, Media Side) beteiligt, wo er für die automatisierte Inhaltsanalyse der medialen Berichterstattung verantwortlich ist.
Sebastian Galyga ist Studienassistent am Vienna Center for Electoral Research und Student der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften im Master Communication Science an der Universität Wien. Sein Interesse gilt der politischen Kommunikation und den quantitativen, insbesondere inhaltsanalytischen Methoden. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Studienassistent ist er an der Erhebung und Auswertung der Mediendaten der österreichischen Wahlstudie (AUTNES, Media Side) beteiligt, wo er für die manuelle Inhaltsanalyse der medialen Berichterstattung verantwortlich ist.
Jakob-Moritz Eberl ist seit April 2017 Projektmitarbeiter (Post-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und seit 2013 Teil der österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES, Media Side), wo er für die manuelle und automatisierte Inhaltsanalyse der medialen Berichterstattung verantwortlich ist. Er hat zuvor Politikwissenschaft (MA) und Politische Kommunikation (Dr.) an der Universität Wien studiert. Seine Dissertation verfasste er zu Medienbias in Österreich.