Sollen Menschen präventiv eingesperrt werden?

Von Julian Aichholzer, Sylvia Kritzinger, Oliver Rathkolb, Sybille Steinbacher und Petra Ziegler

Nicht zuletzt mit dem Terroranschlag in Wien im November 2020 hat sich die Debatte rund um eine Art Sicherungshaft oder Präventivhaft für Menschen, die eine potenzielle Gefahr für den Staat bzw. die Gesellschaft darstellen, neu entfacht. Der Beitrag zeigt, dass Ende 2019 zwar Ansichten darüber gespalten sind, jedoch eine relative Mehrheit in der österreichischen Bevölkerung das präventive Einsperren von potenziell gefährlichen Personen für gerechtfertigt hielt. Gleichzeitig gibt es in dieser Einschätzung große ideologische Unterschiede, die die Herausforderungen für die politische Durchsetzung einer solchen Maßnahme offenbaren.

Terror und der Wunsch nach Sicherungshaft

Die traurigen Ereignisse rund um den Terroranschlag in Wien Anfang November 2020 haben eine erneute Debatte entfacht, wie mit potenziell gefährlichen Menschen in der Bevölkerung – häufig islamistische Fanatiker*innen, aber etwa auch rechtsextreme Terrorist*innen – umzugehen ist. Diese Diskussion wird meist unter dem Titel der Notwendigkeit einer „Sicherungshaft“ oder „Präventivhaft“ geführt, die auch im aktuellen Regierungsübereinkommen (Kapitel „Migration & Asyl“) erwähnt wird .

Der Beitrag untersucht das Ausmaß der Unterstützung einer solchen freiheitseinschränkenden Maßnahme in der österreichischen Bevölkerung anhand empirischer Daten einer Bevölkerungsbefragung Ende 2019. Datenbasis ist ein Forschungsprojekt zu „nationalen Geschichtsbildern und demokratischer Dispositionen“ in ausgewählten europäischen Ländern. Die Erhebung in Österreich erfolgte über ein quotiertes Sample aus einem Online-Panel (Institut: Respondi; n = 1.000) im November und Dezember 2019. Die Daten wurden für die folgenden Analysen demografisch und politisch (Erinnerung Wahlentscheidung NR-Wahl 2019) gewichtet.

Abbildung 1. Zustimmung zu einer Präventivhaft

Große ideologische Unterschiede

Gefragt wurde nach Maßnahmen der Regierung, die man für gerechtfertigt hält, hier konkret: „Das präventive Einsperren von potenziell gefährlichen Personen.“

Die Ergebnisse zeigen ein gespaltenes Meinungsbild, wobei eine relative Mehrheit (45%) der österreichischen Bevölkerung eine solche Maßnahme für absolut/eher gerechtfertigt hält (vs. 30% kaum/überhaupt nicht gerechtfertigt und 24% geteilter Ansicht sind; siehe Abbildung 1). Aufgeschlüsselt nach Bevölkerungsgruppen zeigt sich, dass eher Frauen, ältere Menschen, Personen mit geringer formaler Bildung sowie politisch weiter rechts stehende Personen einer Sicherungshaft eher zugeneigt sind. Unter der Wahlbevölkerung sehen am häufigsten FPÖ-Wähler*innen (70%), gefolgt von ÖVP-Wähler*innen (50%) diese Aussage als absolut/eher gerechtfertigt an. Wähler*innen der Grünen und Neos äußern die vergleichsweise geringste Zustimmung (jeweils nur knapp ein Fünftel). Auch Personen, die autoritäre Einstellungen [1] aufweisen, und Personen mit eindeutig negativen Einstellungen gegenüber Muslim*innen [2]in Österreich (Anm.: jeweils das oberste Viertel mit den höchsten Werten dieser Indikatoren) finden eine Präventivhaft mit 73% bzw. 74% Zustimmung für gerechtfertigt.

Auch im Vergleich zu anderen freiheitseinschränkenden Maßnahmen genießt die Präventivhaft vergleichsweise hohe Zustimmung (siehe Abbildung 2). Maßnahmen wie bspw. die Einschränkung der Medienberichterstattung, ein Demonstrationsverbot oder eine Überwachung der Kommunikation am Smartphone durch die Regierung werden lediglich von einer Minderheit als gerechtfertigt erachtet (9% bis 13% absolut/eher gerechtfertigt). Die Videoüberwachung öffentlicher Plätze wird von der österreichischen Bevölkerung hingegen mehrheitlich akzeptiert (61% absolut/eher gerechtfertigt).

Abbildung 2. Zustimmung zu freiheitseinschränkenden Maßnahmen im Vergleich

Fazit

Der Beitrag sollte Einstellungen zu einer Präventiv-/Sicherheitshaft in der österreichischen Bevölkerung aufzeigen. Diese können zum Teil Ausdruck eines Sicherheitsbedürfnisses in bestimmten Bevölkerungsschichten sein. Gleichzeitig gibt es jedoch klar erkennbare ideologische Unterschiede im Umgang mit demokratischen Freiheiten und der Befürwortung einer „Law & Order Politik“: Insbesondere unter FPÖ-Anhänger*innen, aber auch bei ÖVP-Anhänger*innen befürworten viele eine Präventivhaft; Wähler*innen der NEOS, Grüne und SPÖ lehnen eine solche Maßnahme mehrheitlich ab. Dabei zeigt sich eine große Überlappung von Einstellungen zu kultureller Vielfalt (Thema Muslim*innen in Österreich), autoritären Einstellungen und der Befürwortung der Präventivhaft.

Aus diesem Spannungsverhältnis der politischen Lager ergibt sich naturgemäß ein potenzieller Konflikt in der politischen Willensbildung. Während sich die ehemalige ÖVP-FPÖ-Koalition prinzipiell über eine Art Sicherungshaft einig war und sich dieses Thema auch im aktuellen Regierungsübereinkommen von ÖVP und Grünen wiederfindet, steht diese Koalition zumindest aus Sicht ihrer Wähler*innenschaft vor größeren Herausforderungen, um ein etwaiges Maßnahmenpaket zu beschließen.

Abzuwarten bleibt ebenso, wie sich der jüngste Terroranschlag mittelfristig auf die Unterstützung einer Präventivhaft in der Bevölkerung niedergeschlagen hat. Damit verbunden ist selbstverständlich auch die Frage, wie die konkrete Ausgestaltung eines solchen Gesetzes aussehen könnte.


Julian Aichholzer ist Universitätsassistent (Post-Doc) am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien und mit dem Austrian Corona Panel Project, der Austrian National Election Study sowie dem Forschungsverbund Interdisziplinäre Werteforschung assoziiert.

Sylvia Kritzinger ist Professorin für Methoden in den Sozialwissenschaften am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien, eine der Projektleiter*innen der Austrian National Election Study (AUTNES) und stellvertretende Leiterin des Vienna Center for Electoral Research (VieCER).

Oliver Rathkolb ist Professor für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte und Institutsvorstand am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien.

Sybille Steinbacher ist Direktorin des Fritz Bauer Instituts und Inhaberin des an der Goethe-Universität Frankfurt am Main neu geschaffenen Lehrstuhls zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust.

Petra Ziegler ist Gründerin und Senior Researcher des Wiener Instituts für Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung (WIAB).


Anmerkungen

[1] Ein Index aus sieben Einzelfragen, wie z.B. dem Wunsch nach starker Bestrafung Krimineller Individuen, Wunsch nach starken/illiberalen Führungspersonen, die Forderung der Einhaltung althergebrachter Traditionen.

[2] Index aus vier Einzelfragen: Muslimen sollte die Zuwanderung nach Österreich untersagt werden; Durch die vielen Muslime in Österreich fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eignen Land; Muslime in Österreich sollten das Recht haben, Moscheen zu bauen; Muslime tragen viel zum kulturellen Leben in Österreich bei.

Wissenschaftlicher Kontakt

Mag. Dr. Julian Aichholzer
Institut für Staatswissenschaft, Kolingasse 14-16, 1090 Wien
julian.aichholzer@univie.ac.at