08.02.2021- PDF

COVID-19 und die normale Grippe: Eine verharmlosende Gleichsetzung

  • Der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung ist bewusst, dass das Coronavirus gefährlicher ist als die normale Grippe. Dennoch gibt es noch immer etwa 16 Prozent, die dieser Faktenlage nicht zustimmen.
  • Die Zustimmung zur Aussage, dass das Coronavirus gefährlicher ist als die normale Grippe, unterscheidet sich nach Parteiwahl sowie nach Bundesland. Mit nur 36 Prozent, findet die Aussage bei FPÖ-Wähler*innen am wenigsten Zustimmung. In Wien liegt die Zustimmung zur Aussage mit 70 Prozent fast 20 Prozentpunkte über den Bundesländern Kärnten und Tirol.
  • Befragte, die das Coronavirus nicht als gefährlicher einschätzen, sind weniger gewillt ihre Lebensweise anzupassen, um die Pandemie einzudämmen. 

Von Jakob-Moritz Eberl, Noelle S. Lebernegg und Julia Partheymüller 

Im Vergleich zu einem Influenzavirus, also jener Virusart, die für die saisonale (auch “normale”) Grippe verantwortlich ist, hat sich SARS-CoV-2 in vieler Hinsicht als gefährlicher herausgestellt. Erstens ist die Reproduktionszahl, die angibt wie viele Menschen eine infizierte Person ansteckt, deutlich höher als bei der normalen Grippe. Zweitens kann es bei COVID-19 länger dauern, bis man Symptome entwickelt. Die Rückverfolgung von Ansteckungen durch Fälle mit solchen asymptomatischen oder präsymptomatischen Verläufen ist allerdings deutlich herausfordernder. Drittens ist COVID-19 auch tödlicher als die normale Grippe. Viertens ist eine erhöhte Gefahr bei einem neuartigen Virus immer auch damit verbunden, dass die entsprechende therapeutische Behandlung erst gefunden bzw. Impfungen entwickelt, zugelassen und verimpft werden müssen. All dies berücksichtigt noch nicht COVID-19 Mutationen und mögliche neue Subtypen der Mutationen.

Knapp ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie hat es laut dem BMSGPK in Österreich etwa 8.000 Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 gegeben. Die Statistik Austria berichtet zudem, dass in 2020, dem ersten Pandemie-Jahr, 10,9 Prozent mehr Menschen gestorben sind, als im Durchschnitt der vorangegangenen fünf Jahre. Dennoch beschreibt die Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig in ihrem neuen Buch zu Verschwörungsmythen, dass verharmlosende Gleichsetzungen wie “das Coronavirus sei halb so wild, denn es sei ja wie eine Grippe” (S. 82) immer wieder zu hören seien. Zu diesem Vergleich wurden auch Teilnehmer*innen des Austrian Corona Panel Projects (ACPP)  über die letzten Monate wiederholt befragt. Speziell wurden sie dabei gebeten, anzugeben, inwiefern ihrer Ansicht nach die folgende Aussage zutrifft oder nicht zutrifft: “Das Coronavirus ist gefährlicher als die normale Grippe.”

Mehrheit schätzt Coronavirus als gefährlicher ein

Abbildung 1 zeigt die Zustimmungswerte zur oben erwähnten Aussage im Zeitverlauf. Zwischen Mai 2020 bis Jänner 2021 gab jeweils eine Mehrheit von etwa 60 Prozent der Befragten an, dass diese Aussage für sie “voll und ganz” oder “eher” zutrifft. Grundsätzlich zeigt sich im Zeitverlauf wenig Veränderung. Zum Beispiel bleibt der Anteil an Befragten, die bei dieser Aussage “trifft eher nicht” oder “trifft gar nicht zu” angeben, im Durchschnitt bei 16,5 Prozent relativ stabil. Allerdings stieg unter den Zustimmenden der Anteil an Befragten, für die die Aussage nicht nur “eher” sondern “voll und ganz” zutrifft, zwischen Mai 2020 und Jänner 2021 um fast 10 Prozent an.  

Abbildung 1: Zustimmung zur Aussage “Das Coronavirus ist gefährlicher als eine normale Grippe” (Daten: ACPP, Welle 9 bis 19 (Mai 2020 bis Jänner 2021), N = ca. 1.500 pro Befragung, gewichtet)

Zustimmung unterscheidet sich nach Wähler*innen und Bundesland

Da es einerseits in Österreich mit der FPÖ eine Partei gibt, die regelmäßig suggeriert, dass COVID-19 vergleichbar mit einem Grippevirus sei, und andererseits unterschiedliche Bundesländer unterschiedlich stark von der Pandemie betroffen sind, untersuchen wir im Folgenden die Zustimmung nach Parteiwahl und Wohnort. Abbildung 2 stellt die Zustimmungswerte zur genannten Aussage im Jänner 2021 in verschiedenen Subgruppen der Bevölkerung dar. Tatsächlich fällt die Zustimmung zur Aussage, dass das Coronavirus gefährlicher ist als die normale Grippe bei Wähler*innen der FPÖ am geringsten aus. Ein Drittel der FPÖ Wähler*innen stimmt dieser Aussage nicht zu. Bei den Wähler*innen aller anderen Parlamentsparteien liegt der Anteil an Befragten, die der Meinung sind, dass das Coronavirus gefährlicher ist, deutlich höher. Im Bundesländervergleich ist in Wien mit 70 Prozent, der Anteil der Befragten, der das Coronavirus als gefährlicher einschätzt als die normale Grippe, am größten und liegt fast 20 Prozentpunkte über den Bundesländern Kärnten und Tirol. In Tirol ist umgekehrt der Anteil der Befragten, der die Aussage ablehnt mit 23 Prozent größer als in allen anderen Bundesländern.

Abbildung 2: Zustimmung nach Parteiwahl zur Nationalratswahl 2019 und nach Bundesland (Daten: ACPP, Welle 19 (15.-22.01.2021), N = 1.612, gewichtet)

Konsequenzen einer verharmlosenden Gleichsetzung

Zuletzt stellt Abbildung 3 nun die Zustimmungswerte im Vergleich mit der Bereitschaft die eigene Lebensweise zu ändern dar. 73 Prozent der Befragten, die das Coronavirus als eindeutig gefährlicher als die Grippe einschätzen (“trifft voll und ganz zu”), sind auch gewillt, ihre Lebensweise zu ändern, um die Corona-Krise einzudämmen. Diese Bereitschaft ist umso niedriger, je weniger gefährlich das Coronavirus im Vergleich zur normalen Grippe eingeschätzt wird. Im Gegensatz dazu sind 68 Prozent der Befragten, die das Coronavirus (gar) nicht als gefährlicher einschätzen, auch nicht bereit ihre Lebensweise zu ändern, um die Corona-Pandemie einzudämmen.

Abbildung 3: Bereitschaft die eigene Lebensweise zu ändern nach Zustimmung zur Aussage “Das Coronavirus ist gefährlicher als die normale Grippe” (Daten: ACPP, Welle 19 (15.-22.01.2021), N = 1.612, gewichtet)

Fazit

Die Ergebnisse dieses Blogs zeigen einen möglichen Anhaltspunkt, an dem Krisenkommunikation ansetzen könnte. Obwohl die Faktenlage zur Gefährlichkeit des Virus eindeutig ist, scheint diese nicht zu allen Bevölkerungsgruppen in Österreich durchgedrungen zu sein bzw. scheinen nicht alle diese akzeptieren zu wollen. Hier sind die Verantwortungsträger*innen in den entsprechenden Parteien und den Bundesländern gefordert: Bürger*innen, die den Unterschied zwischen COVID-19 und der normalen Grippe anerkennen, werden auch eher gewillt sein, sich an etwaige Schutzmaßnahmen zu halten und ihr Verhalten so anzupassen, dass sie zur Eindämmung der Pandemie beitragen


Jakob-Moritz Eberl ist seit April 2017 Projektmitarbeiter (Post-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und seit 2013 Mitglied der österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES, Media Side). Er ist außerdem assoziierter Wissenschafter im Vienna Center for Electoral Research (VieCER) und beschäftigt sich unter anderem mit Fragen zu Medienwirkung, Medienvertrauen und Wahlverhalten.

Noelle S. Lebernegg ist Universitätsassistentin (Prae-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie assoziierte Wissenschafterin im Vienna Center For Electoral Research (VieCER). Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen politischer Kommunikation und Medien auf die öffentliche Meinung und Wahlverhalten

Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Vienna Center for Electoral Research (VieCER) der Universität Wien und ist Mitglied des Projektteams der Austrian National Election Study (AUTNES). Sie promovierte in Sozialwissenschaften an der Universität Mannheim und studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Universität Hamburg.