29.01.2021 - PDF
Die vielen Gesichter der Einsamkeit in der Corona-Krise
- Die Einsamkeitswahrnehmung steigt seit Oktober 2020 wieder an und befindet sich derzeit etwa auf dem Niveau von Ende April 2020.
- Insgesamt fühlen sich Frauen häufiger einsam als Männer.
- Auch alleine lebende Menschen berichten von größerer Einsamkeit.
- Junge Befragte weisen höhere Einsamkeitswerte auf als ältere; diese Entwicklung verstärkte sich seit November 2020 nochmals.
- Auch zwischen den Bundesländern zeigen sich Unterschiede: Das Burgenland und Oberösterreich sind im Schnitt besonders betroffen, während Wien und Niederösterreich die geringsten Einsamkeitswahrnehmungen aufweisen.
Wie in einer Corona-Dynamik kurz vor Weihnachten 2020 bereits angerissen wurde, sind die Einsamkeitsempfindungen der Menschen in Österreich wieder im Steigen begriffen. Anschließend an den früheren Blog zur Einsamkeit im Juni 2020 werfen wir im Folgenden einen tieferen Blick auf die Entwicklung der Einsamkeitsgefühle in Österreich und beleuchten einige Hintergründe.
Abbildung 1 zeigt den Verlauf der Einsamkeitsempfindungen in der Corona-Pandemie in Österreich von März 2020 bis Jänner 2021. Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr, welcher zeitweise bei bis zu 43% der Befragten an zumindest manchen Tagen zu Einsamkeitsgefühlen führte, folgte eine Phase der Entspannung: Im Sommer sank dieser Anteil auf bis zu 32%. Analog verringerte sich auch der Anteil jener, welche von starker Einsamkeit betroffen waren (d.h., Einsamkeitsgefühle mehrmals pro Woche oder öfter) von 18% Ende April 2020 auf 11% bis 12% im Sommer 2020. Seit Oktober 2020 verzeichnen wir ein erneutes Wachstum der Empfindungen zur Einsamkeit: Im Jänner 2021 nähern sich diese wieder den Höchstwerten vom April 2020.
Welche Gruppen sind wie stark betroffen?
Die Angaben von Frauen und Männern weichen, je nach Jahreszeit, signifikant voneinander ab: Schon im Frühling und erneut seit Oktober sind Frauen deutlich häufiger von Einsamkeitsgefühlen betroffen als Männer; im Sommer stellten wir keine nennenswerten Unterschiede fest. Betrachten wir nur allein lebende Personen, zeigt sich ein anderes Bild: Hier waren Männer stets stärker von Einsamkeitsgefühlen betroffen als Frauen, allerdings ist dieser Unterschied statistisch nicht signifikant.
Allgemein werden alleinlebende Personen – wenig überraschend – häufiger von Einsamkeit geplagt als solche, die in Mehrpersonenhaushalten leben (siehe Abbildung 2): Menschen in Einpersonenhaushalten fühlten sich im Jänner 2021 zum ersten Mal seit Mai 2020 wieder mehrheitlich zumindest an manchen Tagen einsam (52%). Bei Personen in Mehrpersonenhaushalten waren es hingegen in derselben Befragungswelle nur 39%.
Besonders ungleiche Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Einsamkeitswahrnehmung stellen wir auch bei den Altersgruppen fest: Vor allem junge Menschen sind massiv betroffen, während die Einsamkeit unter älteren Befragten unterdurchschnittlich stark ausgeprägt ist. Diese Unterschiede bestehen seit dem Beginn unserer Erhebungen Ende März 2020, doch seit Oktober wuchsen sie nochmals deutlich (siehe Abbildung 3): Im Vergleich zu Personen, die vor 1990 geboren wurden, berichten nach dem Jahr 2000 Geborene mehr als doppelt so häufig von Einsamkeitsempfindungen. Legen wir den Fokus auf starke Einsamkeitsgefühle (d.h., mehrmals pro Woche oder öfter), sind Befragte mit 20 oder weniger Lebensjahren sogar mehr als dreimal so häufig betroffen wie über-30-Jährige. Menschen zwischen 20 und 30 Jahren weisen, verglichen mit älteren Befragten, ebenfalls ein höheres Einsamkeitsempfinden auf.
Erklären lässt sich dieser Umstand unter anderem durch die Einschränkung des Soziallebens, welches gerade in jungen Jahren stark von geeigneten Gelegenheiten und Lokalitäten abhängt: Die Schließungen von Schulen, Universitäten, Fachhochschulen und der Gastronomie sowie die Absage der meisten Veranstaltungen verunmöglichen es vielen jungen Menschen, ihren gewohnten Formen der Sozialität nachzugehen. Damit zeigt sich auch, dass virtuelle Sozialität, welche gerade in dieser Gruppe sicherlich am weitesten verbreitet ist, nur ein unzureichender Ersatz für „echte“ Treffen sein kann.
Vergleich der Bundesländer
Daneben zeigen sich auch Abweichungen zwischen den Bundesländern. Besonders seit Oktober 2020, als Treffen im Freien zunächst durch das Wetter erschwert und später auch durch die Regierung wieder eingeschränkt wurden, entwickelt sich das Einsamkeitsempfinden in den Bundesländern unterschiedlich. Im Österreich-Vergleich gaben Befragte aus Wien und Niederösterreich im Schnitt die niedrigsten Werte an, jene aus dem Burgenland und Oberösterreich die höchsten (siehe Abbildung 4).
Betrachten wir die Angaben zu starkem Einsamkeitsempfinden (d.h., mindestens mehrmals pro Woche) genauer, so zeigt sich hier ein ähnliches Bild: Die niedrigsten Werte stammen aus Tirol, gefolgt von Niederösterreich und Wien. Vorarlberg, Oberösterreich und Salzburg zeigen die höchsten Anteile an starkem Einsamkeitsgefühl, dicht gefolgt vom Burgenland. Dabei sticht die polarisierte Situation in Vorarlberg ins Auge: 63% der Befragten fühlen sich hier seit Oktober niemals einsam. Zugleich ist der Anteil jener, welche sich seither mindestens mehrmals pro Woche einsam fühlen, mit 24% der größte in Österreich. Die Situationen, in denen sich Personen aus dem westlichsten Bundesland befinden, scheinen damit von jenen im Rest Österreichs abzuweichen.
Fazit
Gefühle der Einsamkeit sind also in verschiedenen Gruppen – und auch in den Bundesländern – sehr unterschiedlich vertreten. Am stärksten sind Frauen, junge und alleinlebende Menschen betroffen. Die hier vorgestellten Ergebnisse schlagen in dieselbe Kerbe wie jene einer Studie der Donau-Universität Krems, die aktuell bei der Hälfte der jungen Erwachsenen in Österreich depressive Symptome feststellt. Damit besteht die Gefahr, dass die psychischen Auswirkungen der Corona-Krise für viele zum chronischen Problem werden – wodurch nicht nur die Leidtragenden selbst, sondern auch die Gesellschaft (und in weiterer Folge die Wirtschaft) zusätzlich belastet würden. Sowohl die Regierung als auch die Zivilgesellschaft müssen daher dringend niederschwellige Unterstützung für Betroffene bereitstellen, um ein Abrutschen in dauerhafte psychische Deprivation zu verhindern.
David W. Schiestl ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter (Prae-Doc) am Institut für Wirtschaftssoziologie tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Migration, Organisation und Sozialpsychologie
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