22.12.2020 - PDF

Berichterstattung über die COVID-19 Krise in Standard und Krone

  • COVID19 war „Chefsache“ in der medialen Berichterstattung mit einer hohen relativen Sichtbarkeit von Bundeskanzler Kurz
  • Maßnahmen zur Eingrenzung der Pandemie dominieren durchgehend die Berichterstattung
  • Politiker*innen lösen mehr emotionale Reaktionen aus als Themen.

Von Andreas Fischeneder, Paul Balluff, Hajo Boomgaarden, Olga Eisele, Olga Litvyak und Verena K. Brändle

Wenig überraschend stieg die Internetnutzung in Österreich mit dem ersten Lockdown. Die Bürger*innen nutzten das Internet nicht nur für das Home-Office, sondern vor allem auch als Informationsquelle und zum Austausch in diversen Online-Plattformen. Das Bedürfnis nach Information über die Pandemie war gerade im ersten Lockdown verhältnismäßig hoch.[1] Verständlicherweise waren die Bürger*innen auch zu Beginn des ersten Lockdowns generell ängstlich und nervös. Spiegelt sich das auch in den Nutzer*innenkommentaren der Onlineausgaben von Der Standard und Krone wider? In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die Medienberichterstattung der ersten Jahreshälfte 2020 und analysieren die Präsenz von Akteur*innen, welche Themen und auch Emotionen in den Nutzer*innenkommentaren vorkommen.

Datenerhebung

Für die Analyse der COVID19-Berichterstattung im ersten Halbjahr 2020 analysieren wir Artikel der Onlineausgaben von Der Standard und Krone sowie die jeweils den Artikeln zugehörigen Nutzer*innenkommentare. derstandard.at und krone.at gehören nicht nur zu den Top 5 der österreichischen Nachrichtenportale,[2] sondern weisen auch eine rege Nutzer*innenbeteiligung auf. Im Durschnitt werden Artikel mit COVID19-Bezug auf derstandard.at 472 mal, auf krone.at 65 mal kommentiert. Grundlage für die Analyse der COVID19-Berichterstattung sind nur jene Artikel, welche Schlagwörter wie „COVID-19“, „Corona“ oder „Pandemie“ beinhalten. Es wurden insgesamt über 20.000 Artikel und damit verbunden knapp 900.000 Nutzer*innenkommentare analysiert.[3]

Wir analysieren die Texte der Artikel mit Hilfe von komplexen Kombinationen von Suchbegriffen, um festzustellen über welche Akteure und Akteurinnen (Parteien, Politiker*innen etc.) und über welche Themen berichtet wurde. Um zum Beispiel festzustellen, ob Vizekanzler Kogler in einem Zeitungsbericht erwähnt wurde verwenden wir den einfachen Suchbegriff „kogler“, da er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit immer den gesuchten Akteur im Text findet. Komplizierter wird es bei Familiennamen wie „Kurz“ oder „Hofer“, da diese mehrdeutig sind und ungewünschte Treffer erzielen. Daher benötigen wir hier eine Kombination mit weiteren Begriffen, wie beispielsweise den Vornamen oder das Amt, um die Suche in diesen Fällen einzugrenzen.

Zusätzlich verwenden wir ein Wörterbuch mit festgelegten Suchbegriffen, um auch die unter den Artikeln geposteten Kommentare nach ihrem Emotionsgehalt auszuwerten.[4] Dem liegt die Annahme zugrunde, dass bestimme Wörter mit dem Ausdruck von Emotionen verbunden sind. Dieser erfundene Kommentar soll die Funktionsweise erläutern: „Ich hasse diese idiotische Maskenpflicht!“ Das Vorkommen des Wortes „hassen“ lässt darauf schließen, dass der Kommentar Wut zum Ausdruck bringt. Die Wortwahl der Nutzer*innen ist demnach entscheidend darüber, ob das Wörterbuch Gefühle wie Freude, Angst oder Wut feststellt. Diese Methode ermöglicht es uns die Daten  sowohl hinsichtlich des Inhalts der Berichterstattung, der Emotionalität der Kommentare sowie der Verknüpfung der beiden Aspekte zu analysieren.

Inhalt der Berichterstattung

Zunächst werfen wir einen Blick auf die politischen Akteur*innen in der Berichterstattung. Gesundheitsminister Rudolf Anschober war bereits vor Ausbruch der Pandemie in Österreich im Februar stärker in den Medien vertreten als andere Regierungsmitglieder. Erst als Anfang März 2020 die Anzahl der Infizierten anstieg, trat Bundeskanzler Kurz in den Vordergrund der medialen Kommunikation (siehe Abbildung 1). Vor allem die Ankündigungen der COVID-19-Schutzmaßnahmen und des ersten Lockdowns wurden stets vom Kanzler angeführt und er machte somit das Virus zur „Chefsache“. Dieser Vorsprung des Bundeskanzlers in der COVID-19 Berichterstattung gegenüber dem Gesundheitsminister hat sich erst im Sommer wieder reduziert. Als die Maßnahmen zum ersten Lockdown beschlossen wurden, war die Opposition medial wenig präsent. Oppositionsparteien, welche die Regierungsentscheidungen mittrugen, scheinen einen geringeren Nachrichtenwert zu haben. Erst im Verlauf der Pandemie, als die Opposition vermehrt Kritik an der Regierungspolitik äußerte, nahm auch deren Sichtbarkeit in der COVID-19-Berichterstattung zu. Der Abstand zu den Regierungsparteien blieb jedoch in etwa gleich. Auf Ebene der einzelnen Spitzenpolitiker*innen und Parteien findet sich eine ähnliche Entwicklung.

Abbildung 1: Vorkommen von politischen Akteur*innen in der Berichterstattung von derstandard.at und krone.at. Werte stehen für die Anzahl an Artikeln mit COVID-19-Bezug pro Tag. Farbige Linien zeigen geglätteten Trend an, dazugehörige graue Bänder stellen 95% Konfidenzintervall dar. Punkte repräsentieren einzelne Erwähnungen der jeweiligen Akteur*innen in Artikeln.

Auch die Sichtbarkeit von COVID-19-Themenkomplexen entwickelt sich im Zeitverlauf recht unterschiedlich (siehe Abbildung 2). Wir aggregieren bei unserer Analyse die Inhalte der Berichterstattung in vier thematische Gruppen: (1) Maßnahmen zur Eingrenzung der Epidemie (z.B. Schließung von Geschäften, Schulen oder Grenzen), (2) Abfederung der Konsequenzen (z.B. Kurzarbeit, Förderungen für Unternehmen), (3) Statistiken/Forschung/Information (z.B. Entwicklung der Infektionszahlen, Impfstoff-Forschung) sowie (4) Reboot (z.B. Öffnung von Geschäften, Schulen oder Grenzen). Die ersten drei Themenkomplexe erreichen den Höhepunkt ihrer Sichtbarkeit bereits zu Beginn des ersten Lockdowns. Wie zu erwarten, dominieren die Maßnahmen zur Eingrenzung und Bekämpfung der Pandemie die Berichterstattung – ein Trend, der sich bis in den Sommer fortsetzt. Ebenfalls ein wichtiger Teil der COVID-19 Berichte sind Bezüge auf Statistiken und Forschung, was die Rolle von Wissenschaft und Wissenschaftler*innen in der öffentlichen Diskussion in der Pandemie unterstreicht. Das Abfedern von Konsequenzen der Maßnahmen zeigt eine deutlich geringere Sichtbarkeit, ist aber durchgehend Bestandteil der Berichterstattung. Der Reboot wurde, wie zu erwarten, erst gegen Ende des Lockdowns zunehmend thematisiert, bleibt aber auch dann eher ein nebensächliches Thema.

Abbildung 2: Vorkommen bestimmter Themen in der Berichterstattung von derstandard.at und krone.at. Farbige Linien zeigen geglätteten Trend an, dazugehörige graue Bänder stellen 95% Konfidenzintervall dar. Kleine farbige Kreise repräsentieren einzelne Erwähnungen der jeweiligen Themen in Artikeln.

Sowohl bei der Sichtbarkeit der Akteur*innen  als auch der COVID-19-Themen finden sich in Bezug auf die Dynamiken der Entwicklungen keine deutlichen Unterschiede zwischen den beiden hier untersuchten Medien. Trotz einiger Unterschiede in der Anzahl der Berichte, die auch den Formaten der Webseiten geschuldet sind, kann man auf Basis dieser Ergebnisse und unserer hier durchgeführten Analyse keine Rückschlüsse auf eine unterschiedliche Informationslage für Leser*innen der beiden Onlinemedien ziehen.

Emotionalität der Nutzer*innenkommentare

Beide hier untersuchten Medien erlauben ihren Nutzer*innen, Kommentare zu einzelnen Artikeln zu hinterlassen. Wir untersuchen daher, ob und inwiefern die Themenstruktur und das Vorkommen von bestimmten Akteur*innen in der Berichterstattung emotionale Reaktionen bei den Leser*innen hervorrufen können.

Dafür analysieren wir die Gesamt-Emotionalität in den Kommentaren insgesamt sowie im Detail, wobei wir drei verschiedene Emotionen (Wut, Angst und Freude) betrachten, die besonders in Krisenzeiten eine große Rolle spielen. Die Analyse der Emotionalität in den Kommentaren selbst zeigt signifikante Unterschiede sowohl im Zeitverlauf als auch zwischen den Medien (siehe Abbildung 3). In der Periode des ersten Lockdowns war der Anteil emotionaler Nutzer*innenkommentare deutlich höher als davor oder danach. Dies gilt für die Emotionen Angst und Freude. Der höhere Anteil an „freudigen“ Kommentaren lässt sich vor allem auf Reaktionen auf Artikel gegen Ende des Lockdowns und der zunehmenden Berichterstattung über den Reboot zurückführen. Der Anteil an wütenden Kommentaren unterscheidet sich jedoch nicht signifikant zwischen Lockdown und Nicht-Lockdown.

Abbildung 3: Vergleich der Emotionalität in Nutzer*innenkommentaren (t-Test). Links: Vergleich von Kommentaren nach Zeitraum (Referenzkategorie: Lockdown = 16.3.2020–⁠20.4.2020). Rechts: Vergleich nach Onlinemedium (Referenzkategorie: derstandard.at).

Auch zwischen den Medien gibt es deutliche Unterschiede in der Emotionalität der Kommentare. Der Anteil an emotionalen Kommentaren ist im Standard-Forum wesentlich niedriger als im Krone-Forum. Dies gilt für die Emotionen Wut, Angst und Freude, die zusätzlich zur Gesamt-Emotionalität separat analysiert wurden.

Schlussendlich stellt sich die Frage, ob eine Verbindung zwischen dem Inhalt der Artikel und der Emotionalität der Nutzer*innenkommentare besteht. Um diesen Zusammenhang systematisch zu testen, erklären wir die Anzahl emotionaler Kommentare zu einem Artikel anhand verschiedener inhaltlicher Aspekte der Artikel. Dazu zählen das oben diskutierte Vorkommen verschiedener Maßnahmen oder die Erwähnung relevanter politischer Akteur*innen. Andere mögliche Erklärungen, die über die Inhalte des Artikels hinausgehen, wurden außerdem zur Kontrolle miteinbezogen (siehe Abbildung 4). Die Resultate zeigen ein einheitliches Bild: Sowohl das Vorkommen der unterschiedlichen Themen als auch bestimmter Akteur*innen führte zu einem Anstieg bei emotionalen Kommentaren: Auch wenn die Unterschiede eher minimal sind, scheinen Eingrenzungsmaßnahmen – also solche, die Nutzer*innen potentiell in ihrer (Bewegungs)freiheit einschränken – und die Diskussion um die Abfederung der Konsequenzen dieser Einschränkungen im Vergleich ein wenig stärker emotionalisierend zu wirken. Im Kontrast dazu ist auffallend, dass insbesondere die Erwähnung der stärker sichtbaren Regierung im Artikel, aber auch die der Opposition, stärkere Reaktionen in der Emotionalität der Nutzer*innen hervorrufen als die unterschiedlichen Themen. Die Schlussfolgerung ist daher naheliegend, dass Nutzer*innen emotionaler auf politische Entscheidungsträger reagieren als auf die beschlossenen Maßnahmen.

Abbildung 4: Koeffizienten der Regression (generalisiertes lineares Modell mit negativer Binomialverteilung).

Fazit

Zusammenfassend zeigt sich, dass die Berichterstattung zur COVID-19-Pandemie sich in den Internetauftritten von Krone und Der Standard in ihrer Fokussetzung kaum unterscheidet. Sowohl die Sichtbarkeit von Akteur*innen als auch bestimmter Themen war in beiden Medien sehr ähnlich. Bei den Akteur*innen ging die Opposition zu Beginn der Pandemie in der Berichterstattung unter, was womöglich eine Folge des anfänglichen „Burgfriedens“ war. Der zunehmende Gegenwind der Oppositionsparteien zur Regierungsarbeit ging im späteren Verlauf aber mit einer gesteigerten Präsenz von SPÖ, FPÖ und NEOS einher. Auf Ebene der einzelnen Regierungsmitglieder dominierte im Jänner und Februar 2020 Gesundheitsminister Anschober die Medienberichterstattung zu COVID-19. Mit Beginn des Lockdowns nahm jedoch Bundeskanzler Kurz diese Rolle ein.

Der Lockdown wirkte sich auch auf die Reaktionen in den Foren aus, wo die Emotionalität der Kommentare zunahm. Auffallend ist vor allem der Unterschied in der Emotionalität zwischen den Nutzer*innen der beiden Zeitungen. Krone Nutzer*innen hinterließen Kommentare mit höherer Emotionalität als die Nutzer*innen von Der Standard.

Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass die Leser*innen der Krone im Vergleich zu jenen des Standards überproportional den Risikogruppen angehören, was eine höhere Verunsicherung in der Leser*innenschaft zur Folge haben könnte. Neben den Medienunterschieden zeigt sich auch, dass die Emotionalität in den Kommentaren der Nutzer*innen vom Inhalt der Berichterstattung beeinflusst wird. Sowohl das Vorkommen bestimmter Themen mit COVID-19-Bezug als auch von bestimmten Aktuer*innen, insbesondere der Regierung, erhöht die Gesamt-Emotionalität in den von Nutzer*innen geposteten Kommentaren , wobei generell der Effekt der Berichterstattung über politische Akteur*innen auf die Emotionalität stärker ist.

[1] Siehe auch: Statistik Austria (14.10.2020): Corona-Krise lässt Internettelefonie ansteigen. www.statistik.at/web_de/presse/124524.html

[2] Nach Website-Aufrufen ist orf.at die meistbesuchte Nachrichtenseite. Dann folgen je nach Quelle krone.at, derstandard.at, gmx.at und yahoo.com. Siehe: www.similarweb.com/top-websites/austria/ und www.alexa.com/topsites/countries/AT (15.12.2020).

[3] Die Stichprobe beinhaltet nur Berichte und keine Liveticker-Berichterstattung, um die Vergleichbarkeit zwischen den Medien zu gewährleisten.

[4] Wir verwenden die deutsche Ausgabe des NRC Emotion Lexicons: Mohammad, Saif M., und Peter D., Turney. 2013. "Crowdsourcing a Word-Emotion Association Lexicon". Computational Intelligence 29(3): 436–465. In diesem Lexikon sind folgende Emotionen enthalten: Wut, Antizipation, Angst, Freude, Traurigkeit, Überraschung und Vertrauen. Für die Analyse der Gesamt-Emotionalität haben wir die Ergebnisse aus diesen Einzelanalysen aggregiert; die Ergebnisse für Wut, Freude und Angst ergeben sich aus diesen Einzelanalysen.


Andreas Fischeneder arbeitet als Studienassistent im Vienna Centre for Electoral Research (VieCER) und beschäftigt sich hauptsächlich mit der automatisierten Inhaltsanalyse der Wahlkampfberichterstattung in Österreich.

Paul Balluff ist Studienassistent im OPTED Projekt und beschäftigt sich mit automatisierten Textanalyseverfahren.

Hajo Boomgaarden ist Professor für Empirische Methoden der Sozialwissenschaften am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien und derzeit Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der Darstellung und Wirkung von Politik in den Medien.

Olga Eisele ist Universitätsassistentin (Postdoc) im Computational Communication Science Lab an der Universität Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der politischen Kommunikation in Krisen. Insbesondere beschäftigt sie sich mit der Beziehung zwischen Politik und Medien und konzentriert sich dabei auf die Legitimation von EU-Krisenpolitik. 2017 erhielt sie ihren Doktor von der Universität Wien.

Olga Litvyak ist Universitätsassistentin (Postdoc) im Computational Communication Science Lab an der Universität Wien. Ihre Forschung konzentriert sich auf zwischenparteilichen Wettbewerb und politische Kommunikation in Europa. 2019 erhielt sie ihren PhD von der Universität Lausanne. 

Verena K. Brändle ist Senior Research Fellow im Computational Communication Science Lab an der Universität Wien. Ihre Forschung konzentriert sich auf kritische Migrationsstudien und politische Kommunikation. 2017 erhielt sie ihren PhD von der Universität Kopenhagen.