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Demokratische Einstellungen in Österreich: Vor und während der Corona-Krise

  • Unterstützung der Demokratie als beste Regierungsform und „Führersehnsucht“ bleiben über Coronakrise hinweg weitgehend stabil.
  • Meinungen zu Minderheitenrechten und Pluralismus in der Demokratie schwanken geringfügig.
  • Die Unterstützung eines demokratischen Interessenausgleichs und Rücksicht auf Minderheiten haben etwas abgenommen.

Von Oliver Rathkolb und Julian Aichholzer

Wie in anderen Blog-Beiträgen gezeigt, ist die Demokratiezufriedenheit in Österreich rückblickend vergleichsweise hoch, wenngleich sich seit Beginn der Coronakrise ein sehr leichter Rückgang verzeichnen lässt. Auch das Vertrauen in demokratische Institutionen, wie z.B. die Bundesregierung, aber auch das Parlament, scheint leicht gesunken zu sein (siehe hier).

Um diese Entwicklungen genauer analysieren zu können, haben wir drei Befragungswellen näher untersucht. Die erste Umfragewelle entstammt einem Forschungsprojekt zu autoritären und demokratischen Einstellungen, das Ende 2019 in Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Tschechien und Ungarn durchgeführt wurde. Diese Erhebung erfolgte über eine Quotenstichprobe aus einem Online-Panel (Institut: Respondi; n = 1.000 für Österreich). Um mögliche Veränderungen demokratischer Einstellungen zu untersuchen, werden idente Fragen des Austrian Corona Panel Projects der Welle 5 (April 2020) und 9 (Mai 2020) herangezogen. Alle Datensätze wurden schließlich nach identen Kriterien demografisch und politisch gewichtet, um so Vergleiche über Zeit zu ermöglichen.

Grundvertrauen ist hoch, Meinungen zum Interessensausgleich schwanken

Die Ergebnisse der nachfolgenden zwei Grafiken sind Momentaufnahmen, aber dokumentieren dennoch Trends. Im Zeitverlauf (siehe Abb. 1) fällt auf, dass von den hier ausgewählten Indikatoren zumindest die Zustimmung zu den Ansichten „Demokratie muss Interessen unterschiedlicher Gruppen berücksichtigen“ sowie „Es wird zu viel Rücksicht auf Minderheiten genommen“ etwas geringer geworden ist. Auch wenn offen bleibt, welche Minderheiten angesprochen sind, deuten die Ergebnisse an, dass in der Coronakrise durchaus nicht alle Stimmen in der Bevölkerung gehört werden sollen und gehört werden können. „Demokratie als beste Regierungsform“ bleibt hingegen weitgehend unumstritten und erfährt sehr hohe Zustimmung, Veränderungen sind minimal.

Abbildung 1: Demokratische Einstellungen im Zeitverlauf. [Anm.: Items paraphrasiert. Quellen: Studie zu nationalen Geschichtsbildern und demokratischer Disposition 2019 und Austrian Corona Panel Project (Wellen 5+9); demografisch und politisch gewichtet; eigene Berechnungen]

"Führersensucht" stabil

Interessant im Vergleich zu früheren Umfragen ist der Rückgang der „Führersehnsucht ohne Parlament und Wahlen“ im Dezember 2019 auf insgesamt 14% trifft sehr/ehr zu (im Vergleich zu ca. 23% im Jahr 2017) und hält sich im Mai 2020 auf ganz ähnlichem Niveau. Die Coronakrise scheint in Summe jedoch wenig Auswirkungen auf diese antidemokratische Einstellung gehabt zu haben. Der Anteil jener, die diese Aussage deutlich ablehnen, hat hingegen leicht abgenommen (48% auf 42%). Die Coronakrise scheint in Summe jedoch wenig Auswirkungen auf diese antidemokratische Einstellung gehabt zu haben.

Fazit

Antidemokratische und antipluralistische Tendenzen sollten weiterhin im Auge behalten werden. Wie man aus früheren Befunden weiß, sind bspw. Zukunftssicherheit und soziale Absicherung wichtige Faktoren zur Demokratiestabilisierung.[2] Die mittelfristigen Folgewirkungen der Coronakrise auf demokratische Grundhaltungen oder politisch extreme Tendenzen, etwa durch die resultierende ökonomische Krisensituation, sind noch weitestgehend unklar.

Zusammenfassend zeigt sich aus den ACPP-Befragungen sowie früheren Meinungsbefragungen zum autoritären und demokratischen Potential in Österreich seit 1978,[1] dass die parlamentarische Demokratie mit einem pluralistischen Meinungsbild immer wieder neu diskutiert, mit Inhalt gefüllt und stetig erarbeitet werden muss. Die Befunde lassen jedoch offen, ob die (leicht) abgenommene Unterstützung eines demokratischen Interessenausgleichs und Rücksicht auf Minderheiten tendenziell ein Wunschbild über das Regieren während der Coronakrise abbildet oder vielmehr eine Beschreibung des Ist-Zustandes im „Krisenmodus“ ist. Eine mögliche Folgefrage wäre daher, ob Österreich aus Sicht der Bevölkerung während der Coronakrise mehr oder weniger demokratisch regiert wurde.


Oliver Rathkolb ist Professor für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte und Institutsvorstand am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien.

Julian Aichholzer ist Universitätsassistent (Post-Doc) am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien und mit dem Austrian Corona Panel Project, der Austrian National Election Study sowie dem Forschungsverbund Interdisziplinäre Werteforschung assoziiert.


Fußnoten

[1] Rathkolb, O., & Ogris, G. (2010). Authoritarianism, history and democratic dispositions in Austria, Poland, Hungary and the Czech Republic. Innsbruck: StudienVerlag.

[2] Sommer, B. (2010). Prekarisierung und Ressentiments: soziale Unsicherheit und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Wiesbaden: Springer VS.