25.11.2020 - PDF

Die Erosion der Impfbereitschaft in der österreichischen Bevölkerung

  • Die Bereitschaft der österreichischen Bevölkerung, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen, sinkt stetig. Wollten sich im Mai 2020 noch etwa die Hälfte der Bevölkerung ehestmöglich impfen lassen, so ist dieser Anteil auf etwa ein Drittel gesunken.
  • Die Ablehnung einer Impfung hat sich unter Impfskeptikern verfestigt.
  • Zu zentralen Einflussfaktoren der Impfbereitschaft gehören die Wahrnehmung der persönlichen Gefährdung und die Wahrnehmung der Regierungspolitik. Des Weiteren spielen das Alter, das Geschlecht, die Bildung sowie die gesellschaftspolitische Orientierung eine Rolle.
  • Die Veränderung der Impfbereitschaft korreliert mit der Veränderung der Zufriedenheit mit der Regierungspolitik.

Von Bernhard Kittel

Als im Frühjahr 2020 erste Medienberichte zur Entwicklung von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 die Runde machten, wurde die Bereitschaft der österreichischen Bevölkerung, sich rasch impfen zu lassen, im Austrian Corona Panel abgefragt. Das Ergebnis war damals, dass knapp die Hälfte die Absicht artikulierte, sich ehestmöglich impfen lassen zu wollen, während ein Drittel sich ablehnend äußerte. Dieses Verhältnis hat sich im Oktober umgedreht: 49% lehnten eine Impfung ab, 34% würden sich impfen lassen (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Impfbereitschaft im Zeitvergleich

Was ist hier passiert? Tabelle 1 stellt dar, welche Kategorie die Befragten, die sowohl im Mai als auch im Oktober an der Umfrage teilgenommen haben, zu den beiden Zeitpunkten angekreuzt haben. Die Impfbereitschaft im Mai befindet sich in den Zeilen, jene im Oktober in den Spalten. Die Zellen mit den meisten und zweitmeisten Fällen pro Zeile sind in Grauabstufungen markiert. Auf der Hauptdiagonalen, die durch einen Rahmen gekennzeichnet ist, befinden sich diejenigen, die im Mai und Oktober dieselbe Impfbereitschaft angegeben haben. Dies sind 49% der Befragten. Unterhalb der Hauptdiagonalen befinden sich diejenigen Befragten, deren Impfbereitschaft gesunken ist. Dies sind 41%. Gestiegen ist die Impfbereitschaft zwischen Mai und Oktober bei nur 10% der Befragten. Betrachtet man die Zeilen noch etwas genauer, so zeigt sich, dass sich die Impfskepsis bei den Skeptikern im Mai verfestigt hat: 87% derjenigen, die sich sicher nicht „ehestmöglich“ impfen würden, sind bei dieser Einstellung geblieben und 45% derjenigen, die sich im Mai eher nicht impfen würden, sagen im Oktober, es bestimmt nicht tun zu wollen. Hingegen sind 35% derjenigen, die sich im Mai sicher waren, sich möglichst rasch impfen zu lassen, unsicher geworden und 15% haben in das Lager der Impfgegner gewechselt. Wie auch die Position der grauen Zellen andeutet, zeigen die Daten einen generellen Trend in Richtung Impfzurückhaltung.

Tabelle 1. Veränderung der Impfbereitschaft Mai 2020-Oktober 2020, N = 1036

Welche Ursachen lassen sich für diese Entwicklung finden? Sehen wir uns vier mögliche Erklärungsansätze an. Ein erster Ansatz findet sich in der individuellen Einschätzung der Gefährdung. Sollte eine Person im Verlauf der Krise die Meinung entwickeln, dass die gesundheitliche Bedrohung für einen selbst oder für die Bevölkerung doch nicht so groß sei, wie zu Beginn befürchtet, kann die Impfbereitschaft zurückgehen. Aber auch die Neuheit der Impfung sowie deren rasche Entwicklung erzeugen Misstrauen, da viele Menschen unsicher sind, ob die Impfung nicht andere gesundheitliche Gefahren bergen könnte, wie die qualitative Partnerstudie SolPan zeigt. Ein zweiter Ansatz, der auf gesellschaftliche Solidarität abstellt, bezieht sich auf die Wahrnehmung des Zusammenhalts in der Bevölkerung. Je stärker der wahrgenommene Zusammenhalt, desto höher sollte die Impfbereitschaft sein. Drittens kann die Krisenpolitik der Regierung die Einstellungen beeinflussen. Je unzufriedener jemand über die Strategie der Regierung zur Bekämpfung der Pandemie ist, desto eher entsteht eine Verweigerungshaltung gegenüber einzelnen Maßnahmen dieser Strategie. Schließlich kann es viertens sein, dass es bestimmte soziodemographischen Gruppen sind, in denen ein Meinungsumschwung stattgefunden hat.

Zunächst betrachten wir die Ergebnisse eines Regressionsmodells, dass die Zusammenhänge im Oktober 2020 beschreibt (Modell 1 im Anhang). Es zeigt, dass die Impfbereitschaft mit der Einschätzung der persönlichen Gefährdung positiv korreliert, nicht jedoch mit der Einschätzung der Gefahr für die Bevölkerung. Auch die Solidaritätshypothese wird durch die Daten nicht gestützt, im Einklang mit den Ergebnissen der auf Interviews beruhende Studie SolPan. Deutliche Zusammenhänge finden sich jedoch für die Hypothese, dass die Impfbereitschaft mit der Wahrnehmung der Regierungspolitik korreliert. Die Impfbereitschaft steigt mit der Zufriedenheit mit der Regierungspolitik und sinkt mit der Wahrnehmung, dass die Regierung hinsichtlich der Coronakrise übertreibe. Schließlich gibt es einige Anhaltspunkte, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen eher geneigt sind, sich impfen zu lassen. Mit zunehmendem Alter steigt die Impfbereitschaft, Frauen sind im Durchschnitt skeptischer als Männer und Personen mit Lehrabschluss oder ähnlichem Bildungsniveau weisen die geringste Impfbereitschaft auf. Dies deckt sich mit den Befunden zur Grippeimpfung aus dem ACPP. Schließlich lässt sich aus der Parteipräferenz eine allgemeine Positionierung einer Person hinsichtlich gesellschaftspolitischer Einstellungen ablesen. Eine höhere Impfbereitschaft findet sich im links-liberalen Lager, während unter den Anhänger*innen von FPÖ und HC Strache sowie denjenigen, die nicht oder ungültig wählen würden, aber auch unter ÖVP-Wähler*innen die Impfskepsis höher ist.

Betrachten wir abschließend, wie sich die Veränderung der Einstellungen und Wahrnehmungen auf die Veränderung der Impfbereitschaft auswirkt. Dazu berechnen wir die Differenz der Antworten zwischen Mai und Oktober 2020 und betrachten den Zusammenhang zwischen diesen Differenzen (Modell 2 im Anhang). Einzig die Veränderung der Zufriedenheit mit der Regierung zeigt einen statistischen Effekt auf die Veränderung der Impfbereitschaft: Je stärker die Zufriedenheit mit der Regierung gesunken ist, desto stärker ist auch die Impfbereitschaft gesunken. Allerdings ist die Prägekraft dieses Effekts gering.

Fazit

Die Bereitschaft der österreichischen Bevölkerung, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen, ist seit Mai nicht gestiegen, sondern deutlich gesunken. Außerdem hat sich die Impfskepsis unter denjenigen, die einer Impfung kritisch gegenüberstehen, verfestigt. Die Datenerhebung hat zwar vor den Medienberichten in der ersten und zweiten Novemberwoche zu Durchbrüchen bei der Entwicklung von Impfstoffen stattgefunden, jedoch stehen sie durchaus in Einklang mit den von Gallup erhobenen Daten (siehe technische Diskussion im Anhang). Wenn erwartet worden wäre, dass die reale Aussicht auf eine baldige Impfung die Impfbereitschaft positiv beeinflusst, dann wäre auch zu erwarten gewesen, dass sich in dieser Befragung ein deutlich höherer Anteil von impfbereiten Personen finden hätte sollen. Dass dies nicht der Fall ist, deutet darauf hin, dass die Existenz eines Impfstoffes nicht gleich zu setzen ist mit der Akzeptanz der Impfung in der Bevölkerung.

Die Analyse hat gezeigt, dass die Impfbereitschaft von individuellen und gesellschaftlichen Faktoren abhängt. Niedrige Gefahrenwahrnehmung, geringeres Alter, die Wahrnehmung eines geringen gesellschaftlichen Zusammenhalts, weiblich zu sein und eine politisch eher rechts positionierte Grundeinstellung sind Faktoren, die zu Impfskepsis beitragen. Treibend für das Sinken der Impfbereitschaft sind aber weniger diese Dimensionen als die Wahrnehmung der Regierungspolitik. Es ist die sinkende Zufriedenheit mit der Regierung, die mit der sinkenden Bereitschaft, sich impfen zu lassen, korreliert.

Dieser Befund ist alarmierend. Wenn die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung zur Entfremdung der Bevölkerung führen und dies zur Folge hat, dass die Bereitschaft, sich mit einer Impfung selbst zu schützen und damit zur Überwindung der Krise beizutragen, schwindet, dann ist dies eine fundamentale Fehlentwicklung. Da in der Befragung keine Frage nach einer Begründung der Haltung gegenüber einer Impfung enthalten war, lässt sich derzeit über diese nur spekulieren. Andere Studien deuten darauf hin, dass eine weitere wichtige Ursache eine zunehmende Angst vor den unbekannten Folgen eines neuartigen und nicht in Langzeitstudien geprüften Impfstoffes zu sein scheint. In Anbetracht des Aufkommens dieser Ängste scheint es nicht gelungen zu sein, einen für die österreichische Bevölkerung nachvollziehbaren öffentlichen Diskurs zu führen. Die Aufmerksamkeit für den Diskurs in den sozialen Medien ist gestiegen; dort können Verschwörungstheorien, unfundierte Meinungen und „alternative Fakten“ jedoch denselben Stellenwert bekommen wie wissenschaftlich geprüfte Aussagen. Hier zeigen sich die desaströsen Folgen einer Kommunikationsstrategie, die auf Message-Control setzt, statt eine gesellschaftsweite Diskussion anzuregen und sich dieser auf Augenhöhe zu stellen.


Bernhard Kittel ist Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Wien und Leiter des Austrian Corona Panel Projects.


 Technischer Anhang