17.07.2020
Annäherung vs. Vermeidungshaltung: Einblicke in die Anwendung von Coping-Strategien in der Krise
- Zur Krisenbewältigung (Coping) wurden besonders häufig die Strategien Akzeptanz, positive Umdeutung, Planung und Humor angewandt.
- Ablenkung, Verleugnung, Inanspruchnahme emotionaler Unterstützung, Verhaltensrückzug und das Ausleben von Emotionen wurden häufiger von Frauen als von Männern angegeben.
- Instrumentelle Unterstützung, aktive Bewältigung und Verhaltensrückzug wurden durchwegs seltener praktiziert, je älter die Befragten waren.
- Stärker wahrgenommene persönliche gesundheitliche Gefahr bringt vermehrte Inanspruchnahme instrumenteller Unterstützung, aktive Bewältigung, Planung und Ablenkung, sowie weniger Verhaltensrückzug, Humor und Ausleben von Emotionen mit sich.
- Wer die persönliche wirtschaftliche Gefahr höher einschätzt, praktiziert häufiger Verleugnung, aktive Bewältigung, Planung und Ablenkung, während Humor, Akzeptanz und positive Umdeutung seltener angewandt werden.
Die Bewältigung der Corona-Krise stellte viele Menschen vor große Herausforderungen. Wie allerdings schon im Blog zur Einsamkeit kurz dargelegt wurde, gehen Menschen je nach ihrer Situation unterschiedlich mit diesen Herausforderungen um. Dieser Umgang wird auch Coping (engl. „Bewältigung“) genannt. Dabei existieren mehrere Ansätze zur Einteilung von Coping-Strategien; eine weit verbreitete differenziert zwischen vermeidenden („avoidance coping“) und annähernden Formen („approach coping“).
Um trotz der Fülle an Coping-Strategien die wichtigsten zu erfassen, orientierten wir uns an der deutschen Version des von Carver (1997) entwickelten BRIEF-COPE-Fragebogens, welcher 14 Formen von Coping behandelt. Die beiden Dimensionen Genussmittelkonsum und Religiosität untersuchten wir allerdings schon in anderer Form, und der Coping-Mechanismus der Selbstbeschuldigung erscheint in der Corona-Krise wenig sinnvoll. Daher konzentrierten wir die Befragung auf die verbleibenden 11 Coping-Strategien: Ablenkung, Verleugnung („nicht wahr haben wollen“), Inanspruchnahme emotionaler Unterstützung, Verhaltensrückzug („Aufgeben“), positive Umdeutung der Situation, Humor, aktive Bewältigung (Anpassen des eigenen Verhaltens), Inanspruchnahme instrumenteller Unterstützung (z.B. Einkaufshilfe), Ausleben von Emotionen, Planung und Akzeptanz der Situation.
Diese Strategien wurden sowohl Ende April (Welle 5) als auch Ende Mai (Welle 9) abgefragt. Dazwischen lagen große Lockerungen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus: Anfang Mai fielen die allgemeinen Ausgangsbeschränkungen und die meisten Geschäfte öffneten wieder, ab Mitte Mai durfte die Gastronomie wieder besucht werden.
Im vorliegenden Blog wollen wir die Coping-Strategien der Österreicher*innen also näher beleuchten und über die Zeit verfolgen. Daher gehen wir folgenden Fragen nach: Wie gingen die Befragten mit der Krise um? Gibt es Zusammenhänge zwischen verschiedenen Formen der Krisenbewältigung und der Haushaltsgröße, Kindern, Erwerbsstatus sowie den veränderten Arbeitsbedingungen (Home-Office, Kurzarbeit, etc.)? Welche Unterschiede zeigen sich bezüglich Geschlecht und Alter? Und welchen Einfluss haben die wirtschaftliche und gesundheitliche Gefahrenwahrnehmung auf die Anwendung verschiedener Strategien zur Krisenbewältigung?
Welche Coping-Strategien wurden in der Corona-Krise vorwiegend angewandt
Einige Formen der Krisenbewältigung wurden von unseren Befragten besonders häufig angewandt, wobei sich trotz der geänderten Rahmenbedingungen nur geringe Veränderungen zeigten: Sowohl Ende April als auch Ende Mai führten Akzeptanz und positive Umdeutung die Liste der Coping-Strategien an (siehe Abbildungen 1 und 2). Ebenfalls bedeutsam waren zu beiden Befragungszeitpunkten die Coping-Strategien Planung und Humor. Während Ablenkung Ende April noch unter den am häufigsten angewandten Strategien zu finden war, sank deren Bedeutung bis Ende Mai; aktive Bewältigung wurde indessen wichtiger. Die drei Strategien instrumentelle Unterstützung, Verhaltensrückzug und Verleugnung bilden sowohl Ende April als auch Ende Mai die Schlusslichter. Dabei ist festzuhalten, dass auch diese vergleichsweise selten angewandten Coping-Strategien noch relativ hohe Mittelwerte erzielen.
Wie bewältigten verschiedene Gruppen die Corona-Krise?
Zwischen den Geschlechtern zeigen sich mehrere signifikante Unterschiede: Sowohl Ende April als auch Ende Mai wurden die Coping-Strategien Ablenkung, Verleugnung, Inanspruchnahme emotionaler Unterstützung, Verhaltensrückzug und das Ausleben von Emotionen von Frauen häufiger angegeben als von Männern. Ende Mai zeigte sich außerdem, dass Frauen die Krise seltener mit Humor nehmen konnten als Männer, was Hinweise auf die für Frauen gesteigerte Belastung durch Haushalt und Kinderbetreuung bieten könnte. Allerdings konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen Personen in Haushalten mit und ohne Kinder bezüglich der Bewältigungsstrategien festgestellt werden. Die Haushaltsgröße zeigte zu beiden Befragungszeitpunkten Einfluss auf die Anwendung der Strategien Humor und Akzeptanz: Beide Formen von Coping wurden signifikant häufiger angegeben, je kleiner der Haushalt war (vgl. Anhang B).
Der Erwerbsstatus und die durch Corona veränderten Arbeitsbedingungen weisen ebenfalls signifikante Zusammenhänge mit dem Gebrauch von Coping-Strategien auf: Wer sich in Arbeitslosigkeit befand, schaffte sowohl Ende April als auch Ende Mai seltener eine positive Umdeutung der Krise und nahm die Situation auch seltener mit Humor. Aktive Bewältigung und Verhaltensrückzug wurden dagegen häufiger praktiziert als in anderen Gruppen. Schüler*innen und Studierende suchten sich zu beiden Befragungszeitpunkten öfters emotionale und instrumentelle Unterstützung. Pensionist*innen weisen in beiden Wellen geringeren Verhaltensrückzug und weniger aktive Bewältigung auf, während sie bei Humor höhere Werte erzielten als andere Gruppen. Bei Personen im Home-Office, in Kurzarbeit, im Abbau von Zeitausgleich oder Urlaub sowie bei jenen außerhalb von Erwerbsarbeit (z.B. Karenz oder Haushaltsführung) konnten keine oder nur geringe signifikante Unterschiede festgestellt werden. Ebenso verhält es sich mit jenen Erwerbstätigen, welche zum Befragungszeitpunkt von keinen dieser Corona-bedingten Einschränkungen in ihrer Arbeit betroffen waren.
Bezüglich des Alters wiederum zeigen sich zu beiden Messzeitpunkten signifikante Zusammenhänge, welche sich mit jenen bei Schüler*innen bzw. Studierenden und jenen bei Pensionist*innen decken – immerhin sind viele ältere Personen in Pension, und viele jüngere Befragte besuchen eine Schule, Fachhochschule oder Universität. Die stärksten hier festgestellten Zusammenhänge sind in Abbildung 3 dargestellt: Verhaltensrückzug, aktive Bewältigung sowie instrumentelle Unterstützung wurden umso öfter praktiziert, je jünger die Teilnehmer*innen waren. Umgekehrt wurde Humor und Akzeptanz umso häufiger angewandt, je älter die Befragten waren. Ende Mai kamen noch einige signifikante Zusammenhänge hinzu: So praktizierten jüngere Personen zu diesem Zeitpunkt häufiger die Strategien Ablenkung, Verleugnung und emotionale Unterstützung, während ältere Personen verstärkt positive Umdeutung anwandten (vgl. Anhang B).
Wie hängen die Wahrnehmung persönlicher Gefahren durch das Coronavirus und die Anwendung von Coping-Strategien zusammen?
In unserer Befragung wurden den Teilnehmer*innen auch Fragen zu ihrer Einschätzung der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Gefahren, welche durch das Coronavirus ausgehen, gestellt (vgl. auch Blog zur Gefahrenwahrnehmung). Hier zeigten sich einige interessante Zusammenhänge zur Anwendung bestimmter Coping-Strategien:
Die Wahrnehmung persönlicher gesundheitlicher Gefahr beeinflusst die meisten abgefragten Bewältigungsstrategien; die stärksten Zusammenhänge sind in Abbildung 4 dargestellt (vgl. auch Anhang B). Je größer diese Gefahr eingeschätzt wurde, desto häufiger wandten die Befragten über die Zeit hinweg die Strategien instrumentelle Unterstützung, aktive Bewältigung, Planung, Ablenkung und Verleugnung an. Umgekehrt wurden mit steigender Gefahrenwahrnehmung seltener Verhaltensrückzug, Humor und das Ausleben von Emotionen angegeben.
Betrachten wir die Einschätzung der persönlichen wirtschaftlichen Gefahr, finden wir sogar noch stärkere Zusammenhänge, wovon die bedeutendsten in Abbildung 5 dargestellt sind (vgl. auch Anhang B): Je größer diese Gefahr wahrgenommen wurde, desto häufiger praktizierten die Befragten die Strategien Verleugnung, aktive Bewältigung, Planung, Ablenkung und instrumentelle Unterstützung. Umgekehrt wurden Humor, Akzeptanz, positive Umdeutung und emotionale Unterstützung umso seltener angewandt, je höher die wirtschaftliche Gefahr angesehen wurde.
Fazit und Ausblick
In diesem Blog wurde die Krisenbewältigung der Österreicher*innen mit der Corona-Krise zwischen April und Mai 2020 beleuchtet und die Bedeutung einzelner Strategien für bestimmte Gruppen illustriert. Insgesamt lässt sich feststellen, dass auf Annäherung zielende Coping-Strategien (approach coping) bedeutend häufiger angewandt wurden als solche, welche auf Vermeidungshaltungen (avoidance coping) schließen lassen. Allerdings zeigen sich Einflüsse, welche diese Bilanz abschwächen: Hohe Gefahrenwahrnehmung führt oft zu verstärkter Anwendung vermeidender Coping-Strategien wie Verleugnung oder Ablenkung. Aber auch manche Gruppen wie arbeitslose und jüngere Personen weisen durch ihren häufigeren Verhaltensrückzug Tendenzen in Richtung vermeidendes Coping auf. Weiters praktizierten Frauen einige vermeidende Coping-Strategien öfter als Männer, was auf ihre traditionellen Rollen verweist, welche in der Krise zum Teil eine Renaissance erlebten.
Folgen wir der Argumentation von Roth und Cohen (1986), ist keine dieser beiden Grundrichtungen der Krisenbewältigung – annähernd oder vermeidend – prinzipiell besser, gesünder oder erfolgsversprechender als die andere. Vielmehr hängt es stark von der konkreten Situation und deren Kontext ab, inwiefern welche Strategie wie aussichtsreich und hilfreich ist. Wir stehen hier also vor einem komplexen Untersuchungsgebiet, das von vielen Faktoren beeinflusst wird. Neben den hier dargestellten umfasst dies zweifelsohne auch charakterliche Facetten und das persönliche Umfeld der Menschen, was in unserer Umfrage leider nicht erfasst werden konnte.
Dass Verhaltensrückzug bei steigender gesundheitlicher Gefahrenwahrnehmung an Bedeutung verliert, stellt einen interessanten Befund dar, welcher Gegenstand weiterer Untersuchungen sein wird. Ein weiterer Aspekt, der durch den begrenzten Rahmen dieses Blogs nicht mehr behandelt werden konnte, ist der Zusammenhang zwischen verschiedenen Coping-Strategien und den erlebten Emotionen. Hier zeigten sich signifikante und relativ starke Korrelationen, welche in einem zukünftigen Beitrag beleuchtet werden.
David W. Schiestl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Migration, Sozialpsychologie und Organisation.
Fußnoten
[1] Zu jeder abgefragten Dimension antworteten die Teilnehmer*innen mittels der vier Kategorien „trifft gar nicht zu“, „trifft eher zu“, „trifft eher nicht zu“ oder „trifft voll und ganz zu“. Die genaue Frageformulierung lässt sich im Anhang A nachlesen.