13.05.2020
Alkohol und Tabak in der Krise – ein Update zum Genussmittelkonsum Anfang Mai
- Alkoholkonsum nimmt nur mehr leicht ab, beinahe Stagnation
- Tabakkonsum legt weiter ungebremst zu
- Einsame Menschen rauchen und trinken weiterhin häufiger (und größere Mengen) als andere
- Schüler*innen und Studierende rauchen und trinken weiterhin seltener (und kleinere Mengen) als andere
- Je älter die Befragten, desto mehr wird getrunken
- Auch Personen in Kurzarbeit und Männer trinken mehr
- Arbeitslose Menschen rauchen häufiger
- Am meisten rauchen Personen zwischen 30 und 60 Jahren
Alle zwei Wochen befragen wir unsere Studienteilnehmer*innen zu ihrem Konsum von Alkohol und Tabak (siehe 1. Blogbeitrag und 2. Blogbeitrag). Zusätzlich zur Selbsteinschätzung der Veränderungen gegenüber dem vorherigen Befragungszeitpunkt stellten wir diesmal auch die Frage zur Höhe des jeweiligen Konsums. Dieser Beitrag stellt dar, wie sich der Alkohol- und Nikotinkonsum seit Mitte April (Welle 4) und Anfang Mai (Welle 6) entwickelt hat. Wer angab, gar nicht zu rauchen oder gar keinen Alkohol zu trinken, wurde für diese Untersuchung nicht herangezogen. Die Anteile der ausgeschlossenen Gruppen finden sich unter der jeweiligen Grafik.
Wie entwickelt sich das Trinkverhalten?
In den letzten Befragungen zum Thema hatten wir stetige Rückgänge im Alkoholkonsum verzeichnet. Auch diesmal zeigen sich im Durchschnitt Abnahmen, doch fallen diese geringer aus als zuletzt: Auf die Frage, wie sich das eigene Trinkverhalten seit der vorangegangenen Befragung Mitte April veränderte, antwortet fast ein Viertel (24%), weniger zu trinken – während beinahe genauso viele (22%) angeben, nun mehr Alkohol zu sich zu nehmen (siehe Abbildung 1). Die Mehrheit (54%) meint, gleich viel zu trinken wie bei der letzten Befragung.
Bezüglich der Durchschnittswerte könnte sich also eine baldige Stagnation oder sogar eine Trendumkehr ankündigen. Zugleich gibt es weiterhin einzelne Gruppen, die im Vergleich zu anderen signifikant häufiger mehr trinken: Unter den 30- bis 40-Jährigen etwa bekunden fast 36% der Befragten, mehr zu trinken als noch vor zwei Wochen. Das sind doppelt so viele wie jene, die angeben, seitdem weniger zu trinken (18%). Eine ähnliche, ebenfalls signifikante Entwicklung zeigt sich bei Personen in Kurzarbeit. Bei einem Drittel dieser Gruppe sind Steigerungen zu verzeichnen, ein knappes Viertel trinkt weniger. Auch unter einsamen Menschen stellen wir wieder einen Anstieg in ihrem Trinkverhalten fest: Über 41% berichten von erneut höherem Alkoholkonsum, während nur etwa 20% eine Verringerung meldet.
Umgekehrt setzt sich auch der Trend unter Schüler*innen und Studierenden signifikant fort, seit Beginn der Krise weniger zu trinken: Beinahe die Hälfte aus dieser Gruppe (48%) meint, nun noch weniger Alkohol zu konsumieren als Mitte April.
Und wie viel wird also getrunken?
Die absolute Menge an getrunkenem Alkohol spiegelt diese Ergebnisse wider: Insgesamt sehen wir eine deutliche Konzentration am unteren Ende der Skala (siehe Abbildung 2): Über 60% trinken höchstens drei alkoholische Getränke pro Woche. Ein Getränk entspricht dabei 0,5 Liter Bier, 0,25 Liter Wein oder 3 Schnäpsen zu je 2cl.
Schüler*innen und Studierende trinken auch in absoluten Mengen signifikant weniger als der Durchschnitt – etwa 70% berichten von höchstens drei alkoholischen Getränken pro Woche. Auch Personen in Kurzarbeit weisen signifikant verschiedene Werte vom Durchschnitt auf: Die niedrigste Kategorie (höchstens ein Getränk pro Woche) wurde von Personen in Kurzarbeit um 7% seltener aus im Durchschnitt gewählt. Umgekehrt verhält es sich mit der höchsten Kategorie (mehr als 15 Getränke pro Woche): Unter jenen in Kurzarbeit wurde dies um 7% häufiger als im Durchschnitt angegeben.
Während in der Selbsteinschätzung über die Veränderung des Alkoholkonsums keine nennenswerten Differenzen zwischen Frauen und Männern zu verzeichnen sind, zeigen sich signifikante Unterschiede in den absoluten Mengen: Männer trinken allgemein mehr, was bspw. auch in Studie im Auftrag des Sozialministeriums (2019) belegt ist. Zwei Drittel der Frauen geben an, wöchentlich bis zu drei alkoholische Getränke zu sich zu nehmen; bei Männern berichtet dies nur gut die Hälfte. Umgekehrt melden über 7% der männlichen Befragten, 15 und mehr Getränke zu konsumieren, während dies auf weniger als 3% der Frauen zutrifft.
Außerdem erweist sich das Alter als signifikanter Faktor: Es lässt sich die klare Tendenz beobachten, dass mit zunehmendem Alter auch die Menge an konsumiertem Alkohol steigt. Während beispielsweise etwa die Hälfte der unter-20-Jährigen von höchstens einem Getränk pro Woche berichtet, antwortet so nur jede/r Zehnte der über-70-Jährigen.
Wie entwickelt sich das Rauchverhalten?
Anders als beim Alkohol zeigt sich unter Raucher*innen der Trend beim Tabakkonsum seit Beginn der Krise ungebrochen: Es wird nun noch mehr geraucht. Wie schon in der letzten Befragung gibt etwa ein Drittel an, nun häufiger zur Zigarette zu greifen (siehe Abbildung 3). Der Anteil jener, welche in den vorangegangenen beiden Wochen wenig Veränderung sehen, erhöhte sich gegenüber der letzten Befragung um 2%.
Die meisten Gruppen weisen hierbei keine signifikanten Abweichungen vom Durchschnitt auf. Zwei Ausnahmen stechen jedoch ins Auge: Mehr als die Hälfte der arbeitslosen Menschen in unserer Befragung (56%) berichten von neuerlich gesteigertem Tabakkonsum, das sind um etwa 23% mehr als im Mittel. Weniger als zuvor rauchen nicht einmal 5% der arbeitslosen Personen in unserer Umfrage. Die zweite Gruppe, welche sich signifikant vom Durchschnitt unterscheidet, ist jene der einsamen Menschen. Auch hier weist mehr als die Hälfte neuerliche Zuwächse in ihrem Tabakkonsum auf – und nur 6% meinen, nun weniger zu rauchen als zwei Wochen zuvor.
Und wie viel wird also geraucht?
Die absolute Menge an konsumiertem Tabak unter Raucher*innen verteilt sich um die Kategorie 11 bis 20 Zigaretten pro Tag – zwei von fünf Befragten geben dies an. Etwa 16% rauchen dabei täglich nur bis zu fünf Zigaretten, gut 5% mehr als 30 (siehe Abbildung 4).
Die Antworten von rauchenden Schüler*innen und Studierenden konzentrieren sich dabei auf zwei Kategorien: Etwa 43% rauchen jeden Tag bis zu fünf, und ca. 38% zwischen 11 und 20 Zigaretten. Damit konsumieren sie signifikant weniger Tabak als der Durchschnitt – allerdings sind die Fallzahlen in dieser speziellen Gruppe eher klein, was die Aussagekraft dieses Ergebnisses einschränkt. Auch das Alter zeigt signifikanten Einfluss auf die Menge täglich gerauchter Zigaretten: Insgesamt am wenigsten Tabak konsumieren im Schnitt jüngere Befragte unter 30 Jahren, aber auch 60- bis 70-Jährige weisen geringe Werte auf. In diesen beiden Altersgruppen befinden sich interessanterweise zugleich die höchsten Anteile jener, welche mehr als 30 Zigaretten täglich rauchen. Den allgemein höchsten Konsum verzeichnen wir unter 30- bis 60-Jährigen.
Fazit
Die bisher beobachteten Tendenzen – der Alkoholkonsum sinkt, der Tabakkonsum aber steigt – bleiben prinzipiell erhalten, wenngleich sie beim Alkohol langsam abflachen. Beim Rauchen dagegen zeigt sich die Entwicklung ungebremst. Erneut sind es häufig dieselben Personen, welche die Trends fortführen: Wer schon in den letzten Wochen weniger rauchte oder trank als zuvor, gibt aktuell oft weiteren Rückgang an. Ebenso verhält es sich umgekehrt: Wer bereits früher Steigerungen im eigenen Rauch- oder Trinkverhalten angab, berichtet oftmals von neuerlichen Zuwächsen. Einige in dieser Situation besonders benachteiligte Gruppen (z.B. Personen in Kurzarbeit oder einsame Menschen) geben dabei häufiger als andere Zuwächse in ihrem Trink- oder Rauchverhalten an. Es erhärtet sich dadurch der Verdacht, das Genussmittel von manchen nun stark belasteten Personen zur Bewältigung der Krisensituation eingesetzt werden. Von wissenschaftlicher Seite wurden Regierungen bereits davor gewarnt und aufgerufen, öffentliche Warnungen gegen Alkoholmissbrauch auszusprechen. Während der letzten großen Wirtschaftskrise 2008-2009 wurde für die USA dokumentiert, dass der Alkoholkonsum zwar allgemein sank, zugleich aber unter auch das Betrinken bis zur Besinnungslosigkeit zunahm – eine Tendenz zu den Extremen. Ähnliches wäre auch in Österreich möglich; wir werden die Entwicklung weiterhin beobachten.
Vor allem Studierende und Schüler*innen zeigen aber auch kontinuierliche Rückgänge in ihrem Rauch- oder Trinkverhalten, was auf einen in dieser Gruppe stark ausgeprägten sozialen Charakter des Genussmittelkonsums hindeuten könnte. Ob sich all dies mit der nun vollzogenen Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen und der anstehenden Öffnung von Gaststätten wieder ändert, und welche weiteren spannenden Entwicklungen diese ungewöhnlichen Zeiten bieten, können Sie bald wieder an dieser Stelle lesen.
David W. Schiestl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Migration, Sozialpsychologie und Organisation.
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