01.05.2020
Wie entwickelt sich der Konsum von Alkohol und Tabak in der Krise? Ein Update
- Sowohl beim Alkohol als auch beim Tabak verstärken sich die bisher in unseren Daten gefundenen Trends: Es wird noch weniger getrunken, aber dafür noch mehr geraucht.
- Individuelle Entwicklungen setzen sich oft fort: Wer schon Anfang April weniger trank oder rauchte als vor der Krise, gibt Mitte April häufig weiteren Rückgang an. Analog dazu verhält es sich bezüglich Steigerungen.
- Einsame Menschen rauchen und trinken im Schnitt kontinuierlich mehr
- Frauen geben nun häufiger als Männer an, mehr zu rauchen, was auf besondere Belastung hinweisen könnte.
Anfang April befragten wir die Respondent*innen des Austrian Corona Panel Projects zum ersten Mal zu ihrem Alkohol- und Tabakkonsum in der Krise (siehe erster Blogbeitrag zum Thema). Dieselben Fragen stellen wir alle zwei Wochen erneut, um Veränderungen im Rauch- und Trinkverhalten feststellen zu können. In diesem Beitrag wollen wir nun die Entwicklungen nachzeichnen, welche sich zwischen Welle 2 (3. bis 6. April) und Welle 4 (17. bis 20. April) vollzogen. Wer angab, gar nicht zu trinken oder zu rauchen, wurde für die folgende Analyse nicht herangezogen. Nähere Informationen zu diesen Gruppen befinden sich unter den jeweiligen Abbildungen.
Entwicklung des Alkoholkonsums
Insgesamt wird in Österreich seit Ausbruch der Corona-Krise weniger Alkohol getrunken. In unserer ersten Befragung zu diesem Thema hatte etwa ein Drittel der Befragten angegeben, nun weniger zu trinken. Zirka die Hälfte berichtete, dass sich für sie wenig verändert hatte. Diese Entwicklung bleibt prinzipiell bestehen, schwächte sich aber etwas ab: Mitte April meinte etwa ein Viertel, nun weniger zu trinken als zwei Wochen zuvor, während etwa ein Fünftel Steigerungen angab (siehe Abbildungen 1 und 2). Dabei zeigt sich bei den jeweiligen Gruppen signifikant, dass die Richtung des Verlaufs auf individueller Ebene häufig bestehen bleibt: Wer schon Anfang April von verringertem Alkoholkonsum berichtete, trank Mitte April oft noch weniger. Ebenso verhält es sich bei jenen, die Zuwächse oder wenig Veränderungen angeben.
Wie schon Anfang April zeigen sich bei Schüler*innen und Studierenden weitere Rückgänge in ihrem Alkoholkonsum. Personen im Home-Office dagegen, die ja bei der ersten Befragung zum Thema im Durchschnitt lagen, berichten nun vergleichsweise öfter von gesteigertem Alkoholkonsum. Ähnlich verhält es sich bei der Gruppe der 30- bis 50-Jährigen – allerdings sind gerade von diesen Menschen auch viele im Home-Office. Unter arbeitslosen Menschen, Personen in Kurzarbeit und jenen, welche Zeitausgleich und Urlaub abbauen, zeigen sich dagegen kaum Veränderungen zu Anfang April.
Innerhalb der Gruppe der jungen Menschen sehen wir noch immer eine Tendenz zu den Extremen: Zu beiden Befragungszeitpunkten zeigten sich hier die stärksten Rückgänge in allen Altersgruppen, aber auch verhältnismäßig starke Zuwächse. Unter-20-Jährige gaben Mitte April zu etwa 45% an, nun weniger zu trinken, während 22% jetzt mehr Alkohol zu sich nehmen als zwei Wochen zuvor. Dies bedeutet also eine nur leichte Abschwächung der Entwicklung. Schüler*innen und Studierende weisen wenig Veränderungen zu Anfang April auf. Bei einsamen Menschen aber zeichnet sich ein alarmierendes Bild: Der Anteil jener, welche eine Steigerung ihres Trinkverhaltens angaben, liegt sowohl Anfang als auch Mitte April um etwa 13% über dem Durchschnitt.
Entwicklung des Tabakkonsums
Der Konsum von Tabak dagegen wuchs seit Beginn der Krise und legt auch weiter zu: Zwar stieg der Anteil jener, die von wenig Veränderung im Vergleich zur letzten Befragung berichten, auf 53%. Etwa ein Drittel raucht nun allerdings mehr als zum ersten Befragungszeitpunkt (siehe Abbildungen 3 und 4). Außerdem zeigt sich auch hier signifikant, dass diese Entwicklungen auf persönlicher Ebene an Fahrt gewinnen: Wer schon Anfang April weniger rauchte als zuvor, berichtet oft von einem weiteren Rückgang. Analog dazu verhält es sich mit jenen, deren Rauchverhalten sich steigerte oder ähnlich blieb.
Junge Respondent*innen rauchen dabei tendenziell mehr als zuvor; in unserer Befragung hat sich dieser Trend seit Anfang April sogar etwas verstärkt. Schüler*innen und Studierende dagegen weisen ähnlich wie beim Alkohol auch in ihrem Rauchverhalten erneut signifikante Rückgänge auf: Anfang April meinten rund 60%, weniger als vor der Krise zu rauchen. Mitte April gab hier über die Hälfte neuerliche Abnahmen in ihrem Tabakkonsum an. Allerdings sind die Fallzahlen für diese Gruppe relativ klein, weshalb das tatsächliche Ausmaß dieser Entwicklung nicht gesichert ist.
Zum ersten Befragungszeitpunkt Anfang April gaben arbeitslose Personen, jene in Kurzarbeit, Menschen im Abbau von Zeitausgleich und Urlaub, sowie Personen im Home-Office überdurchschnittliche Steigerungen im Rauchverhalten an. Auch dieser Trend verstärkt sich – und zwar am intensivsten bei arbeitslosen Menschen: Hier berichten zwei von fünf, dass sich ihr Tabakkonsum in den letzten zwei Wochen erhöhte.
Auch einsame Personen beschrieben schon in der ersten Befragung zum Thema überdurchschnittlichen Zuwachs im Rauchen - über 40% aus dieser Gruppe hatten dies berichtet. Diese Tendenz bestätigt sich Mitte April, wir verzeichnen erneut eine ähnliche Steigerung. Frauen weisen inzwischen signifikant stärkeren Zuwachs im Rauchen auf: Sie geben zu 9% häufiger als Männer an, nun mehr zu rauchen als zwei Wochen zuvor. Anfang April gab es dagegen noch keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Fazit
Alkohol verliert in Zeiten sozialer Isolation für die meisten Gruppen weiter an Bedeutung, was auf den sozialen Charakter des Alkoholtrinkens in Österreich schließen lässt. Besonders einsame Personen greifen dabei jedoch in unserer Befragung häufiger zu alkoholischen Getränken, was auf Alkohol als Bewältigungsstrategie für soziale Isolation hinweist. Personen im Home-Office lagen zunächst im Mittel, weisen jedoch inzwischen etwas gesteigerten Alkoholkonsum auf – hier könnten sich Zuwächse im Stress widerspiegeln.
Die allgemein verzeichneten und in manchen Gruppen stark ausfallenden Steigerungen des Rauchverhaltens dürften ebenfalls auf weiterhin hohe (oder sogar gestiegene) Stressbelastung hinweisen. Auch der Suchtcharakter des Tabaks ist hier nicht von der Hand zu weisen. Gerade bezüglich der Zuwächse unter Frauen lässt sich außerdem ein Zusammenhang mit den Analysen zum Work-Family-Konflikt vermuten: Mütter wenden bedeutend mehr Zeit für Kinderbetreuung und Home-Schooling auf als Väter und könnten so gesteigerter Belastung ausgesetzt sein, was sich vielleicht auch in ihrem Rauchverhalten niederschlägt.
David W. Schiestl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Migration, Sozialpsychologie und Organisation.
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