15.06.2021  - PDF

Gesellschaftliche Dimensionen des Glaubens an Verschwörungsmythen in der Corona-Krise

  • Befragte, die in Bezug auf das Coronavirus häufiger in Sozialen Medien aktiv sind, und jene, die meinen, dass die Regierung die gesundheitlichen Gefahren des Virus übertreibe, schenken Verschwörungstheorien eher Glauben
  • Die Tendenz, sich von Verschwörungsmythen verunsichern zu lassen, sinkt mit dem Alter, dem Bildungsstand und dem Haushaltseinkommen
  • Mit steigender Bereitschaft, die FPÖ zu wählen, steigt auch die Bereitschaft, Verschwörungsmythen zu glauben. Hingegen sinkt die Verunsicherung durch Verschwörungsmythen mit steigender Bereitschaft, die Grünen zu wählen
  • Menschen mit Migrationshintergrund sind stärker durch Verschwörungsmythen verunsichert

Von Bernhard Kittel und David W. Schiestl

In gesellschaftlichen Krisen, wie schon in früheren Pandemien, blühen Theorien über deren mögliche Ursachen, die als „alternative Erzählungen“ zu jener Interpretation der Ereignisse angeboten werden, die Grundlage des politischen Handelns und des öffentlichen Diskurses ist. Diese Erzählungen haben gemeinsam, dass sie keine Belege für behauptete Ereignisse oder Zusammenhänge, die oft völlig aus der Luft gegriffen sind (siehe dazu die Dokumentation zu den Behauptungen über Bill Gates), erbringen. Dennoch kann der Glaube an solche Verschwörungsmythen reale Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen in der Pandemie nach sich ziehen, wie etwa das Ausmaß, in dem sich jemand an Präventionsmaßnahmen beteiligt, oder ob jemand sich impfen lässt.

Der Glaube an Verschwörungsmythen beansprucht ein exklusives Wissen, das sich über die wiederholte Erzählung gegen Kritik und die Forderung nach wissenschaftlichen Belegen immunisiert. Der Literaturwissenschaftler Christian Sieg beschreibt diesen Mechanismus wie folgt: „Verschwörungstheoretiker*innen nehmen für sich in Anspruch, dass sie allein die Zeichen der Verschwörung erkennen und das Offensichtliche nicht verkennen. Ihre Marginalisierung ist Teil der eigenen Erzählung, die immer auch davon berichtet, dass die Macht der Verschwörung so groß ist, dass Aufklärung mit allen Mitteln verhindert wird.“ Diese Selbstbezogenheit der Erzählung macht eine diskursive Auseinandersetzung mit Menschen, deren Wahrnehmung der Welt eine verschwörungstheoretische Perspektive einnimmt, zu einer großen Herausforderung. Der Politikwissenschaftler Bernd Schlipphak und die Psychologen Michael Bollwerk und Mitja Back haben festgestellt, dass „jüngere Studien einen empirischen Zusammenhang zwischen dem Glauben an VT [Verschwörungstheorien, d.A.] und politischem Zynismus (…), dem Gefühl der Entfremdung (…), extremen politischen Positionen und einem höheren Grad an rechtsextremem Autoritarismus (…)“ gezeigt haben. Sie schließen daraus, dass dies Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben kann.

Der gesellschaftliche Kontext von Verschwörungsmythen

Im kürzlich veröffentlichten Blog zu Verschwörungstheorien wurde festgestellt, dass Verschwörungsmythen je nach konkreter Erzählung bis zu 44% der österreichischen Bevölkerung hinsichtlich der Einordnung des Coronavirus verunsichert haben. Aber mit welchen soziodemographischen und sozialen Faktoren hängt diese Verunsicherung zusammen?

Wir gehen dieser Frage mit Hilfe eines Regressionsmodells nach, mit dem die Korrelationen zwischen dem Glauben an Verschwörungsmythen und einigen möglichen Faktoren untersucht werden. Abbildung 1 (siehe auch Anhang 1) zeigt, dass Menschen mit tertiärer Bildung und mit höherem Einkommen seltener Anhänger*innen von Verschwörungsmythen sind. Auch mit zunehmendem Alter nimmt der Glaube an diese Mythen leicht ab. Menschen mit Migrationshintergrund[1] neigen hingegen eher dazu, Verschwörungstheorien Glauben zu schenken. Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass für diese Gruppe sprachliche Hürden das Verständnis erschweren. Bezüglich Geschlecht und Wohnort lässt sich kein statistischer Zusammenhang feststellen.

Mit Blick auf die Einstellungen und das Verhalten der Befragten zeigt sich ein sehr starker positiver Zusammenhang zwischen dem Glauben an Verschwörungserzählungen und der Ansicht, die Regierung übertreibe die gesundheitlichen Gefahren. Des Weiteren neigen Menschen eher dazu, Verschwörungstheorien zu glauben, wenn sie in sozialen Medien Postings zum Thema Corona liken.[2] Vergleichen wir das Ausmaß der Zustimmung zu Verschwörungsmythen mit der angegebenen Bereitschaft, die im Parlament vertretenen Parteien zu wählen (propensity to vote / PTV), zeigen sich bezüglich der ÖVP, der SPÖ und den NEOS keine statistisch signifikanten Zusammenhänge. Allerdings steigt der Glaube an Verschwörungserzählungen mit der Wahrscheinlichkeit, die FPÖ zu wählen. Je eher sich die Befragten dahingegen vorstellen können, die Grünen zu wählen, desto geringer fällt die Verunsicherung durch Verschwörungstheorien aus.

Abbildung 1. Partielle Zusammenhänge im Regressionsmodell, ACPP Welle 23, N = 1.075. Die senkrechte rote Linie zeigt den Wert 0 (kein Zusammenhang) bzw. die Referenzgruppe (männlich, Lehr- oder ähnlicher Abschluss, kein Migrationshintergrund, wohnhaft in einer Gemeinde mit weniger als 5.000 Einwohnern) an. Die zugehörige Regressionstabelle befindet sich in Anhang 1. Die dem Index zu Verschwörungsmythen zugrundeliegenden Fragen sind in Anhang 2 und die entsprechenden Variablendefinitionen in Anhang 3 aufgelistet.

Fazit

Wie schon im vorangegangenen Blogbeitrag zu diesem Thema festgestellt wurde, betrifft die Verunsicherung durch Verschwörungsmythen bei bestimmten Themen bis zu 44% der österreichischen Bevölkerung. Diese Verunsicherung weist einen statistischen Zusammenhang mit Faktoren auf, die verschiedene Dimensionen des Zugangs zu Wissen (Bildung, Aktivität in Sozialen Medien) und der Einstellung gegenüber der Regierung erfassen. Auch hängt der Glaube an Verschwörungsmythen mit der Affinität zu Parteien zusammen. Die sozioökonomische und parteipolitische Spaltung bezüglich der Verunsicherung durch Verschwörungsmythen ist eine schwere Hypothek für die Bemühungen um eine Eindämmung der Pandemie und verweist auf die Notwendigkeit einer breiter fundierten und stärker zielgerichteten Informationskampagne, um den kursierenden Verschwörungserzählungen Fakten entgegenzusetzen.

 

[1] Migrationshintergrund bedeutet, dass man selbst und/oder beide Elternteile nicht in Österreich geboren wurden (vgl. Statistik Austria).

[1] Im ACPP wird zwischen dem Lesen, Liken und Kommentieren von Beiträgen in Sozialen Medien unterschieden. Wir verwenden hier die mittlere Kategorie „Liken“, um ein Mindestmaß an eigener Aktivität zu erfassen.

Anhang


Bernhard Kittel ist Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Wien und Leiter des Austrian Corona Panel Project.

David W. Schiestl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien.