Corona-Dynamiken - 26.11.2020 - PDF

Die Entsolidarisierung der Gesellschaft: Vom ersten in den zweiten Lockdown

  • Je länger die Corona-Krise dauert, umso weniger Solidarität nimmt die österreichische Bevölkerung im Schnitt wahr
  • Soweit bisher absehbar, scheint der zweite Lockdown nicht zu einem Wiedererstarken der gesellschaftlichen Solidarität geführt zu haben

Von Bernhard Kittel

Im Frühling 2020 war in der öffentlichen Debatte viel die Rede davon, dass die Corona-Krise zu einer Stärkung der Solidarität in der Bevölkerung führt. Diesen Eindruck hatte auch eine große Mehrheit der Bevölkerung: In der dritten Befragungswelle des Coronapanels um Ostern stimmte etwas drei Viertel der österreichischen Bevölkerung den Aussagen zu, dass alle ihr Bestes gäben, um die Krisensituation zu überwinden, und dass die meisten sich einig seien, dass der Zusammenhalt in der Bevölkerung wichtig sei. Etwa zwei Drittel stimmten der Aussage zu, dass alle zusammenrückten, um die Schwachen zu schützen. Diese Wahrnehmung ging jedoch im weiteren Verlauf der Pandemie zurück. Die Zustimmung zu den Aussagen sank während des Sommers auf ein Drittel bis zur Hälfte des Frühjahreswertes. Auch die zweite Welle, die im Oktober einsetzte und zum zweiten Lockdown im November führte, änderte nichts an dieser Einschätzung. Im Gegenzug stieg der Anteil derjenigen, die keine Anzeichen gesellschaftlicher Solidarität wahrnehmen können, von Anteilen unter 10 Prozent auf Anteile zwischen 20 und 30 Prozent.

Dieser Befund geht einher mit einer zunehmenden Krisenmüdigkeit, Unzufriedenheit mit den Maßnahmen der Regierung, steigender Demokratieverdrossenheit und steigenden psychischen Belastungen, die anzeigen, dass der zweite Lockdown unter gänzlich anderen Voraussetzungen als der erste stattfindet. War der Erste geprägt von großer Unsicherheit und Zuversicht, dass alles bald wieder normal ist, so rückt beim Zweiten zwar die Aussicht auf eine Impfung, die die Krise beenden könnte, in greifbare Nähe, die Zuversicht ist vielen Menschen jedoch geschwunden.


Bernhard Kittel ist Universitätsprofessor am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Experimentelle Gerechtigkeitsforschung, Experimentelle Gremien- und Wahlforschung, Beschäftigungs- und Arbeitsmarktforschung sowie International vergleichende Analyse von Wohlfahrtsstaaten und Arbeitsbeziehungen.


Fragen

Ganz allgemein, wie sehr treffen die folgenden Aussagen auf die Stimmung in unserer Gesellschaft zu?

a) Wir geben alle unser Bestes, um die Krisensituation zu überwinden.

b) Die meisten sind sich einig, dass Zusammenhalt in der aktuellen Krisensituation wichtig ist.

c) Wir rücken in der aktuellen Situation zusammen, um die Schwachen zu schützen.

 

Antwortmöglichkeiten

  • 1 = Trifft voll und ganz zu
  • 2 = Trifft eher zu
  • 3 = Teils-teils
  • 4 = Trifft eher nicht zu
  • 5 = Trifft gar nicht zu
  • weiß nicht [88]
  • keine Angabe [99]