31.08.2020 - PDF

Soziale Integration und Zuspruch für Populismus

  • Menschen, die weniger sozial integriert sind tendieren zu einer höheren Zustimmung gegenüber populistischen Ideen.
  • Ebenso tendieren sie eher dazu populistische Parteien (FPÖ, DAÖ) zu wählen.
  • Hingegen tendieren Menschen die eine höhere soziale Integration aufweisen stärker dazu ÖVP, Grüne oder NEOS zu wählen.

Von Verena Reidinger

Einleitung

Aktuelle politikwissenschaftliche Forschung weist darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen dem Grad der sozialen Integration und dem Wahlverhalten besteht (Gidron und Hall, 2019). Dessen Theorie besagt, dass je weniger integriert sich Menschen in die Gesellschaft fühlen, desto eher werden sie von einer populistischen Ideologie angesprochen und wählen daher auch populistische Parteien. Eine populistische Ideologie zeichnet sich durch die Trennung der Gesellschaft in eine „korrupte Elite“ und das „Volk“ aus. Politische Entscheidungen sollten ein Ausdruck des Volkswillens sein. Allerdings würde dieser Volkswille von beispielsweise den politischen Eliten, wie den etablierten Parteien oder Bildungseliten, wie Wissenschaftlern, verhindert (Mudde 2016, 2019). Die Begründung für den Zusammenhang zwischen niedriger sozialer Integration und der Wahl populistischer Parteien ist, dass Menschen, die das Gefühl haben keine Anerkennung von ihren Mitmenschen zu bekommen, eher Feindseligkeiten gegenüber Eliten entwickeln. Dadurch, dass die populistische Ideologie und die Parteien die diese vertreten, Eliten zum Feindbild machen, sprechen sie vor allem sozial wenig integrierte Menschen an, so die Theorie. In diesem Blogbeitrag soll diese Theorie anhand der Daten des Austrian Corona Panel Project (ACPP) überprüft werden. Zuvor will ich aber noch darauf eingehen was genau soziale Integration ist und wie diese hier konzeptualisiert wird.

Was ist soziale Integration?

Individuen fühlen sich mehr oder weniger sozial integriert in die Gesellschaft. Soziale Integration definiert sich durch das Ausmaß und die Häufigkeit der sozialen Kontakte sowie ob sich Menschen als geschätzte Mitglieder der Gesellschaft empfinden (Bellah et al., 2007; Berkman et al., 2000, Putnam 2000). Fühlen sie sich von ihren Mitmenschen nicht anerkannt oder respektiert und aus einer gemeinsamen Wertegemeinschaft ausgeschlossen, sind sie sozial weniger integriert. Nehmen sich Menschen hingegen als gleichwertige und anerkannte Mitglieder der Gesellschaft war, sind sie eher sozial integriert (Blau, 1960). Diese soziale Integration verfestigt sich (unter anderem) in der wahrgenommenen sozialen Stellung der Individuen. Fühlen sich Menschen am unteren Ende der sozialen Leiter stehend, und damit an den Rand der Gesellschaft gedrängt, oder finden sie sich in der Mitte oder sogar am oberen Ende der sozialen Leiter wieder? In der Sozialwissenschaft nennt man dies den „Subjektiven Sozialen Status“ einer Person (Brown-Iannuzzi et al. 2015; Schneider 2019). Im Falle des subjektiven sozialen Status zieht man selbst den Vergleich zu anderen Individuen in der Gesellschaft und stellt fest wo man gesamtgesellschaftlich auf der „sozialen Leiter“ steht. Diese Einschätzung basiert zwar auch auf objektiven sozialen Eigenschaften, wie Einkommensklasse, Berufsgruppe oder Ausbildung, ist von diesen zu unterscheiden. Um Einblick in Bedeutung objektiver Faktoren auf subjektiven Sozialen Status zu geben blicken wir auf die Berufsgruppe als ein wichtiger Indikator dafür wo sich Menschen auf der sozialen Leiter relativ zu anderen in der Gesellschaft einordnen.

Im Zuge der Befragung des Austrian Corona Panel Project (ACPP) der Universität Wien haben wir ermittelt wo sich Menschen selbst auf der sozialen Leiter verorten (Welle 8, 15.05.-20.05.2020). Die Befragten sollten folgende Einschätzung abgeben: In unserer Gesellschaft gibt es Bevölkerungsgruppen, die eher oben stehen, und solche, die eher unten stehen. Wir haben hier eine Skala, die von oben nach unten verläuft. Wenn Sie an sich selbst denken: Wo würden Sie sich auf dieser Skala von 1 bis 10 einordnen?“. Abbildung 1 veranschaulicht wie sich die Einordnungen der Befragten aus verschiedenen Berufsgruppen, die von ihnen im Juni 2020 angegeben wurde, verteilen. Die schwarze vertikale Linie in jedem einzelnen Graphen markiert den durchschnittlichen subjektiven sozialen Status aller Befragten, dieser liegt bei 5.28.[1] Zum Vergleich zeigt die rote vertikale Linie den durchschnittlichen subjektiven sozialen Status der Befragten der jeweiligen Berufsgruppe. Beispielsweise sieht man im ersten Graphen der ersten Reihe, dass sich eine Mehrheit jener die als ihren Hauptberuf „Akademischen Beruf“ angegeben haben, sich auf Stufe 7 der sozialen Leiter lokalisieren. Durchschnittlich verorten sich Menschen mit akademischen Berufen auf dem Wert 6.4 (rote Linie) und damit höher als der Durchschnitt aller Befragten mit 5.28 (schwarze Linie). Nun kann man aus den einzelnen Graphen und dem Vergleich des durchschnittlichen Wertes aller Befragten mit jenem der jeweiligen Gruppe schließen, dass sich die Berufsgruppen Führungskräfte (durchschnittlicher Wert: 6.0) als auch Akademische Berufe höher platzieren als der Durchschnitt. Dienstleister*innen und Verkäufer*innen sehen sich durchschnittlich bei 4.8 und Hilfsarbeitskräfte bei 4.2. Diese beiden Berufsgruppen liegen damit unter dem Durchschnitt aller Befragten. Bürokräfte und verwandte Berufe kommen dem allgemeinen Durchschnitt am nächsten mit 5.1.

Abbildung 1: Verteilung des Subjektiven Sozialen Status nach Berufsgruppen

Zusammenhang: Subjektiver sozialer Status und populistische Einstellung sowie Wahlverhalten

Im Folgenden werden nun zwei Erwartungen geprüft: Menschen mit einem niedrigen subjektiven sozialen Status 1) stimmen eher populistischen Ideen zu und 2) wählen eher populistische Parteien (FPÖ und DAÖ). Die Zustimmung gegenüber Populismus messe ich daran, ob die Befragten sechs Aussagen, die populistische Ideen vertreten, zustimmen oder diese ablehnen. Die Daten dazu entnehme ich erneut aus der Austrian Corona Panel Befragung (Welle 6, 01.05.-06.05.2020). Sind die Befragten der Überzeugung, dass 1) Kompromisse bei politischen Entscheidungen bedeutet Prinzipien zu verkaufen, 2) Politiker sich nur um die Interessen der Reichen und Mächtigen kümmern, 3) die meisten Politiker nicht vertrauenswürdig sind, 4) Parteien das Hauptproblem in Österreich sind, 5) das Volk und nicht die Politiker entscheiden sollen und 6) dass sie eine*n Bürger*in über ein Parteimitglied als Abgeordnete*n bevorzugen stimmen sie populistischen Ideen zu. Aus diesen sechs Aussagen wurde ein Index gebildet, der die populistische Einstellung der Individuen misst und von 1 (wenig bis gar keine Zustimmung gegenüber populistischen Aussagen) bis 5 (starke Zustimmung gegenüber populistischer Aussagen) reicht. Abbildung 2 zeigt den Zusammenhang zwischen subjektivem sozialem Status und der populistischen Einstellung. Die Punkte stellen die einzelnen Befragten dar und wie sie sich über den subjektiven sozialen Status sowie die populistische Einstellung verteilen. Die schwarze Regressionslinie zeigt den Zusammenhang zwischen den beiden Variablen. Menschen mit einem niedrigen sozialen Status weisen also auch eher stärkere populistische Einstellungen auf. Dieses Ergebnis entspricht der oben beschriebene Erwartung. Jedoch muss man hier festhalten, dass die beiden Variablen auf einem niedrigen bis moderaten Niveau korrelieren (-0.23) und weitere Untersuchungen notwendig wären bevor dieser Zusammenhang kausal interpretiert werden kann.

Abbildung 2: Zusammenhang des subjektiven sozialen Status mit populistischer Einstellung

Es konnte demnach gezeigt werden, dass zumindest ein leichter negativer Zusammenhang zwischen subjektiven sozialen Status und populistischer Einstellung besteht, aber findet sich auch ein Zusammenhang mit Wahlpräferenzen für populistische Parteien? Im österreichischen Parteiensystem kann die FPÖ sowie die DAÖ als populistisch identifiziert werden. Die FPÖ wurde als solches in politikwissenschaftlichen Analysen definiert (siehe bspw.: Rooduijn et al., 2019). Zur DAÖ liegen solche Analysen leider noch nicht vor. Allerdings besteht ein starker personeller Austausch mit der FPÖ, woraus sich annehmen lässt, dass sich diese Partei ähnlich populistisch wie die FPÖ ausrichtet. Im Zuge der Erhebung der Austrian Corona Panel Daten (Welle 9, 23.05.-27.05.2020) wurden die Teilnehmer*innen befragt wie wahrscheinlich es ist, dass sie den einzelnen Parteien im österreichischen politischen System jemals eine Stimme geben: Wie wahrscheinlich ist es auf einer Skala von 0 bis 10, dass Sie die SPÖ/ÖVP/FPÖ/NEOS/Grüne/DAÖ jemals wählen werden? Abbildung 3 zeigt den Zusammenhang zwischen dem subjektiven sozialen Status und der Wahlpräferenz. Erneut stellen die Punkte die einzelnen Befragten dar. Die Regressionslinien (jeweils in der Farbe der Partei) zeigt den Zusammenhang zwischen dem subjektiven sozialen Status und der Wahrscheinlichkeit für die spezifische Partei zu wählen.

Die Abbildung zeigt, dass der subjektive soziale Status positiv mit der Wahrscheinlichkeit für ÖVP, Grüne und NEOS zu wählen korreliert. Das bedeutet, dass der Zusammenhang zwischen den Variablen positiv ist. Daraus kann man schließen, dass Menschen, die sich weiter oben auf der sozialen Leiter verorten, eher dazu geneigt sind ÖVP, Grüne oder NEOS zu wählen. Im Falle der Grünen ist dieser Zusammenhang am stärksten, allerdings muss man auch hier wieder festhalten, dass die Korrelation eher niedrig bis moderat ist (0.19). Kein Zusammenhang besteht mit der Wahrscheinlichkeit die SPÖ zu wählen. Die Korrelation beträgt in diesem Fall 0.01. Im Falle von DAÖ und FPÖ zeigt sich ein negativer Zusammenhang. Menschen mit einem niedrigeren subjektiven sozialen Status wiesen eine höhere Wahrscheinlichkeit auf eine dieser beiden Parteien zu wählen. Auch hier muss wieder festgehalten werden, dass die Korrelation eher niedrig ist (-0.08 für FPÖ und -0.06 für DAÖ). Dieses Ergebnis entspricht der zweiten Erwartung, dass Menschen mit niedrigem subjektivem sozialem Status eher populistische Parteien wählen als Personen mit hohem subjektivem Status.

Abbildung 3: Zusammenhang zwischen Subjektivem Soziale Status und der Wahrscheinlichkeit für verschiedene Parteien zu wählen

Fazit

Aus den oben dargestellten einfachen Analysen aus jeweils zwei Variablen lässt sich schließen, dass der subjektive soziale Status und damit der Grad der sozialen Integration wohl in einem leicht negativen Zusammenhang mit populistischen Einstellungen und Wahlpräferenzen stehen. Das bedeutet, dass Menschen, die sich eher am unteren Ende der sozialen Leiter sehen und sich daher am Rande der Gesellschaft stehend empfinden, dazu tendieren populistische Einstellungen zu haben und/oder populistische Parteien zu wählen. Allerdings ist festzuhalten, dass die Korrelationen meist eher gering und daher die Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren sind. Zukünftige Analysen könnten ebenso Kontrollvariablen miteinbeziehen, um zu überprüfen ob die Zusammenhänge dem standhalten. Zuletzt soll das Konzept der sozialen Integration aber auch nicht altbewährte Variablen, wie Einkommen, Ausbildung oder politische Einstellungen bspw. gegenüber Immigration zur Erklärung von Wahlverhalten für populistische Parteien ersetzen, sondern ergänzen.


Verena Reidinger ist seit September 2020 Assistentin (prae-doc) am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Zürich. Zuvor war sie Studienassistentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Staatswissenschaft an der Universität Wien. Sie hat Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien studiert.


 

 

Literatur

Bellah, R. N., Madsen, R., Sullivan, W. M., Swidler, A., & Tipton, S. M. (2007). Habits of the heart, with a new preface: Individualism and commitment in American life. Univ of California Press.

Berkman, L. F., Glass, T., Brissette, I., & Seeman, T. E. (2000). From social integration to health: Durkheim in the new millennium. Social science & medicine51(6), 843-857. 

Blau, P. M. (1960). A theory of social integration. American journal of Sociology65(6), 545-556.

Brown-Iannuzzi, J. L., Lundberg, K. B., Kay, A. C., & Payne, B. K. (2015). Subjective status shapes political preferences. Psychological science26(1), 15-26.

Gidron, N., & Hall, P. A. (2020). Populism as a problem of social integration. Comparative Political Studies53(7), 1027-1059.

Mudde, C. (2019). The far right today. John Wiley & Sons.

Mudde, C. (Ed.). (2016). The populist radical right: A reader. Taylor & Francis.

Putnam, R. D. (2000). Bowling alone: The collapse and revival of American community. Simon and schuster.

Rooduijn, M., Van Kessel, S., Froio, C., Pirro, A., De Lange, S., Halikiopoulou, D., Lewis, P., Mudde, C. & Taggart, P. (2019). The PopuList: An Overview of Populist, Far Right, Far Left and Eurosceptic Parties in Europewww.popu-list.org.

Schneider, S. M. (2019). Why income inequality is dissatisfying—Perceptions of social status and the inequality-satisfaction link in europe. European Sociological Review35(3), 409-430.

Fußnoten

[1] Für die Berechnung aller Mittelwerte, Verteilungen und Zusammenhänge dieses Blogbeitrages wurden demographische und politische Gewichte miteinbezogen.