15.06.2020
Wo bleibt die Zeit? Bezahlte und unbezahlte Arbeit von Frauen und Männern in der Corona-Krise
- Familien mit Kindern sind in der Corona-Krise mit Abstand am stärksten zeitlich belastet: sie verbringen fast 12 Stunden täglich mit bezahlter oder unbezahlter Arbeit.
- Die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Männern und Frauen ist in Österreich sehr ungleich, auch in der Corona-Krise.
- Das Ausmaß der Erwerbstätigkeit bestimmt die Zeit für Familienarbeit: Am ausgewogensten ist die Aufteilung der Kinderbetreuungszeit, wenn Mütter mehr oder (annährend) gleich viele Erwerbsarbeitsstunden leisten wie Väter.
- Ein höheres Erwerbsausmaß bei Vätern wirkt sich anders aus als bei Müttern: Wenn Väter mehr Erwerbsarbeitsstunden verrichten, sind hauptsächlich die Mütter für die Kinderbetreuung zuständig. Bei mehr Erwerbsarbeitsstunden der Mütter wird hingegen die Kinderbetreuung eher zwischen den Eltern aufgeteilt.
Von Caroline Berghammer und Martina Beham-Rabanser
Die Corona-Krise hat die Zeitgestaltung vor allem von Familien mit Kindern stark verändert. Durch die Schließung von Kindergärten und Schulen sowie erwerbsbezogene Veränderungen (Homeoffice, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit) mussten viele Paare die Aufteilung von Kinderbetreuung, Haus- und Erwerbsarbeit innerhalb kurzer Zeit neu aushandeln. Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie viel Zeit Frauen und Männer in Familien und Paarhaushalten für diese Tätigkeiten in der Corona-Krise aufwendeten und wie sie diese aufteilten. Unsere Ergebnisse basieren auf der 8. Welle der Corona-Panel-Befragung, die im Zeitraum von 15. bis 20. Mai 2020 erhoben wurde (d. h. in der Woche, in der der Präsenzschulbetrieb an den Volksschulen und Schulen der Primarstufe wiederaufgenommen wurde). Aufgrund der retrospektiven Fragestellung können wir damit die Periode vor der Schulöffnung abbilden.
Einschränkend ist anzumerken, dass die mit Kinderbetreuung verbrachte Zeit generell schwierig zu messen ist. Betreuung von Kindern umfasst nämlich einerseits Zeiten, die ein Elternteil aktiv mit dem Kind in direkter Interaktion verbringt (z. B. spielen, lernen, Körperpflege), und andererseits Zeiten, in denen ein Elternteil zwar für das Kind verfügbar ist, aber gleichzeitig auch anderen Tätigkeiten nachgeht. Um vorwiegend aktive Kinderbetreuungszeit abzubilden, haben wir Kinderbetreuungszeit von über 12 Stunden pro Tag nicht miteinbezogen (17% der Befragten).[1] Die Ergebnisse werden in den beiden nächsten Abschnitten vorgestellt.
Große Unterschiede in der Zeitverwendung nach Lebensphase
Unsere Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede in der Gesamtarbeitszeit (d. h. bezahlte und unbezahlte Arbeit) nach Lebensphase (siehe Abbildung 1). In der Corona-Krise waren Eltern mit Kindern bis 14 Jahre rund 12 Stunden pro Tag entweder mit Erwerbs- oder Familienarbeit beschäftigt. Paare ohne Kinder im Haushalt hingegen hatten zumeist mehr Zeit für Anderes: Ihre Gesamtarbeitszeit lag um fast die Hälfte niedriger. In Zusammenschau mit dem Befund, dass die Kinderbetreuungszeit stark angestiegen ist, lässt dies vermuten, dass in der Corona-Krise bezüglich der Gesamtarbeitsbelastung die Schere zwischen Paaren mit und ohne im Haushalt lebenden Kindern weiter aufgegangen ist. Paare in Pension wiesen – auch weil ehrenamtliche Tätigkeiten kaum möglich waren und die Betreuung der Enkel*innen ausfiel – eine vergleichsweise geringe Gesamtarbeitszeit von 3 bis 3 ½ Stunden auf.
Hinsichtlich der Arbeitsteilung weisen unsere Ergebnisse einmal mehr nach: Auch in der Corona-Krise war bezahlte und unbezahlte Arbeit zwischen Frauen und Männern sehr ungleich verteilt. Dass Frauen ihre Zeit für Hausarbeit und insbesondere Kinderbetreuung nach eigenen Angaben stärker ausgeweitet haben als Männer legt nahe, dass die Aufteilung noch traditioneller geworden ist. Allerdings liegen keine Vergleichswerte zur Zeitverwendung unmittelbar vor der Corona-Krise vor, weshalb es uns nicht möglich ist, Veränderungen abzubilden. Besonders ausgeprägt ist das geschlechtsspezifische Ungleichgewicht von bezahlter und unbezahlter Arbeit in Familien mit Kindern im Kleinkind- und Vorschulalter (0-5 Jahre). Die Gesamtarbeitszeit war in dieser Lebensphase unter Müttern und Vätern allerdings ähnlich hoch – was bedeutet, dass Mütter einen größeren Teil ihrer Zeit für unbezahlte Arbeit verwenden als Männer. Anders war dies in Familien mit Schulkindern: Da viele Mütter bis ins Teenageralter der Kinder (und darüber hinaus) in Österreich in Teilzeit arbeiten, und mit zunehmendem Alter der Kinder der zeitliche Betreuungsaufwand abnimmt, war die Gesamtarbeitszeit der Mütter mit dem jüngsten Kind im Alter von 6-14 Jahren niedriger als jene der Väter. Auch bei Paaren unter 65 Jahren ohne Kinder im Haushalt, viele davon in der Nachfamilienphase („empty nest“), übertraf die Gesamtarbeitszeit der Männer jene der Frauen. Nur bei Paaren in der Lebensphase der Pension lag die Gesamtarbeitszeit von Frauen höher, weil sie mehr Hausarbeit übernahmen.
Quelle: Austrian Corona Panel Data; Welle 8; gewichtete Daten, n=836 (Befragte mit Partner*in im Haushalt).
Fragetext: „Denken Sie an einen typischen Werktag in der letzten Woche. Bitte geben Sie an, wie viel Zeit (in Minuten oder Stunden) Sie mit folgenden Tätigkeiten verbracht haben.“ Hausarbeit/Einkaufen; Pflege/Kinderbetreuung.
Kinderbetreuungszeit hängt vom Erwerbsausmaß ab – aber nicht nur
In den folgenden Auswertungen konzentrieren wir uns auf Paare mit Kindern bis 14 Jahre und untersuchen, wie die Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit mit ihrer Erwerbstätigkeit zusammenhängt. Unsere Befunde zeigen, dass Väter, die nicht von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit betroffen waren, und in Vollzeit arbeiteten (das war der Großteil der Väter) in der Corona-Krise zeitlich besonders gefordert waren (siehe Abbildung 2A). Dies traf auch auf Mütter zu. Väter im Home-Office oder in Kurzarbeit (Teilzeit) übernahmen in dieser spezifischen Arbeitssituation einen Teil der zusätzlich erforderlichen unbezahlten Arbeit. Viele kümmerten sich verstärkt um die Kinder, unterstützten sie beim Lernen oder verrichteten Hausarbeit.
Gleichzeitig geht aus den Ergebnissen hervor, dass bei gleichem Erwerbsausmaß von Vätern und Müttern die Mütter mehr Zeit für Hausarbeit und Kinderbetreuung aufwendeten, wodurch ihre Gesamtarbeitszeit jene der Väter überstieg. Damit waren in Vollzeit erwerbstätige Mütter zeitlich insgesamt noch stärker belastet als in Vollzeit erwerbstätige Väter. Dies galt auch für in Teilzeit beschäftigte Mütter im Vergleich zu in Teilzeit beschäftigten Vätern. Die Diskrepanz im Zeitaufwand für Hausarbeit und Kinderbetreuung kann also nicht vollständig über die verfügbare Zeit erklärt werden. Diese bemerkenswerten Ergebnisse legen nahe, dass es – über die Erwerbsarbeitsstunden hinaus – geschlechtsspezifische Unterschiede in Rollenerwartungen oder Präferenzen gibt.
Eine Analyse auf Paarebene unterstreicht diese Befunde (siehe Abbildung 2B). Je ähnlicher bei Paaren das Erwerbsausmaß von Vätern und Müttern war, desto ähnlicher war auch die Aufteilung der Kinderbetreuungszeit. Am ausgewogensten war die Aufteilung entsprechend bei Paaren mit zwei in Vollzeit erwerbstätigen Elternteilen: 44% teilten die Kinderbetreuungszeit (annähernd) gleich auf. Dennoch war auch bei diesen Paaren zu 43% eher die Mutter für die Kinderbetreuung zuständig und nur zu 13% eher der Vater. Die fehlende Spiegelbildlichkeit zeigt sich auch in einem weiteren Befund: wenn der Vater mehr Erwerbsstunden arbeitete (im Umfang von 10 und mehr Stunden pro Woche), übernahm in den meisten Fällen die Mutter den Großteil der Kinderbetreuung, während sich, wenn die Mutter mehr Erwerbsstunden arbeitete, eher beide um die Kinder kümmerten.
Quelle: Austrian Corona Panel Data; Welle 8; gewichtete Daten, n=186-241 (Befragte mit Partner*in und Kindern bis 14 Jahre im Haushalt).
Fragetext: „Denken Sie an einen typischen Werktag in der letzten Woche. Bitte geben Sie an, wie viel Zeit (in Minuten oder Stunden) Ihr(e) Partner(in) mit folgenden Tätigkeiten verbracht haben.“ Hausarbeit/Einkaufen; Pflege/Kinderbetreuung; Bezahlte Arbeit. (Siehe auch Abb. 1.)
Definition „mehr Kinderbetreuung“: mind. 0,5 Stunden pro Tag mehr (z. B. Vater mehr Kinderbetreuung: Vater wendet an einem typischen Werktag mind. 0,5 Stunden mehr Kinderbetreuungszeit auf als Partnerin)
Definition „mehr Erwerbsstunden“: mind. 2 Stunden pro Tag mehr (z. B. Vater mehr Erwerbsstunden: Vater wendet an einem typischen Werktag mind. 2 Stunden mehr Erwerbsstunden auf als Partnerin)
Definition Voll-/Teilzeit (nach International Labour Organization): Teilzeit: 1-29 Wochenarbeitsstunden, Vollzeit: 30+ Wochenarbeitsstunden (jeweils inklusive Überstunden)
Schlussfolgerung
Berufstätigen Eltern mit Kindern wird auch im normalen Alltag zeitlich viel abverlangt. Die Schließung von Kindergärten und Schulen während der Corona-Krise bedeuteten daher ganz besondere Herausforderungen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Eltern in der Tat bei weitem die höchste Gesamtarbeitsbelastung zu bewältigen hatten – bis zu (fast) doppelt so viel wie Paare in vergleichbarem Alter ohne Kinder im Haushalt. Besonders gefordert waren dabei in Vollzeit erwerbstätige Mütter und Väter. Während mehr (gemeinsame) Zeit in der Corona-Krise die Beziehungen in den Familien bereichert hat, erhöhte diese Situation andererseits auch das Konfliktpotential.
Die traditionelle Rollenteilung blieb in der Corona-Krise großteils bestehen oder wurde sogar noch verstärkt. Die Mütter übernahmen den Großteil der zusätzlich erforderlichen Kinderbetreuung. Gleichzeitig gibt es eine Gruppe an Vätern – jene im Homeoffice und/oder in Kurzarbeit – die sich während der Corona-Krise oft stark in der Betreuung der Kinder und beim Lernen engagierte – und damit vielleicht erstmals veränderte Rollen erlebte.
Wie viel Zeit Eltern für Kinderbetreuung aufwendeten, hängt wesentlich von einer bestimmten Weichenstellung ab: dem Ausmaß an bezahlter Arbeit. So zeigt sich: Die Kinderbetreuungszeit ist in jenen Paarhaushalten am ausgewogensten, in denen die Erwerbsarbeitszeit der beiden Partner (annährend) gleich ist oder Mütter mehr Erwerbsarbeitsstunden verrichten. Dass das Erwerbsausmaß jedoch nicht der einzige Faktor ist, sondern dass auch (traditionelle) Erwartungen und Präferenzen eine Rolle spielen dürften, legt der Befund nahe, dass bei (annährend) gleichem Erwerbsausmaß deutlich mehr Mütter als Väter den Großteil der Kinderbetreuung übernehmen.
Caroline Berghammer ist Assistenzprofessorin am Institut für Soziologie der Universität Wien und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Sie forscht zu Familie, Fertilität und sozialer Ungleichheit.
Martina Beham-Rabanser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Familien- und Kindheitssoziologie, sozialer Wandel und Kindheit sowie Familien- und Generationenbeziehungen heute.
Anmerkungen:
[1] Trotz dieser Messschwierigkeiten sind die Angaben von Müttern mit Kindern (bis 14 Jahre) offensichtlich zuverlässig. Sie schätzten die Zeit, die sie täglich für Kinderbetreuung aufwenden, auf 5 Stunden 13 Minuten, was weitgehend mit der Schätzung der Väter übereinstimmte: Diese gaben die durchschnittlich von ihren Partnerinnen aufgewendete Zeit für Kinderbetreuung mit 5 Stunden 2 Minuten an. Bei Vätern ist die Diskrepanz größer: Während Väter angaben, durchschnittlich 3 Stunden und 19 Minuten für Kinderbetreuung aufzuwenden, bezifferten die Mütter die Zeit, die ihre Partner dafür aufwendeten, mit nur 2 Stunden 39 Minuten. Mögliche Gründe für diese Unterschiede können sein: die Überschätzung der eigenen Zeit, die Unterschätzung der Zeit des Partners oder geschlechtsspezifische Unterschiede, was unter Kinderbetreuungszeit verstanden wird. Am zuverlässigsten wird die Zeit für bestimmte Tätigkeiten mittels Tagebuchblättern erfasst. Die letzte derartige Zeitverwendungserhebung liegt in Österreich jedoch mehr als zehn Jahre zurück; eine neue Befragungswelle war in Europa ursprünglich für 2020 vorgesehen. Weil auch sonst keine Befunde zur Zeitverwendung unmittelbar vor der Corona-Krise vorliegen, können wir in diesem Beitrag keine Aussagen zu Veränderungen treffen.
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