09.07.2021 - PDF

Wissenschaftsbezogener Populismus: Eine österreichische Bestandsaufnahme

  • In Österreich gibt es ein Grundpotential für wissenschaftsbezogenen Populismus – d.h. für die Ansicht, dass das Erfahrungswissen und Bauchgefühl “gewöhnlicher Leute” zuverlässiger sei als das Wissen einer vermeintlich abgehobenen akademischen Elite.
  • Ein Viertel der Bevölkerung ist der Meinung, dass man sich mehr auf den gesunden Menschenverstand und weniger auf wissenschaftliche Studien verlassen sollte; nur ca. 17 % möchten sich indes in den Wissenschaftsbetrieb einbringen.
  • Unter anderem Personen mit mittlerem Bildungsgrad und FPÖ-Wähler*innen vertreten eher wissenschaftspopulistische Einstellungen. 
  • Personen, die solche Einstellungen vertreten, sind weniger gewillt, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen.

Von Jakob-Moritz Eberl, Esther Greussing, Robert A. Huber und Niels G. Mede

Nicht nur Politiker*innen und Parteien können populistisch sein, auch Bürger*innen können Einstellungen vertreten, die den drei Kerndimensionen des politischen Populismus zugeordnet werden. Dabei geht es erstens um den Wunsch nach Volkssouveränität, zweitens um einen vehementen Anti-Elitismus gegenüber Regierenden und drittens um eine strenge moralische Trennung zwischen “Gut” und “Böse” in politischen Fragen. Populistische Einstellungen beeinflussen, wie Bürger*innen die Gesellschaft wahrnehmen und wie sie diese gestalten wollen. So konnten wir mit Daten des Austrian Corona Panel Projects zeigen, inwiefern populistische Einstellungen Bürger*innen empfänglich für Verschwörungstheorien zum Coronavirus machen.

Doch populistische Bevölkerungseinstellungen adressieren nicht nur politische Akteure und Prozesse. Populistische Kritik kann sich auch gegen akademische Eliten richten – also gegen Wissenschaftler*innen, Expert*innen sowie wissenschaftliches Wissen und Methoden (siehe Mede & Schäfer). Solch ein “wissenschaftsbezogener Populismus” unterstellt Wissenschaftler*innen beispielsweise, dass sie politisch voreingenommen seien, einer entfremdeten, korrupten Gesellschaftselite angehörten, nutzloses Wissen produzierten und die praktischen Bedürfnisse “einfacher Leute” bei der Auswahl von Forschungsthemen ignorierten. An die Stelle von vermeintlich unzuverlässigen Forschungsmethoden und abstrakten Studien sollten der gesunde Menschenverstand, das Bauchgefühl und die Alltagserfahrungen der guten und ehrlichen “einfachen Leute” treten.

Insbesondere während der COVID-19-Pandemie, aber auch der Klimakrise, wo Wissenschaftler*innen in der öffentlichen Debatte sehr präsent sind, spielen diese Ansichten eine wichtige Rolle. Der vorliegende Blog präsentiert eine erste Bestandsaufnahme von wissenschaftsbezogenem Populismus in Österreich.

Vom Hausverstand der “einfachen Leute” und dem Fremdkörper Wissenschaft

Abbildung 1 zeigt die Zustimmungswerte zu Aussagen, die verwendet werden, um wissenschaftspopulistische Einstellungen zu messen. Dabei sind deutliche Unterschiede zwischen den Aussagen bemerkbar. Zum Beispiel findet sich die größte Zustimmung (“trifft voll und ganz zu” und “trifft eher zu”) bei den Aussagen “Was die einfachen Leute verbindet, ist, dass sie im Alltag ihrem gesunden Menschenverstand trauen” (41%) sowie “Einfache Leute verbindet ein guter und ehrlicher Charakter” (35%). Die Aussage “Wissenschaftler stecken mit Politik und Wirtschaft unter einer Decke” wird fast von gleich vielen Befragten befürwortet (28%) wie abgelehnt (32%). Die wenigsten Befragten – aber immerhin 17% – stimmen folgender Aussage zu: “Leute wie ich sollten mitentscheiden, zu welchen Themen Wissenschaftler forschen”. Die größte Ablehnung (“trifft gar nicht zu” und “trifft eher nicht zu”) sehen wir bei der Aussage “Das Volk sollte Einfluss auf die Arbeit von Wissenschaftlern haben” (48%).

Abbildung 1: Zustimmung zu Aussagen der Skala zur Messung von wissenschaftsbezogenem Populismus (Daten: ACPP, Welle 21 (12. – 19. März 2021), N = 1.573, gewichtet)

Wissenschaftsbezogene Populist*innen: Wer sind sie?

Im nächsten Schritt kombinieren wir die Zustimmungswerte zu den acht Aussagen in einem einzelnen Index (0–4). Das hohe Cronbach’s Alpha von 0,9 bestätigt, dass diese Aussagen eine ausgesprochen hohe interne Konsistenz haben und damit unterschiedliche Dimensionen eines gemeinsamen zugrunde liegenden Konstruktes messen: wissenschaftsbezogenen Populismus. Abbildung 2 zeigt den Zusammenhang zwischen dem Index und unterschiedlichen Faktoren. Dargestellt sind Regressionskoeffizienten (Punkte) und 95% Konfidenzintervalle (horizontale Antennen). Liegt ein Konfidenzintervall beispielsweise rechts der vertikalen 0-Linie, besteht ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Faktor und wissenschaftsbezogenem Populismus; beinhaltet das Konfidenzintervall die 0-Linie, besteht kein signifikanter Zusammenhang.

In Bezug auf den Faktor Alter zeigt sich, dass Befragte unter 31 Jahren weniger wissenschaftspopulistisch sind als Befragte über 65, es jedoch keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen der mittleren Altersgruppe und den anderen beiden Gruppen gibt. Weiters sehen wir keinen Zusammenhang zwischen Gender und wissenschaftsbezogenem Populismus. Befragte mit mittlerem Bildungsgrad vertreten eher wissenschaftspopulistische Einstellungen als Personen mit niedrigem oder hohem Bildungsgrad. Befragte, die angeben, mit ihrer aktuellen finanziellen Situation gut zurechtzukommen, vertreten diese Einstellungen etwas seltener als Befragte, die hier die Mittel-Kategorie ausgewählt haben. Anhand der Sonntagsfrage zeigt sich, dass Befragte, die entweder die FPÖ wählen oder nicht zur Wahl gehen würden, eher Sympathie für wissenschaftspopulistische Ansichten haben. Grün-Wähler*innen sind wiederum weniger wissenschaftspopulistisch als Wähler*innen aller anderen Parteien. Zwischen Wähler*innen der ÖVP, der SPÖ und der NEOS gibt es diesbezüglich keine nennenswerten Unterschiede.

Abbildung 2: Zusammenhang zwischen wissenschaftsbezogenem Populismus und Soziodemographie, Politik und Verhalten, Regressionskoeffizienten (Daten: ACPP, Welle 21 (12. – 19. März 2021), N = 1.104)

 

Wenn wir wissenschaftsbezogenen Populismus schließlich mit relevantem Verhalten in der Pandemie wie z.B. der Impfbereitschaft in Beziehung setzen, sehen wir, dass Befragte mit wissenschaftspopulistischen Einstellungen eindeutig in der Gruppe der Impfskeptiker*innen anzusiedeln sind. Das heißt, dass sie auf die Aussage “Ich werde mich ehestmöglich impfen lassen” mit “trifft eher nicht zu” bzw. “trifft gar nicht zu” geantwortet und auch noch keine Erstdosis erhalten haben.

Fazit: Eine schlummernde Herausforderung

Insgesamt zeigt sich, dass es in Österreich ein Grundpotential für wissenschaftsbezogenen Populismus gibt: Kleine, aber nennenswerte Teile der Bevölkerung sympathisieren mit mehreren Kernaspekten dieser Populismusform. Vor allem das Vertrauen in den Hausverstand “einfacher Leute” ist in diesen Teilen relativ stark ausgeprägt, auch findet sich dort ein Misstrauen gegenüber wissenschaftlicher Expertise. Trotz dieser kritischen Perspektiven auf Wissenschaft fordert aber nur eine kleine Minderheit, sich aktiv in den Wissenschaftsbetrieb einbringen zu dürfen. 

Auf die Frage, wer denn wissenschaftsbezogene Populist*innen eigentlich seien, zeigt sich eine deutliche Auffälligkeit in der mittleren Bildungsschicht. Zudem sehen wir stärkere wissenschaftspopulistische Einstellungen bei Wähler*innen der FPÖ. Dass wissenschaftspopulistische Ansichten mehr als nur eine Reihe an Einstellungen zu Wissenschaft und dem Wissenschaftssystem sind, sehen wir außerdem am engen Zusammenhang dieser Ansichten mit dem Verhalten in der Pandemie – wie z.B. der Impfbereitschaft.

Ohne breiten gesellschaftlichen Konsens in Bezug auf wissenschaftlich fundierte Handlungsnotwendigkeiten ist ein zielgerichtetes Regieren erschwert. Die Pandemie zeigt ebenso wie die Klimakatastrophe deutlich, dass eine populistische Minderheit bereits Politiken und den Stellenwert von wissenschaftlicher Expertise in demokratischen Gesellschaften untergraben kann. Wissenschaftsbezogener Populismus bleibt also eine langfristige Herausforderung, und sollte als solche adressiert und in Angriff genommen werden - von Regierungen, aber auch von Wissenschaftler*innen, etwa durch umfassende Kommunikation ihrer Prozesse, Methoden und Erkenntnisse.  


Jakob-Moritz Eberl ist seit April 2017 Projektmitarbeiter (Post-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und seit 2013 Mitglied der österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES, Media Side). Er ist außerdem assoziierter Wissenschaftler im Vienna Center for Electoral Research (VieCER) und beschäftigt sich unter anderem mit Fragen zu Medienwirkung, Medienvertrauen und Wahlverhalten.

Esther Greussing ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (Postdoc) am Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Braunschweig. Zuvor arbeitete sie an der Universität Wien, wo sie 2020 zur Wirkung multimedialer Wissenschaftskommunikation promovierte. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den individuellen und gesellschaftlichen Implikationen von Wissenschaftskommunikation in digitalen Kommunikationsumgebungen.

Robert A. Huber ist Postdoc an der Universität Salzburg an der Abteilung für Politikwissenschaft. Davor arbeitete er an der ETH Zürich, wo er seinen PhD zu ‘Climate Policy Between Responsiveness and Responsibility’ 2018 erhielt. In seiner Forschung fokussiert er auf globalisierungsbezogene Herausforderungen für liberale Demokratie, insbesondere Populismus und Klima- und Umweltpolitik. 

Niels. G. Mede ist Doktorand und Assistent am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Er erforscht Bevölkerungseinstellungen zu Wissenschaft, Nutzung und Wirkung von Wissenschaftskommunikation, sowie Populismus und dessen Implikationen für Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation.