07.06.2021 - PDF

Coronavirus Verschwörungstheorien: Gekommen um zu bleiben?

  • Wir haben unsere Befragten Falschaussagen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen lassen: Auch im Mai 2021 haben weniger als die Hälfte alle Falschaussagen korrekt erkannt.
  • Obgleich die Unsicherheit über den Wahrheitsgehalt der Aussagen eine wesentlichere Rolle spielt als der überzeugte Glaube an diese, zeichnet dies ein besorgniserregendes Bild. 
  • Zwischen April 2020 und Mai 2021 bleibt der Anteil an Personen, die an Verschwörungsmythen glauben relativ stabil. Obwohl wir keine “Infodemie” sehen, sehen wir auch nur wenige Lerneffekte.
  • Der Glaube an Coronavirus-Verschwörungstheorien hängt mit dem Glauben an andere Verschwörungsmythen zusammen. Auch nach der Pandemie wird es eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe bleiben, diesbezüglich Resilienzen aufzubauen.

Von Noelle S. Lebernegg und Jakob-Moritz Eberl 

Schon im Februar 2020 warnte die Weltgesundheitsorganisation vor einer mit der Pandemie einhergehenden “Infodemie”, also der unkontrollierten Verbreitung von Falschinformationen und diffuser Verschwörungstheorien über das Coronavirus. Entsprechend konnten wir auch in einem früheren Blog einen positiven Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und dem Glauben an solche Falschinformationen feststellen. Außerdem zeigen unsere früheren Untersuchungen auch die Gefahr, die mit solch Irrglaube einhergeht: Personen, die Verschwörungstheorien glauben, sind weniger gewillt, ihre Verhaltensweisen anzupassen um die Pandemie einzudämmen oder sich impfen zu lassen. Ob sich der Glaube an solche Aussagen tatsächlich wie ein Virus immer weiter verbreitet, bleibt jedoch offen.

Die mittlerweile mehrfache Messung der Falschaussagen im Rahmen des Austrian Corona Panel Projects erlaubt es uns nun auch zu überprüfen, inwiefern sich der Glaube an solche Aussagen und Theorien im Laufe des letzten Jahres verändert hat. Dieser Frage wollen wir in diesem Blog nachgehen. Um einen Ausblick auf die Zeit nach der Coronavirus-Pandemie zu wagen, werden wir zudem eine Unterscheidung zwischen einem (Coronavirus-)krisenbedingten und einem generellen Glauben an Verschwörungsmythen machen.

Eine Infodemie ohne exponentiellem Wachstum

Um den Glauben an Verschwörungsmythen im Laufe der Corona Pandemie zu untersuchen, haben wir unsere Befragten gebeten, mehrere Falschaussagen auf ihre Richtigkeit einzuschätzen. Abbildung 1 zeigt die Zustimmungswerte zu sieben verschiedenen Corona-Verschwörungstheorien über jeweils drei bis fünf Erhebungszeitpunkte.

Grundsätzlich können wir dabei sehen, dass nur ein geringer Teil der Bevölkerung im letzten Jahr den gängigen Verschwörungstheorien wirklich verfallen war. Wir sehen allerdings bei einigen Aussagen weiters, dass sich etwa ein Viertel der Befragten bei ihrer Antwort unsicher ist. So warnen wir auch in einem früheren Blog davor, dass Falschinformation bereits ihr Ziel erreicht hat, wenn Sie Mitbürger*innen zweifeln lässt.

Über den gesamten Erhebungszeitraum hinweg bekommt die Theorie, dass die neuen 5G-Sendemasten für die Verbreitung des Virus verantwortlich sind, am wenigsten Zustimmung – durchschnittlich glauben nur ca. 3% der Befragten an diese Aussage. Die Annahmen, dass es sich beim Coronavirus um eine Biowaffe handelt, die absichtlich entwickelt wurde, um den Menschen zu schaden, und jene, dass Bill Gates die Menschheit aus finanziellen Gründen zwangsimpfen wolle, erfahren die meiste Zustimmung. Durchschnittlich sind ca. 15% der TeilnehmerInnen der Ansicht, dass es sich beim Coronavirus um eine Biowaffe handelt. Etwa 14% glauben daran, dass Bill Gates aus einer weltweiten Zwangsimpfung profitieren wolle. 

Die Verbreitung dieser Verschwörungsmythen über Zeit zeigt zwischen April 2020 und Mai 2021 bei den meisten abgefragten Aussagen wenig Veränderung. Einzig bei der Aussage zu Bill Gates sehen wir, dass nicht nur jene Gruppe, die diese Aussage eindeutig als Falschaussage identifiziert, um 12 Prozentpunkte wächst, auch die Gruppe der Unsicheren hat sich im Laufe des letzten Jahres bei dieser Falschaussage leicht verkleinert. Nimmt man lediglich aussagen her, die im April 2020 und im Mai 2021 abgefragt wurden, zeigt sich eine starke Korrelation (r = 0,6) zwischen den Antworten und damit auch eine relativ hohe Persistenz des Glaubens an Coronavirus-Falschinformationen und Verschwörungsmythen auf individueller Ebene.

Abbildung 1: Zustimmung zu Coronavirus-Falschaussagen über Zeit (Daten: ACPP, Welle 2, 9, 15, 21 und 23 (April 2020 bis Mai 2021), N = ca. 1.500 pro Befragung, gewichtet)

Gleich und gleich gesellt sich gern

Im März 2021 haben wir zusätzlich zu Coronavirus-Verschwörungsmythen auch drei andere Aussagen abgefragt, die nicht spezifisch für diese Pandemie sind. Diese Aussagen beziehen sich auf die anthropogenen Ursachen des Klimawandels, den vermeintlichen Hintergründen von Einwanderung in die Europäische Union und die Vorbereitung einer autoritären Weltordnung (siehe Abbildung 2). Dabei handelt es sich um Annahmen, die in einschlägigen Foren seit einigen Jahren viel Zustimmung finden (siehe dazu auch das neue Buch der Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig). 

Es zeigt sich, dass alle drei abgefragten Verschwörungstheorien von mehr als der Hälfte der Befragten als solche erkannt werden: 70% sind sich sicher oder eher sicher, dass der Klimawandel durch menschliches Handeln verursacht wird [1], 54% glauben nicht daran, dass George Soros heimlich die Einwanderung in die Europäische Union finanziert und weitere 57% befürchten keine von weltweiten Geheimbünden vorbereitete autoritäre neue Weltordnung. Mit 16% erfährt letztere Falschaussage jedoch auch die meiste Zustimmung in der Bevölkerung, gefolgt von der Leugnung des menschlichen Einflusses auf den Klimawandel (11%) und Vermutungen zur Finanzierung von Einwanderung (10%). Ebenso wie bei den Coronavirus-Verschwörungstheorien zeigt sich außerdem, dass die Unsicherheit größer ist als die tatsächliche Zustimmung zu diesen Falschaussagen.

Abbildung 2: Zustimmung zu anderen Verschwörungstheorien (Daten: ACPP, Welle 21, 12.-19. März 2021), N = 1.573, gewichtet)

Für den nächsten Schritt haben wir nun alle Antworten zu den im März 2021 abgefragten Verschwörungsmythen zum Coronavirus zu einem additiven Index zusammengefasst. Das hohe Cronbach’s Alpha von 0,8 bestätigt, dass diese Aussagen eine ausgesprochen hohe interne Konsistenz haben und damit ein gemeinsames zugrunde liegendes Konstrukt messen: den Glaube an Coronavirus-Verschwörungsmythen. Abbildung 3 zeigt nun einen sogenannten Korrelationsplot, wo größere und dunklere Kreise einen stärkeren Zusammenhang zwischen dem Index und den anderen Falschaussagen darstellen.

Abbildung 3: Korrelation von Coronavirus-Verschwörungstheorien mit anderen Verschwörungstheorien (Daten: ACPP, Welle 21, 12.-19. März 2021), N = 1.573, gewichtet)

 

In der Tat korreliert der Glaube an Coronavirus-Verschwörungstheorien mit der Leugnung des menschengemachten Klimawandels, Theorien zu den Hintergründen der Einwanderung in die Europäische Union, sowie der Sorge vor einer autoritären neuen Weltordnung. Insbesondere die Korrelation mit letzteren beiden Verschwörungsmythen und auch die Korrelation der letzten beiden Verschwörungsmythen untereinander ist auffallend stark (r > 0,6). Die Korrelationen mit der Leugnung des menschengemachten Klimawandels sind hierbei in der Tendenz schwächer.

Fazit

Insgesamt zeigt sich, dass der Anteil derer, die Coronavirus-Verschwörungsmythen wirklich glauben, je nach Aussage, variabel bei etwa 5-15% liegt. Zwischen April 2020 und Mai 2021 sehen wir dabei keinen Hinweis auf eine “Infodemie” in den Einstellungen der Bevölkerung. Allerdings sehen wir auch keinen deutlichen Lerneffekt, der den Glaube an diese Falschaussagen über Zeit verringern würde. Während der Glaube an Verschwörungsmythen mit dem Blick auf einzelne Aussagen generell eher überschaubar bleibt, glauben allerdings im Mai 2021 noch immer 25% unserer Befragten an mindestens eine der abgefragten Falschaussagen zum Coronavirus. Etwa 60% der Befragten sind sich bei mindestens einer der abgefragten Falschaussagen zumindest unsicher, ob sie nicht doch richtig sein könnte.

Zudem zeigt sich ein starker Zusammenhang zwischen dem Glaube an Coronavirus-Verschwörungstheorien und dem Glaube an andere solche Mythen. Dies lässt darauf schließen, dass diese gesellschaftliche Entwicklung weder mit der Coronavirus-Pandemie begonnen hat, noch mit der Krise zu Ende gehen wird und dass es durchaus gemeinsame – der Pandemie externe – Erklärungsmuster geben muss, die Menschen zu solchem Glauben an Verschwörungsmythen führen. Schon jetzt, aber auch nach der Pandemie, wird es daher eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe bleiben diesbezüglich Resilienzen aufzubauen.

[1] Die Aussage zum anthropogenen Klimawandel ist ohne Verneinung abgefragt worden. Zur besseren Lesbarkeit von Abbildung 2 wurden die Werte in der Antwortskala dieser Aussage umgedreht und eine Verneinung ergänzt.  


Noelle S. Lebernegg ist Universitätsassistentin (Prae-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie assoziierte Wissenschafterin im Vienna Center For Electoral Research (VieCER). Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen politischer Kommunikation und Medien auf die öffentliche Meinung und Wahlverhalten

Jakob-Moritz Eberl ist seit April 2017 Projektmitarbeiter (Post-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und beschäftigt sich unter anderem mit Fragen zu Medienwirkung, Medienvertrauen und Wahlverhalten.