29.04.2021 - PDF

Entschädigungen für Unternehmen in der Pandemie: Eine Frage der Gerechtigkeit?

  • Staatliche Entschädigungen für vorübergehend zugesperrte Unternehmen sowie Unternehmen mit Kurzarbeit fanden im November 2020 breite Zustimmung.
  • Die meisten Österreicher*innen fanden in zwei Umfragen, hart arbeitende Menschen sollten mehr verdienen als andere, und das vor (90%, ESS-Daten) und während (70%, ACPP-Daten) der Coronakrise (Leistungsprinzip).
  • Viele Österreicher*innen fanden in diesen zwei Umfragen auch, die Gesellschaft soll sich um Arme und Bedürftige kümmern, und das vor (82%, ESS-Daten) und während (59%, ACPP-Daten) der Coronakrise (Bedarfsprinzip).
  • Wer das Leistungsprinzip befürwortete, unterstützte eher die Entschädigungen für Unternehmen. Wer das Bedarfsprinzip befürwortete, unterstützte eher die Entschädigungen für Unternehmen mit Kurzarbeit.

Von Thomas Resch

Dieser Beitrag betrachtet, in welchem Verhältnis Einstellungen zu Verteilungsgerechtigkeit zur Bewertung von staatlichen Entschädigungen für Unternehmen in der Coronakrise stehen. Konkret wird beleuchtet, für wie fair die Menschen in Österreich Entschädigungen für Unternehmen halten, und wie dies mit Gerechtigkeitseinstellungen in Zusammenhang stehen könnte.

Entschädigungen für Unternehmen 

Im Austrian Corona Panel Project (ACPP)  wurde Mitte November 2020 erhoben, für wie fair die Befragten finanzielle Entschädigungen für a) Unternehmen, die vorübergehend zusperren mussten, und b) Unternehmen mit Kurzarbeit halten. Es zeigt sich, dass die Mehrheit der Befragten (um 60%) in beiden Fällen Entschädigungen für sehr fair oder eher fair hielt. Nur eine Minderheit (ca. 11% bzw. 16%) beurteilte solche Entschädigungen als eher unfair oder sehr unfair (Abbildung 1).

Abbildung 1: Entschädigungen für Unternehmen (Daten: ACPP November 2020), N= ca. 1.500 (demographisch gewichtet), “Für wie fair oder unfair halten Sie die folgenden staatlichen Maßnahmen im Zuge der Coronakrise? Entschädigung nur für jene Unternehmen, die vorübergehend zusperren müssen/Entschädigung für Unternehmen, die ihre Arbeitnehmer in Kurzarbeit schicken”.

Einstellungen der Verteilungsgerechtigkeit

Gerechtigkeit ist ein kontroverses Thema. Es gibt eine Reihe von Soziolog*innen, Psycholog*innen, Wirtschaftswissenschafter*innen etc., die sich empirisch mit Gerechtigkeit beschäftigen und diese erforschen. Ein zentrales Thema dabei ist, welche Gerechtigkeitseinstellungen Menschen in verschiedenen Situationen aufweisen.

Dabei lassen sich mehrere Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit identifizieren. Das Leistungsprinzip gesteht den Menschen, die hart arbeiten, mehr Ressourcen zu. Das Bedarfsprinzip sieht vor, dass Bedürftige unabhängig von ihren Beiträgen je nach individuellem Bedarf Ressourcen erhalten sollen. Das Gleichheitsprinzip steht dafür, dass alle Ressourcen gleichmäßig auf alle unabhängig von Leistung oder Bedarf verteilt werden sollen. (1)

Bereits vor der Pandemie waren das Leistungs- und das Bedarfsprinzip bei den Österreicher*innen beliebt. So zeigt der European Social Survey (ESS) für das Jahr 2018, dass in Österreich lebende Menschen Leistung gefolgt von Bedarf am meisten als Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit befürworteten (Abbildung 2). Die im ESS verwendeten Formulierungen lauten folgendermaßen: “Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn Einkommen und Vermögen gleichmäßig auf alle Menschen verteilt sind” (Gleichheit), “Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn hart arbeitende Menschen mehr verdienen als andere“ (Leistung) und “Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn sie sich um Arme und Bedürftige kümmert, unabhängig davon, was diese der Gesellschaft zurückgeben” (Bedarf). 

Abbildung 2: Einstellungen der Verteilungsgerechtigkeit (Daten: ESS 2018 Österreich), N= ca. 2.400 (post.strat. gewichtet)

Im ACPP wurden im Dezember 2020 ähnliche Gerechtigkeitsprinzipien abgefragt. Österreicher*innen bewerteten die Aussage “Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn hart arbeitende Menschen mehr verdienen als andere” (Leistungsprinzip) höher als die Aussage “Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn sie sich um Arme und Bedürftige kümmert, unabhängig davon, was diese der Gesellschaft zurückgeben” (Bedarfsprinzip). Diese beiden Aussagen wurden auch höher als die Aussage “Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn Einkommen und Vermögen gleichmäßig auf alle Menschen verteilt sind” (Gleichheitsprinzip), bewertet (Abbildung 3).

Abbildung 3: Einstellungen der Verteilungsgerechtigkeit (Daten: ACPP Dezember 2020), N= ca. 1.500. (demographisch gewichtet).

Es wird nun untersucht, wie die individuellen Gerechtigkeitseinstellungen mit Einstellungen zur Fairness der Entschädigungen für Unternehmen zusammenhängen. Sollten nach dem Leistungsprinzip Unternehmen, die vorübergehend zusperren oder Kurzarbeit anbieten,  auch weniger bekommen? Dies scheint in den Augen vieler Österreicher*innen nicht der Fall zu sein, denn wer das Leistungsprinzip unterstützt, befürwortete auch eher die Entschädigungen für Unternehmen in der Coronakrise (siehe Tabelle 1). Sollten nach dem Bedarfsprinzip jene Unternehmen, die vorübergehend zusperren mussten und/oder Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit hielten, Entschädigungen bekommen? Hier bieten die ACPP Daten ein differenziertes Bild, denn wer das Bedarfsprinzip unterstützte, befürwortete eher, dass Unternehmen mit Kurzarbeit entschädigt werden, während dies für Unternehmen, die zusperren mussten, nicht der Fall ist (Tabelle 1). Wie die beiden nicht signifikanten Regressionskoeffizienten zeigen, ging die Unterstützung des Gleichheitsprinzips weder mit einer positiven noch einer negativen Bewertung der Entschädigungen für Unternehmen einher (Tabelle 1).

Fazit

Die finanziellen Entschädigungen des Staates für während des Lockdowns vorübergehend zugesperrte Unternehmen und Unternehmen mit Kurzarbeit wurden von den Befragten des ACPP mehrheitlich als “eher fair” oder “sehr fair” empfunden. Besonders Entschädigungen für Unternehmen mit Arbeitnehmer*innen in Kurzarbeit fanden wenig Opposition. Österreicher*innen hielten sowohl vor als auch in der Coronakrise Leistung gefolgt von Bedarf für am maßgeblichsten für eine gerechte Gesellschaft. 

Wer das Leistungsprinzip unterstützte, befürwortete auch eher die Entschädigungen für Unternehmen, wie Daten des ACPP zeigen. Dies ließe sich vielleicht so erklären, dass Betriebe in der Zukunft die Chance bekommen, ihre Beiträge zu leisten. Lässt man sie in Insolvenz gehen, so wäre dies auf jeden Fall ein Verlustgeschäft für Staat und Wirtschaft, ohne Chance auf „Wiedergutmachung“ durch Leistungserbringung, denn dem Staat würden so zukünftige Steuereinnahmen entgehen und das Unternehmen könnte nichts mehr zur Wirtschaftsleistung Österreichs beitragen. Auch kann es sein, dass Menschen, die das Leistungsprinzip unterstützten, selbst von den Entschädigungen profitierten. Wer das Bedarfsprinzip unterstützte, will Unternehmen mit Kurzarbeit eher entschädigen, während diese Unterstützung für Unternehmen, die „bloß“ zusperren mussten, fehlte. Eine mögliche Erklärung: Anhänger*innen des Bedarfsprinzips sahen vor allem die Mitarbeiter*innen als Leidtragende, nicht aber die Unternehmen als solche. Schlussendlich ließe sich nach dem Gleichheitsprinzip sagen, dass durch die Entschädigungen ein Gleichgewicht zwischen den Unternehmen geschaffen würde, denn die staatlichen Entschädigungen kompensieren den Verdienstentgang und gleichen so den Wettbewerbsnachteil der vorübergehend zugesperrten Unternehmen teilweise aus.


Thomas Resch ist als Doktorand am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Gerechtigkeitsforschung, Verteilungspräferenzen, Einstellungen gegenüber dem Wohlfahrtsstaat und international vergleichender Analyse von Wohlfahrtsstaaten.


Fußnoten

(1) Neben diesen drei Prinzipien gibt es auch noch das Anrechtsprinzip, das in diesem Beitrag nicht behandelt wird.