10.04.2020
Einkommenseinbußen in der Frühphase der Corona-Krise
- In Der Bevölkerung zeigen sich bereits erste Einkommenseinbußen, die sind aber ungleich verteilt: Die Anzahl der Haushalte, die mit sehr wenig auskommen müssen, ist seit Beginn der Krise gestiegen.
- Breite Bevölkerungsschichten sind von Kurzarbeit betroffen, wobei diese Maßnahme vor allem mittleren Einkommensgruppen hilft, ihr Einkommen einigermaßen zu halten.
- Personen in Home-Office finden sich vor allem in höheren Einkommensschichten. Sie mussten bis dato nur geringe Einnahmeeinbußen verzeichnen.
- Langfristig könnten die Quarantänemaßnahmen durch die unterschiedlichen Möglichkeiten von Home-Office zu steigender Einkommensungleichheit führen.
Von Fabian Kalleitner & David W. Schiestl
Neben den unmittelbaren gesundheitlichen Folgen stehen die ökonomischen Konsequenzen des Coronavirus im Zentrum aktueller Debatten. Zentral sind dabei die vielschichtigen Veränderungen in der Erwerbstätigkeit. In den Sozialwissenschaften wurde von Marie Jahoda zwischen zwei zentralen Funktionen von Erwerbsarbeit unterschieden: Zum einen schafft Arbeit materielle Möglichkeiten zum Lebenserhalt, zum anderen strukturiert sie den Alltag, erzeugt Sozialkontakte, verleiht uns Status, schafft Identität und lässt uns an einem Kollektiv teilhaben. Dieser Blog befasst sich mit der ersten „manifesten“ materiellen Funktion von Erwerbsarbeit. Ein weiterer Blogeintrag befasst sich mit den „latenten“ sozialpsychologischen Funktionen. Hier gehen wir den Fragen nach: Wie hat sich Einkommen in Österreich generell verändert? Zu welchen materiellen Einbußen haben unterschiedliche Erwerbsveränderungen wie Kurzarbeit und Home-Office geführt? Welche möglichen Verteilungseffekte ergeben sich durch die Krise?
Einkommen vor und nach dem Eintreffen des Virus in Österreich
Wir verwenden das verfügbare Netto-Haushaltseinkommen der Befragten als Indikator dafür, wie sich Einkommen durch die Krise verändert haben und wie dies verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich betrifft. (Im methodischen Appendix zu diesem Blog findet sich eine Erläuterung der Vorgehensweise sowie die Frageformulierung und Definition des Einkommens.) Eine gängige Art und Weise sich Einkommen und ihre Verteilung anzusehen, ist der Blick auf sogenannte Einkommensdezile. Dabei werden alle Haushalte in Österreich nach ihrem Einkommen aufsteigend gereiht und in zehn gleich große Gruppen geteilt. Diese sind in Österreich aufgrund anderer Umfragen, wie etwa aus der Statistik der Europäischen Union über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC), bekannt. In der Corona-Panelumfrage wurde das Einkommen in Kategorien abgefragt, die diesen Haushaltsdezilen folgen.
Die blauen Balken in Abbildung 1 zeigen die Verteilung der Februar-Einkommen unserer Befragten: Mit Ausnahme von hohen Einkommen entsprechen die Einkommen in unserer Umfrage in etwa denen aller Österreicherinnen und Österreicher, da sich in jedem Dezil auch etwa 10 Prozent der Befragten unserer Stichprobe befinden. Was hat sich aber seit Februar getan? Ein Vergleich der Verteilung vom Februar (blau in Abbildung 1) und der aktuellen Haushaltseinkommen (rot) zeigt zweierlei: Erstens gibt es nun weniger Personen mit sehr hohem Haushaltseinkommen. Zweitens befinden sich nun mehr Personen im untersten Einkommensdezil, die mit maximal 1.100 Euro im Monat auskommen müssen. Eine Berechnung der durchschnittlichen Dezils-Veränderung zeigt, dass sich Einkommen im Vergleich zum Februar um etwa 0,30 Dezile nach unten verschoben haben. Eine genauere Analyse macht zudem deutlich, dass vor allem Personen, die bereits im Februar niedrige Haushaltseinkommen hatten, nun mit besonders wenig Geld auskommen müssen. Damit trifft die Krise vorläufig vor allem die Personen am härtesten, die schon vor der Corona-Krise wenig Einkommen hatten. Im Folgenden soll aber etwas genauer behandelt werden, wie stark unterschiedliche Gruppen jeweils von Einkommenseinbußen betroffen sind.
Einkommensverteilungen von Personen in Home-Office und Kurzarbeit
Zwei Veränderungen von Erwerbsarbeit stehen in dieser Krise im Zentrum vieler Debatten: Kurzarbeit und Home-Office. Welche materiellen Auswirkungen der Krise ergeben sich für Menschen, die davon betroffen sind? Zunächst ein Blick auf Personen in Kurzarbeit: Wie man in Abbildung 2 (blau) sehen kann, befanden sich jene Personen in unserer Stichprobe, die aktuell in Kurzarbeit sind, vor der Krise eher in der Mitte der Einkommensverteilung. Auch bei der Gruppe der Personen in Kurzarbeit ist der Anteil derer, die mit wenig oder sehr wenig auskommen müssen, deutlich gestiegen. Im Durchschnitt hat sich das Haushaltseinkommen dieser Gruppe um 0,56 Dezile nach unten verschoben. Diese Einbußen wirken jedoch minimal im Vergleich zu der Veränderung des Einkommens jener Personen, die in dieser Zeit arbeitslos geworden sind: Diese Gruppe hatte einen durchschnittlichen Einkommensabstieg um 2.23 Dezile zu verzeichnen (Achtung: Nur 25 Personen im Sample, Schwankungsbreite 0.38). Dies deutet darauf hin, dass mit der Einführung der Kurzarbeit für viele möglicherweise Schlimmeres verhindert werden konnte.
Ganz anders stellt sich die Verteilung der Personen in Home-Office dar. Bereits ein kurzer Blick reicht, um zu erkennen, dass Personen in Home-Office ihr Gehalt weitestgehend halten konnten (durchschnittliche Veränderung: -0.27) und dass vor allem Personen mit hohem Haushaltseinkommen von zuhause aus arbeiten (für eine Verteilung der Branchen siehe Blog-Beitrag Nr. 3). Dies deutet darauf hin, dass sich die Quarantänemaßnahmen auch auf die Einkommensungleichheit auswirken könnten. Da es bis dato vor allem den Personen in Home-Office gelang, einkommenstechnisch recht unbeschadet durch die Krise zu kommen und diese eher im höheren Einkommenssegment angesiedelt sind, könnte dies die Ungleichheit erhöhen. Darüber hinaus könnten sich auch längerfristige Vorteile für Menschen in Home-Office ergeben, da sie Suchkosten (nach einem geeigneten neuen Job) vermeiden und durch die ungebrochene Arbeitslaufbahn rascher beruflich aufsteigen können. Es wird sich aber erst zeigen, wie lange dieser Zustand andauert, und wie stark sich diese Effekte letztendlich auf die Verteilung der Einkommen in Österreich langfristig auswirken werden. Zudem muss erwähnt werden, dass wir uns für diese Analyse nur das Einkommen angesehen haben. Von zuhause aus zu arbeiten und etwa nebenbei Kinder betreuen zu müssen, kann eine große Belastung und Herausforderung sein, die durch eine Betrachtung des Einkommens nicht deutlich wird (siehe etwa Blog-Beitrag Nr. 6).
Fabian Kalleitner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien. Aktuell forscht er zu Themen wie Steuerpräferenzen, Steuerwissen, Wahrnehmungsmechanismen und Arbeitswerte.
David W. Schiestl ist als Doktorand am Institut für Wirtschaftssoziologie tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Migration, Organisation und Sozialpsychologie.
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